1.
Einleitung ^
Gegenstand der Rechtsinformatik als angewandte Informatik sind Daten und Informationsstrukturen im Recht und deren Verarbeitung. Die in dieser Disziplin verfolgten technischen Ansätze sind so unterschiedlich und vielfältig wie der Gegenstand selbst.
Rechtsinformationssysteme wie das RIS1, die den Zugang zu Rechtstexten erleichtern, effiziente Recherche ermöglichen und auch zur Kundmachung von Rechtsnormen genutzt werden können, sind inzwischen allgemein akzeptiert. Der Nutzen solcher Anwendungen ist unumstritten.
Gegenstand von Diskussionen hingegen sind Entwicklungen in der Rechtsinformatik im Zusammenhang mit der Digitalisierung von Rechtssetzung und Rechtsanwendung.
Für den Bereich der Rechtsanwendung wird – vor allem auch angefeuert durch die Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI) – erörtert, ob und in welchem Ausmaß Rechtsanwendung automatisiert und autonom durch Computersysteme vorgenommen werden kann und soll. Es geht um die Fragen der technischen Machbarkeit und rechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes von Subsumtionsautomaten2.
Voraussetzung für eine solche automatisierte Rechtsanwendung ist die Abbildung von Rechtsnormen in durch Maschinen verarbeitbarer Form. Dabei ist zu beachten, dass eine solche Abbildung einerseits technisch auch möglich sein muss und andererseits auch inhaltlich, also juristisch korrekt ist.
Daher begleitet das Schlagwort der automationsgerechten Gesetzgebung die Rechtsinformatik seit ihren Anfängen3. Und auch aktuell wird sowohl über deren Grenzen diskutiert4, als auch gleichzeitig an anderer Stelle gefordert5, das Recht endlich digitaltauglich zu machen und „Hürden für durchgehend digitale Verwaltungsprozesse oder automatisierte Prüfungen“ abzubauen. Dabei geht es neben Fragen der technischen Umsetzung auch um die Entscheidung, ob und in welchem Ausmaß der Bereich der Rechtsetzung sich – je nach Standpunkt – technischen Einschränkungen unterwerfen oder sie zur Förderung der Digitalisierung berücksichtigen soll6.
Meist wird in diesem Zusammenhang von Rechtsetzung in Textform ausgegangen. Im Kontext der Digitalisierung des Rechts wird aber auch von fourth generation law7 gesprochen. Computerprogramme bzw. Subsumtionsautomaten sind als Form der Publikation von Rechtsnormen anzusehen und zu regulieren. „[W]e should treat ‚the app‘ (the computerprograms that will produce individual decisions) as ‚the law‘. It is the app, not the text of legislation, that will regulate the legal relationship between citizen and state in automated decision-making.“8
Im Folgenden wird von dieser Idee ausgegangen und dargestellt, wie die praktische Umsetzung einer direkten Publikation von Rechtsnormen in Anwendungen aussehen könnte.
Der in diesem Artikel vorgeschlagene Ansatz zielt auf eine Teilautomatisierung der Rechtsanwendung für jene Teile des Rechts, die als algorithmische Rechtsnormen bezeichnet werden könnten. Dabei handelt es sich um Rechtsnormen, die explizit Rechenvorschriften enthalten. Auch wenn solche Rechtsnormen oft nicht als „typische“ Rechtsnormen wahrgenommen werden, so sind sie ein nicht unwesentlicher Teil vieler Normen in Steuer- und Sozialrecht, Arbeitsrecht und anderen Gebieten, insbesondere auch Tarif- bzw. Kollektivverträgen.
Neben der Eingrenzung des Anwendungsgebietes gibt es ein zweites Spezifikum des Ansatzes: Die Automatisierung setzt – ganz i.S.d. Idee eines fourth generation law – möglichst früh an: idealerweise wird sie zu einem Teil der Normsetzung. Schon in diesem Stadium wird z.B. systematisch angestrebt, Referenzfälle zu diskutieren und diese anschließend so zur Verfügung zu stellen, dass sie sowohl in der Rechtsanwendung als auch bei Lehre und Softwareentwicklung gut genutzt werden können. Weitere Elemente des Ansatzes werden weiter unten vorgestellt.
