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„EBI neu“: Die Reform der Europäischen Bürgerinitiative

  • Authors: Gregor Wenda / Robert Stein
  • Category of articles: E-Democracy
  • Category: Articles
  • Region: EU
  • Field of law: E-Democracy
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2021
  • DOI: 10.38023/f9d0f1fd-f0b0-4dab-a312-48483667790a
  • Citation: Gregor Wenda / Robert Stein, „EBI neu“: Die Reform der Europäischen Bürgerinitiative , in: Jusletter IT 27 May 2021
Mit 1. Jänner 2020 ist die neue Verordnung (EU) 2019/788 über die Europäische Bürgerinitiative (EBI) in Kraft getreten. Sie löste jene Verordnung ab, die 2012 die Vorgaben des Vertrages von Lissabon „zum Leben erweckt“ hatte. Rechtliche, organisatorische und technische Verbesserungen sollen das direkt-demokratische Instrument der EBI benutzerfreundlicher gestalten. Unter anderem wird die Online-Partizipation durch Schaffung eines einheitlichen Online-Sammelsystems vereinfacht.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Die neue Verordnung
  • 2. Wesentliche Änderungen
  • 2.1. Organisatorengruppe
  • 2.2. Registrierung
  • 2.3. Sammlung von Unterstützungsbekundungen
  • 2.4. Prüfung und Bescheinigung
  • 2.5. Reaktion der Kommission
  • 3. Online-Sammlung von Unterstützungsbekundungen
  • 4. Ausblick für Österreich
  • 5. Addendum – „Update“ per 31. Dezember 2020

1.

Die neue Verordnung ^

[1]

Fast acht Jahre hat es gedauert, um die Europäische Bürgerinitiative (EBI), das erste direkt-demokratische bzw. direkt-partizipatorische Instrument der Europäischen Union, zu reformieren. Am 1. April 2011 war die – auf den Neuerungen des Vertrages von Lissabon1 fußende – EBI-Verordnung (EU) Nr. 211/2011 in Kraft getreten, nach zwölf Monaten Legisvakanz2 war sie ab 1. April 2012 in allen Mitgliedstaaten tatsächlich anwendbar geworden. Die erste Überprüfung der EBI-Verordnung durch die Europäische Kommission nach drei Jahren3 zeigte verschiedene Unzukömmlichkeiten in der Funktionsweise auf, die von Anfang an in der Literatur4 und auch auf dem Expertenparkett der EU5 angemerkt worden waren. Auch das Europäische Parlament und der Europäische Bürgerbeauftragte regten aufgrund von Erfahrungen aus der Praxis wiederholt eine Reform der EBI-Verordnung an. Eine ausführliche Darstellung der aufgezeigten Änderungsnotwendigkeiten würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, im Kern ging es jedoch um die Vereinfachung und Straffung der Verfahren, Verbesserungen im Bereich der Online-Sammlung von Unterstützungsbekundungen, Klarstellungen zum Fristengefüge und diverse Erleichterungen für Organisatorinnen und Organisatoren.6 In weiterer Folge griff die Kommission die von verschiedenen Seiten geäußerte Forderung auf, Verbesserungen nicht lediglich auf operativer Ebene umzusetzen, sondern die Substanz, also die Rechtsgrundlage, anzugreifen und eine Novelle („Amendment“) in Form eines Legislativvorschlages auszuarbeiten. Ein solcher wurde am 13. September 2017 präsentiert. Ein wichtiger Teil der Verhandlungen zu einer neuen EBI-Verordnung fiel in die Zeit des österreichischen Ratsvorsitzes: Österreich übernahm die Arbeiten am EBI-Dossier knapp nachdem der Rat Allgemeine Angelegenheiten am 26. Juni 2018 unter bulgarischem Ratsvorsitz die Allgemeine Ausrichtung angenommen hatte; begonnen hatten die Verhandlungen bereits unter estnischer Ratspräsidentschaft am 1. Dezember 2017. Österreich nahm während des Vorsitzes die Rolle eines neutralen Vermittlers ein, betonte allerdings die Bedeutung einer „Revision“ der EBI-Verordnung, um das Potential des Instruments noch stärker ausschöpfen zu können, sowie den „erfreulichen Umstand, dass frühere österreichische Anregungen (etwa hinsichtlich technischer Optimierungen, zur Benutzerfreundlichkeit oder zum Fristengefüge) in den Vorschlag eingeflossen sind.“7 Im Europäischen Parlament nahm der Ausschuss für konstitutionelle Fragen seinen Bericht über den Vorschlag der Kommission am 20. Juni 2018 an, im Plenum wurde am 5. Juli 2018 beschlossen, mit der Kommission und dem Rat interinstitutionelle Verhandlungen hinsichtlich der EBI-Verordnung aufzunehmen. Diese interinstitutionellen Verhandlungen („Trilog“) fanden zwischen September und Dezember 2018 statt; quasi in den letzten Tagen des österreichischen Ratsvorsitzes konnte am 12. Dezember 2018 eine politische Einigung zwischen Parlament und Rat über eine zu reformierende EBI-Verordnung erzielt werden. Der endgültige Rechtsakt wurde am 17. April 2019 unterzeichnet8 und im Amtsblatt der EU9 am 17. Mai 2019 kundgemacht. Seit 1. Jänner 2020 ist die neue Verordnung (EU) 2019/788 über die Europäische Bürgerinitiative in Kraft; die bisherige Verordnung (EU) Nr. 211/2011 wurde zeitgleich aufgehoben.

