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Das Beispiel E-Procurement: Interoperable Prozesse zwischen öffentlichem und privaten Sektor als aktuelle E-Government-Herausforderung

  • Author: Arthur Winter
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Procurement
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2010
  • Citation: Arthur Winter, Das Beispiel E-Procurement: Interoperable Prozesse zwischen öffentlichem und privaten Sektor als aktuelle E-Government-Herausforderung, in: Jusletter IT 1 September 2009
In Europa verschwinden zusehends die Grenzen zwischen den Mitgliedsstaaten. Ebenso werden Barrieren abgebaut, Märkte geöffnet und staatliche Leistungen für Bürger, Bürgerinnen und Unternehmen digital erbracht. Dies stellt neue Ansprüche an die öffentliche Verwaltung, besonders in Bezug auf die internationale Zusammenarbeit bei grenzüberschreitenden Kooperationen und elektronischen Verwaltungsabläufen, auch zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor. Es ist eine große Herauforderung, national etablierte Lösungen grenz- und behördenübergreifend zu standardisieren und interoperabel zu gestalten. Stakeholderbeteiligung soll hier wesentlich zur Verbesserung der Akzeptanz neuer E-Government-Anwendungen beitragen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. E-Government in Österreich
  • 2. Interoperabilität durch PEPPOL
  • 3. Zusatzziel der österreichischen Umsetzung
  • 4. Literatur

1.

E-Government in Österreich ^

[1]

E-Government ist der Enabler um staatliche Leistungen neu erbringen zu können. Im nationalen sowie im internationalen Vergleich gibt es viele unterschiedliche Ausprägungen von E-Government. Der Reifegrad von E-Government lässt sich in vier Stufen einteilen. Die erste Stufe, die in Fachkreisen auch unter der Bezeichnung «One-Stop-Shop» bekannt ist, bedeutet, dass jeder Bürger und jede Bürgerin sowie jedes Unternehmen nur einen Amtsweg für ein Anliegen tätigen muss und deshalb nicht mehr von Amt zu Amt unterwegs ist. Zur Umsetzung dieser Stufe ist Prozess-Orchestrierung [2] notwendig, sodass die Kommunikation direkt zwischen den betreffenden Ämtern erfolgt und eine «Umwege-Kommunikation» über Bürger und Bürgerinnen oder Unternehmen vermieden wird. Stufe zwei wird durch Online-Anwendungen umgesetzt. Dadurch hat jeder Bürger und jede Bürgerin sowie jedes Unternehmen die Möglichkeit, Amtswege online zu erledigen; ein Amtsbesuch wird dadurch unnötig. Motivation der dritten Stufe ist, dass Bürger, Bürgerinnen oder Unternehmen nur noch wissen müssen, was sie möchten und nicht mehr, wie sie die gewünschte Leistung erhalten können. Umgesetzt wird diese Stufe durch die Bereitstellung intelligenter Hilfesysteme, welche den Weg zur individuellen Dienstleistung weisen. Der höchste E-Government-Reifegrad, die vierte Stufe, welche auch «proaktiver Staat» oder «No-Stop-Government» genannt wird, bedeutet proaktive Leistungsbereitstellung für den Bürger, die Bürgerin bzw. das Unternehmen. Der Staat wird aufgrund von personenbezogenen Daten automatisch tätig und erbringt staatliche Leistungen unabhängig von Anträgen oder Aufforderungen seitens eines Bürgers, einer Bürgerin oder eines Unternehmens. Voraussetzungen für eine derartige Leistungserbringung sind abgestimmte Prozesse, eine verwaltungsübergreifende Kommunikation sowie interoperable Datenformate und Schnittstellen sowohl innerhalb der Verwaltung als auch zwischen «third parties» und der Verwaltung. Bei allen Bestrebungen im G2C-Bereich ist jedoch wichtig, dass herkömmliche Amtswege als Option bestehen bleiben; der «e»-Amtsweg darf auf keinen Fall «verordnet» werden. Derzeit werden verstärkt elektronische One-Stop-Shops geschaffen; an der Umsetzung von personalisierten und regionalisierten Portalen wird gearbeitet. In Österreich ist es derzeit noch eine Vision, vorausgefüllte Steuererklärungen bereitzustellen. In einigen Bereichen ist der proaktive Staat jedoch bereits umgesetzt. 2008 wurden beispielsweise ausgewählte Steuerzahler per Post proaktiv an den fälligen Steuerausgleich erinnert bzw. an die zur Abholung bereitstehende Steuer-Gutschrift. Ein weiteres Beispiel für proaktive Leistungen ist die automatische Abfrage der Stammdaten beim Zentralen Melderegister zur Adressprüfung. Diese automatische Abfrage ersetzt die Einholung des Melderegisterauszuges seitens der Bürger und Bürgerinnen.

