1.
Vor-Corona-Pandemie-Zeit ^
Das Gesellschaftsrecht hat das Internet und den Cyberspace erst relativ spät entdeckt.1 Während Ulrich Noack im Jahr 1998 die modernen Kommunikationsformen noch „vor den Toren“ des Unternehmens- und Gesellschaftsrechts sah2, konstatierte sein Assistent Dirk Zetzsche fünf Jahre später bezüglich der Situation in Deutschland, dass das Internet aus den Hauptversammlungen deutscher Aktiengesellschaften „nicht mehr wegzudenken (sei)“3. Zwar nutzten einzelne börsenotierte österreichische Aktiengesellschaften bereits Mitte/Ende der 1990er-Jahre ihre neu geschaffenen Internetseiten zum Zwecke der Finanzinformation, auch was Hauptversammlungsinformationen anbelangte4, doch stand das österreichische Aktienrecht einem Einsatz des Internets in Zusammenhang mit der Hauptversammlung lange Zeit reserviert gegenüber.5 Dies führte schließlich dazu, dass die fordernde – im Sinne von eine gesetzgeberische Aktivität verlangende – Frage aufgeworfen wurde, ob das österreichische AktG „reif für die Zukunft“ sei.6
Ein erster Schritt in Richtung gesetzlicher Akzeptanz des Internets im österreichischen Aktienrecht erfolgte durch das GesRÄG 2004, BGBl I 2004/67. Mit diesem Gesetz wurde die Möglichkeit für österreichische börsenotierte Aktiengesellschaften geschaffen, Hauptversammlungen öffentlich und damit auch im Internet zu übertragen. Dazu wurde dem § 102 AktG ein entsprechender Abs. 3 angefügt. Dies geschah in Anlehnung an das deutsche Recht.7
Der nächste Schritt in der Nutzbarmachung des Internets und des Cyberspace für das österreichische Aktienrecht war – und dieser kann mit gutem Grund als Meilenstein bezeichnet werden – die Umsetzung der Aktionärsrechterichtline 2007/36/EG8 durch das AktRÄG 2009, BGBl I 2007/71. Neben einer verstärkten informatorischen Vor- und Nachbereitung der Hauptversammlung über die Internetseiten der börsenotierten Aktiengesellschaften sah die Aktionärsrechterichtlinie 2007/36/EG die Schaffung elektronischer Möglichkeiten der Teilnahme an der Hauptversammlung und der Ausübung des Stimmrechts vor.9 Dabei erlaubte Artikel 3 der Aktionärsrechterichtlinie 2007/36/EG den Mitgliedstaaten, über die Richtlinie hinausgehende Verpflichtungen für börsenotierte Aktiengesellschaften einzuführen. Die Richtlinie gab somit nur den unteren Rahmen vor.10 Eine Übererfüllung dieser Richtlinie, ein sog. Gold-Plating, war nicht unerwünscht.11 Während die Aktionärsrechterichtlinie 2007/36/EG die börsenotierten Aktiengesellschaften verpflichtete, bestimmte hauptversammlungsrelevante Informationen vor und nach der Hauptversammlung auf ihren Internetseiten bereitzustellen, sah sie hinsichtlich der elektronischen Teilnahme und Abstimmung lediglich eine Ermöglichung vor: Börsenotierten Aktiengesellschaften konnten Möglichkeiten der elektronischen Teilnahme und Abstimmung schaffen, sie mussten es aber nicht. Bachner/Dokalik12 sahen in Artikel 8 der Aktionärsrechterichtlinie 2007/36/EG13 jene Bestimmung der Richtlinie, „die zweifellos das größte Zukunftspotential in sich trägt, dessen Ausschöpfung jedoch Sache der Gesellschaften sein wird.“ Eine rein virtuelle Hauptversammlung wollte die Aktionärsrechterichtlinie 2007/36/EG nicht ermöglichen. Die Richtlinie ging davon aus, dass weiterhin eine physische Hauptversammlung an einem bestimmten Ort stattfindet. Sofern sich börsenotierte Aktiengesellschaften für eine elektronische Teilnahmemöglichkeit samt elektronischer Abstimmung entscheiden, sollen Aktionäre an Hauptversammlungen elektronisch teilnehmen und abstimmen können.14
Das AktRÄG 2009 als österreichische Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie 2007/36/EG brachte für börsenotierte Aktiengesellschaften in Österreich die gesetzliche Verpflichtung, eine eigene Internetseite zu unterhalten und darauf bestimmte hauptversammlungsrelevante Informationen bereitzustellen15 sowie die den börsenotierten Aktiengesellschaften eingeräumte Erlaubnis, ihren Aktionären elektronische Möglichkeiten der Teilnahme an der Hauptversammlung zu ermöglichen. Von der den Mitgliedstaaten in Artikel 3 der Aktionärsrechterichtlinie 2007/36/EG eingeräumten Möglichkeit, den börsenotierten Aktiengesellschaften über die Richtlinie hinausgehende Verpflichtungen aufzuerlegen, hat der österreichische Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Nach § 102 Abs. 3 AktG idF AktRÄG 200916 sind elektronische Teilnahmemöglichkeiten grundsätzlich in der Satzung der Aktiengesellschaft vorzusehen. Die Satzung kann aber den Vorstand ermächtigen, den Aktionären elektronische Teilnahmemöglichkeiten zu eröffnen.
