Einleitung ^
«Es muss anders werden, wenn es gut werden soll»:
Das Zitat von Christoph Lichtenberg passt perfekt zum derzeitigen Stand im Beschaffungswesen. Eine neue Ära steht vor den Toren und die Transformation geht rasend schnell. ChatGPT, S4, ARIBA, Ecovadis: Diese beispielhaften Stichworte lassen uns nicht unberührt. Doch wie werden sie die IT-Beschaffung verändern? Und welche Rolle spielt dabei das neue Beschaffungsrecht? Diesen beiden Fragen widmet sich die folgende Einführung und unternimmt den Versuch, einen Ausblick auf das zu geben, was uns in den nächsten drei Jahren erwartet. Eines steht bereits fest: Wir sprechen von «Gamechangern», also grundlegenden Systemveränderungen, die viel Innovation, aber auch einige Herausforderungen versprechen.
Meine Erinnerungen an die Gründung der IT-Beschaffungskonferenz sind lebendig. Ich war von Anfang an dabei und stand am 22. August 2023, zwölf Jahre später, vor einem vollen Haus. Die Konferenz war mit 400 Teilnehmenden ausgebucht und zog zahlreiche Einkaufsspezialist*innen an. Ich konnte deshalb mit Freude zur Kenntnis nehmen, dass sich die Konferenz im Laufe der Jahre zu einer eigentlichen Institution entwickelt hat. Dabei hat sie nicht nur mehr Interesse für den Beruf geweckt, sondern sich auch kontinuierlich professionalisiert und eine engagierte Community geschaffen. Als Redner im Plenum der diesjährigen Konferenz stand ich somit vor einem Publikum, das mein Interesse an Fachthemen teilte.
Als ich vor einigen Monaten von der Konferenzorganisation gefragt wurde, ob ich bei der diesjährigen Konferenz als Plenumssprecher zur Verfügung stehen würde, habe ich schnell zugesagt. Warum? Weil der Titel passt. «Alles neu? Beschaffungswelt im Wandel». Zu diesem Thema wollte ich meinen Beitrag leisten und meine Sichtweise einbringen. Ständerat Benedikt Würth, mein Vorredner, beleuchtete die politische Ebene und betrachtete den Wandel von der Gesetzesebene her. Er berichtete über die Erwartungen der Politik an die neue Vergabekultur. Ich beleuchte den Wandel nun von einer etwas anderen Seite – von der Praxis der Vergabestellen aus. Die folgenden Ausführungen geben meine persönliche Meinung wieder.
Der derzeit laufende Wandel ist fundamental ^
Der Wandel findet statt, und er ist grundlegend. Der Wandel hat nicht nur mit der Revision des Gesetzes zu tun, sondern auch mit einer Welt, die sich verändert. Vor allem in der IT war die zweite Art der Veränderung spürbar. Spätestens seit der Covid-Pandemie ist auch der und dem Letzten klar geworden, was mit IT alles möglich ist. Vom Home-Office über KI bis zur Digitalisierung in Städten und Gemeinden; die IT ist auf dem Vormarsch und auch die Vergabestellen beginnen zunehmend, ihre Prozesse zu digitalisieren. ChatGPT, S4, ARIBA, Ecovadis usw. – daran müssen wir uns gewöhnen.
Die Entwicklungen rund um die künstliche Intelligenz (KI) sind für mich ein echter Gamechanger. Ein Professor hat einmal gesagt, dass die Auswirkungen von ChatGPT für ihn so einschneidend sind wie die Einführung des Internets. Bei dem Gedanken bekomme ich Gänsehaut. Ich weiss zwar nicht, ob das stimmt, aber die Evolution der KI scheint keine gewöhnliche iterative Entwicklung zu sein. Es ist etwas Neues. Diese Situation birgt Chancen, die wir vielleicht nutzen können. Und auch der öffentliche Sektor ist bestrebt, diese neuen Möglichkeiten zu erschliessen.
