1.
Was unterscheidet E-Voting-Projekte von normalen IT-Projekten? ^
Eine in der Ökonomie übliche Methode der Definition eines komplexen Erkenntnisgegenstandes ist die Verwendung von Merkmalskatalogen (vgl. [4], 19 ff.). Betrachtet man die bisherigen E-Voting-Pilotprojekte, v.a. die 2007 im UK durchgeführten [2], so zeichnen sie sich durch folgende Eigenschaften bzw. Merkmale aus:
- Viele interne und externe heterogene Beteiligte und Betroffene
- Wenigstens drei Auftragnehmer bzw. Technologiedienstleister (Rechenzentrum, E-Voting-Software, Projektmanagement)
- 1-n Wahlkommissionen
- Politische Parteien / wahlwerbende Gruppen
- Von der Wahlordnung in Stein gemeißelte, unverschiebbare Termine
- Komplexe Technologien, die höchst erklärungsbedürftig sind
- Hohe mediale Aufmerksamkeit
- Schwacher Projektauftraggeber ohne Prozesshoheit
- Kein Eingriff in die Wahl möglich – die Wahlkommission steht außerhalb der Organisation (hierin besteht u.E. der Hauptwiderspruch zur klassischen Projektmanagementtheorie – vgl. [1] S. 27 ff.)
- Kein Weisungsrecht gegenüber den meisten Akteuren – Dies stellt ebenfalls eine völlig neue Qualität dar. In der klassischen Projektmanagementtheorie hat der Projektleiter entweder aus seiner Projektleitungsfunktion heraus oder, im Umweg über das Linienmanagement der Organisation, die Möglichkeit, Weisungen zu erteilen und durchzusetzen (vgl. [1], S. 28 f.). Dies fehlt im E-Voting-Projekt gegenüber bestimmten Akteuren völlig.
- Interventionen von Gerichten und Wahlbehörden unterworfen – Auch diesen Fall kennt die Projektmanagementtheorie nicht – in der ANSI-Definition werden als Einflußnehmer (Influencer) ausschließlich Personen oder Gruppen bezeichnet, die innerhalb der Organisation stehen (vgl. [1], S. 357)
Aus diesen Unterschieden entstehen folgende (Haupt-)Risiken von E-Voting-Projekten:
- Risiko des Eingriffs von außen (völlig neu in dieser Intensität) – Unabhängige Wahlkommissionen und Gerichte können das Projekt fast jederzeit beenden oder wenigstens wesentlich erschweren. Ebenso können die Betroffenen, v.a. wahlwerbende Gruppen und NGOs, dem Projekt die Akzeptanz kosten – und ggf. zur Wahlwiederholung führen. So hat im April 2009 das oberste Verwaltungsgericht von Finnland die in den Gemeinden Vihti, Karkkila und Kauniainen im Oktober 2008 mittels E-Voting abgehaltenen Regionalwahlen aufgehoben und eine Wahlwiederholung angeordnet (vgl. [3]).
- Terminrisiko (nicht neu, aber hier verschärft) – Die von der Wahlordnung festgeschriebenen Termine schreiben von Anfang an die gesamte Pufferzeit (total float, vgl. [1], S. 362) vor. Ist diese aufgebraucht, sind die Termine nicht mehr erreichbar und, da eine Verschiebung denkunmöglich ist, kann die Wahl nicht rechtskonform stattfinden.
- Akzeptanz- und Vertrauensrisiko (völlig neuartig) – Sobald das Projekt das Vertrauen der Beteiligten und Betroffenen verspielt hat, ist es – auch bei technisch einwandfreiem Funktionieren – gescheitert. Über den Projekterfolg entscheidet nicht der Auftraggeber, sondern das Publikum.
Aus diesen Beobachtungen heraus können bereits wesentliche Anforderungen an das Projektmanagement für E-Voting-Projekte abgeleitet werden.
2.