2.

Wesentliche Änderungen ^

[2]

Die neue EBI-Verordnung setzt gegenüber der früheren Verordnung teils andere Schwerpunkte und weist auch eine neue Gliederung und Systematik auf.10 Insofern ist – entgegen den anfänglichen Plänen einer reinen „Überarbeitung“ (als Novellierung des Bestehenden) – ein gänzlich neuer Rechtsakt entstanden, der jedoch auf Bekanntem aufbaut. Für Initiativen, die bis zum 31. Dezember 2019 registrierten wurden, sind teilweise noch die alten Vorschriften der Verordnung (EU) 211/2011 anwendbar. Zu den wesentlichen Änderungen durch Verordnung (EU) 2019/788 sind zu zählen:

2.1.

Organisatorengruppe ^

[3]

Mindestens sieben Unionsbürgerinnen und -bürgern, die in sieben verschiedenen EU-Staaten ansässig sind11, müssen sich in einem ersten Schritt zusammenfinden, um in einer organisierten Form gegenüber der Kommission aufzutreten. Was laut Verordnung (EU) Nr. 211/2011 noch als „Bürgerausschuss“ bezeichnet wurde, heißt nunmehr „Organisatorengruppe“. Bereits im letzten Jahr gegründete „Bürgerausschüsse“ können als Organisatorengruppen ihre Arbeit fortsetzen, ohne ihre Struktur zu ändern. Die Möglichkeit der Gründung einer juristischen Person für die Organisatorengruppe steht allerdings erst Initiativen offen, die ab 1. Jänner 2020 registriert werden.

2.2.

Registrierung ^

[4]

Vor der Sammlung von Unterstützungsbekundungen muss die Organisatorengruppe der Kommission eine Initiative vorschlagen und um Registrierung ersuchen. Neben erhöhten Anforderungen an die Transparenz auf Seiten der Organisatoren ist auch die Kommission gefordert, aktiver in den Dialog mit den Proponenten zu treten. Hierfür soll in Zukunft stärker auf allgemeine Informationsarbeit, Diskussionen in Foren und eine stärkere Nachvollziehbarkeit gesetzt werden. Seit Anfang 2020 ist es der Kommission erstmals möglich eine EBIauch nur teilweise zu registrieren, wenn zumindest ein Teil der Intitiative, einschließlich der wichtigsten Ziele, „nicht offenkundig außerhalb des Rahmens liegt, in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen.“12 Dies soll für Gruppierungen, die viel Energie in die Vorbereitungsarbeit investiert haben, Erleichterungen bringen, da selbst bei teilweise vorliegenden Mängeln in ihren Anliegen keine vollständige Ablehnung droht. Die Entscheidung der Kommission hat in der Regel innerhalb von zwei Monaten zu ergehen, bei Annahme des Registrierungsantrags wird die Initiative auf der Website der Kommission13 veröffentlicht.

2.3.