Um KI zu nutzen und die Digitalisierung voranzutreiben, muss Big Data aber in die Cloud verlagert werden – und hier ist aus Datenschutzgründen Vorsicht geboten, wie jüngste Beispiele aus China und den USA zeigen. Gleichzeitig benötigen wir IT-Sicherheitsexpert*innen auf höchstem Niveau, die derzeit kaum am Markt verfügbar sind. Das wird keine leichte Aufgabe.
Und es ist ebenso keine leichte Aufgabe, den Bedürfnissen und Anforderungen der Nutzer*innen gerecht zu werden. Denn die Erwartung lautet: Einfachheit und mehr Benutzerfreundlichkeit bei all den Innovationen.
Neben dem technischen Fortschritt haben sich auch das internationale Umfeld und der Handel verändert. Lieferengpässe sind an der Tagesordnung. Das traf auch die SBB. Plötzlich standen wir ohne Chips für die Bahnhofsanzeigen da. Weil die ganze Dynamik im Markt viel volatiler geworden ist, müssen wir im Einkauf schneller reagieren. Das ist nicht mehr das Geschäft, das wir gewohnt sind. Und um die Sache noch interessanter zu machen, lastet jetzt auch noch der Kostendruck auf uns. Der Bund, die SBB, die Nationalbank – alle müssen sparen. Die Zeit drängt, und wir müssen Wege finden, um mit knappen Ressourcen trotzdem etwas zu erreichen.
Ursprung vom Beschaffungsrecht: Fairer Wettbewerb und Korruptionsprävention ^
Technologischer Wandel und internationale Marktveränderungen erfordern Anpassungen. Alle diese Veränderungen sind grundlegend und werden uns in Zukunft beschäftigen. Das führt uns zu der Frage: Wenn die Veränderungen grundlegend sind, brauchen wir dann etwas Neues, um damit adäquat und effizient umgehen zu können, oder ist das, was wir bisher haben, ausreichend? Um diese Frage zu beantworten und die Ausgangsituation zu verstehen, werfen wir einen kurzen Blick zurück. Die öffentliche Hand gibt nicht einfach ihr eigenes Geld aus, sondern das Geld der Bürger*innen. Dies war der Ausgangspunkt für die Forderung nach Korruptionsprävention, und wenn zusätzlich der Wettbewerb gefördert wird, können sogar bessere Konditionen erzielt werden.
Das internationale Gremium, das dies vorantrieb, hatte damals die Vision, die Grenzen zwischen den Ländern zu öffnen. Ihr Ansatz war überzeugend: Wer Korruption verhindern will, braucht Transparenz. Um fairen Wettbewerb zu ermöglichen, braucht es Gleichbehandlung. Ein – so scheint mir – richtiger Ansatz. Auch die Schweiz hat auf diese Veränderungen reagiert und im Januar 2021 ist das revidierte Beschaffungsrecht in Kraft getreten. Neben der Harmonisierung des Rechts zwischen den Kantonen stellt es weitere Instrumente zur Verfügung, um Themen wie Nachhaltigkeit und Innovation anzugehen und zu berücksichtigen. Bevor darauf näher eingegangen wird, soll kurz auf die spezifischen vergaberechtlichen Anforderungen hingewiesen werden, mit denen sich Jurist*innen, Einkäufer*innen und Anbieter*innen auseinandersetzen müssen.
Wie gehen Jurist*innen mit den oben genannten Voraussetzungen um? Insbesondere im Verwaltungsrecht brauchen sie eine greifbare Grundlage, auf die sie sich in einem Gerichtsverfahren berufen können, um etwas zu schützen. Diese Grundlage hat die Form einer Verfügung. Sie können sich das so bildlich vorstellen, als wäre die Verfügung ein Haken, an dem Sie Ihre Kleider, also die Beschwerde, aufhängen können. Zumindest wurde die Besonderheit des Vergabeverfahrens als fortlaufender Prozess erkannt. Deshalb müssen Unstimmigkeiten sofort gerügt werden: Wenn jemandem während des Ausschreibungs- und Bewerbungsprozesses etwas auffällt, muss es sofort kommuniziert werden, sonst kommt jede Intervention zu spät. Diese Eigendynamik ist ein wesentlicher Aspekt des Beschaffungsverfahrens.
