1.1.
Meine Motivation zu dieser Arbeit ^
Meine berufliche Praxis in der IKT-Abteilung der Parlamentsdirektion gibt seit 20 Jahren in verschiedenen Rollen Gelegenheit zu vielen Beobachtungen in der Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen. Im Bereich der Gestaltung des parlamentarischen Begutachtungsverfahren und damit verbundener Digitalisierungsprojekte steht dabei vor allem der große Anstieg der Anzahl der Stellungnahmen im Vordergrund, der in Kombination mit kurzen Fristen dazu führt, dass die Texte in der Gesamtheit nur mehr sehr eingeschränkt erfasst werden können. Eine häufig wiederkehrende Kritik an der Bedeutung des aktuellen Begutachtungsverfahrens besteht auch darin, dass die wesentliche Einflussnahme auf die Gestaltung von Gesetzen schon früheren Phasen der policy cycles und somit der transparenten Dokumentation der legal footprints entzogen abläuft (Der Standard, 2021) und (ORF, 2020). Analysen zu diesem Sachverhalt können genau aus diesem Grund nicht zum Gegenstand empirischer Untersuchungen gemacht werden. In Texten, die im Begutachtungsverfahren eingebracht werden und in der Dynamik der dort gesetzten Handlungen kann aber ein Stimmungsbild beobachtet und analysiert werden, das oft von dieser Kritik geprägt ist (Vorarlberger Nachrichten, 2022).
Auch die Aufbereitung und Darstellung der Texte und deren Metadaten stellt das Parlament vor Herausforderungen: Zum Beispiel müssen Ergebnislisten bei der Suche nach Gesetzesvorhaben, zu denen aktuell Stellung genommen werden kann, nach bestimmten Kriterien sortiert werden. Dabei wird immer eine Wertung vorgenommen: Was ganz oben in der Liste angezeigt wird, bekommt mehr Aufmerksamkeit als das am Ende einer sehr langen Liste. Das führt unter anderem zur Forderung einer Reihung nach Anzahl von Interaktionen (Stellungnahmen, Zustimmungen) und damit zu einer Verstärkung quantitativer Effekte. Zu Fragen wie dieser müssen bei der Gestaltung des Internet-Auftritts, mit dem das parlamentarische Begutachtungsverfahren digital unterstützt wird, Entscheidungen von Mitarbeiter:innen der Parlamentsdirektion mit der gebotenen Äquidistanz zu allen Beteiligten getroffen werden.
Meine Beobachtungen im Betrieb der dafür eingesetzten Plattform und der Gestaltung der dort angebotenen digitalen Services motivierten mich zur theoretischen und empirischen Vertiefung der hier zugrunde liegenden Herausforderung: Welche Ziele sind von der Institution Parlament bei der Unterstützung von Beteiligungsverfahren zu verfolgen? Und nach welchen Kriterien sind daraus Entscheidungen abzuleiten? Aus diesem Grund stelle ich die Ziele und Empfehlungen der Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie in Österreich (Republik Österreich, 2015a), die sich mit der Öffnung der Begutachtungsprozesse beschäftigt hat (Republik Österreich, 2015b, S. 34), an den Beginn meiner Arbeit und beschäftige mich im theoretischen Teil der Arbeit mit Konzepten, die diese Empfehlungen untermauern, aber auch Anlass geben, diese kritisch zu hinterfragen. Letzteres betrifft insbesondere die Betonung rein quantitativer Effekte zur Priorisierung der Aufbereitung der Ergebnisse. Denn damit ist die Sorge verbunden, dass die beobachteten Wiederholungen praktisch identer Texte die Sicht auf die Qualität einzelner Beiträge verstellt, die in ihrer Individualität das Potential für einen wesentlich höheren Beitrag zum deliberativen Diskurs haben als immer mehr vom Gleichen! Aus diesem Grund beschäftigt sich der empirische Teil mit der personellen, organisatorischen und textuellen Vielfalt im parlamentarischen Begutachtungsverfahren und geht der Frage nach, ob die gesetzten Maßnahmen zum Ausbau der digitalen Möglichkeiten diese Vielfalt gesteigert oder vermindert hat. Die Ergebnisse dieser Arbeit liefern damit konkrete Evidenz für anstehende Entscheidungen über nächsten Schritte zum Ausbau dieser Services.