Ähnlich wie bei Smart Contracts (die Inhalte von Verträgen in einem automatisch ablaufenden Rechenwerk abbilden9) spielt das automatisierte Rechnen eine zentrale Rolle. Wir nennen die hier vorgeschlagene Art Normen zu entwickeln Smart Laws und da es sich nicht nur auf gesetzte Normen selbst bezieht, sondern auch auf den Normsetzungsprozess Smart Laws & Legislation. Den Ansatz mit der Versionsnummer 01 zu versehen, spiegelt unser Verständnis wider, dass es der Beginn einer Entwicklung sein dürfte.
Der Ansatz benennt und systematisiert Vorgehensweisen, die in einer Reihe von Beratungsprojekten zu Kollektivvertrags-Veränderungen der XIMES GmbH zur Anwendung kamen und aus dem Projekt Arbeitszeitrechner10. Ähnliche Vorgehensweisen finden sich auch andernorts. Der Kollektivvertrag für Filmschaffende verweist auf ein Berechnungstool11, ähnlich der TVÖD Rechner Brutto-Netto12. Der Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge im Handel13 enthält Berechnungsbeispiele zur pauschalen Abgeltung von Entgeltbestandteilen (All-In Verträge).
Im Folgenden werden in den ersten Schritten Kernbegriffe des Konzepts Smart Laws & Legislation definiert. Darauf aufbauend werden Umsetzungsaspekte, erwarteter Nutzen, das Anwendungsgebiet und erste erkennbare Risiken und Grenzen bearbeitet.
2.
Definitionen für Kernbegriffe von Smart Laws & Legislation ^
Referenzfallsammlung: Sammlungen von typischen Fällen14 (jeweils Tatbestände und Rechtsfolgen zu einer oder wenigen Normen), die vom Gesetzgeber bzw. Vertragsparteien, oder vom Gericht als gewünscht verstanden werden.
Teil der Referenzfallsammlung sollten Begründungen sein, die den Zusammenhang zwischen einem konkreten Tatbestand und einer Rechtsfolge beschreiben. Sie unterstützen die Prüfung der Regelungslogik und erläutern das Verständnis bei der Entstehung des Regelwerks. Im Gegensatz zu Gerichtsentscheidungen, bei denen typisch komplexe Sachverhalte vorliegen, geht es hier um „kleine“ Fälle (z.B. wie bestimmt sich Ende/Beginn eines Arbeitszeittages, was ist eine Nachtschicht).
Die Begründungen können bei der Anwendung des Systems auf konkrete Fälle ausgegeben werden, um das berechnete Ergebnis besser nachvollziehbar zu machen.
Tatbestandsmerkmale: Die in den Referenzfällen verwendeten Tatbestandsmerkmale werden als Wort oder kurzer Text definiert, um verständlich zu machen, was gemeint ist, ODER durch Verweis auf Input/Ergebnis eines anderen Smart Laws definiert. Dabei sollen die Bezeichnungen im Normtext und in den Referenzfällen ident verwendet werden.
Beispielhafte versus vollständige Referenzfälle: Es sind sowohl Konstellationen zu erwarten, in den die Referenzfälle Intentionen der Normsetzenden nur beispielhaft ausführen (z.B. Beispielberechnungen für Zeitzuschläge während der erweiterten Öffnungszeiten im Kollektivvertrag Handel15), weil sonst die Komplexität zu hoch wird. Auch eine beispielhafte Umsetzung unterstützt das Verständnis. In anderen Fällen gelingt es, die Tatbestandsmerkmale vollständig abzubilden (es gibt keine nicht angeführten zu berücksichtigenden Tatbestandsmerkmale). Das erleichtert die Integration.
Rechtsfolgen: Die Rechtsfolgen (= Ergebnisse) werden als Wort oder kurzer Text definiert, um verständlich zu machen, was gemeint ist. Auch hier ist auf die übereinstimmende Nutzung in Normtext und in den Referenzfällen zu achten.
Referenzrechner: Liefert für alle Referenzfälle automatisiert aus den Tatbeständen (ohne weitere Parameter, oder Eingangswerte) die Rechtsfolgen (= Ergebnisse). Weiters liefert er Begründungen für die Ergebnisse der Referenzfälle. Idealerweise sollte jede definierte Referenzfallsammlung einen Referenzrechner haben, um Widersprüche in den Referenzfällen mit höherer Wahrscheinlichkeit erkennbar zu machen und zu belegen, dass die Referenzfallsammlung – zumindest in Hinblick auf die typischen Fälle – in sich widerspruchsfrei ist. Praktisch wird es nur bei einfachen Fällen aus dem Stand gelingen, derartige Rechner zu entwickeln. Entsprechend werden Referenzrechner zum Teil nachträglich und nicht autorisiert entstehen. Jeder Referenzrechner muss open-source sein, um ihn prüfen und weiterentwickeln zu können.