Das wäre eigentlich eine gute Ausgangslage. Aber die Gesetzgeber, und in ihrem Schlepptau die Richter, haben sich – in guter Verwaltungsrechtsmanier – nicht nur auf das sogenannte Anfechtungsobjekt (Verfügung) und auf gewisse Grundsätze beschränkt. Sie begannen, der Beschaffungsstelle detailliert inhaltliche Vorgaben für ihre Entscheide vorzugeben. Um nur einige Beispiele zu nennen: Beschaffungsstellen müssen bestimmte Mindestanforderungen definieren und sinnvolle Kriterien auflisten. Bei den Zuschlagskriterien müssen sie zudem die Rangfolge und Gewichtung anfügen, wobei sie eine Mindestgewichtung für den Preis respektieren müssen. Ausserdem gibt es vorgegebene Fristen und fix definierte Verlängerungs- und Verkürzungsmöglichkeiten – all diese Elemente greifen ineinander und machen den Prozess kompliziert. Schliesslich wurde sogar der Verhandlungsprozess reglementiert, so dass z.B. Preisangebote nicht mehr möglich sind. Und das sind nur wenige Beispiele (vgl. die Anforderungen an einen Ausschluss von Anbietenden etc.).
Reform des Beschaffungsrechts: Ein Erfolg? ^
Der Markt ist im Wandel. Die Einkaufsprozesse sind aufgrund der zu detaillierten Vorgaben vom Beschaffungsrecht kompliziert. Nachdem die Ausgangslage somit geklärt ist, kommen wir zur Frage: War die Vergaberechtsrevision 2021 erfolgreich? Meine Antwort lautet im Grundsatze: Ja. Geht man vom erklärten Ziel der Reform aus, die Bestimmungen zwischen den Kantonen und dem Bund zu harmonisieren – so ist dieses erreicht. Zudem wurde ein besonderes Augenmerk auf die Nachhaltigkeit gelegt, und ich denke, dass auch das Ziel, die nachhaltige Beschaffung zu fördern, erreicht wurde. Ich bin fest davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit für uns und unsere zukünftigen Generationen von grosser Bedeutung ist. Und diese Überzeugung hält nun Einzug ins Gesetz – und langsam auch in die Praxis.
Betrachten wir die Reform des Vergaberechts aber über die deklarierten Ziele hinaus etwas kritischer und fragen: Hat sich die Dauer der quälend langen Verfahren (sowohl in der Vergabe als auch bei einer Beschwerde) verkürzt? Nein, die Verfahren sind nach wie vor zeitraubend und langwierig. Hat die Revision die Verfahren vereinfacht? Nein, das glaube ich nicht. Die Verfahren sind nach wie vor kompliziert und die Angst vor möglichen Beschwerdeverfahren bleibt bestehen. Dennoch gibt es überwiegende positive Aspekte des neuen Gesetzes, auf die ich im Folgenden näher eingehen werde. Der Kern dieses Optimismus liegt darin, dass uns das Gesetz einen erheblichen Ermessensspielraum lässt. Das Gesetz ist lediglich ein Rahmen, den es geschickt zu nutzen gilt. Doch: Wie kann dieser Rahmen am besten genutzt werden? Und wie wird dieser Rahmen heute bereits genutzt?
Eine Möglichkeit besteht darin, durch Rahmenverträge längerfristige Lieferantenbeziehungen aufzubauen. Doch nicht nur das: Wurden in einem Vergabeverfahren Partner für Rahmenverträge ausgewählt, kann der Abruf von Leistungen ausserhalb vom Vergaberecht schnell und unbürokratisch erfolgen. Es muss nicht für jede einzelne Lieferung oder Leistung ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden. Um den Wettbewerb bei Abrufen weiterhin zu gewährleisten, kann innerhalb der gewählten Vertragspartner ein sogenanntes Mini-Tender durchgeführt werden. Rahmenverträge bieten daher Flexibilität in Bezug auf die Menge der benötigten Waren oder Dienstleistungen sowie in Bezug auf mögliche Vertragsanpassungen.