1.2.
Fragestellung ^
Zielsetzung dieser Arbeit ist es, der Frage nachzugehen, wie gut das Ziel der Stärkung der Pluralität durch den Einsatz von elektronischer Partizipation im parlamentarischen Begutachtungsverfahren umgesetzt wurde. Als Forschungsfrage wird das für die folgende theoretische und empirische Betrachtung wie folgt formuliert:
Wie unterstützt der Ausbau der Möglichkeiten der elektronischen Beteiligung am parlamentarischen Begutachtungsverfahren die Qualität des deliberativen Diskurses im Gesetzwerdungsprozess?
1.3.
Hypothesen ^
Im empirischen Teil der Arbeit werden dafür die folgenden Hypothesen erprobt, die einen Zusammenhang zwischen dem Ausbau der Möglichkeiten zur elektronischen Beteiligung und in Teil 2 der Arbeit definierten Kennzahlen für Pluralität postulieren:
1. Je höher die Ausbaustufe, desto höher die Beteiligung.
2. Je höher die Ausbaustufe, desto höher die personelle Pluralität.
3. Je höher die Ausbaustufe, desto höher die regionale Pluralität.
4. Je höher die Ausbaustufe, desto höher die organisationale Pluralität.
Darüber hinaus werden die folgenden Hypothesen für die Pluralität der Stellungnahmen und Zustimmungen überprüft:
5. Je höher die oben beschriebenen Pluralitätsmaße, desto höher der Grad der Individualität der Texte.
6. Je höher der Anteil an Beteiligungen ohne Freigabe für Veröffentlichung, desto höher der Grad der Individualität der Texte.
7. Je höher die Beteiligung, desto höher der Grad der Individualität der Texte.
8. Je höher die Beteiligung, desto höher der Anteil an Zustimmungen.
9. Je höher der Anteil der Zustimmungen, desto höher der Grad der Individualität der Texte.
10. Es besteht ein Zusammenhang zwischen Beteiligungen im Begutachtungsverfahren und der Offenheit / Fragmentierung des politischen Raums. Die Offenheit / Fragmentierung wird gemessen durch Maße der sozialen Netzwerkanalyse wie hohe Zentralität und hohe Dichte im Netzwerk.
2.1.
Empirisches Vorgehen ^
Die Meta-Datenbestände habe ich zunächst statistisch analysiert und Korrelationen in den Daten untersucht, die die unten formulierten Hypothesen unterstützen oder widerlegen. In einem zweiten Schritt habe ich auf die Datenbestände Methoden zur Visualisierung angewendet. Gezeigt wird damit bei den Metadaten-Analyse der Verlauf bzw. die Verteilung, die Korrelation. Bei der Netzwerk-Analyse hingegen wird – wie der Name schon sagt – die Vernetzung der verschiedenen Akteur:innen und von deren Texten durch grafische Verbindungen und von Algorithmen unterstützte Anordnung in einem Diagramm gezeigt. Grafische Merkmale wie die Positionen der Objekte, die Nähe zueinander, die Formen und Dimensionen der grafischen Elemente werden dabei eingesetzt, um quantitative und qualitative Eigenschaften sichtbar zu machen (Hennig, 2012, 149ff.).
2.2.1.
H1 – Ausbaustufen und Beteiligung ^
Sowohl die Betrachtung nach Monaten als auch nach Jahren zeigt eine signifikante Korrelation zwischen den Ausbaustufen und der Beteiligung, bei Aggregation nach Jahren sogar eine starke Korrelation. Damit ist statistisch gezeigt, dass der Ausbau der Möglichkeiten elektronischer Partizipation zu einer deutlichen Steigerung der Aktivitäten der Akteur:innen, i.e. Beteiligung von Bürger:innen geführt hat. Die Zahlen wurden nur für die Gesamtentwicklung berechnet. Gleichzeitig sind in der Grafik auch Effekte deutlich zu sehen, die nicht auf die Einführung der Beteiligungsmöglichkeiten zurück zu führen sind, insbesondere die besonders stark gesteigerten Aktivitäten in der Zeit von Gesetzgebung zur Bekämpfung der COVID-Pandemie:
Abbildung 1: Ausbaustufen und Anzahl pro Jahr
2.2.2.