Was die elektronische Teilnahmemöglichkeiten an Hauptversammlungen börsenotierter Aktiengesellschaften in Österreich anbelangt, so hat das kurz nach dem AktRÄG 2009 ergangene GesRÄG 2011, BGBl I 2011/53, keinerlei Änderungen gebracht. Die Internetseiten börsenotierter Aktiengesellschaften in Österreich wurden insoweit aufgewertet, als diese Seiten seit dem GesRÄG 2011 ins Firmenbuch einzutragen sind. Die auf den Internetseiten bereitgestellten Informationen müssen einfach auffindbar sein. Auch hat eine Möglichkeit des Ausdruckens und Abspeicherns der bereitgestellten Informationen vorhanden zu sein.17
Die Aktionärsrechterichtlinie 2007/36/EG wurde durch die Richtlinie (EU) 2017/82818 geändert. Diese Änderungsrichtlinie wird häufig auch als Aktionärsrechterichtlinie II bezeichnet.19 Sie wurde in Österreich durch das AktRÄG 2019, BGBl I 2019/63 – sowie teilweise durch das Bundesgesetz, mit dem BörseG 2018 geändert wird, BGBl I 2019/64 – umgesetzt. Nach der Aktionärsrechterichtlinie II und deren innerstaatlichen Umsetzung in Österreich sind zusätzliche Informationen (insb die Vergütungspolitik und der Vergütungsbericht) auf den Internetseiten der börsenotierten Aktiengesellschaften verpflichtend einzustellen. Darüber hinaus haben institutionelle Anleger, Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater – neu – bestimmte Informationen auf ihren Internetseiten zu veröffentlichen.20 Die Aktionärsrechterichtlinie II und deren innerstaatliche Umsetzung knüpften ausschließlich am Internet als Informationsmedium an, brachten damit keinerlei Änderungen, was die elektronische Teilnahmemöglichkeiten an der Hauptversammlung einer börsenotierten Aktiengesellschaft anbelangt.
2.
Corona-Pandemie ^
Den Weg zur rein virtuellen Hauptversammlung hat die Corona-Pandemie geebnet.
Die durch den Erreger SARS-CoV2 verursachte Corona-Pandemie hat tiefgreifende Eingriffe in das Leben der Menschen weltweit nach sich gezogen. Versammlungen, an denen viele Personen an einem Ort physisch zusammentreffen, wurden vielfach untersagt – und zwar häufig „bis auf Weiteres“.21 Insofern stellte sich auch die Frage, wie mit Hauptversammlungen börsenotierter Aktiengesellschaften, aber auch mit den Versammlungen anderer Gesellschaften und Vereinen umzugehen sei: Ausfallenlassen, Verschieben oder die Versammlungen in den Cyberspace verlagern, waren die Alternativen. Jedenfalls waren die Gesetzgeber gefordert, entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen für diese herausfordernde Zeit zu schaffen – und zwar rasch.
