Das 26. Internationale Rechtsinformatik Symposion befasst sich mit dem eigentlichen Kernthema der Rechtsinformatik: Wie kann die Rechtsinformatik dazu beitragen, damit das Rechtssystem den neuen Herausforderungen des Wissens- und Netzwerkzeitalters bestmöglich entsprechen kann? Nach dem ersten Hype der 1980er und frühen 1990er Jahre mit den sogenannten Expertensystemen im Recht folgte methodisch eine Eiszeit, besonders intensiv im deutschsprachigen Raum. Rechtsinformatik wurde auf Informationsrecht reduziert, erforderliche IT-Kenntnisse auf die notwendige Kommunikation eingeschränkt, die Rechtsdogmatik hochgefahren, auf interdisziplinäre und gesellschaftliche Aspekte vergessen und – für die Rechtsinformatik höchst schädlich – diese sogar totgesagt, so zumindest von Thomas Hoeren, Professor in Münster, bei einem Vortrag in Berlin 2018. Schon eine oberflächliche Analyse des Informationsrechts zeigt, dass auf wesentliche gesellschaftliche Aspekte im Interesse eines kundenfreundlichen Ansatzes vergessen wurde: Wissensrechte sind nicht ausreichend fair und gerecht in der Wissensgesellschaft verteilt. Es gibt eine schwer in Griff zu bekommende Monopolisierung im IKT-Sektor mit wesentlichen Nachteilen für Bürger*innen und Konsument*innen. Data Governance wurde vergessen und Privacy und Datenschutz überbetont, mit schwerwiegenden Nachteilen für die europäische Wirtschaft. Nur mit dem interdisziplinären Ansatz der Rechtsinformatik kann man solche Probleme holistisch lösen. Dies wird das IKT-Recht noch einige Zeit beschäftigen.
Jurist*innen sind bekannt konservativ, und – wenn es um Methodik geht – fast ultra-konservativ. Schrecklich wird es aber, wenn es um den Innovationsfluss von der Wissenschaft zu den Jurist*innen selbst geht. Dies wird vielleicht als Spielwiese, Steckenpferd oder dergleichen gesehen, aber viel zu selten als vielversprechende und wichtige Initiative zur Verbesserung des Rechtssystems – und da ist wirklich viel zu tun, damit das Recht allen zur Verfügung steht. Erst wenn die Wirtschaft Produkte anbietet, marktfähig oder auch noch nicht wirklich, wird aufgeschaut. Verlage im deutschsprachigen Raum übernehmen an sich nur, was sich in anderen Märkten bereits bewährt hat; üblicherweise mit viel Selbstpromotion der oft bescheidenen Eigeninnovation. So kommen wir nicht weiter. Als ein wesentlicher Nachteil hat sich auch herausgestellt – von Thomas Hoeren schon 2003 festgestellt – dass für das Recht kein Forschungsprogramm da ist; also eine klare Feststellung des Staates, dass Recht keine Innovation braucht. Etwas absurd, aber so ist es nun mal, mit sehr negativen Auswirkungen für die Rechtsinformatik.
Das Recht war Vorreiter und Innovator bei der Entwicklung von Information Retrieval-Systemen; Jon Bing hat mit Recht einen World Computer Award bekommen. Auch bei Expertensystemen war das Recht wichtiges Anwendungsgebiet; mit der fatalen Erkenntnis, dass Recht eben komplex ist und eine Automatisierung viel mehr erfordert als in anderen, wesentlich lukrativeren Sektoren.
Was im Recht angekommen ist: die Office Programme, insbes. Textverarbeitungsprogramme, das Internet und die E-Mail zur Kommunikation, die Buchhaltungsprogramme, Unternehmensprogramme (im Recht „Anwaltssoftware“ bzw. „Kanzleiinformationssysteme“ genannt), und – ein wenig – Dokumentenautomatisation.
Legal Tech ist ein weiterer Hype – noch mit viel Potential, aber auch hier muss streng geachtet werden, dass nach Versiegen der Innovationsfreude und des -geldes der IKT-Industrie selbst tragende Anwendungen vorhanden sind. Der Hauptherausgeber war immer skeptisch, insbes. auch deshalb, weil die Ergebnisse der Rechtsinformatik – leicht verfügbar in den Tagungsbänden von ICAIL, JURIX und auch IRIS, sträflich wenig berücksichtigt wurden und vielfach das Rad neu erfunden wurde. Innovation im Recht ist gut und notwendig, aber der Stand des Wissens darf keineswegs vernachlässigt werden.
Nunmehr geht es um das Eingemachte für Jurist*innen: Schreiben von Dokumenten, Analyse von Dokumenten, Kommunizieren und Diskussion von Ansichten zu Fakten und zum Recht, mit Blick auf eine (fast vollständige) Delegierung der Aufgaben an den Rechtsagenten – einem Avatar, einem Softwareagenten, der unterstützend für die Jurist*innen tätig wird. Für die nähere Zeit wird es immer eine Kooperation und Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine sein, aber mit viel Potential zu erhöhter Effizienz des Rechtssystems.