2.

Interoperabilität durch PEPPOL ^

[2]

Interoperabilität ist die Fähigkeit von verschiedenen Systemen, Techniken oder Organisationen zur Zusammenarbeit, um Daten und Informationen auf effiziente und verwertbare Art und Weise auszutauschen1. Bisher war Interoperabilität im föderal organisierten Österreich sowie in anderen Ländern kein Problem. Jedes Unternehmen und jede Organisation agierte weitgehend für sich. Der Transfer von Daten erfolgte mit Hilfe von Formularen, die per Papier, Fax oder Telefon weitergeleitet wurden. Interoperable Schnittstellen sind jedoch die Grundvoraussetzung einer effizienten Europäisierung von IT-Verfahren. Ziel ist es, Daten so übers Internet weiterzugeben, dass Empfängersysteme diese interpretieren und verwenden können. Aktuell zu beobachten sind Trends hin zu mehr Mobilität, zur Europäisierung der Verwaltung, Mehrsprachigkeit, die Unterstützung neuer Zeichensätze (diaktrische Zeichen) sowie die Umsetzung von organisationsübergreifenden, einheitlichen E-Government-Verfahren für alle Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden). All diese Trends führen zu einer Intensivierung nationaler und internationaler Zusammenarbeit.

[3]

E-Procurement – die elektronische Beschaffung – ermöglicht die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen über das Internet. Öffentliche Stellen sind der größte Auftraggeber in der EU. Die Einkäufe in der EU werden auf rund 16% des Bruttonationalproduktes geschätzt. Im Vergleich zu anderen Branchen ist die vollelektronische und integrierte Abwicklung der Beschaffungsprozesse noch zu wenig entwickelt. Bestehende Prozesse sind mit Medienbrüchen behaftet und es fehlen einheitliche Formate, Prozesse und Rechtsvorschriften. Es ist eine Herausforderung den gemeinsamen Markt im Bereich der Abwicklung von öffentlichen Aufträgen zu stärken, zu vereinheitlichen und die Prozesse für Unternehmen und Verwaltung durch den Einsatz von elektronischen Verfahren effizienter zu gestalten. Diese Ziele wurden in einer Reihe von Deklarationen (i2010, Lissabon Agenda, Manchester Deklaration) festgeschrieben. Die Manchester Deklaration besagt beispielsweise, dass «Bis zum Jahre 2010 alle technischen Voraussetzungen geschaffen sein sollen, damit 100 % der Beschaffung elektronisch abgewickelt werden kann und 50 % der Beschaffung tatsächlich darüber abgewickelt wird». Zur Umsetzung dieser Vorgaben wurde das EU-weite Projekt PEPPOL (Pan-European Public Procurement OnLine) initiiert. Fokus dieses Projektes ist es, die national bestehenden Verfahren grenz- und behördenübergreifend zu vereinheitlichen und interoperabel zu gestalten [1]. Des Weiteren sollen Lösungen implementiert und pilothaft erprobt werden. Das Projekt gliedert sich in fünf Kernarbeitspakete. Das Hauptziel des Arbeitspakets E-Signatur ist es, eine applikationsunabhängige interoperable Lösung zur Nutzung fremder eID Signaturen zu finden. Fokus dabei ist die Prüfung der Gültigkeit der Signatur und der eID sowie die Erzeugung der Signatur. Das zweite Teilziel ist die Pilotierung eines «Virtual Company Dossier» (VCD). Das VCD ermöglicht, die gebündelte elektronische Bereitstellung jener Nachweise, die ein Bieter in einem Vergabeverfahren erbringen muss; dabei sind Dokumente und Informationen aus verschiedenen bestehenden – sowohl elektronischen als auch manuell geführten – Registern in einer konsolidierten und zwischen den EU-Mitgliedstaaten einheitlich festzulegenden Form (Datencontainer) zusammenzufassen. Hierzu müssen IT-Anwendungen mit völlig neuen Fähigkeiten entwickelt werden, die Prozesse lose und dynamisch verkoppelt [2] und damit jene Agilität besitzen, die zum Aufbrechen starrer Strukturen nötig ist, um damit alle möglichen Eventualitäten handhaben zu können. Ziele des Arbeitspakets E-Katalog sind EU-weit interoperable elektronische Kataloge. Hierzu müssen konsolidierte Standards, als Basis für das Angebot und die Bestellung für europäische Vergabeverfahren, erarbeitet werden. Wichtig ist es, verschiedene Lösungen zu definieren und zu testen, um herauszufinden, wie elektronische Kataloge zu managen sind. Herausforderung der E-Bestellung ist ein nationaler und EU-weiter barrierefreier Austausch elektronischer Bestellungen und der dazugehörigen Dokumente (Bestellbestätigungen, Versandnachrichten, etc.) zwischen öffentlichen Stellen und Lieferanten auf Basis des NES/UBL (North European Subset/Universal Business Language) Standards und den darin spezifizierten Profilen. Bestellungen sollen künftig ohne Einsatz von Papier, schnell und einfach abgewickelt werden können. Die elektronische Rechnung aktiviert Rationalisierungspotentiale in Verwaltung und Wirtschaft. Sie und andere Transaktionen wie beispielsweise die Annahme und die Ablehnung von Rechnungen sollen zwischen Regierungsstellen und Lieferanten national und EU-weit auf Basis des NES/UBL Standards ausgetauscht werden. Wichtig ist es, die bestehenden Strukturen zu hinterfragen und Vereinfachungen bzw. Optimierungen zum Aufbau interoperabler Strukturen vorzunehmen.