H8 - Beteiligung und Anteil an Zustimmungen ^
Die erste Grafik baut auf der Zeitreihe auf, die schon in ähnlicher Form bei H1 gezeigt wurde. Hier werden aber die dort gewichtet kumulierten Beteiligungskennzahlen für Stellungnahmen und Zustimmungen getrennt voneinander dargestellt und um die Relation zwischen den Zustimmungen und der Summe aus beiden Werten ergänzt. Gezeigt wird damit die auch im negativen Korrelationskoeffizienten von -0,246 ausgedrückte schwache umgekehrte Korrelation zwischen dem Anteil der Stellungnahmen und diesem Anteil:
Abbildung 2: Ausbaustufen und Anzahl Stellungnahmen, Anteil Zustimmungen pro Monat
Zu sehen ist hier auf einer logarithmischen Skala, dass vereinfacht gesagt, immer bei besonders vielen Stellungnahmen gleichzeitig der Anteil der Zustimmungen besonders niedrig ist. Es geht also bei besonders hoher Beteiligung zwar auch die Anzahl der Zustimmungen nach oben, aber die Relation zwischen den beiden Zahlen verändert sich dabei zu Gunsten der Stellungnahmen. Es ist also durchaus ein Abtausch zwischen den beiden Instrumenten und somit zwischen qualitativen Elementen des deliberativen Diskurses und rein quantitativen Effekten beobachtbar.
Dieser verkehrt proportionale Zusammenhang, der sich hier zeigt, kann vereinfacht bedeuten: Es wird tendenziell entweder von dem einen oder dem anderen Instrument Gebrauch gemacht, was auf Kampagnen zurückzuführen sein kann, die eine entsprechende Auswahlentscheidung treffen und damit den einen oder den anderen Effekt verstärken.
Abbildung 3: Anzahl Stellungnahmen und Anteil Zustimmungen
2.2.3.
H10 – Beteiligungen und Offenheit / Fragmentierung des öffentlichen Raums ^
Die Fragmentierung zeigt sich für die Änderung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz u.a., Änderung (Republik Österreich, 2022) – Anmerkung: auch dieser Antrag steht im direkten Zusammenhang mit der COVID-Pandemie, auch wenn das hier aus dem Titel nicht direkt hervorgeht, noch stärker und deutlich komplexer:
Abbildung 4: Soziales Netzwerk der Texte in 2172/A, angeordnet nach Ähnlichkeiten
An diesem Beispiel kann auch gezeigt werden, wie die Rolle einzelner Akteur:innen näher untersucht werden kann: Das folgende Bild zeigt einen Zoom auf das oben farblich hervorgehobene Teil-Netzwerk mit näherer Betrachtung eines Knotens mit besonderer Position im Netzwerk, der für folgenden Text steht:
Abbildung 5: Teil-Netzwerk des Sozialen Netzwerks der Texte in 2172/A
Es erscheint gut nachvollziehbar, dass dieser Text sowohl Ähnlichkeit mit dem Teil-Netzwerk rechts darunter als auch mit einigen anderen Teilen des Netzwerks aufweist und so eine zentrale Rolle im Netzwerk einnimmt. Damit könnte hier ein Beispiel zu finden sein für eine konstruktive Auseinandersetzung mit dissenten Positionen den Teil-Netzwerken, die hier über diese Brücke verbunden werden wie es der Forderung von Bogner (2021, S. 60, S. 69) entsprechen würde, die ich im Theorie-Teil angesprochen habe.
3.1.
Beantwortung der Forschungsfrage ^
In der Überprüfung der Hypothesen konnte nachgewiesen werden, dass der Ausbau der Möglichkeiten der elektronischen Beteiligung am parlamentarischen Begutachtungsverfahren auf die verschiedenen in der Theorie betrachteten Aspekte der Inklusivität Einfluss genommen hat. Das betrifft sowohl direkt messbare quantitative Aspekte wie Anzahl von Stellungnahmen und Zustimmungen als auch errechnete Kennzahlen wie die Pluralität der Akteur:innen. Gleichzeitig ist die nachgewiesene Korrelation meist in einem Bereich, der zeigt, dass auch andere Einflussfaktoren wesentlich sind, die nicht in den untersuchten Zahlen sichtbar sind.