Referenzfalllücke: Wenn zwei Referenzrechner existieren, die alle Referenzfälle richtig rechnen, aber bei anderen Fällen bereits zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, liegt eine Referenzfalllücke vor. Falls Referenzfalllücken oder aber auch Widersprüchlichkeiten der Referenzfälle entdeckt werden, sind Gesetzgeber, Gerichte … gefordert, zu ergänzen bzw. zu korrigieren.
Chauffierende: Personen mit IT-Kenntnissen und Grundlagenwissen zum jeweiligen Rechtsgebiet, die bei der Erstellung von Referenzfällen und gegebenenfalls Referenzrechnern unterstützen und die entsprechenden Arbeiten begleiten.
3.1.
Rechtssetzung: Unterstützung bei Entwicklung von Referenzfällen und Referenzrechner ^
Sich zusätzlich zur Rechtssetzung und den häufig damit verbundenen Verhandlungen auch mit der Erstellung der oben diskutierten Referenzfallsammlung und dem Referenzrechner zu befassen, wird in vielen Fällen eine zeitliche oder technisch-fachliche Überlastung der Rechtssetzenden bedeuten.
Vielversprechender scheint eine zusätzliche Rolle: Chauffierende, die die Rechtssetzung durch Arbeit an Referenzfällen und Referenzrechnern unterstützen. Diese Arbeit ist nicht nur eine Investition in die zukünftige Vereinfachung der Rechtsanwendung, sondern unterstützt auch schon die Rechtssetzung selbst, weil es zur Vermeidung von Lücken beiträgt, Unklarheiten sichtbar macht und auch die Effizienz steigert, wenn Fälle übersichtlich dargestellt werden und auf einheitliche Begriffsverwendung geachtet wird. Ähnlich einer Kommentierung eines Rechtstexts werden dabei in unserer Erfahrung zusätzliche Aspekte sichtbar, besonders dann, wenn auch die Begründungstexte Teil der Referenzfälle und des Referenzrechners sind (praktisch umgesetzt im Projekt Arbeitszeitrechner16).
Nicht immer wird parallel zur Rechtssetzung ein Referenzrechner realisiert werden können, und noch seltener wird er das gesamte Regelungswerk betreffen. Eher dürften einzelne Fragen – zumindest anfangs – im Fokus stehen. Die Hürden der Referenzrechnerentwicklung können z.T. durch Vorarbeiten – insb. bei Novellierungen – reduziert werden.
Technische Unterstützung für diese Arbeiten ist in vielfältiger Weise möglich, ähnelt doch das Vorgehen stark jenem der Softwareentwicklung. Moderne Softwareentwicklungsumgebungen sind hochspezialisierte Softwarepakete, die den Prozess des Entwickelns und Überarbeitens von Software vielfältig unterstützen (ein weit verbreitetes open-source Produkt ist z.B. Visual Studio Code). Derartige Software hilft in vielerlei Weise, z.B. indem sie automatisiert die Prüfung von Testfällen unterstützt.
Automatisierte Test werden zwar heute noch in technischen Sprachen (Programmiersprachen) formuliert, sind aber dem Konzept von Referenzfällen und Referenzrechnern schon sehr nahe. Mit zusätzlichen Übersetzungen kann die Lesbarkeit erleichtert werden.
3.2.
Nachträgliche Autorisierung ^
Wie oben angeführt wird die Entwicklung von Referenzfällen und insbesondere von Referenzrechnern nicht immer unmittelbar im Rahmen des Rechtssetzungsprozesses erfolgen. In diesen Fällen oder aber auch für bereits vorhandenen Normenbestand könnte dies nachgeholt werden. Im Anschluss an eine Entwicklung dieser Referenzfälle und Referenzrechner müssen diese durch die Normsetzer autorisiert werden.
