Jusletter IT

Benutzerfreundlichkeit – Quo vadis?

  • Author: Karl Flieder
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Legal Theory
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2009
  • Citation: Karl Flieder, Benutzerfreundlichkeit – Quo vadis?, in: Jusletter IT 1 September 2009
Am Beispiel des Ersteinstiegs zur Aktivierung des Zugriffs auf das Portal FinanzOnline für die Nutzung mit der Bürgerkarte zeigen wir auf, welche Hindernisse sich einem unerfahrenen Benutzer beim erstmaligen Gebrauch von E-Government-Services in den Weg stellen können. Dabei wird deutlich, dass nicht nur kognitives Vorwissen des Benutzers eine Rolle spielt, sondern auch Verbesserungspotenziale bei der Gestaltung von Dialogschnittstellen gegeben sind. Ein Großteil der erkannten Probleme könnte durch eine konsequente Berücksichtigung von Usability-Grundsätzen in frühen Projektstadien vermieden werden. Unseren Anregungen für Verbesserungen liegt eine integrierte Betrachtung des Nutzerkontextes Aufgabe – User – System zu Grunde. Hinsichtlich der gemeinsam genutzten Technologie für die Authentifizierung („Bürgerkarte“) sollten einzelne Softwarekomponenten besser abgestimmt werden, damit sich E-Government-Services dem Benutzer einheitlich und erwartungskonform präsentieren.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Das FinanzOnline-Portal in der Praxis
  • 3. Grundsätze der Mensch-System-Interaktion
  • 4. Verbesserungsvorschläge für FinanzOnline
  • 5. Applikationsübergreifende Betrachtungen
  • 6. Fazit
  • 7. Literatur

1.

Einleitung ^

[1]

Gemäß Bauer (2007) gründet sich die Informatik als «symboltechnische» Leitdisziplin der Informationsgesellschaft auf den geisteswissenschaftlichen Säulen

  • der Algebra zur Festlegung von Zeichenkonfigurationen aus elementaren Verknüpfungsregeln,
  • der Semiotik mit ihren Prinzipien der Zusammensetzung, der bedeutungstragenden Interpretation und dem pragmatischen Gebrauch von formalen Zeichen und
  • der Automation von stereotypen Wiederholungsvorgängen.
[2]

Diese Eckpfeiler der Informatik können auch als methodischer Rahmen für die Evaluierung der Benutzerfreundlichkeit bekannter E-Government-Services, im Kontext der Bürgerkarte, herangezogen werden. Algebraische Grundlagen sind dabei die Basis für digitale Sicherheitsstandards, wie der elektronischen Signatur. Die Funktionalität Personenbindung kann als konzeptueller Bestandteil des Werkzeugs Bürgerkarte der Ebene der Semiotik zugeordnet werden. Zusammen dienen elektronische Signatur, Personenbindung und Bürgerkarte der automatisierten, eindeutigen Identifikation einer Person bei Online-Services.

[3]

In der praktischen Anwendung dieser Services kommen Mensch-Maschine-Schnittstellen zum Einsatz. Der Mensch mit all seinem Wissen und seiner Erfahrung interagiert als Anwender mit einer Softwareapplikation über Dialogschnittstellen. Die Säule der Semiotik definiert in diesem Beitrag den Bezugsrahmen für die Beurteilung der Qualität von Dialogschnittstellen. Unter Semiotik wird die Lehre von den Zeichen, ihren Bedeutungen sowie ihren Wirkungen subsumiert. Sie untergliedert sich in drei Teildisziplinen, die verschiedene Ebenen im Ausdruck und in der Äußerung durch Sprache und sprachliche Anwendungen abdecken (vgl. Zaiß et al., 2002):