Neu wird auch der Dialog im Vergabeprozess genutzt. Ziel des Dialogs ist es, ein besseres Verständnis zwischen öffentlichen Beschaffer*innen und potenziellen Lieferanten bei komplexen Beschaffungen zu erreichen, was nicht nur den Informationsaustausch, sondern auch die Entwicklung innovativer Lösungen erleichtern soll. Zudem kann im Dialog auch explizit das Preis-Leistungsverhältnis vertieft thematisiert werden. Allerdings ist die Umsetzung davon sehr aufwändig. Alles wird minutiös protokolliert, und in vielen Schritten, damit der Prozess nachvollziehbar ist – für den Fall, dass es vor Gericht geht. Das ist aber mit den neuen Technologien besser lösbar (z.B. Videoaufnahmen per Teams).
Weiter gibt es, wie bereits erwähnt, vermehrt erste Schritte in Richtung Umwelt- und Sozialstandards. Auch das öffentliche Beschaffungswesen soll die ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit im Beschaffungsprozess berücksichtigen und fördern. Und wo stehen wir heute? Wir versuchen uns anzunähern. Aber auch das ist nicht immer einfach. Ich bin einem Beispiel zur Reparierbarkeit von Kopfhörermuscheln begegnet, wo die Reparaturkosten die Kosten eines Neukaufs um ein Vielfaches übersteigen – lohnt sich da eine Reparatur? Sollen wir reparieren, auch wenn das zu Mehrkosten führt? Oder sollen aus Preisgründen der weniger nachhaltige Neukauf in Betracht gezogen werden? Generell ist es zwar eine Herausforderung, Nachhaltigkeit in Prozesse zu integrieren. Aber diese Chance muss nun endlich genutzt werden.
Nachdem einige Neuerungen im Beschaffungsrecht diskutiert wurden, frage ich mich: Ist das genug? Nutzen wir mit diesen Instrumenten wirklich die Gelegenheit, uns den aktuellen Herausforderungen zu stellen? Nachfolgend meine Antwort: Bisher lautete das Credo vieler Einkäufer*innen: «Wir bündeln, um bessere Preise zu erzielen». Dieses Credo wird jedoch durch die Instabilität der Lieferketten zunehmend aufgeweicht. Mit anderen Worten: Um stabil zu bleiben, braucht man mehrere Lieferanten und Zulieferbetriebe. Wenn ein Lieferant ausfällt, hat man immer noch andere, auf die man sich verlassen kann. Mit der Zeit wird deshalb das Credo der Bündelung zugunsten der Liefersicherheit in den Hintergrund treten. Das wiederum führt uns dazu, wieder mehr in der Heimat zu beschaffen. Denn wenn die Lieferanten zu weit weg sind, entzieht sich mir die Kontrolle über sie. Das heisst: Die Preisvorteile bei Bündelungen werden zwecks Erhöhung der Resilienz relativiert, was zu mehr «Nearshoring» führt – der Verlagerung von Geschäftsprozessen in das eigene Land oder nahegelegene Länder. Dies wiederum kann eine Verteuerung nach sich ziehen. Zieht man das Nearshoring einer genaueren Analyse vor, zeigt sich, dass die Herausforderung darin besteht, dass sich der Markt allmählich ausdünnt und die Gefahr von Preissteigerungen droht, da der Kostendruck anhält.
Wie kann die öffentliche Hand dem entgegenwirken? Soll sie eine Kostenobergrenze einführen? Oder schafft ein Bonus-Malus-System Abhilfe? Nach dem Motto: «Wenn es Ihnen als Anbieter gelingt, durch intelligente Lösungen die Kosten bei gleichbleibender Qualität zu senken, dann teilen wir uns die Einsparungen». Diese Überlegungen existieren. Wir führen solche Bonus-Malus-Systeme bereits ein, aber die Umsetzung davon ist sehr anspruchsvoll, insbesondere was den Malus betrifft. In Zeiten, in denen die öffentliche Verwaltung unter finanziellem Druck steht, ist aber auch die Frage der Boni schwierig.