Sammlung von Unterstützungsbekundungen ^

[5]

In diesem zentralen Bereich sind besonders markante Änderungen zu verzeichnen. Obgleich die ursprüngliche Intention der Kommission und des Parlaments, das Mindestalter für die Unterstützung einer EBI, wie etwa in Österreich, allgemein auf 16 Jahre zu senken, nicht erreicht werden konnte, lässt die Verordnung zumindest die Möglichkeit offen, das Mindestalter – losgelöst vom „Wahlalter“ im jeweiligen Mitgliedstaat – mit 16 Jahren festzusetzen.14 Weiterhin ist mindestens eine Million Unterschriften aus mindestens sieben Mitgliedstaaten erforderlich; die Schwellwerte in den einzelnen EU-Staaten wurden mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union15 („Brexit“) angepasst. Der bisher geltende Anhang I der Verordnung (EU) 2019/788 wurde durch die delegierte Verordnung (EU) 2019/1673 der Kommission vom 23. Juli 2019 ersetzt. Die Mindestanzahl von Unterstützungsbekundungen für Österreich ist darin nun mit 13.39516 festgesetzt.

[6]

Mit den neuen Regelungen ist eine Unterstützung von Europäischen Bürgerinitiativen nunmehr unabhängig vom Wohnort möglich; diverse Konstellationen, bei denen Angehörige einzelner Mitgliedstaaten de facto daran gehindert waren17, eine EBI zu unterstützen, gehören damit der Vergangenheit an. Bei den Formularen für die Unterstützungsbekundungen wurden teilweise Vereinfachungen vorgenommen. Das von zahlreichen Mitgliedstaaten aufgestellte Erfordernis, bei der Unterstützung einer EBI die Nummer eines Identifikationsdokuments anzugeben, wurde während der Verhandlungen im „Trilog“ auf Ratsebene weiterhin als unumgänglich angesehen18. Die ursprüngliche Intention der Kommission, nur einen Teil der Ziffern einer Identitätsdokumenten-Nummer anzugeben, konnte in den Verhandlungen abgewendet werden – eine Überprüfung von Unterstützungsbekundungen wäre dadurch mit einer großen Fehleranfälligkeit belastet gewesen. Einen Kompromiss in den interinstitutionellen Verhandlungen gab es nur dergestalt, dass jene Formularen, die eine „ID-Nummer“ vorsehen, im Interesse einer DSGVO-geprägten „Datenminimierung“ keine zusätzliche Angabe eines Geburtsdatums mehr enthalten.19 Diese Lösung könnte in Österreich, im Falle der nicht eindeutigen Identifizierbarkeit einer unterstützungswilligen Person (z.B. Unlesbarkeit oder Tippfehler bei der Nummer, kein Geburtsdatum als zusätzlicher Identifikator), zukünftig zu einer höheren Anzahl nichtiger Unterschriften führen. Die Sammlung von Unterstützungsbekundungen erfolgt auch im neuen System entweder auf Papier oder online, wobei nun erstmals ein zentrales, kostenfreies Online-Sammelsystem der Kommission bereitgestellt wird (siehe unten Punkt 3). Der Start der Unterschriftensammlung ist, vielfachen Anregungen folgend, flexibilisiert worden: Die zwölf Monate, die zum Sammeln zur Verfügung stehen, beginnen nicht mehr unmittelbar nach der Registrierung20, vielmehr kann die Organisatorengruppe selbst einen Zeitpunkt festlegen, an dem – spätestens sechs Monate nach der Registrierung der EBI – gestartet wird.

2.4.

Prüfung und Bescheinigung ^

[7]

Organisatorengruppen sollen im Geist der neuen EBI-Verordnung währen des gesamten Prozesses besser beraten und begleitet werden. Dazu werden in jedem Mitgliedstaaten Kontaktstellen21 eingerichtet. Die Kommission betreibt eine Online-Kooperationsplattform, die Informationen und Beratung zu Europäischen Bürgerinitiativen anbieten soll. Ein Kontaktformular im Register und auf der öffentlichen Website soll es Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, rascher mit der Kommission in Verbindung zu treten und sich über allenfalls mangelhafte Informationen beschweren zu können. Wenn eine ausreichende Anzahl an Unterstützungserklärungen aus einem Mitgliedstaat vorliegt, werden diese der jeweils zuständigen Behörde22 vorgelegt. Der Mitgliedstaat hat drei Monate Zeit zur Überprüfung und Ausstellung einer Bescheinigung, die die Organisatorengruppe der Kommission vorzulegen hat. Auch weiterhin steht es den Mitgliedstaaten frei, ob sie die Unterschriften mittels Stichproben („random sampling“), oder 1:1 verifizieren wollen. Österreich praktiziert, so wie mehrere andere Staaten, eine lückenlose Kontrolle der Unterstützungsbekundungen.