  • Die Syntax beschreibt die verwendeten Symbole und deren strukturellen Aufbau (die «Grammatik») bzw. die Ebene eines voraussagbaren endlichen Entscheidungsverfahrens.
  • Die Semantik beschäftigt sich mit der Wirklichkeit und dem Denken («Bedeutungslehre») und meint im Kontext der Informatik auch die Bedeutung von Zeichenketten. Bedeutung folgt aus Verbindungen mit kognitiven Strukturen.
  • Die Pragmatik umfasst die Ebene der Kommunikation («Äußerungszusammenhänge») und untersucht die (Zeichen-)Verwendung durch den Benutzer im Zuge der Anwendung.
[4]

Da die beiden Abstraktionsstufen Syntax und Semantik in der natürlichen Sprache verschmelzen, sich beispielsweise die Zusammensetzung eines Satzes aus elementaren Zeichen nicht säuberlich in Syntax und Semantik auftrennen lässt (vgl. Hofstadter, 2004), resultiert daraus die Problematik, dass Zeichen und Zeichenketten von unterschiedlichen Menschen auch unterschiedlich interpretiert werden können. Dieses Problem betrifft alle Computersysteme und Anwendungen, so auch das Portal für in Österreich Steuerpflichtige, die Anwendung FinanzOnline (https://finanzonline.bmf.gv.at).

2.

Das FinanzOnline-Portal in der Praxis ^

[5]

Die Benutzer von E-Government-Services werden im Zuge der Mensch-System-Interaktion mit verschiedenen Dialogen und Interaktionselementen konfrontiert, die sie in der Sekunde der Interaktion «blitzartig» kognitiv zu erfassen haben, um erfolgreich weiterarbeiten zu können. Werden diese Inhalte nicht benutzergerecht – beispielsweise konsistent und erwartungskonform – aufbereitet, führt dieser Prozess zu einer kognitiven Überforderung des Benutzers. Häufig ist dem Benutzer auch die Bedeutung («Semantik») einzelner Bedienungselemente oder Dialoge nicht klar. Folglich beginnt dieser zu interpretieren und experimentiert mit Eingaben, die beim Benutzer als mentales Modell aus früheren Erfahrungen mit ähnlichen Aufgabenstellungen vorhanden sind.

[6]

Das FinanzOnline-Portal kann, was seine Bedienung mit der Bürgerkarte betrifft, nicht isoliert betrachtet werden. Inhärente funktionale Bestandteile der Bürgerkarte sind auch der «a.sign Client», der die Verbindung zwischen der a.trust Signaturkarte und FinanzOnline herstellt sowie die Client-Software «trustDeskbasic277» mit dem «Secure Viewer» zur Erzeugung einer sicheren Signatur auf dem Computer des jeweiligen Benutzers. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass sich die Benutzer ohne ausgeprägtes Fachwissen über die zugrunde liegende Technologie in die Interaktion mit der Anwendung FinanzOnline begeben werden. Im Nutzungskontext Aufgabe – User – System konzentrieren sich die Benutzer kognitiv auf ihre Aufgabe, beispielsweise die Abgabe einer Steuererklärung, und weniger auf das System mit seinen technischen Möglichkeiten. Aufgrund der Ergebnisse unserer Evaluierung vom 03.09.2008 zeigen wir im Folgenden konkrete Kritikpunkte von FinanzOnline auf, die jeweils semiotischen Teildisziplinen zugeordnet wurden:

  • Semantik. Der erste Kritikpunkt betrifft die Verwendung uneinheitlicher und damit zur Verwechslung geeigneter Bezeichnungen für das Trägermedium der Bürgerkarte beim Login: «Bürgerkarte» bzw. «Chipkarte». Mit letzterer als Überbegriff könnten die Benutzer, je nach Erfahrungshintergrund, auch ein ungeeignetes Trägermedium als geeignet erachten.
  • Syntax, Semantik und Pragmatik. Bei der Zuordnung der Bürgerkarte zur Steuernummer werden dem Benutzer fix zwei Eingabefelder angeboten, wovon allerdings nur wahlweise eines auszufüllen ist. Das erwartete Eingabeformat von Finanzamts- und Steuernummer ist zudem unterschiedlich zum Steuerbescheid. Ein entsprechender Hinweis ist leider nicht vorhanden. Die logische Bedeutung der Bindewörter «und» bzw. «oder» kann ohne Hervorhebung in der Online-Beschreibung aufgrund kognitiver Belastung bei der Interaktion mit FinanzOnline leicht übersehen werden.
  • Semantik und Pragmatik. Hat man die Eingabe der notwendigen Daten erst einmal geschafft, kann bei einzelnen Benutzern ein Zuordnungsproblem zwischen den Daten, die auf der Bürgerkarte gespeichert sind, und den beim Finanzamt vorhandenen persönlichen Daten auftreten: «Ihr Name oder Geburtsdatum stimmt nicht mit den in der Finanzverwaltung gespeicherten Daten überein», lautet die entsprechende Fehlermeldung, wenn zum Beispiel die Finanzverwaltung einen zweiten Vornamen verwendet, dieser jedoch auf der Bürgerkarte nicht gespeichert ist. Die Zusammensetzung und Verwendung der bedeutungstragenden Attribute zwischen dem Bürgerkartenkonzept und den darauf aufbauenden Applikationen scheint (noch) nicht ausreichend abgestimmt zu sein.
  • Pragmatik. In bestimmten Situationen wird – auch dem technisch unbedarften Benutzer – in der Statusleiste des Browsers angezeigt, dass das System auf einen «http-security-layer-request» wartet. Und das scheinbar ewig. Die Ursache dafür erfährt man erst nach resignierendem Schließen einiger Fenster. Im Hintergrund kommt nun ein Dialogfenster zum Vorschein, das den Weg an die Benutzeroberfläche leider nicht gefunden hat. Die Software «trustDesk» fordert darin: «Bitte stecken Sie Ihre Karte in den Kartenleser ein!». Ähnlich verhält sich diese Software, wenn der Kartenleser nicht angesteckt ist.
  • Pragmatik. Nach erfolgreicher Authentifizierung mit der Bürgerkarte kommt auf der Hauptseite von FinanzOnline der graphisch untermauerte Hinweis «E-Card jetzt aktivieren!». Eine Fallunterscheidung könnte hier bewirken, dass Benutzer, die sich gerade erfolgreich mit der Bürgerkarte authentifiziert haben, nicht unnötig aufgefordert und damit verwirrt werden.
  • Semantik. Nach erfolgreichem Login mit der Bürgerkarte erreicht man die eigentliche Funktionalität von FinanzOnline. Ist in einem der vorigen Schritte noch ein Fehlerhinweis im Hintergrund verborgen geblieben, so drängt sich nunmehr die Aufforderung zur Eingabeder Karten-PIN («Bitte geben Sie die Karten-PIN ein!») über alle offenen Anwendungen hinweg in den Vordergrund. Oftmals wird zu diesem Zeitpunkt jedoch die Eingabe des 6-stelligen Signatur-PINs gefordert, beispielsweise bei der Nutzung der Bürgerkarte im E-Banking. Aufgrund von Interpretationsproblemen, welcher PIN den nun gemeint sein könnte, trägt der ohne Zusatz nur schwer zu interpretierende Begriff «Karten-PIN» nicht zur Klärung der Situation bei. Zur Verwirrung geeignet erscheint auch die Tatsache, dass in der Fachliteratur für den Karten-PIN synonym die Begriffe Geheimhaltungs-PIN bzw. Authentifizierung-PIN verwendet werden.
[7]

Um für all diese Probleme, die in ihrer Quantität doch beträchtlich sind, Lösungen erarbeiten zu können, untersuchen wir im folgenden Kapitel zunächst Grundsätze der Mensch-System-Interaktion. Im Abschnitt 3.1 formulieren wir Vorschläge für Verbesserungen, die an diese Grundsätze angelehnt sind. Unter Punkt 3.2 regen wir ein einheitliches Bedienungskonzept für Applikationen an, die die Bürgerkarte als gemeinsame Technologie nutzen.

3.