Ein jedenfalls nicht zuletzt bei der Auswahl der größten sozialen Netzwerke deutlich sichtbarer Effekt auf das Ausmaß der Beteiligung ist der Covid-Pandemie und den damit verbundenen gesetzlichen Maßnahmen zuzuschreiben. Wesentliche Faktoren in der Erklärung dieser Effekte sind sicher die sehr kurzen Begutachtungsfristen, die die Zahlen pro Monat steigern und auch die starke Polarisierung in der öffentlichen Debatte, die die quantitativen Effekte verstärkt. Zu denken gibt, dass Habermas (Habermas, 2022, S. 94) über genau diesen Zeitraum von einem „temporären Rückfall unter das rechtliche Niveau reifer Demokratien“ spricht. Folgt man diesem Gedanken, so gibt dieser Zeitraum keinen Grund zur Freude über eine scheinbare Erreichung der durch den Ausbau gesetzten Ziele.
Und dieser Einfluss ist durchwegs ein positiver, sowohl im Sinne der Ziele der hier betrachteten Problemstellung wie in Kapitel 1.2 der Arbeit beschrieben, als auch der im Theorieteil der Arbeit beschriebenen Forderung nach Inklusivität durch mehr Involvierung in Schritten einer Entwicklung:
Mit dem schrittweisen Ausbau wurde kontinuierlich ein wesentlicher Beitrag dazu geleistet, dass sich deutlich mehr Akteur:innen am Gesetzwerdungsprozess beteiligt haben als vor der Einführung elektronischer Beteiligungsmöglichkeiten und dieser Trend geht über den betrachteten Zeitraum und mit den Ausbauschritten immer weiter nach oben. Auch für die Pluralität der Akteur:innen kann ein durchwegs positiver Effekt der Einführung elektronischer Beteiligungsmöglichkeiten nachgewiesen werden, womit auch dem theoretischen Konzept der Subjektivität Rechnung getragen wird. Diese Beobachtung setzt sich auch in Kennzahlen fort, die auf Basis von Metadaten der Akteur:innen berechnet wurden. Wichtig erscheint aber vor allem die Betrachtung aller dieser Aspekte gemeinsam:
Die durch den Ausbau gesteigerte Beteiligung führt zu mehr Partizipation in größerer Vielfalt und nicht wie im Titel dieser Arbeit bewusst provokant in den Raum gestellt zu mehr Wiederholung von Aktivitäten immer wieder der gleichen Akteur:innen oder anderen Konzentrationen in den betrachteten Daten.
Auch für einen vertiefenden Aspekt der Pluralität konnte ein positiver Effekt nachgewiesen werden: Die signifikante Steigerung der regionalen Ausprägung dieser Kennzahl zeigt einen starken Beitrag des Ausbaus der Möglichkeiten der elektronischen Beteiligung zur Überwindung geographischer Barrieren. In der Theorie wird davon ausgegangen, dass mit mehr Involvierung auch mehr Zufriedenheit einhergeht. Eine inhaltliche Auswertung der Texte in dieser Hinsicht war nicht Gegenstand dieser Arbeit.
Gleichzeitig zeigt die statistische Aussagekraft der ermittelten Daten auch, dass die Herausforderung der Unterscheidbarkeit wiederkehrender Akteur:innen auf technischer Ebene ausreichend gut gelöst ist. Für das Ziel der Sichtbarkeit einzelner Individuen auf der politischen Bühne gilt das eingeschränkt: Diese können zwar bei gezielter Betrachtung eindeutig voneinander unterschieden werden, es obliegt aber den Adressat:innen ihrer Botschaft, das auch aktiv zu tun.