3.

Zusatzziel der österreichischen Umsetzung ^

[4]

Die Beteiligung von Stakeholdern bei der Entwicklung neuer E-Government-Lösungen ist ein nationales Zusatzziel von Österreich. Wichtige Stakeholder sind von Anfang an adäquat in das Projektgeschehen einzubinden. Durch diese Einbindung entsteht eine «win-win» Situation zwischen dem Projektteam und den Stakeholdern. Interessierte Stakeholder können ihre Wünsche und Bedürfnisse mitteilen und unterstützen damit das Projektteam in der Erarbeitung der Anforderungen. Im Gegenzug werden sie frühzeitig über das Projektgeschehen informiert und können aktiv an der Gestaltung der Anwendungen mitarbeiten. Die im Rahmen der PEPPOL.AT Initiative betroffenen Personen und Interessengruppen werden mittels Offline- und Online-Beteiligung ins Projektgeschehen eingebunden. Offline-Beteiligung erfolgt in so genannten Multistakeholderforen, das sind regelmäßige Treffen von Stakeholdern bzw. von Vertretern der betroffenen Interessengruppen. Hintergrund dieser Veranstaltungen ist die Präsentation des Status Quo mit anschließendem Austausch von Meinungen, Wünschen, Vorschlägen und Kritik. Die Ergebnisse der Präsensveranstaltungen werden dokumentiert und das erhaltene Feedback wird ins Projekt einbezogen. Zusätzlich zur Offline-Beteiligung wurde das Forschungsprojekt egosta gestartet, das gemeinsam mit der Universität Koblenz-Landau durchgeführt wird. Ziel ist die Entwicklung und Erprobung eines E-Partizipationswerkzeugs. Durch den Einsatz neuer Web 2.0 Technologien (Blog, Wiki, Forum, Chat, etc) wird die Zusammenarbeit wesentlich vereinfacht. Die Online-Beteiligung kann zu jeder Zeit und an jedem Ort erfolgen. Dadurch fallen hohe Reisekosten weg. Die genaue Analyse und Strukturierung der Stakeholder-Beiträge wird mit Hilfe von Knowledge Mining und Knowledge Discovery Technologien möglich. Durch egosta wird ein optimaler Wissenstransfer zwischen Stakeholdern und dem Entwicklungsteam möglich. Die Beteiligung von Stakeholdern stellt somit die Akzeptanz der entwickelten Anwendung sicher und macht die Umsetzung für alle Beteiligten transparent.

4.

Literatur ^

Makolm, J., Sonntagbauer, P., Bachkönig, C., PEPPOL-Interoperable E-Procurement in the EU. In: Makolm, J., Leitner, C., Orthofer, G., Traunmüller, R. (Hrsg) Eastern European e|Gov Days 2008: Tangible Results and New Perspectives, OCG 2008, ISBN: 978-3-85403-233-5, S. 71-78 (2008).
Janssen, M., Gortmaker, J., Wagenaar, R., Web Service Orchestration in Public Administration: Challenges, Roles, and Growth Stages. In: Information Systems Management, Taylor & Francis Group, S. 44-55 (2006).
Makolm, J., Orthofer, G., Holistic Approach, Stakeholder Integration and Trans-organisational Processes: Success Factors of FinanzOnline. In: Makolm, J., Orthofer, G. (Hrsg.) E-Taxation: State & Perspectives, E-Government in the Field of Taxation: Scientific Basis, Implementation Strategies, Good Practice Examples; Series Informatics Volume 21, Trauner Verlag, Linz, ISBN 978-3-85499-191-5, S.389-402, www.iwv.jku.at/news/taxation/ (2007).

 



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  1. 1 www.wikipedia.at.