Anforderungen an das Projektmanagement von E-Voting-Projekten ^
- Harte Projektspielregeln aufstellen und einhalten
- E-Voting-Projekte bedürfen – wie alle Projekte – eines professionellen und erfahrenen Projektleiters, der Technologie, Recht und Projektmanagement beherrscht. Neu ist hierbei die Forderung nach Kenntnis der Technologie und des Rechts – im «normalen Projektgeschäft» überwiegt die Forderung nach Projektmanagementkompetenz.
- Stringente Terminplanung und -überwachung von Anfang an
- Höchste Projektdisziplin und Einhaltung der aufgestellten Regeln
- Sanktionierung von Abweichlern – Nach dem Motto «Der Erste muss hängen» ist gerade wegen der geringen Machtmittel des Projektleiters die schnelle Schaffung eines Reputationseffektes erforderlich.
- Einen Generalunternehmer bzw. Alleinauftragnehmer beauftragen
- Klare Verantwortlichkeit und Haftung im Schadensfall – Bei den bisherigen E-Voting-Projekten waren im Regelfall mehrere Unternehmen mit der Umsetzung beauftragt. Ähnlich wie beim Anlagenbau empfiehlt sich hier die Beauftragung eines einzigen Unternehmers bzw. einer juristischen Person, um ggf. einen einzigen Ansprechpartner bzw. einen Prozessgegner zu haben.
- Endlose Gerichtsstreitigkeiten bei mehreren Auftragnehmern
- Mindestsolvenz – Wie die vom obersten finnischen Verwaltungsgericht angeordnete Wahlwiederholung zeigt, kann es im Zuge eines E-Voting-Projektes notwendig sein, die Wahl zu wiederholen [3]. Verfügt der Auftragnehmer – gesetzt Inanspruchnahme – nicht über die Mittel, so eine Wahlwiederholung bezahlen zu können, bleiben die Kosten beim Auftraggeber.
- Durchgängig professionelle Beratung des Auftraggebers von Anfang an
- Die technische und juristische Komplexität und Neuheit der Materie überfordert den Auftraggeber, der in der Regel lediglich über Verwaltungsbeamte verfügt, die nicht auf Vergaberecht bzw. Wahlrecht spezialisiert sind. Die in der Literatur gängigen Definitionen bürokratischen Handelns und spezialisiertem Berufsbeamtentum lassen weiters den Schluss zu, dass Beamte ohne adäquate Beratung für solche Projekte nicht qualifiziert sind (vgl. [5], S. 204 ff. sowie [6], S. 703 ff.)
- Einen renommierten Berater von der ersten Grobplanung bis zur Auftragsvergabe, der ab Auftragsvergabe zum Projektauditor wird. Dieser Rollenwechsel des Beraters bewirkt, dass der Auftragnehmer ab Auftragserteilung durch einen technisch und projektmanagementmäßig gleichwertigen Gegenpart kontrolliert werden kann. Bei Beauftragung mehrerer Berater gilt analog die Haftungsfrage wie bei mehreren Auftragnehmern.
- Mindestsolvenz – Die Aussagen über die Mindestsolvenz des Auftragnehmers treffen selbstverständlich auch auf den Berater zu, der ebenfalls für die Kosten einer etwaigen Wahlwiederholung in Anspruch genommen werden könnte.
Die Forderung nach Projektspielregeln, d.h. definiertem Vorgehen und definierten Regeln, nach denen das Projekt abgeführt wird, gilt an sich für alle Projekte. Hier kommt ihr besondere Bedeutung zu.
3.
um dem Eingriff von außen vorzubeugen ^
Wie in obiger Analyse gezeigt, ist ein wesentliches Merkmal von E-Voting-Projekten die Gefahr des Eingriffs von außen. U.E. sind folgende Maßnahmen erforderlich, um diesem Risiko angemessen zu begegnen (i.S. Einer Risikobewältigungsplanung, vgl. hierzu [1], S. 246 ff.)
- Alle rechtlichen Risiken des E-Votings überprüfen
- Datenschutzrechtliche Prüfung (samt Gutachten)
- Risiken, die sich aus der Wahlordnung ergeben, prüfen
- Prüfung durch externe Gutachter – Da E-Voting noch nicht oft bis zur letzten Instanz ausjudiziert wurde und durchaus noch als rechtliches Neuland bezeichnet werden kann, empfiehlt sich der Einsatz externer (Rechts)Gutachter. Gerade wegen der möglichen Einflussnahme von außen sollten hier auch betont kritische Juristen eingebunden werden, um auf berechtigte Einwände früh reagieren zu können.