2.5.

Reaktion der Kommission ^

[8]

Zur Erhöhung der Transparenz müssen der Kommission bei Vorlage der Unterstützungsbekundungen und Bescheinigungen von einer Organisatorengruppe nun sämtliche erhaltenen Finanzmittel offen gelegt werden.23 Die Kommission muss die EBI-Vorlage unverzüglich im offiziellen Register veröffentlichen und sich „auf angemessener Ebene“ mit den Organisatoren zum weiteren Austausch treffen. Die Frist, in der die Kommission auf eine gültige Initiative zu reagieren hat, wurde von drei auf sechs Monate verlängert – dafür muss die Kommission in ihrer Mitteilung die rechtlichen und politischen Schlussfolgerungen darlegen und Liste geplanter Maßnahmen und einen Zeitplan für eine Umsetzung präsentieren. Die Initiative wird dann im Parlament – organisiert vom Ausschuss, der für den Gegenstand der EBI zuständig ist – im Rahmen einer öffentlichen Anhörung vorgestellt. Nach der öffentlichen Anhörung kann das Parlament eine Plenardebatte abhalten und eine Entschließung annehmen, um eine politische Unterstützung der Initiative zu prüfen.24

3.

Online-Sammlung von Unterstützungsbekundungen ^

[9]

Ein Herzstück der EBI-Verordnung (EU) 2019/788 ist das neu geschaffene, zentrale Online-Sammelsystem (Online Collection System – OCS) für Unterstützungsbekundungen, das von der Kommission einzurichten und zu betreiben ist. Die individuellen Sammelsysteme, die zum Teil (noch) bestehen, sollen damit schrittweise abgeschafft werden. Dass nationale Behörden ein individuelles Online-Sammelsystem zu zertifizieren haben, wird nur noch bis Ende 2022 zulässig sein.25 Die Online-Unterstützung wird mit dem neuen System erstmals auch tatsächlich „online signiert“ möglich sein – mittels Nutzung notifizierter elektronischer Identifizierungsmittel oder einer elektronischen Signatur im Sinne der eIDAS-Verordnung.26 Das Sammelsystem der Kommission läuft über eine gesicherte Plattform, die sich eines Verschlüsselungs-Tools bedient, das anlässlich der Europawahl 2019 zum ersten Mal zum Einsatz kam. Die im Rahmen des Datenaustausches zwischen den Mitgliedstaaten gewonnenen Erfahrungen vor der Europawahl 2019 konnten in der Folge in die Optimierung der Plattform für Europäische Bürgerinitiativen einfließen. Das zentrale Online-Sammelsystem gestattet ein sicheres Hochladen und Herunterladen der sensiblen, personenbezogenen Daten unterstützungswilliger Personen, gefiltert nach Initiativen und zuständigen Mitgliedstaaten. Im Idealfall kann die gesamte datenrelevante Kommunikation zu einer EBI zwischen Organisatorengruppen und Behörden über die Plattform der Kommission abgewickelt werden.

4.

Ausblick für Österreich ^

[10]