In Österreich22 geschah dies noch im März 2020 durch das COVID-19-GesG, BGBl I 2020/16. Zu diesem Gesetz erging Anfang April 2020 eine Verordnung, die COVID-19-GesV, BGBl II 2020/140.23 Die Verordnung wurde rückwirkend, zeitgleich mit dem COVID-19-GesG in Kraft gesetzt.24 Das COVID-19-GesG und die COVID-19-GesV beschränken sich von ihrem Anwendungsbereich nicht auf die Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften, gleich ob börsenotiert oder nicht. Sie beziehen sich auf eine Vielzahl von Versammlungen von Gesellschaftern und Organmitgliedern, nämlich auf Versammlungen von Gesellschaftern und Organmitgliedern von Personen- und Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Sparkassen, Vereinen und Privatstiftungen.25
Der österreichische Gesetzgeber hat sich gegen ein ersatzloses Ausfallen vorgesehener Gesellschafter- bzw. Mitgliederversammlungen entschieden. Die Versammlungen können entweder „auch ohne physische Anwesenheit der Mitglieder“ (§ 1 Abs. 1 COVID-19-GesG) durchgeführt werden oder zeitlich nach hinten verschoben werden. Was die Aktiengesellschaft anbelangt, so kann die ordentliche Hauptversammlung innerhalb von zwölf anstatt von acht Monaten nach Ende des abgelaufenen Geschäftsjahres abgehalten werden (§ 2 Abs. 1 COVID-19-GesG).26 Die Durchführung „auch ohne physische Anwesenheit der Mitglieder“ meint, dass Hauptversammlungen börsenotierter Aktiengesellschaften für die Gültigkeitsdauer des COVID-19-GesG zur Gänze virtuell abgeführt werden können. In einem solchen Fall ist jedem Aktionär die physische Teilnahme verwehrt. Nach dem COVID-19-GesG sind auch partiell virtuelle Hauptversammlungen möglich, bei denen zwar sämtliche Aktionäre nicht physisch anwesend sind, jedoch Vorstand, Aufsichtsratsvorsitzender und Notar an einem bestimmten Ort physisch zusammenkommen. Dass einzelne Aktionäre oder Aktionärsgruppen physisch teilnehmen können, während anderen Aktionären die physische Teilnahme verwehrt wird, ist hingegen nicht möglich, da dem Gleichbehandlungsgrundsatz widersprechend.27
Was die Kompetenz zur Einberufung einer virtuellen Hauptversammlung anbelangt, so ist die COVID-19-GesV, welche gemäß § 1 Abs. 2 COVID-19-GesG die näheren Bestimmungen betreffend virtuelle Versammlungen und Beschlussfassungen während der Zeit der Corona-Pandemie zu treffen hat, von § 102 Abs. 3 AktG idF AktRÄG 2009 abgewichen. Während § 102 Abs. 3 AktG idF AktRÄG 2009 eine Entscheidung der Aktionäre selbst über eine elektronische Teilnahmemöglichkeit verlangt oder eine entsprechende Ermächtigung der Aktionäre an den Vorstand28, trifft nach § 2 Abs. 3 COVID-GesV jenes Organ die Entscheidung über eine virtuelle Versammlung, das die betreffende Versammlung einberuft. Bei Aktiengesellschaften ist dies in aller Regel der Vorstand.29 Die hier erfolgte pandemiebedingte Loslösung von der Satzungsgebundenheit ist sachgerecht, denn es wäre widersinnig, in einer Zeit, in der physische Zusammenkünfte einer großen Zahl an Personen nicht erwünscht sind30, Aktionäre in Präsenz zusammenkommen zulassen, damit sie eine Entscheidung darüber treffen, dass sie eben nicht physisch zusammenkommen wollen.