Und wenn wir schon bei den aktuellen Herausforderungen sind: Auch das Problem des Fachkräftemangels darf nicht unerwähnt bleiben. Wie können wir darauf reagieren? Hierzu möchte ich ein konkretes Beispiel anführen, ohne jedoch konkrete Namen zu nennen: Ein Unternehmen berichtete, dass seine IT-Lieferanten nur über eine begrenzte Anzahl qualifizierter Projektleiter verfügen. Nun kommt es vor, dass diese Projektleiter bei einem Kunden nicht optimal agieren können und deshalb aus dem Projekt abgezogen werden. In solchen Fällen wendet sich der Kunde an die SBB und sagt: «Wir haben hier jemanden, der in unserem Projekt nicht erfolgreich war, aber ein hervorragender Experte oder eine hervorragende Expertin ist, den oder die wir sofort einsetzen möchten». Ich möchte nicht darüber spekulieren, wie ein Einsatz dieser Personen im Rahmen des Vergaberechts umgesetzt werden kann. Aber das sind Ansätze, die sich langsam durchsetzen, einfach weil qualifizierte Expert*innen auf dem Markt knapp sind.
Eine weitere Herausforderung ist der neue Fokus auf den Qualitätswettbewerb: wie kommen wir von der Fokussierung auf den Preis zur grösseren Berücksichtigung messbarer Qualität? Die ersten Ansätze ähneln denen im privaten Sektor: Wenn wir irgendwo einkaufen oder eine Dienstleistung in Anspruch nehmen, fragen wir uns: «War das gut? War der/die Handwerker*in kompetent? War der Computer oder die Software von guter Qualität?». Verneinen wir diese Fragen, suchen wir nach Alternativen. Auch im öffentlichen Beschaffungswesen bewerten wir die Qualität im Nachhinein sowie während der Nutzungsdauer, und diese Erfahrungen fliessen in künftige Aufträge ein. Um mehr Qualität zu fordern, sollten daher die bisherigen Erfahrungen als Kriterium für zukünftige Vergaben herangezogen werden. Doch auch hier stellen sich wieder Fragen: Ist das gemäss Vergaberecht zulässig? Wie bewerten wir diejenigen, die noch nie für uns gearbeitet haben und deren Produkt oder Dienstleistung wir nie testen konnten? Wer nimmt die Bewertung vor und wer wird öffentlich angehört? Die Chance und die Devise kann hierbei nur lauten: Machen – Ausprobieren – Experimentieren!
Auch die Forderung nach Nachhaltigkeit stellt uns vor die Suche nach neuen Lösungen, was deren Umsetzung betrifft: Um nachhaltiger zu beschaffen, müssen wir höhere Anforderungen an die Transparenz in der Lieferkette stellen – dafür ist ein zentrales Datenmanagement unerlässlich. Das ist vielerorts im Aufbau, aber auch dieser gestaltet sich nicht ganz einfach, ist aber notwendig, um effizient zu arbeiten.
Was sich ebenfalls im Aufbau befindet, ist das Allianzmodell. Was ist damit gemeint? In einem solchen Modell sitzen wir gemeinsam in einem Boot und führen das Projekt von Anfang bis Ende gemeinsam durch. Auch Gewinn und Verlust werden gemeinsam getragen. Die ersten Allianzmodelle sind bereits vertraglich fixiert und können umgesetzt werden. Man versucht, diesen Weg gemeinsam zu gehen – und dies eröffnet neue Chancen. Doch auch hier können wieder tausend Fragen aufgeworfen werden: Wie wähle ich die Partner aus, damit alles passt? Eine mögliche Antwort ist: Ganz einfach, ich suche mir erstmals jemanden, der die Bereitschaft zeigt, mit mir diesen Weg zu gehen, und wir schauen dann gemeinsam, wie es am besten funktioniert. Wichtig ist, dass wir für solche Experimente offen sind und uns nicht davon abhalten lassen, Spielräume zu nutzen und Neuartiges auszuprobieren, nur weil es vergaberechtlich schwierig ist.