Heuer haben wir bereits das 26. IRIS (oft auch die 26. IRIS). Die vielen Stakeholder sind uns treu geblieben, wenn sich auch Zusammensetzung und die jeweiligen Proponent*innen wesentlich geändert haben. Das Konzept als wissenschaftliche Plattform für möglichst viele bei geringen und notwendigen Zugangshürden ist gleichgeblieben. Wissenschaft ist vielseitig – und IRIS möchte sowohl der Notwendigkeit von Reviews und Konsistenzprüfung der wissenschaftlichen Forschung und Anwendungspraxis entsprechen als auch Forschungsideen sowie innovativen Praxislösungen eine Bühne geben. IRIS als Community ist professioneller geworden; viel Erfahrung existiert und ist in den 24 Tagungsbänden nachlesbar.
COVID-19 ist (fast) vorbei; aber die Kombination Vor-Ort und Online soll bleiben. Diesmal wollen wir uns alle in Salzburg wiedersehen, aber mit Streaming sowie Q/As möglichst viele auch online einbinden.
Dieses Jahr wurde/wird die eigentliche Tagung im Februar 2023 wieder begleitet von einem IRIS-Trimester im Winter wie im Frühling, einer Serie an Webinaren zu den IRIS-Themen, die gemeinsam mit ReMeP Conference, dem WZRI Wiener Zentrum für Rechtsinformatik, RI@ rechtsinformatik.ACADEMY, Weblaw, CYBLY und Legal Hackers Vienna abgehalten wurden und werden.
Wie gewohnt umfasst der Tagungsband neben neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen auch Beiträge zu den praktischen Problemstellungen und Anwendungen der Rechtsinformatik. Die multimediale Publikation in Zusammenarbeit mit Editions Weblaw wird fortgesetzt.
Der Tagungsband ist in folgende Themengruppen gegliedert:
- Generalthema: Rechtsinformatik als Methodenwissenschaft
- Data Governance, Privacy & Datenschutz
- E-Government
- E-Justiz
- KI & Recht / LegalTech / Juristische Informatik-Systeme
- Rechtstheorie / Rechtsvisualisierung / Legal Design / Robolaw
- Cybersicherheit & Recht
- IP-Recht
- E-Commerce
Die Organisator*innen des IRIS26 sind zahlreichen Personen, die dazu beitragen, dass diese wissenschaftliche Plattform der Rechtsinformatik abgehalten werden kann, zu Dank verpflichtet. Die vielen Stakeholder sind auf den nachfolgenden Seiten unter IRIS-Organisation angeführt. Besonders zu erwähnen sind die Universitäten Wien (ARI Arbeitsgruppe Rechtsinformatik in Zusammenarbeit mit dem WZRI Wiener Zentrum für Rechtsinformatik) und Salzburg (Wissensnetzwerk Recht Wirtschaft und Arbeitswelt), der Programmvorsitzende Erich Schweighofer und die Co-Vorsitzenden Stefan Eder und Jakob Zanol, der Publikationsvorsitzende Philip Hanke; die lokale Koordinatorin Maria Stoiber und das lokale Organisationsteam an der Universität Salzburg unter der Leitung von Dietmar Jahnel sowie das Wiener Organisationsteam. Der Programmvorsitz wird durch die Programmkoordinatoren Raymond Rasser, Sebastian Krempelmeier und Felix Schmautzer unterstützt.
Den Autorinnen und Autoren gebührt unser herzlicher Dank für ihre Beiträge, die mit größtmöglicher Sorgfalt editiert wurden.
Tagungsbände sind Dokumentationen von Momentaufnahmen der Wissenschaft, und zwar der gehegten und gepflegten Treffen der Wissenschaftsgemeinde. Das IRIS-Konzept sieht größtmögliche Dissemination der Ergebnisse vor. Der Verlag Editions Weblaw publiziert zusätzlich zum gedruckten Tagungsband – teilweise zeitversetzt – eine Online-Version in der Zeitschrift Jusletter IT (https://www.jusletter-it.eu). Weitere Beiträge, die in der gedruckten Ausgabe keinen Platz mehr gefunden haben, werden der interessierten Leserschaft in der Online-Version zur Verfügung gestellt. Die bisher publizierten Tagungsbände (ab dem Jahr 2000) können im Archiv von Jusletter IT abgerufen werden.
Wir hoffen, dass dieser Tagungsband in gedruckter und in elektronischer Form mit ähnlichem Interesse aufgenommen wird wie die Tagungsbände der Vorjahre!
Brüssel und Wien, im Jänner 2023
Erich Schweighofer, Stefan Eder, Jakob Zanol