Die virtuelle Hauptversammlung nach dem COVID-19-Sonderrecht sieht – der besonderen Situation geschuldet – Sonderbestimmungen für die Mitwirkung der nicht in Präsenz teilnehmenden Aktionäre vor: Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 COVID-19-GesV können zeitliche Beschränkungen für die Abgabe von Wortmeldungen (Fragen und Beschlussanträge) während der virtuellen Versammlung festgelegt werden.31 Mit § 3 Abs. 4 COVID-19-GesV besteht dazu eine lex specialis. Abweichend von § 3 Abs. 1 COVID-19-GesV kann bei börsenotierten Aktiengesellschaften vorgesehen sein, dass die Stellung eines Beschlussantrages, die Stimmabgabe und die Erhebung eines Widerspruchs in der virtuellen Hauptversammlung nur durch einen besonderen Stimmrechtsvertreter erfolgen kann. Dieser kann von den Aktionären nicht frei gewählt werden. Vielmehr hat die Aktiengesellschaft zumindest vier geeignete, von der Aktiengesellschaft unabhängige Personen – davon zumindest zwei Rechtsanwälte oder Notare – zu nennen, aus denen die Aktionäre ihre Stimmrechtsvertreter wählen können. Die Kosten der besonderen Stimmrechtsvertreter trägt die Gesellschaft. Das Auskunftsrecht gemäß § 118 AktG „bleibt (hingegen) grundsätzlich bei den Aktionären“32. Dies kann nach dem zur COVID- 19-GesV ergangenen Erlass etwa so gelöst werden, dass die Aktionäre während eines bestimmten Zeitfensters während der Versammlung Fragen elektronisch an die Gesellschaft übermitteln können, die dann durch den Vorsitzenden verlesen werden.33 Über diesen Umstand und über das dazugehörige Procedere müssen die Aktionäre schon in der Einberufung zur virtuellen Hauptversammlung informiert werden.34 Dem Erlass zur COVID-19-GesV zufolge soll eine Ausübung des Fragerechts auch über die besonderen Stimmrechtsvertreter in Betracht kommen.35 Eine Auskunft darf in dem Fall verweigert werden, dass die Antwort auf die gestellte Frage auf der Internetseite der Gesellschaft seit mindestens sieben Tagen vor Beginn der Hauptversammlung zugänglich ist. § 118 Abs. 4 AktG aus dem aktienrechtlichen Dauerrecht gilt, da nicht durch das COVID-19-Sonderrecht abbedungen oder modifiziert, auch für rein virtuelle Hauptversammlungen, die während der Geltungsdauer des COVID-19-GesG stattfinden.
3.
Nach-Corona-Pandemie-Zeit ^
Die Geltungsdauer des COVID-19-GesG und der dazugehörenden COVID-19-GesV wurde wiederholt verlängert.36 Die bislang letzte Verlängerung erfolgte für das COVID-19-GesG mit BGBl I 2022/224 bzw. für die COVID-19-GesV mit BGBl II 2022/505. Danach sind sowohl das COVID-19-GesG als auch das COVID-19-GesV mit 30.06.2023 befristet. Ob eine weitere, nochmalige Verlängerung erfolgen wird, ist ungewiss.37
Diese Ungewissheit bezüglich der Verlängerung rührt insb daher, dass sich die Corona-Pandemie – auch wenn ihr offizielles Ende noch nicht ausgerufen worden ist – verändert hat: Neben einer weitgehenden Durchseuchung der Bevölkerung sind mehrere Impfstoffe verfügbar, wodurch die durch das Virus ausgelöste Erkrankung für einen Großteil der Menschen, wenn auch nicht für alle, an Schrecken verliert.38 Zudem hat sich der Umgang mit dem Virus geändert: Politische Entscheidungsträger wollen weitere Lockdowns aufgrund der hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten unter allen Umständen vermeiden. Die Bevölkerung wird im Sinne von mehr Eigenverantwortung verstärkt in die Pflicht genommen. Auch hat sich das Tragen von Masken als effektiver Schutz vor Ansteckung mit dem SARS-CoV-2-Virus gezeigt.
Das gesellschaftsrechtliche COVID-19-Sonderrecht in Österreich wird folglich über kurz oder lang auslaufen. Es stellt sich somit die Frage, was aus der rein virtuellen Hauptversammlung werden wird. Wird die rein virtuelle Hauptversammlung – mit oder ohne Modifikationen – ins Dauerrecht wandern oder hat die rein virtuelle Hauptversammlung lediglich einen pandemiebedingten Kurzzeitauftritt?