- Frühe Miteinbeziehung und Information aller Betroffenen und Beteiligten, die eine Intervention von Wahlbehörden und Gerichten erwirken können
1. Wahlwerbende Gruppen – und zwar alle Fraktionen, da jede Parteienstellung bei einer eventuellen Wahlanfechtung hat
2. Datenschützer und NGOs, die potenziell gerichtliche oder behördliche Verfügungen erwirken können
3. Im Ausschreibungsfall: Höchst transparentes und korrektes Vergabeverfahren, bei dem jeder unterlegene Bieter nachvollziehen kann, warum er nicht zum Zug gekommen ist. Wegen des EU-Vergaberechtes kann jeder unterlegene Bieter durch Anrufung von Vergabebehörden Verzögerungen bewirken, die von Anfang an einzuplanen sind.
4.
kritische Erfolgsfaktor: Projektkommunikation ^
Aus obigem geht hervor, dass die Öffentlichkeit bzw. projektexterne Personen und Gruppen wesentlichen Einfluss auf das Projekt nehmen und den Projekterfolg wesentlich beeinflussen können. Somit kommt, im Gegensatz zu klassischen Projekten innerhalb einer Organisation, der Projektkommunikation eine besondere Bedeutung zu. Die Projektkommunikation muss deshalb in besonderem Maße Vertrauen herstellen. Das bedeutet
- Klare Kommunikation von Anfang an, wobei der Projektanfang bereits die Entwicklung des Projektauftrages bedeutet (vgl. [1], S. 77)
- Proaktive Kommunikation, d.h. kommunizieren, ehe Gerüchte entstehen und projektexterne Personen und Gruppen beunruhigt werden.
- Zielgruppenadäquate Kommunikation an wahlwerbende Gruppen, Wähler, Wahlbehörden, NGOs und an die Öffentlichkeit
Wichtig ist weiters, dass die Kommunikation über einen einzigen Sprecher erfolgt. Für Verstöße durch Projektbeteiligte sind Sanktionen vorzusehen, bei Auftragnehmern empfehlen sich in der Beauftragung festgelegte Strafzahlungen.
5.
Fazit ^
E-Voting-Projekte unterscheiden sich wesentlich von industrie- und verwaltungsüblichen IT-Projekten. Vor allem die Möglichkeit der Intervention von außen stellt Anforderungen an das Projektmanagement, die unbedingt erfüllt werden müssen. Wegen des höheren Risikos einer Wahlwiederholung und der Komplexität der Materie ist auf die Gestaltung der Verträge mit den Dienstleistern besonderes Augenmerk zu legen.
6.
Literaturverzeichnis ^
A Guide to the Project Management Body of Knowledge; Herausgeber Project Management Institute, Inc., Four Campus Boulevard, Newton Square, Pennsylvannia 19073-3299 zugleich ANSI/PMI 99-001-2004 (2004).
www.electoralcommission.org.uk/elections/pilots/May2007 (2009-04-15).
http://futurezone.orf.at/stories/1602230/ (2009-04-15).
Josef Mugler: Betriebswirtschaftslehre der Klein- und Mittelbetriebe, 3. überarbeitete Auflage, Band 1, Springer Verlag, Wien / New York 1998.
Josef E. Stiglitz: Finanzwissenschaft, übersetzt von Bruno Schönfelder, 2. Auflage (1. deutschsprachige Auflage), R. Oldenbourg Verlag München / Wien 1989.
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft – Grundriss der verstehenden Soziologie, Zweitausendeins, Frankfurt/Main 2005.
Christoph M. Eckl, Robert Müller-Török, INTECO Gesellschaft für innovative Technologien mbH, Stethaimer Straße 32-34, 84034 Landhut, DE
c.eckl@inteco.de, r.mueller-toeroek@inteco.de