Eine solche nachträgliche Autorisierung kann natürlich nur durch das Gremium vorgenommen werden, das zur Normsetzung zuständig ist. Das dürfte im Gesetzgebungsverfahren schwierig sein, weil eine solche „authentischen Interpretation durch Referenzrechner“ wieder die Diskussionen des ursprünglichen Gesetzgebungsprozesses aufleben lassen könnte.
Im Bereich der Kollektiv- bzw. Tarifverträge, wo ein eher enger Themenbereich regelmäßig diskutiert wird, oder im Bereich der Normung scheint dies u.E. eher möglich.
Bei Änderungen von Rechtsvorschriften muss eine Rücknahme der Autorisierung oder eine Einschränkung auf bestimmte Fassungen möglich sein.17
3.3.
Zugänglichmachung ^
Gegenwärtig erfolgt Rechtssetzung in schriftlicher Form und wird durch entsprechende Rechtsinformationssysteme (in Österreich etwa via ris.bka.gv.at) zur Verfügung gestellt. In vielen dieser Systeme sind die Versionen abrufbar und Gültigkeitszeiträume gut nachvollziehbar. Z.T. werden in diesen Materialien in geringem Umfang auch schon jetzt nicht-textuelle Elemente verwendet. Z.B. enthält § 50 StVO Bilder von Straßenverkehrszeichen oder andere Rechtsvorschriften Flussdiagramme18 zur Illustration von Verfahrensabläufen. Das ist aber die Ausnahme und in Gebrauch stehen fast ausschließlich textbasierte Umsetzungen.
Eine textbasierte Umsetzung der Referenzfälle und Referenzrechner hat den Vorteil, bestehende Wege der Zugänglichmachung zu nutzen. Gleichzeitig würde dadurch die praktische Nutzung der Referenzfälle aber erheblich behindert werden, da dies letztlich zu technischen Texten (xml-Dokumenten, …) führen würde, deren Adressaten Maschinen und nicht Menschen sind. Das würden bei Definitionen von Referenzrechnern zu kaum bzw. nicht lesbaren Texten führen.
Von der Technik her wären daher öffentlich verfügbare Repositorien für Referenzfälle und Referenzrechner inkl. der Versionierung zu bevorzugen, die auch ein einfaches automatisiertes Auslesen von Programmcode und damit auch ein automatisiertes Erzeugen der Referenzrechner bzw. Durchführen von Berechnungen unterstützen.
Bei der Publikation einer Rechtsvorschrift wären daher der Zugang zu diesen Referenzfällen und die Verantwortung für einen Referenzrechner (inkl. der dafür erforderlichen Software-Umgebung) zu definieren. Der Kollektivvertrag für Filmschaffende verweist z.B. auf die WKO, bei der eine entsprechende EXCEL-Datei zur Verfügung gestellt wird19.
Gelingt eine gute strukturierte Aufbereitung der Referenzfälle mit entsprechenden Metadaten, wäre auch automatisiertes Testen dritter Software (z.B. eines Lohnverrechnungsprogrammes) oder Verweise aus Rechtstexten, Lehrbüchern, etc. auf diese Materialien möglich.
3.4.
Technik-Datei ^
Referenzrechner müssen open-source sein, damit sie auch in ihren Interna geprüft werden können. Zusätzlich wird zu entscheiden sein, ob auch die einem Referenzrechner zugrunde liegende Technologien open-source sein müssen oder ob auch sehr weit verbreitete Software (insbesondere MS-Excel) zur Abbildung von Referenzfällen oder zur Umsetzung von Referenzrechnern verwendet werden kann.
Jedenfalls sollte in den Referenzrechnern eine Technologie mit einer breiten Nutzer*Innenbasis verwendet werden, um sicherzustellen, dass die Rechner tatsächlich nicht nur von wenigen Personen nachvollzogen bzw. weiterentwickelt werden können.
Ein öffentlich prüfbares Zertifizierungssystem (ähnlich dem Vereinsregister20) sollte es zusätzlich ermöglichen zu prüfen, ob ein konkretes Ergebnis tatsächlich mit einem bestimmten Referenzrechner erstellt wurde.
3.5.
Nutzung bei der Rechtsprechung ^
Insgesamt sollte die Rechtsprechung in bestimmten Aufgaben entlastet sein, weil Referenzrechner auf Teile eines Falles angewandt werden können. Auch der Vergleich von unterschiedlichen Referenzrechnern auf der Ergebnisebene sollte direkt möglich sein.