Mit der Vollziehung der Europäischen Bürgerinitiative ist in Österreich der Bundesminister für Inneres betraut. Ein eigenständiges Gesetz (Europäische-Bürgerinitiative-Gesetz – EBIG27) konkretisiert unter anderem Fristen und Begriffe der (sehr allgemein gehaltenen) EBI-Verordnung. Aufgrund der neuen EBI-Verordnung (EU) 2019/788 wurden – primär administrative und begriffliche – Anpassungen des EBIG erforderlich, um innerstaatlich weiterhin einen rechtskonformen Vollzug sicherzustellen. Ohne Novellierung wäre es, ungeachtet der grundsätzlich direkten Anwendbarkeit europarechtlicher Verordnungen, aufgrund des Gebots der „strikten Wortinterpretation“ wahlrechtlichen Normen zu Divergenzen zwischen der neuen Verordnung und dem EBIG gekommen. Am 22. Jänner 2020 wurde daher ein Initiativantrag (als Vier-Parteien-Antrag) zur Änderung des EBIG im Nationalrat eingebracht und dem Verfassungsausschuss zugewiesen.28 Am 13. Februar 2020 fand die Sitzung des Verfassungsausschusses statt, bei der die vorgeschlagenen Änderungen unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrags, der ausschließlich formale Berichtigungen zum Gegenstand hatte, einstimmig beschlossen wurden. Da bei Angabe der Nummer des Reisepasses oder des Personalausweises in einem Unterstützungsbekundungs-Formular zukünftig keine Angabe eines Geburtsdatums mehr vorgesehen ist, kann die Bundeswahlbehörde neben der zentralen Evidenz nach § 22b des Passgesetzes 1992 („Identitätsdokumentenregister“) zur Prüfung der Identität von Unterstützungswilligen nun auch das Zentrale Wählerregister heranziehen. Die obligate Verwendung des zentralen Online-Sammelsystems der Europäischen Kommission ab 2023 spiegelt sich auch im EBIG wider. Die Beschlussfassung der EBIG-Novelle im Plenum des Nationalrates erfolgte am 27. Februar 2020, die Novelle wurde am 21. März 2020 kundgemacht (BGBl. I Nr. 22/2020). Nicht nur aufgrund der neuen rechtlichen und organisatorischen Gegebenheiten, sondern auch wegen der Corona-Pandemie (siehe unten) kam es noch zu keiner Vorlage einer EBI nach dem Regime der neuen Verordnung (EU) 2019/788.

[11]

Mit Online-Angeboten und (soweit möglich) Veranstaltungen will die EU die Neuerungen der EBI stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Dabei hat bereits die Diskussion über die EBI-Reform im Jahr 2018 und 2019 laut Kommission zu einem Anstieg der Anträge und Registrierungen geführt29: Seit 2012 wurden bei der Kommission insgesamt 96 Registrierungsanträge entgegengenommen und 71 Initiativen registriert; bislang gelten allerdings nur fünf Initiativen als tatsächlich erfolgreich.30 Die kommenden Monate und Jahre werden zeigen, inwieweit die Reform der Europäischen Bürgerinitiative tatsächlich zu mehr Bürgerfreundlichkeit, einem erleichterten Zugang zu diesem direkt-demokratischen Instrument und damit auch zu einem höheren Interesse an einer Inanspruchnahme der EBI und der Online-Partizipation auf EU-Ebene führen wird. Das durch die EBI-Reform aktuell Erreichte gibt aber jedenfalls vorläufig Anlass zur Zuversicht.

5.

Addendum – „Update“ per 31. Dezember 2020 ^

[12]

Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen den Ausbruch der durch das neuartige Coronavirus „SARS-CoV-2“ verursachten Erkrankung COVID-19 zu einer weltweiten Pandemie. Die Thematik „COVID-19“ prägte im weiteren Jahresverlauf 2020 auch das Instrument der Europäischen Bürgerinitiative in vielfältiger Weise. Restriktive Maßnahmen führten zu Einschränkungen des öffentlichen Lebens in quasi allen Mitgliedstaaten. Europäische Bürgerinitiativen konnten dadurch nicht ausreichend beworben werden; die Sammlung von Unterstützungsbekundungen in Papierform war eingeschränkt oder überhaupt unterbunden. Neben den Organisatorengruppen waren durch die Pandemie auch nationale Verwaltungen und die Organe der EU mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen daher, befristete Maßnahmen in Form einer Verordnung31 zu verabschieden, um bestimmte Fristen der EBI-Verordnung (EU) 2019/788 zu verlängern und etwaige Nachteile, die aus den Restriktionen resultierten, abzufedern.32 Die Verordnung trat am 15. Juli 2020 in Kraft; sie ermächtigte die Kommission auch dazu, die Sammlungsfristen bei einer neuerlichen Verschärfung der COVID-19-Situation unter bestimmten Umständen um weitere drei Monate zu verlängern.33 Ab Oktober 2020 stiegt die Zahl der COVID-19-Fälle in der EU wieder deutlich an und führte in immer mehr Mitgliedstaaten zu neuen restriktiven Maßnahmen. Basierend auf einer entsprechenden Verordnungsermächtigung erließ die Kommission daher am 17. Dezember 2020 einen Durchführungsbeschluss34, mit dem die Fristen für die Sammlung von Unterstützungsbekundungen für bestimmte Europäische Bürgerinitiativen verlängert wurden. Die Kommission prüft derzeit laufend die Situation in den Mitgliedstaaten und die jeweils vorliegenden „Eindämmungsmaßnahmen“, um die Voraussetzungen für allfällige neuerliche Verlängerungen zu beurteilen.