Grundsätze der Mensch-System-Interaktion ^

[8]

Per se ist das FinanzOnline-Portal für eine sehr breite Zielgruppe, nämlich alle in Österreich Steuerpflichtigen, ausgelegt. Insofern ist auf ausgewählte Grundsätze der Mensch-System-Interaktion nach EN ISO 9241-11 besondere Rücksicht zu nehmen. Für die typische Interaktion – sich für die jährliche Steuererklärung mittels Bürgerkarte zu authentifizieren – sind demnach folgende Grundsätze von Bedeutung:

  • Unter dem Grundsatz der Aufgabenangemessenheit meint man geeignete Funktionalität und Dialoggestaltung bzw. -abfolgen, um unnötige Mensch-System-Interaktionen zu vermeiden und eine effektive und effiziente Arbeitsweise zu ermöglichen. Typische Eigenschaften sind nach Wandmacher (1993) etwa aufgabenkompatible Dialogschritte bzw. Ein- und Ausgabeformate, die Erledigung von Routineaufgaben durch das System, die Organisation der Daten oder die einfache Abrufbarkeit von Informationen und Übersichten zur Orientierung.
  • Die Selbstbeschreibungsfähigkeit adressiert die Verständlichkeit durch Hilfen und Rückmeldungen, sodass ein Benutzer jederzeit und ohne andere Mittel, wie etwa Tooltipps, mit einem System umzugehen lernt. Dieser Grundsatz inkludiert auch die Nachvollziehbarkeit von Interaktionsschritten für den Benutzer. Wandmacher (1993) nennt als Ziele dieses Grundsatzes die Qualifizierung des Benutzers durch den Erwerb von Kenntnissen über die Systemfunktionalität durch den Aufbau eines aufgabenspezifischen mentalen Modells sowie durch das Erlernen kognitiver Fähigkeiten.
  • Erwartungskonformität umfasst die Konsistenz der Benutzeroberfläche, Sprache und Dialoge sowie eine Orientierung an den Erwartungen der Benutzer. Hierzu bedarf es neben einem konsistenten Layout und eines einheitlichen Vokabulars des Systems auch eines Benutzermodells, das die für den Aufgabenkontext relevanten Merkmale wie etwa Kenntnisse aus dem Arbeitsgebiet oder über prozedurale Abläufe, der Ausbildung oder Erfahrungen des Nutzers, etc. beinhaltet. Im Regelfall erhöht sich die Erwartungskonformität erheblich, wenn man sich an Konventionen und einer konsistenten Systemgestaltung hält. Neuere Ansätze beschäftigen sich darüber hinaus mit der automatischen Adaption des Systems an den Benutzer (Personalisierung) oder an den Anwendungskontext (Kontextsensitivität).
  • Die Lernförderlichkeit bedingt, dass Benutzer in minimaler Erlernzeit ein System beherrschen bzw. sich dessen Funktionsweise einprägen und nach einem definierten Zeitraum wieder erkennen. Typische Werkzeuge zur Erreichung der Lernförderlichkeit sind zum Beispiel Hilfsassistenten oder eine «Guided Tour»-Funktion.
  • Die Steuerbarkeit zielt darauf ab, dass der Benutzer ausreichend Kontrolle über «die Geschwindigkeit des Ablaufs sowie die Auswahl und Reihenfolge von Arbeitsmittel oder Art und Umfang von Ein- und Ausgaben» (Wandmacher, 1993) hat, um erfolgreich die geforderten Aufgaben bewältigen zu können. Hierbei hilfreich sind Funktionen wie Redo und Undo, um Interaktionen zu wiederholen oder rückgängig zu machen.
  • Der Grundsatz der Fehlertoleranz verlangt eine intelligente Dialoggestaltung, sodass Fehler vermieden werden können bzw. eine einfache Korrektur durch den Benutzer möglich ist. Idealerweise werden Benutzer durch verständliche Fehlermeldungen bzw. konstruktiver Rückmeldung zur Fehlerbehebung unterstützt.
[9]

Diese sechs (der insgesamt sieben) Grundsätze der Mensch-System-Interaktion nach EN ISO 9241-11 erlauben nun, dass Verbesserungsvorschläge für das FinanzOnline-Portal, aber auch applikationsübergreifende Betrachtungen abgeleitet werden können.