Der zweite Schwerpunkt dieser Arbeit neben der Betrachtung der Akteur:innen war die Qualität des deliberativen Diskurses, gemessen an der Pluralität der Texte. Diese konnte zwar eingehend analysiert werden, ein Einfluss des Ausbaus der Möglichkeiten der elektronischen Beteiligung auf diese Kennzahl aber aufgrund der in der Arbeit näher beschriebenen Limitationen noch nicht nachgewiesen werden. Im Ausblick werde ich näher darauf eingehen, wie die Forschung dazu fortgesetzt werden kann. Die Beantwortung der Forschungsfrage nach den Auswirkungen des Ausbaus auf die Qualität des deliberativen Diskurses im Gesetzwerdungsprozess ist daher im Bereich der Beteiligung und deren Pluralität deutlich aussagekräftiger als im Bereich der Analyse der betrachteten Texte. Dennoch können die Analyseergebnisse vor dem Hintergrund einiger beschriebener theoretischen Aspekte einiges zu den in dieser Arbeit verfolgten Zielen beitragen. Dieser Theoriebezug betrifft insbesondere die Betrachtung eines Gemeinsamen Wollens. Ein solches ist in der Visualisierung des Netzwerks der Beziehungen der Texte in den Diagrammen als Soziales Netzwerk deutlich weniger zu erkennen als gemeinsame Präferenzen, die aus der in den Diagrammen zu Hypothese 10 gut erkennbaren hohen Konzentration von gleichartigen Texten, abgeleitet werden können. Inhaltliche Interpretationen zur Begründung dieser Muster über Identifikation mit Ähnlich-Denkenden oder auch den Grad der Akzeptanz von Dissens bedürfen hingegen wieder einer inhaltlichen Auswertung der Texte, was nicht Gegenstand dieser Arbeit war.
3.2.1.
Bereitstellung von Fakten zu aktuellen Vermutungen ^
Schon der Nachweis der positiven Auswirkungen der Einführung der neuen Möglichkeiten zeigt, dass die bisherigen und auch künftigen Investitionen in elektronischen Partizipation die auf politischer Ebene formulierten Ziele unterstützt. Damit wird eine Grundlage gelegt für Evidenz-basierte Entscheidungen nicht nur, ob Ausbau und Erweiterung der bestehenden Umsetzung der Partizipationsmöglichkeiten des Parlaments grundsätzlich wirksam sind, sondern auch wie sich diese auswirken können. Ein Beispiel dafür ist der in H8 beschriebene verkehrt proportionale Zusammenhang zwischen Stellungnahmen und Zustimmungen, aus dem geschlossen werden kann, dass tendenziell in Kampagnen immer entweder von dem einen oder dem anderen Instrument Gebrauch gemacht wird. Daraus kann abgeleitet werden, dass eine angestrebte Verschiebung von wiederholten Stellungnahmen zu Zustimmungen ohne Verluste in der gesamten Beteiligung möglich ist.
Was Fakten zur Reproduktion der Texte einiger weniger betrifft, so wurde im Zuge dieser Arbeit die Machbarkeit der Analyse und Visualisierung von Ähnlichkeiten und Mustern in den Texten aber auch der hohe damit verbundene Ressourcenbedarf aufgezeigt. Hier gilt Ähnliches wie oben: Damit wurde eine Grundlage für weitere Entscheidungen gelegt, wie dem von Garrisson Smith (Garrisson Smith, 2017, S. 76) beschriebenen Problem begegnet werden kann, das ich schon in der Arbeit in Abschnitt 1.5.1 angesprochen habe. Ein vertiefender Ausbau kann einen Beitrag dazu leisten, die Erwartung an die gewählten Repräsentant:innen, dass sie ihre Entscheidung in einem deliberativen Prozess auf Basis von Information über die öffentliche Meinung treffen, besser in Einklang zu bringen mit den realen Möglichkeiten, dieser Erwartung gerecht zu werden. Teil 5 der Arbeit gibt darauf einen Ausblick. Gleichzeitig wurde aber auch gezeigt, dass der Aufwand sehr hoch ist, die oben aus der Theorie zitierten Ziele zu erreichen.
3.2.2.
Verbesserung der Aufbereitung ^
Ansätze zur Bewältigung von großen Mengen an Information in kurzer Zeit die beobachteten Zusammenhänge zwischen Merkmalen von Texten wie deren Länge, insbesondere im relativen Vergleich mit der Länge anderer Texte und der Wahrscheinlichkeit einer Ähnlichkeit dieser Texte. Das ist zwar aufgrund des rein quantitativen Charakters der davon abgeleiteten Aussagen nur eingeschränkt, aber doch zumindest in Kombination mit manuellen Verfahren nutzbar. So können Prognosen erstellt werden, von welchen Dokumenten in diesem Sinne weniger Zuwachs an Information, bei welchen hingegen geringe Ähnlichkeit und daher auch sehr viel neuartiger Inhalt zu erwarten ist. Sichtung und intellektuelle Verdichtung der Dokumente kann in der geringen zur Verfügung stehenden Zeit immer nur verkürzt ausfallen. Deren Qualität kann deutlich gesteigert werden, indem jene Dokumente zur Auswahl vorgeschlagen werden, von denen ein Inhalt zu erwarten ist, der sich deutlich vom bisher Gelesenen unterscheidet.