[13]

Die geplante, breitenwirksame Bewerbung der EBI-Neuerungen auf EU-Ebene musste, bedingt durch die Pandemie, letztlich in den virtuellen Raum verlagert werden. An Stelle einer Konferenz im März 2020 fand von 16. bis 20. November 2020 eine European Citizens’ Initiative Week als „Digital Event“ statt, die eine Simultandolmetschung in sechs Sprachen anbot und an der sich Stakeholder aller Bereiche beteiligen konnten.35

  1. 1 Art. 11 Abs. 4 des Vertrages über die Europäische Union (EUV).
  2. 2 Diese war erforderlich, um in den Mitgliedstaaten rechtliche, technische und organisatorische Anpassungen für die Zertifizierung von Sammelsystemen und die Prüfung von Unterstützungsbekundungen zu treffen.
  3. 3 Dargelegt im Bericht der Kommission vom 31. März 2015 (COM(2015) 145); eine neuerliche Überprüfung fand drei Jahren später statt und wurde im Bericht COM(2018) 157 festgehalten.
  4. 4 Die Autoren dieses Beitrages haben dazu wiederholt publiziert; vgl. u.a. Stein/Wenda, Online-Partizipation in der EU? – Erste Erfahrungen mit Europäischen Bürgerinitiativen aus Sicht Österreichs, Informatik 2014 (GI LNI), 1371 oder Stein/Wenda, Reviewing the Regulation: The Future of European Citizens‘ Initiatives, Independence Day: Time for a European Internet? Conference Proceedings 2015, 339).
  5. 5 Eine Initiative von Deutschland, Finnland, Luxemburg und Österreich zielte darauf ab, der Kommission zentrale Reformpunkte für deren Überprüfungsbericht zu kommunizieren.
  6. 6 Für eine ausführlichere Darstellung vgl. etwa Wenda/Stein, «EBI 2.0»? – Die geplante Reform der Europäischen Bürgerinitiative, in: Jusletter IT, 22. Februar 2018.
  7. 7 Vgl. Anfragebeantwortung 1966/AB des Bundesministers für Inneres vom 12. Dezember 2018 zur Parlamentarischen Anfrage 1899/J (XXVI.GP).
  8. 8 Der Unterzeichnung der Verordnung gingen die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2019 und die Billigung durch den Rat (bereits unter rumänischem Vorsitz) am 9. April 2019 voran.
  9. 9 ABl. L 130.
  10. 10 So wird z.B. in Artikel 6, in dem in der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 die „Online-Sammelsysteme“ geregelt waren, in der nunmehrigen Verordnung die Registrierung einer EBI behandelt.
  11. 11 Sie müssen nicht sieben unterschiedliche Staatsbürgerschaften besitzen, aber die einzelnen Mitglieder müssen alt genug sein, um im jeweiligen Staat ihres Hauptwohnsitzes an Europawahlen teilzunehmen.
  12. 12 Vgl. Art. 6 Abs. 4 lit. b der Verordnung (EU) 2019/788.
  13. 13 https://europa.eu/citizens-initiative/_de.
  14. 14 Neben Österreich und Malta, wo die Altersgrenze von 16 Jahren für alle Wahlereignisse (inklusive EBI) gesetzlich verankert ist, erwägen derzeit einige Mitgliedstaaten zumindest für die EBI eine Alterssenkung auf 16 oder 17.
  15. 15 Der Brexit ist mit 30. Jänner 2020 erfolgt; die Übergangsfrist ist mit 31. Dezember 2020 abgelaufen.
  16. 16 Bemessungsgrundlage: Zahl der nunmehrigen österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments multipliziert mit der Zahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments insgesamt (19 x 705).
  17. 17 Vgl. zu dieser Problematik etwa Müller-Török/Stein, „The Assignment of European Citizens to Member States in the Regulation in the European Citizens‘ Initiative – Data Modelling Issues for Organisers and Authorities“, 9th Eastern European eGov-Days 2011, Ljubljana (2011).