Schwieriger ist Behauptung von Referenzfalllücken. Hier könnte es sein, dass strittig wird, ob diese nicht an Fehlern oder versteckten Zusatzeingangsgrößen in einem der Referenzrechner liegen. Hier werden Sachverständige erforderlich sein, um gegebenenfalls prüfen zu können, ob dies der Fall ist. Da die Frage dann aber bereits auf einer sehr technischen Ebene ist, wird dafür meist Informatikexpertise benötigt.
3.6.
Rechtsinterpretationen ^
Falls keine autorisierten Interpretationen zur Verfügung stehen, würden Referenzrechner durch Dritte (z.B. Universitäten, Interessenvertretungen), wenn sie den Kriterien Zugänglichkeit, open source / Nachvollziehbarkeit entsprechen, ebenfalls viele der Vorteile autorisierter Referenzrechner mit sich bringen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Ergebnisse leichter verglichen werden können als bei einer rein textuellen Aufarbeitung, wie sie gegenwärtig für Kommentare etc. üblich ist.
4.
Erwartete Vorteile des vorgeschlagenen Vorgehens ^
Die vorgeschlagene Vorgehensweise lässt mehrfache Vorteile des Ansatzes erwarten.
Hochwertigeres Recht, da – ähnlich bei Kommentierungen – die Bindung an Referenzfälle typisch zu mehr Konsistenz und zur Klärung bestimmter Aspekte beiträgt.
Zugänglicheres Recht und einheitlichere Anwendung, da bei einem Teil der Rechtsfragen definierte typische Fälle oder die Referenzrechner direkt Antwort geben. Je nach Umfang der Begründung erleichtert das auch das Verständnis der Rechtsnormen.
Wenn Referenzrechner als Test oder Teil von Software in Unternehmen verwendet werden, kommt es auch hier zu einer Vereinheitlichung.
Reduzierter Aufwand in der Anwendung, beim Lehren und Lernen.
Lücken klarer erkennbar soweit sie Inhalte des Rechenwerks betreffen.
Vergleichbarkeit. Unterschiedliche Versionen oder Umsetzungen von Rechnern können bezüglich Fallsammlungen (idealerweise automatisiert) verglichen werden.
5.
Anwendungsgebiete von Smart Laws & Legislation ^
Smart Laws & Legislation ist primär ein Thema für Rechtsnormen, die „Rechenregeln“ betreffen. Der Begriff Rechenregel lässt sich sehr weit verstehen, im Extremfall ließe sich jede Subsumtion als Berechnung im Sinn eines symbolischen Rechenvorgangs verstehen. Das wäre u.E. zu weit.
Gleichzeitig ist eine Eingrenzung schwierig. Die Anwendbarkeit der Abbildung mit Referenzfällen und Referenzrechner klärt sich oft erst ex post, wenn versucht wird die Regeln in Referenzfälle oder in einem Referenz abzubilden und dabei sichtbar wird, dass es Optionen für unterschiedliche Interpretationen gibt.
Ex ante sind aber u.E. Referenzen auf Zeiträume und/oder Referenzen auf Durchschnitte bzw. Höchst- und Mindestgrenzen ein guter Indikator für die Anwendbarkeit des Ansatzes. Ein gutes Beispiel für derartige Elemente ist die EU-Richtline Art. 6 (b) VO (EG) 88/200321: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit … die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet.“ Hier bleibt aus dem Text unklar, ob der Siebentageszeitraum rollierend zu betrachten ist oder sich immer um 7 Tage weiterschiebt und über welche Periode der Durchschnitt gerechnet wird.
Ebenfalls spannend ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob Abwesenheitszeiten den Siebentageszeitraum verändern (und wenn ja wie). Es spricht viel dafür, dass sie es tun, weil sonst z.B. Urlaubswochen es erlauben würden, in den anderen Wochen viel mehr als 48 Stunden pro sieben Tage zu arbeiten.
Entsprechend scheint es zu früh, eine Grenzziehung durchzuführen. U.E. ist es klar, dass nicht jede Rechtsnorm sinnvoll abzubilden ist, aber wie viele bleibt offen.
Ebenfalls offen bleibt zum jetzigen Zeitpunkt die Zusammenführung mehrerer einzelner Bereiche in eine übergreifende Referenzfallsammlung und einen entsprechenden „Meta-Referenzrechner“. Je umfassender eine Integration versucht wird, desto dramatischer steigt die Komplexität.