Begleitend können auch die in 3.3.12 gezeigten grafischen Darstellungen der Ähnlichkeitsanalysen als soziales Netzwerk einen wichtigen Beitrag zur angesprochenen Auswahlentscheidung leisten, welche Texte aufgrund ihrer zentralen Stellung im Netzwerk für nähere Betrachtung vorgeschlagen werden können und im Bereich welcher Konzentrationen wenig Neuartigkeit bei der Betrachtung weiterer Texte zu erwarten ist.
3.3.
Resümee ^
Die Untersuchung der Auswirkungen der Einführung und des Ausbaus der Möglichkeiten von elektronischer Partizipation am Gesetzwerdungsprozess hat statistisch verwertbare Ergebnisse und damit Fakten geliefert, auf die in weiteren Entscheidungen aufgebaut werden kann. Diese Ergebnisse waren insofern erfreulich, als sie Entwicklungen nachgewiesen haben, die eine schrittweise und stetig in Richtung einer Erreichung der von der Enquete-Kommission gesetzten Zielen weisen. Das betrifft sowohl den Umfang der Teilnahme als auch die Pluralität der Akteur:innen.
Somit ist anzunehmen, dass durch die umgesetzten Maßnahmen ein Raum geschaffen wurde, wo die Forderung nach gleichartiger Diskussion von Entscheidungen in dem von Garrisson Smith (Garrisson Smith, 2017, S. 13) geforderten politischen Raum (political realm), der Menschen zusammenbringt und auf Gemeinsames Bezug nehmen lässt, dabei aber auch immer das Trennende zwischen diesen Menschen sichtbar macht, deutlich näher sind als vor der Öffnung für die breite Öffentlichkeit durch Einführung der digitalen Services. Die Grundlage der Berechtigung dieser Annahme ist, dass gezeigt werden konnte, wie der Ausbau zu mehr Partizipation in größerer Vielfalt geführt hat. Auf der Bühne, wie von Garrison Smith, Kapitel 4.2 Beyond Representation: Political Participation and the Metaphor of the Stage (Garrisson Smith, 2017, 75ff.) als Metapher verwendet, treten also deutlich mehr Akteur:innen auf und diese sind stark voneinander unterscheidbar wie von Arendt (Arendt, 1998, S. 49) zitiert nach (Garrisson Smith, 2017, S. 14) gefordert.
Ob aber dadurch „Menschen zusammen gebracht werden“ und damit ein tragfester gemeinsamer politischer Raum geschaffen wird (Papacharissi, 2002, S. 18) zitiert nach (Garrisson Smith, 2017, S. 23), bleibt angesichts der beobachteten Strukturen der sozialen Netzwerke mehr als fraglich. Grund dieser Einschränkung scheint weniger zu sein, dass die Subjektivität (Garrisson Smith, 2017, S. 41) im Rahmen der digitalen Partizipation nicht ausreichend gewahrt wäre. Denn von sozialer Partikularität kann aufgrund der in Relation zum Umfang der beteiligten Akteur:innen insbesondere bei großen Verfahren wenigen personenbezogenen Merkmale, die gesammelt und gespeichert werden durchaus abstrahiert werden. Auch die „Kapazität zur Initiierung von Neuem und Unerwartetem zu“ (Garrisson Smith, 2017, S. 78) wäre aus demselben Grund durchaus gegeben. Aber dennoch weisen die schon angesprochenen beobachteten Strukturen der sozialen Netzwerke mit großer Fragmentierung und hoher Konzentration in Teil-Netzwerken stark darauf hin, dass die traditionelle Orientierung an „Aggregation und Konsens von Kollektiven“ (Garrisson Smith, 2017, S. 64), durch andere Einflussfaktoren noch sehr beharrlich wirkt und durch manche Aspekte der implementierten Maßnahmen möglicherweise auch verstärkt werden.