Fazit ^
Mein Resümee – und jetzt werde ich ein wenig provokativ: Ich glaube, diejenigen, die im öffentlichen Beschaffungswesen auf der Auftraggeberseite stehen, stehen derzeit vor Herausforderungen. Aber auch vor vielen Chancen. Entweder man entscheidet sich, es «gäng wie gäng» zu machen (wie man in Bern zu sagen pflegt), denn das geht: mit den bekannten Problemen und den bewährten Lösungen. Aber mein Ansatz wäre ein anderer. Ich glaube, dass sowohl das alte als auch das neue Vergaberecht Spielraum bietet, es nicht nur anders, sondern auch besser zu machen. Diesen müssen wir jetzt nutzen. Zuerst sollten wir uns überlegen, wie wir das machen wollen. Und wichtig ist dabei, dass wir uns von Bedenken und Ängsten überwältigen und behindern zu lassen. Das heisst natürlich nicht, dass wir uns nicht an das Recht halten sollen. Dass wir das tun, ist eine Voraussetzung. Ich appelliere vielmehr, den Spielraum, den wir innerhalb des Rechts haben, so gut wie möglich zu nutzen.
Zu Beginn einer Beschaffung sollte sich die Beschaffungsstelle klar werden, was sie überhaupt will. Ist dies klar, dann muss sie mutig sein und ihr Ermessen ausschöpfen. Lasst die Bedenken nicht überhandnehmen und gestaltet das Verfahren so, wie ihr es auch privat machen würdet. Ein Beispiel: Manchmal unterliegt die SBB nicht dem Vergaberecht und kauft privatrechtlich Software, die sie also «frei» beschaffen kann, auch ohne Ausschreibung an alle möglichen Lieferanten. Ich habe dann die Einkäufer*innen gefragt, wie sie das machen. Hier deren Antwort: Sie beschränken sich darauf den (aufwändigen) Wettbewerb auf einige wenige, aber gemäss ihren eigenen Erfahrungen zuverlässige Lieferanten zu beschränken. Daraufhin fragte ich nach, warum wir das nicht im öffentlichen Teil, der dem Vergaberecht unterliegt, ebenfalls machen können. Das ginge nicht, war die oft gehörte Ansicht meiner Kolleg*innen. Steht man vor so einer Aussage, soll man sich überlegen: «Stopp, geht das wirklich nicht?» Denn den Lieferanten ist es eigentlich egal, wie etwas in der konkreten Beschaffung funktioniert. Es muss nur schnell und fair gehen. Wenn die Vergabestelle am Anfang des Verfahrens mitteilt: «Wir spielen Basketball auf dem Fussballfeld» – was solls? Das ist mir als Lieferant egal, ich muss es einfach wissen. Anders ausgedrückt: Wenn ich die Bedingungen kenne und weiss, wie etwas umgesetzt wird, dann kann ich mich darauf einstellen und meine Leute darauf vorbereiten, auf dem Fussballfeld Basketball zu spielen. Und schliesslich haben wir ja zu Beginn gesehen, dass das Beschaffungsrecht im Grund nur eines will: Transparenz und Gleichbehandlung als Mittel für einen nachhaltigen Wettbewerb und zur Verhinderung von Korruption.
Mein konkreter Vorschlag – oder vielmehr mein Appell – für eine mutige Herangehensweise wäre deshalb: Vergabestellen, ihr seid völlig frei, sofern ihr zu Beginn des Verfahrens die «Spielregeln» transparent und nicht-diskriminierend vorgibt. Nützt dabei auch die Möglichkeit, die Vergabeverfahren zu beschleunigen. Wenn man dann die versprochene Beschleunigung einhält und vielleicht das Ganze mit einem Bonus-Malus-System würzt, dann, so meine These, werden die Lieferanten sagen: «Endlich haben sie es kapiert».
Das ist mein Schlusswort. Ich hoffe, dass ich nicht ganz falsch liege und auch in zehn Jahren ... wieder an die IT-Beschaffungskonferenz kommen kann.
Marco Fetz (Autor des Referats) ist Leiter Einkauf Bauprojekte SBB AG, Infrastruktur.
Lara Biehl (Redaktion des Referats) ist Wissenschaftliche Assistentin an der Berner Fachhochschule.