6.
Grenzen & Risiken ^
Verschiedene Grenzen und Risiken dieses Vorgehens sind vorstellbar und werden hier noch kurz angerissen:
Es ist keine Vollautomatisierung erwartbar. – Der Ansatz schlägt keine Vollautomatisierung vor, sondern die Strukturierung kleiner Aspekte von Rechtsnormen, im Zusammenhang mit Rechenregeln. Das mag mit mehr Erfahrung und besseren Arbeitspraktiken und Werkzeugen wachsen, aber viele Fragen entziehen sich einer Abbildung in dieser Weise: Subsumtion, Zulässigkeitsprüfungen, …
Eine Überlastung der Rechtssetzung muss vermieden werden. – Die Themen bei der Abbildung von Rechenregeln in Referenzfälle und Referenzrechner können überraschend komplex werden. Um die Akteure nicht zeitlich zu überlasten, helfen Chauffierende, aber auch dann bleibt pragmatisches Vorgehen gefragt.
Es besteht die Gefahr der Verlockung der Einfachheit, aber auch von zu hoher Komplexität. – Aus dem allgemeinen Thema der Subsumtion ergeben sich zwei Gefahren. Einerseits kann die Beschreibung der Tatbestandsmerkmale bei juristisch wenig fundiertem Verständnis zur vorschnellen Anwendung führen. Umgekehrt kann die Erstellung großer Referenzfälle und -rechner aber auch überfordern, abschrecken. Insofern bleibt qualifizierte Rechtsberatung zentral, ihre Inhalte werden sich ändern.
Behinderung bei der Konsensfindung. Bei Verhandlungen von Rechtsnormen sind Konflikte und die Suche nach Kompromissen alltäglich. Manchmal hilft die Verwendung unscharfer Begriffe, hier einen Weg herauszufinden, und die Klärung der Begriffe auf später (z.B. zukünftige Verhandlungsrunden) oder andere (z.B. Gerichte) „auszulagern“. Manche Verhandelnde22 bevorzugen Unschärfe, um die spätere Anwendung einer Norm zu erschweren.
Automation Bias. Wenn Teile einer Norm mit Referenzfällen / Referenzrechner vorliegen und andere nicht, kann es dazu führen, dass diese Teile öfter verwendet werden als nicht unterstützte Teile (z.B. weil die Anwendung leichter ist). Auch das Gegenteil scheint möglich (z.B. um Fluchtwege zu haben).
7.
Ausblick ^
In Anbetracht der technischen Nähe der Umsetzung und den positiven Erfahrungen mit zur Verfügungstellung von öffentliche Rechtsinformationssysteme im Internet, aber auch den ersten Ansätzen des vorgeschlagenen Vorgehens in verschiedenen Bereichen scheint uns ein systematisches und breiteres Experimentieren mit dem hier vorgeschlagenen Konzept vielversprechend.
8.
Literatur ^
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Kar, Resa Mohabbat/Thapa, Basanta E. P./Hunt, Simon Sebastian/Parycek, Peter, Recht digital: maschinenverständlich und automatisierbar, https://cdn0.scrvt.com/fokus/c4923bcce5a75389/63a2d72768d3/Recht-Digital-Maschinenverst-ndlich-und-automatisierbar.pdf (aufgerufen am 26. Oktober 2022), Kompetenzzentrum Öffentliche IT, Berlin. 2019.
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Ring, Stephan, Computergestützte Rechtsfindungssysteme, Carl Heymanns Verlag KG, Berlin/Bonn/München 1994.
Le Sueur, Andrew, Robot Government: Automated Decision-Making and its Implications for Parliament. In: Horne, Alexander/Le Sueur, Andrew (Hrsg.), Parliament: Legislation and Accountability, Hart Publishing, Oxford and Portland 2016, S. 183–202.
- 1 https://www.ris.bka.gv.at/.
- 2 Vgl. Gless, Sabine/Wohlers, Wolfgang, Subsumtionsautomat 2.0 – Künstliche Intelligenz statt menschlicher Richter?, in: Martin Böse / Kay H. Schumann / Friedrich Toepel (Hrsg.), Festschrift für Urs Kindhäuser zum 70. Geburtstag, Nomos Verlag 2019, S. 147.