Der österreichische Gesetzgeber hält sich, was das weitere Schicksal der rein virtuellen Hauptversammlung anbelangt, noch bedeckt. Den Materialien zu zweien von vieren jener gesetzlichen Bestimmungen, die zur Verlängerung der Geltungsdauer des COVID-19-GesG geführt haben, ist zu entnehmen, dass die bisherigen Verlängerungen ausschließlich durch die pandemische Situation bedingt gewesen sind und durch die Verlängerungen einer allfälligen Verankerung der rein virtuellen Hauptversammlung im Dauerrecht, also im AktG, nicht vorgegriffen werden soll.39
Die Erfahrungen, die die börsenotierten österreichischen Aktiengesellschaften mit rein virtuellen Hauptversammlungen während der Corona-Pandemie gemacht haben, sind gut.40 Jene Gesellschaften, die sich für eine rein virtuelle Hauptversammlung entschieden haben, würden dies, wenn es die Umstände erfordern, wieder tun.41 Dabei sieht ein nicht unwesentlicher Teil der börsenotierten österreichischen Aktiengesellschaften die rein virtuelle Hauptversammlung als bloßes Instrument zur Bewältigung der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Sondersituation. Eine partiell virtuelle Hauptversammlung, bei der die Aktionäre in Präsenz oder auf elektronischem Weg an der Hauptversammlung teilnehmen können, präferieren die börsenotierten österreichischen Aktiengesellschaften am wenigsten. Dann schon lieber eine ausschließliche Präsenzversammlung oder eine rein virtuelle.42
Sollte sich der österreichische Gesetzgeber dafür entscheiden, die rein virtuelle Hauptversammlung ins österreichische Dauerrecht zu übernehmen, so empfehlen sich einige Modifikation im Vergleich zum gesellschaftlichen COVID-19-Sonderrecht: Erstens sollte die Entscheidung darüber, ob eine rein virtuelle Hauptversammlung abgeführt wird, bei den Aktionären liegen. Zweitens sollten Aktionäre nicht gezwungen sein, von der Aktiengesellschaft vorausgesuchte Stimmrechtsvertreter zu wählen, sondern solche selbst wählen können. Drittens sollte das Auskunftsrecht der Aktionäre stärker ausgestaltet werden als in der COVID-19-GesV.
4.
Schlussbemerkung ^
Die rein virtuelle Hauptversammlung war eine Antwort auf die Corona-Pandemie. Die Veränderung der Corona-Pandemie sowie der veränderte Umgang mit ihr werfen die Frage auf, was mit der rein virtuellen Hauptversammlung in Österreich in Zukunft geschehen soll. Soll sie vom COVID-19-Sonderrecht zum Dauerrecht werden? Falls ja, braucht es Modifikationen?
Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, auf diese Fragen sachgemäße Antworten zu finden.
5.
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- 1 Dazu C. Szücs /S. Szücs, Von vor 20 Jahren bis heute: Internet und Gesellschaftsrecht, in: Schweighofer et al. (Hrsg.), Trends und Communities der Rechtsinformatik – Tagungsband des 20. Internationalen Rechtsinformatik Symposions, Bern: Editions Weblaw, 2017, S. 671.
- 2 Siehe Noack, Moderne Kommunikationsformen vor den Toren des Unternehmensrechts, ZGR 1998, S. 592 ff.
- 3 Zetzsche, Die Virtuelle Hauptversammlung – Momentaufnahme und Ausblick, BKR 2003, S. 736.
- 4 Siehe C. Szücs, Das Internet als Instrument der Finanzinformation, in: Schweighofer et al. (Hrsg.): e-Staat und e-Wirtschaft aus rechtlicher Sicht – Tagungsband des 9. Internationalen Rechtsinformatik Symposions, Stuttgart u.a.: Boorberg, 2006, S. 377 ff.
- 5 Vgl. Kalss in Kalss/Schauer, Die Reform des Österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts. Gutachten zum 16. Österreichischen Juristentag Graz 2006, S. 178.
- 6 So Weber, Internet und Hauptversammlung – ist das AktG reif für die technische Zukunft?, ecolex 2004, S. 377 ff.
- 7 Dazu Rechberger, Aufzeichnung und Übertragung der Hauptversammlung (§ 102 Abs. 3 AktG), RdW 2005, S. 410 sowie C. Szücs /S. Szücs, a.a.O. [FN 1], S. 672.
- 8 Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABl L 184 vom 14.7.2007, S. 17.
- 9 Eingehend Heindl/C. Szücs, Virtuelle Unternehmenskommunikation: Die neue EU-Richtlinie über die Ausübung von Aktionärsrechten, in: Siems/Brandstätter/Gölzner (Hrsg.), Anspruchsgruppenorientierte Kommunikation. Neue Ansätze zu Kunden-, Mitarbeiter- und Unternehmenskommunikation, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2008, S. 390–396.
- 10 Noch zum vorausgehenden Entwurf Noack/Beurskens, Einheitliche „Europa-Hauptversammlung“? – Vorschlag für eine Richtlinie über die (Stimm-)Rechte von Aktionären, GPR 2006, S. 88.