4.

Verbesserungsvorschläge für FinanzOnline ^

[10]

Den Grundsätzen der Aufgabenangemessenheit und der Selbstbeschreibungsfähigkeit wäre es dienlich, den Benutzer bei der Eingabe der Finanzamts- und/oder Steuernummer derart zu unterstützen, dass nicht mehrere Versuche notwendig sind, um schrittweise auf die syntaktischen Notwendigkeiten der Dateneingabe zu kommen.

[11]

Für die Eingabe der Finanzamts- und Steuernummer werden die Benutzer in der Regel den letzten schriftlichen Steuerbescheid als Referenz zu Rate ziehen. Die dort verwendeten führenden Nullen und Trennzeichen werden von FinanzOnline nicht akzeptiert. Der entsprechende Hinweis erscheint allerdings erst nach der ersten Falscheingabe. Diese Art der Dialoggestaltung lässt weniger die Implementierung eines vorher festgelegten Modells erkennen, sondern nährt eher den Verdacht einer Stegreifprogrammierung nach dem Prinzip «Versuch und Irrtum». Ein Hinweis auf das erlaubte Eingabeformat könnte zumindest die Selbstbeschreibungsfähigkeit erhöhen.

[12]

Ein interaktives Aus- und Einblenden des optionalen Feldes nach korrekter Befüllung des ersten Textfeldes könnte zudem helfen, eine unnötige kognitive Belastung des Benutzers zu vermeiden, und ist dem Grundsatz der Fehlertoleranz zuzuordnen.

[13]

Dem Grundsatz der Steuerbarkeit folgend ist es notwendig, dass die einzelnen beteiligten Softwareprodukte so abgestimmt werden, dass auch jeder Dialog den Vordergrund erreicht. Derzeit verbleibt der Hinweis «Bitte stecken Sie Ihre Karte in den Kartenleser ein!» der Software «trustDesk» im Hintergrund versteckt, wenn man vergisst den Kartenleser anzustecken oder die Karte nicht eingelegt ist. Umgekehrt drängt sich eine Dialogbox der Anwendung FinanzOnline unbotmäßig in den Vordergrund, um eine PIN-Eingabe zu fordern.

[14]

Die Bürgerkarte verfügt über zwei unterschiedliche PINs (Personal Identification Numbers): den Karten-PIN und den Signatur-PIN. Während der Signatur-PIN applikationsübergreifend, zum Beispiel auch im E-Banking, für die elektronische Zeichnung von Transaktionen in der Software «trustDesk» einzugeben ist, wird der Karten–PIN nicht von jeder Anwendung verlangt. Zur leichteren Unterscheidung der Bedeutung (Semantik) dieser beiden PINs durch den Benutzer könnte der Zusatz «4–stelliger» (Karten-PIN) bzw. «6-stelliger» (Signatur-PIN) helfen die Interpretation zu verbessern, da sich der Mensch in bestimmten Situationen Zahlen leichter merkt als Bezeichnungen. Es ist weder derErwartungskonformität noch derLernförderlichkeit dienlich, wenn für den 4-stelligen PIN der Bürgerkarte von den Technologieanbietern im pragmatischen Gebrauch alternierend die Begriffe Karten-PIN, Geheimhaltungs-PIN oder Authentifizierungs-PIN verwendet werden. Eines der Ziele für Bürgerkarten-Anwendungen sollte daher eine konsistente Namensgebung und -verwendung sein, um eine kognitive Überbelastung des Benutzers zu vermeiden.