Ein Beispiel dafür ist die Reihung von Ergebnissen nach quantitativen Kriterien wie der Anzahl an Interaktionen in der Default-Sortierung der Auflistung Möglichkeiten zur Stellungnahme nach Trend der letzten 30 Tage auf der Seite https://www.parlament.gv.at/beteiligen/stellung-nehmen/ (Republik Österreich, 2015c), wo quantitative Effekte verstärkt werden, indem Verfahren mit vielen Interaktionen nach vorne gereiht und somit leichter gefunden werden als jene, wo bisher wenig Stellungnahmen abgegeben wurden.
Zur Überbrückung der Kluft zwischen der Erwartung an die gewählten Repräsentant:innen, dass sie ihre Entscheidung in einem deliberativen Prozess auf Basis von Information über die öffentliche Meinung treffen und der Realität, dass sie die im Begutachtungsverfahren gesammelten Argumente und Ideen oft schon deshalb in hohem Maß ignorieren, weil die Fülle der eingebrachten Texte von Ihnen in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit niemals vollständig und umfassend erfasst und verarbeitet werden können, wurden keine konkreten Ergebnisse erarbeitet, aber die Machbarkeit von Analyse gezeigt, auf die weiter aufgebaut werden kann. Für diese weiteren Schritte wurde schon im bisher Beschriebenen immer wieder dokumentiert, an welche Grenzen ich gestoßen bin und damit auch gleichzeitig, welche Ansätze bestehen, durch Beseitigung der beschriebenen Limitationen diese Grenzen zu überwinden. Die verwendeten und beschriebenen Methoden sowie die Art der Aufbereitung und Visualisierung der Ergebnisse vor allem im Bereich der Sozialen Netzwerkanalyse liefern aber jedenfalls sehr konkrete Grundlagen dafür. Das betrifft insbesondere auch das Ziel der Ermöglichung von Priorisierung in der Bearbeitung der Texte anhand von Evidenz-basierten Entscheidungen und damit mit möglichst wenig Widerspruch zum demokratiepolitischen Ziel der Pluralität.
Durch Kombination der dokumentierten, konkreten Untersuchungsergebnisse mit den beschriebenen Lösungsansätzen zur Erhöhung der Sichtbarkeit individueller Texte zur Vielfalt der Lösungsbeiträge kann diese Arbeit zu verbesserter Umsetzung des Konzepts der politischen Subjektivität (Garrisson Smith, 2017, 41ff.) beitragen. Die Umsetzung dieser Lösungen setzen aber Folgeforschung und weitere Umsetzungsprojekte auf organisatorischer und technischer Ebene voraus, die zu neuen Ausbaustufen der digitalen Services führen werden!
4.
Ausblick ^
Mit dedizierten Ressourcen sowie einer interdisziplinären Erweiterung des Forschungsfeldes könnte die Qualität der Analyseergebnisse deutlich gesteigert werden. Ersteres betrifft insbesondere eine größere Bandbreite bei den Textvergleichen. Ebenso könnten mit entsprechenden technischen Erweiterungen in die Analyse auch Texte miteinbezogen werden, die nicht direkt in der Datenbank verfügbar, sondern als PDF-Dokumente im Filesystem gespeichert sind. Neben dieser rein quantitativen Verbreiterung des untersuchten Textkörpers könnten auch inhaltliche Unterschiede untersucht werden zwischen den untersuchten Texten, die alle online erfasst wurden, und den Texten in PDF-Dokumenten, die über E-Mails oder einen Upload eingebracht wurden. Darüber hinaus wäre eine wesentliche Vertiefung der qualitativen Analyse mit dem Einsatz von Algorithmen verbunden, die Texte auch inhaltlich untersuchen, wie das etwa Word Clustering in BIRT (Eclipse Foundation, 2023) ermöglicht. Ziel einer solchen Vertiefung ist vor allem auch die Untersuchung von Ähnlichkeiten in den geäußerten Meinungen in einer Sentiment-Analyse (Liu, 2020).