- 11 So Putzer, Die EU-Richtlinie über Aktionärsrechte, ecolex 2007, S. 862.
- 12 Bachner/Dokalik, Die neue EU-Richtlinie über Aktionärsrechte und ihre Auswirkungen auf das österreichische Aktienrecht, GesRZ 2007, S. 111.
-
13
Artikel 8 Abs. 1 der Aktionärsrechterichtlinie 2007/36/EG lautet: „Die Mitgliedstaaten gestatten den Gesellschaften, ihren Aktionären jede Form der Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Weg anzubieten, insbesondere eine oder alle der nachstehend aufgeführten Formen der Teilnahme:
a) eine Direktübertragung der Hauptversammlung;
b) eine Zweiweg-Direktverbindung, die dem Aktionär die Möglichkeit gibt, sich von einem entfernten Ort aus an die Hauptversammlung zu wenden;
c) ein Verfahren, das die Ausübung des Stimmrechts vor oder während der Hauptversammlung ermöglicht, ohne dass ein Vertreter ernannt werden muss, der bei der Hauptversammlung persönlich anwesend ist. - 14 „Im Vergleich zur Präsenzhauptversammlung mit Online-Teilnahmemöglichkeit stellt die Cyber-Hauptversammlung keine Erleichterung dar, da der Aktionär bei der Präsenzhauptversammlung mit Online-Teilnahmemöglichkeit zwei Alternativen (Präsenzteilnahme und Online-Teilnahme) hat, während er bei der Cyber-Hauptversammlung lediglich über eine Alternative (Online-Teilnahme) verfügt (Heindl/C. Szücs, Internet und Gesellschaftsrecht: Aktienrechts-Änderungsgesetz – Teil 1, jusIT 2010, S. 5).
- 15 Dazu Heindl/C. Szücs, Internet und Gesellschaftsrecht: Aktienrechts-Änderungsgesetz – Teil 2, jusIT 2010, S. 42, mit der Anregung, diese Verpflichtung sprachlich deutlicher sowie an prominenterer Stelle – nämlich in § 3 AktG – zum Ausdruck kommen zu lassen.
- 16 Die Möglichkeit zur öffentlichen Übertragung der Hauptversammlung einer börsenotierten österreichischen Aktiengesellschaft rutschte um einen Absatz nach unten, in § 102 Abs. 4 AktG.
- 17 Ausführlich C. Szücs, Internet und Gesellschaftsrecht: Das Gesellschafsrechts-Änderungsgesetz 2011, in: Schweighofer/Kummer/Hötzendorfer (Hrsg.), Transformation juristischer Sprachen – Tagungsband des 15. Internationalen Rechtsinformatik Symposions, Wien: ocg, 2012, S. 569 ff.
- 18 Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die langfristige Förderung der Mitwirkung der Aktionäre, ABl EU L 132 vom 20.5.2017, S. 1.
- 19 Siehe C. Szücs, Internet und Gesellschaftsrecht – Die Aktionärsrechte-Richtlinie II, jusIT 2020, S. 94.
- 20 Ebendort, S. 95 ff.
- 21 So C. Szücs, Die virtuelle Hauptversammlung als Folge der „Corona“-Pandemie – Zum Gesellschaftsrechtlichen COVID-19-Gesetz, jusIT 2020, S. 91.
- 22 „Due to lack of EU legislation that harmonizes emergency company rules concerning the annual shareholder meeting throughout the European Union [...], national member states had to establish their own rules” (C. Szücs, The Annual Shareholder Meeting in Austria in Times of the COVID-19-Pandemic, in: Schneckenleitner et al. (Ed.), Conference Proceedings Trends in Business Communication 2020, Wiesbaden: Springer Gabler, 2021, p. 188).
- 23 Zu dieser Verordnung wurde noch ein Erlass geschaffen (Bundesministerium für Justiz, Erlass vom 8. April 2020 zur Verordnung der Bundesministerin für Justiz zur näheren Regelung der Durchführung von gesellschaftsrechtlichen Versammlungen ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer und von Beschlussfassungen auf andere Weise, GZ 2020-0.223.429).
- 24 Dazu C. Szücs, a.a.O. [FN 21], S. 92.