  18. 18 Hierzu gehörte grundsätzlich auch Österreich, wobei während des Ratsvorsitzes im zweiten Halbjahr 2018 die Rolle eines neutralen Vermittlers eingenommen wurde.
  19. 19 Zukünftig wird nur mehr zwischen zwei Typen von Unterstützungsformularen für Unterstützungswillige unterschieden: Formular A enthält Namen, Geburtsdatum und Adresse, dafür keine ID-Nummer (laut Kommission in acht Staaten vorgesehen), Formular B enthält Namen, Art des Ausweises und die ID-Nummer, dafür keine weiteren personenbezogenen Angaben (laut Kommission in 19 Staaten, darunter Österreich, vorgesehen).
  20. 20 Diese Rechtsansicht wurde von der Kommission vertreten, Österreich hat an der starren Interpretation aufgrund des Zusammenspiels der Bestimmungen zur Registrierung und Löschung und des dadurch größeren Zeitfensters in Verordnung (EU) Nr. 211/2011 allerdings Zweifel gehegt und seit 2012 für eine legistische Klarstellung plädiert.
  21. 21 In Österreich handelt es sich um das Bundesministerium für Inneres im Auftrag der Bundeswahlbehörde.
  22. 22 In Österreich ist dies die Bundeswahlbehörde.
  23. 23 Vgl. Art. 17 (Transparenz): „Die Organisatorengruppe stellt zur Veröffentlichung im Register und gegebenenfalls auf ihrer Internetseite klare, präzise und umfassende Informationen über die Quellen der Finanzierung der Initiative bereit, deren Umfang 500 EUR pro Sponsor überschreitet. Die angegebenen Quellen der Finanzierung und Unterstützung, einschließlich der Sponsoren, und die entsprechenden Beträge müssen eindeutig erkennbar sein. (…)“.
  24. 24 Vgl. http://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/149/die-europaische-burgerinitiative.
  25. 25 Als Richtschnur für die Zertifizierung individueller Online-Sammelsysteme wurde die neue Durchführungsverordnung der Kommission (EU) 2019/1799 erlassen.
  26. 26 Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates; in Österreich ist die Schaffung der entsprechenden Voraussetzungen für eine tatsächliche Verwendung der „E-ID“ noch in der Vorbereitungsphase.
  27. 27 Stammfassung: BGBl. I Nr. 12/2012.
  28. 28 Initiativantrag 275/A vom 22. Jänner 2020 (XXVII. GP).
  29. 29 Nach Angaben der Kommission habe es 2019, wohl auch mitbedingt durch die stärkere EU-Wahrnehmung anlässlich der Europawahl 2019, ein „Hoch“ wie zuletzt 2012, im Jahr des EBI-Starts, gegeben.
  30. 30 Vgl. https://europa.eu/citizens-initiative/home_de (Stand: 5.2.2021).
  31. 31 Verordnung (EU) 2020/1042 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2020.
  32. 32 Unter anderem wurde die Sammlungsfrist bei einer EBI, für die am 11. März 2020 bereits Unterstützungsbekundungen gesammelt wurden, um maximal sechs Monate (also bis spätestens 11. September 2020) verlängert. Beim Start der Sammlungsfrist zwischen dem 11. März 2020 und dem 11. September 2020 erfolgte eine Verlängerung der Sammlungsfrist bis zum 11. September 2020.
  33. 33 Grundlage dafür ist, wie bei der ersten Verlängerung, dass in mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten oder einer Anzahl von Mitgliedstaaten, die mehr als 35 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, entsprechende Restriktionen bestehen.
  34. 34 Durchführungsbeschluss (EU) 2020/2200 der Kommission vom 17. Dezember 2020.
  35. 35 Vgl. https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/agenda_eci_digital_event_en.pdf (Stand: 5.2.2021).