Eine neuerliche Analyse von Daten und Texten, die über einen längeren Zeitraum gesammelt wurden, lässt bei den Hypothesen 5 und 6 aussagekräftigere Analyseergebnisse erwarten als hier bisher beschrieben werden konnten. Das wäre für die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Pluralität der einbringenden Akteur:innen und der Pluralität der eingebrachten Texte und damit der Qualität der Abdeckung der Perspektiven breiter Bevölkerungsschichten weiterhin sehr interessant. Denn ein solcher wurde nicht widerlegt, sondern konnte nur aufgrund der limitierten Anzahl der vorhandenen Daten und Texte nicht nachgewiesen werden. Gleiches gilt für die Hypothesen 7 und 9 im Bereich der Untersuchung der Qualität des deliberativen Diskurses als Grundlage für parlamentarische Entscheidungen.
Ein weiterer Ansatz zur Untersuchung der deliberativen Qualität des hier betrachteten Diskurses könnte eine Erweiterung um die Dimension der Nutzung des Informationsangebots in Form der Anzahl der Zugriffe auf die veröffentlichten Texte der Stellungnehmen. Habermas (Habermas, 2022, S. 41) sieht darin eine Grundlage, davon “auf das Reflexionsniveau der öffentlichen Meinung zu schließen“.
Gemeinsam ist all diesen Ansätzen aber die Notwendigkeit von interdisziplinärer Zusammenarbeit von unterschiedlichen Fachgebieten. Das beginnt bei der Einbeziehung von technischer Innovation, geht über die Fachdisziplinen der zuletzt angesprochen Daten-Domains zur Erweiterung der Metadaten-Analyse und reicht bis zu den demokratiepolitischen Grundsatzüberlegungen im Theorieteil der Arbeit. Diese Vielfalt an Kompetenzen und Methoden birgt ein hohes Potential an Möglichkeiten zum Ausbau von digitaler Partizipation – womit der Kreis zum Thema dieser Arbeit geschlossen ist: Auch hier ist deliberativer Diskurs und Pluralität der daran beteiligten Akteur:innen gefordert!
Hinweis
Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung des empirischen Teils der Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Arts in Politics and Communication im Rahmen des Masterlehrgang: Digitalisierung, Politik und Kommunikation“.
5.
Literaturverzeichnis ^
Arendt, H. (1998). The Human Condition. University of Chicago Press.
Eclipse Foundation. (2023). BiRT: Business Intelligence Reporting Tool. https://eclipse-birt.github.io/birt-website/
Garrisson Smith, T. (2017). Politicizing Digital Space. University of Westminster Press.
Habermas, J. (2022). Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik (2. Auflage). Suhrkamp.
Hennig, M. (2012). Studying social networks: A guide to empirical research. Campus Verlag.
Liu, B. (Hrsg.). (2020). Studies in natural language processing. Sentiment analysis: Mining opinions, sentiments, and emotions (Second edition). Cambridge University Press. https://doi.org/Bing
ORF. (2020). Taktieren mit Begutachtungsfristen. https://orf.at/stories/3169772/
Papacharissi, Z. (2002). The Virtual Sphere: The Internet as a Public Sphere. New Media & Society(4 (1), 9–27.
Republik Österreich, P. (2015a). Enquete-Kommission betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich: 791 der Beilagen. https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXV/I/791
Republik Österreich, P. (2015b). Minderheitenbericht: gemäß § 42 Abs 4 iVm § 98 Abs 7 GOG [791 der Beilagen XXV. GP - Ausschussbericht NR - Anlage B - Minderheitenbericht]. https://www.parlament.gv.at/dokument/XXV/I/791/imfname_468783.pdf
Republik Österreich, P. (2015c). Stenographisches Protokoll der 91. Sitzung: des Nationalrats, XXV.GP am 23.09.2015, Seite 240 [Bürgerbeteiligung führt zu besseren Entscheidungen]. https://www.parlament.gv.at/dokument/XXV/NRSITZ/91/SEITE_0240.html
Republik Österreich, P. (2022). Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz u.a., Änderung [2172/A]. https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/A/2172
Der Standard (2. Januar 2021). Begutachtung zum „Freitesten“-Gesetz überlastet Webseite des Parlaments: Die Opposition kritisierte zuvor die kurze Begutachtungsfrist des umstrittenen Gesetzes. Der Standard, 2021. https://www.derstandard.at/story/2000122893176/begutachtung-zum-freitesten-gesetz-ueberlastet-webseite-des-parlaments
Vorarlberger Nachrichten (11. Januar 2022). Protest statt Inhalt, 2022. https://www.vn.at/vorarlberg/2022/01/11/protest-statt-inhalt.vn