- 25 Anders der engere, aus Artikel 1 Abs. 1 herauszulesende Anwendungsbereich der Aktionärsrichtlinie 2007/36/EG: „Die Richtlinie legt die Anforderungen an die Ausübung bestimmter, mit Stimmrechtsaktien verbundener Rechte von Aktionären in Zusammenhang von Hauptversammlungen von Gesellschaften fest, [...] deren Aktien zum Handel an einem in einem Mitgliedstaat gelegenen oder dort betriebenen geregelten Markt zugelassen sind.“
- 26 „[...] also faktisch irgendwann im Jahresverlauf“ (Zawadzki, Die Hauptversammlung in Krisenzeiten, GES 2020, S. 123).
- 27 Dazu Adensamer/Breisch/Eckert, COVID-19: Beschlussfassungen bei Kapitalgesellschaften, GesRZ 2020, S. 103 sowie Artmann, Gesellschaftsrecht in Corona-Zeiten, JBl 2020, S. 483.
- 28 Grundsatz: „Keine elektronische Teilnahme ohne Satzungsgrundlage“ (so insb Kraus, Hauptversammlungssaison fällt ins Coronavirus!, ecolex 2020, S. 278 f, der darauf hinweist, dass vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie diesbezügliche Satzungsbestimmungen in Österreich selten waren).
- 29 Vgl C. Szücs, a.a.O. [FN 21], S. 92, Artmann, a.a.O. [FN 27], S. 483.
- 30 Verboten sind Präsenzhauptversammlungen gegenwärtig nicht mehr. Lediglich im Jahr 2020 waren sie für einen vergleichsweisen kurzen Zeitraum (15.3.2020 – 14.5.2020) verboten. Dies kam daher, dass Zusammenkünfte von Organen juristischer Personen – und damit auch die Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften – ab 15.5.2020 von den pandemiebedingten Beschränkungen für Veranstaltungen in der COVID-19-Lockerungsverordnung, BGBl II 2020/207, ausgenommen wurden (näher C. Szücs, a.a.O. [FN 22], p. 180).
- 31 Zeitliche Beschränkungen für die Abgabe von Wortmeldungen konnten schon vor der Corona-Pandemie festgelegt werden. Dies ergibt sich aus der Aufgabe des Versammlungsleiters zu einer effizienten Verhandlungsführung (siehe M. Doralt in P. Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, § 118 Rz 94).
- 32 Artmann, a.a.O. [FN 27], S. 486.
- 33 Siehe Erlass BMJ v. 8.4.2020, GZ 2020-0.223.429, zu § 3, S. 6.
- 34 Vgl § 2 Abs. 4 COVID-GesV.
- 35 Siehe Erlass BMJ v. 8.4.2020, GZ 2020-0.223.429, zu § 3, S. 8.
- 36 Dazu C. Szücs, In der Verlängerung: Die virtuelle Hauptversammlung als Folge der Corona-Pandemie, jusIT 2022, S. 13 f.
- 37 Aufgrund des zeitlichen Vorlaufs für die Vorbereitung einer Hauptversammlung empfiehlt sich eine frühzeitige Verlängerung (insoweit kritisch zu den spät erfolgten bisherigen Verlängerungen C. Szücs, a.a.O. [FN 36], S. 13 f).
- 38 Ein Restrisiko besteht im Auftauchen neuer gefährlicher Mutationen, gegen die die verfügbaren Impfstoffe keine Wirksamkeit zeigen.
- 39 Siehe 2094/A XXVII. GP, S. 3 (Verlängerung bis 30.6.2022) sowie 2501/A XXVII. GP, S. 3 (Verlängerung bis 31.12.2022).
- 40 Dazu C. Szücs, a.a.O. [FN 22], pp. 186 ff, wiedergebend eine von ihm im September 2020 durchgeführte Umfrage unter den börsenotierten österreichischen Aktiengesellschaften zum Thema Hauptversammlung in Österreich in Zeiten der Corona-Pandemie.
- 41 Ebendort, p. 187.
- 42 Ebendort, p. 188: „At any rate, the Austrian listed companies clearly do not favor hybrid shareholder meetings.”
- 43 Geschehen mit dem Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung weiterer Vorschriften, dBGBl 2022 Teil I Nr. 27, S. 1166, in Kraft getreten am 27.7.2022 (dazu Lochner/Keller, Das Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen, ZIP 2022, S. 1997 ff).
- 44 Es ist ein in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu beobachtendes Phänomen, dass der österreichische Gesetzgeber auf Aktivitäten des deutschen Gesetzgebers reagiert.