- 3 Fiedler, Herbert, Rechenautomaten in Recht und Verwaltung, S. 895.
- 4 Herold, Viktoria, Grenzen automationsgerechter Gesetzgebung.
- 5 Kar, Resa Mohabbat/Thapa, Basanta E. P./Hunt, Simon Sebastian/Parycek, Peter, Recht digital: maschinenverständlich und automatisierbar, S. 6.
- 6 Vgl. De Mulder, Richard/van Noortwijk, Kees, More science than art: Law in the 21st century, S. 201: „In a number of cases where the law made decisions by computer too difficult, the law was changed in order to facilitate automation. It has been suggested, that the use of computers for such decision making should be subject to material and formal rules.“
- 7 Vgl. dazu De Mulder, Richard/van Noortwijk, Kees, More science than art: Law in the 21st century, mit der Unterscheidung von: „spoken, written, printed and digital law“.
- 8 Le Sueur, Andrew, Robot Government: Automated Decision-Making and its Implications for Parliament, S. 201.
- 9 Fries, Martin/Paal, Boris P., Smart Contracts.
- 10 J. Gärtner, G. Gasteiger, et al., Der Arbeitszeitrechner: eine erfolgreiche Verbindung von Rechtsinterpretation und IT. 22. Internationales Rechtsinformatik Symposion, Editions Weblaw 2019, Bern. 307–314.
- 11 Kollektivvertrag Filmschaffende: https://www.wko.at/service/kollektivvertrag/mindestgagentarife-filmschaffende-2022.html mit Link auf https://www.wko.at/service/kollektivvertrag/filmberufe-gagen-berechnung-2022.xlsx (aufgerufen am 8. Oktober 2022).
- 12 https://www.oeffentlichen-dienst.de/tvoed/rechner.html.
- 13 Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben – Stand 1. Jänner 2022: Zusatzprotokoll 8.2.
- 14 Bei der Referenzfallsammlung ist eine inhaltliche Nähe zum Konzept des Normalfalls (vgl. Haft, Fritjof, Juristische Rhetorik, S. 70ff) erkennbar. Zum Normalfall vgl. auch das Kapitel „Suche nach dem Normalfall“ in Ring, Stephan, Computergestützte Rechtsfindungssysteme, S. 31.
- 15 Kommentare zum Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben – Stand 1. Jänner 2022: zu Abschnitt 2) F. Normalarbeitszeit und Mehrarbeit während der erweiterten Öffnungszeiten, mit Link auf https://www.wko.at/service/kollektivvertrag/kv-handel-angestellte-2022-mit-kommentaren.pdf (aufgerufen am 14. Jänner 2023).
- 16 J. Gärtner, G. Gasteiger, et al., Der Arbeitszeitrechner: eine erfolgreiche Verbindung von Rechtsinterpretation und IT. 22. Internationales Rechtsinformatik Symposion, Editions Weblaw 2019, Bern. 307–314.
- 17 Vgl. De Mulder, Richard/van Noortwijk, Kees, More science than art: Law in the 21st century, S. 201: „Apps should, like other forms of legislation, be brought under democratic control. They should in principle be subject to parliamentary oversight, perhaps like secondary legislation on an affirmative (it requires the express approval of Parliament to become valid) and negative procedure (it becomes valid unless annulled by Parliament within a set time).
- 18 https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung/Bundesnormen/10005141/Richtlinien%20f%c3%bcr%20die%20Ermittlung%20und%20Darstellung%20der%20finanziellen%20Auswirkungen%20neuer%20rechtsetzender%20Ma%c3%9fnahmen%2c%20Fassung%20vom%2031.12.2012.pdf?FassungVom=2012-12-31 (aufgerufen am 8. Oktober 2022).
- 19 Kollektivvertrag Filmschaffende: https://www.wko.at/service/kollektivvertrag/mindestgagentarife-filmschaffende-2022.html mit Link auf https://www.wko.at/service/kollektivvertrag/filmberufe-gagen-berechnung-2022.xlsx (aufgerufen am 8. Oktober 2022).
- 20 https://citizen.bmi.gv.at/at.gv.bmi.fnsweb-p/zvn/public/Registerauszug.
- 21 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32003L0088.
- 22 Persönliche Hintergrundgespräche zu KV-Verhandlungen mit direkt beteiligten Personen. 2020 und 2022. Johannes Gärtner.