[15]

In Anlehnung an den Grundsatz der Fehlertoleranz wäre eine Fallunterscheidung hilfreich, aufgrund der sich Benutzer, die sich soeben mit ihrer Bürgerkarte authentifiziert haben, nicht noch einmal den Hinweis «E-Card jetzt aktivieren! » bekommen. Diese Art einer intelligenten Dialoggestaltung könnte helfen Verunsicherungen beim Benutzer zu vermeiden. Derzeit wird der Benutzer eher verwirrt, da unklar ist, ob die Authentifizierung mit der Bürgerkarte denn nun erfolgreich war oder ob diese Funktion erst aktiviert werden muss.

5.

Applikationsübergreifende Betrachtungen ^

[16]

Das Beispiel FinanzOnline zeigt, dass die Nutzung der Bürgerkarte zur Authentifizierung bei Online-Services eine applikationsübergreifende Betrachtung der Grundsätze einer Mensch-System-Interaktion notwendig macht. Diesen Gedanken diskutieren wir im Folgenden unter dem Grundsatz «Erwartungskonformität».

[17]

Erwartungskonformität knüpft am kognitiven Vorwissen des Benutzers an, das in seinem mentalen Modell nach dem Schema Wahrnehmung – Kognition – Handlung gespeichert ist (Khazaelli, 2005). Nach EN ISO 9241-11 ist ein Dialog dann erwartungskonform, wenn er konsistent ist und den Erwartungen des Benutzers, die unter anderem durch seine Kenntnisse aus dem Arbeitsgebiet, seine Ausbildung und Erfahrung sowie die allgemein anerkannten Konventionen gegeben sind, entspricht. Dieser Grundsatz bezieht sich sowohl auf die Konsistenz innerhalb von Anwendungen als auch darauf, dass ein System so funktioniert, wie es der Benutzer aufgrund seiner Erfahrung mit ähnlichen Systemen erwartet.

[18]

Angesichts komplexer Anforderungen hinsichtlich Benutzerfreundlichkeit regen wir die Entwicklung eines «visuellen Konzeptes» für Bürgerkarten-Anwendungen an, damit sich die Bedienung über die Grenzen einzelner Bürgerkarten-Anwendungen hinweg einfach, konsistent und erwartungskonform gestalten lässt. In dieses visuelle Konzept sollten Standards und Konventionen ebenso einfließen wie Aufmerksamkeits- und Gestaltgesetze. Weiters sollte versucht werden, die Probleme der Benutzer zielgruppenorientiert zu antizipieren. Vergessen sollte man auch keinesfalls auf allgemeingültige Gesetze der menschlichen Wahrnehmung, die in der Kette wahrnehmen – denken – handeln wirksam werden. Wichtige methodische Hilfestellungen könnten auch Usability-Engineering-Methoden (Holzinger, 2005) sowie Prinzipien der Gestaltpsychologie geben (Flieder & Mödritscher, 2006).

6.

Fazit ^

[19]

Durch die Zuordnung der analysierten Problempunkte zu den semiotischen Ebenen Syntax, Semantik und Pragmatik erfolgte eine Kategorisierung, der sowohl für die nachträgliche Mängelbehebung (Praxis) als auch für die vorbeugende Wissensvermittlung (Lehre) eine Bedeutung zukommt. Probleme, die der Ebene der Syntax zugeordnet werden, können mit geschlossenen Tests relativ einfach erkannt werden. Probleme, die der Ebene der Semantik zugeordnet werden, können nur durch die Einbeziehung von Benutzergruppen gelöst werden. Dem «interpretierenden» Menschen kommt hier eine ganz wesentliche Funktion im Umgang mit der Technik zu. Probleme, die der Ebene der Pragmatik zugeordnet wurden, zeigen ebenfalls eine mangelnde Ausrichtung an die Erwartungen und Bedürfnisse des Benutzers.

[20]

Eine konsistente und erwartungskonforme Systemgestaltung über die Grenzen einzelner Applikationen hinweg könnte eine Verringerung der kognitiven Belastung der Benutzer und eine Verbesserung der Benutzerzufriedenheit, Effizienz und Effektivität nach sich ziehen. Diese Maßnahme könnte aber auch dazu beitragen, die Akzeptanz der Bürgerkarte durch eine vereinheitlichte Bedienung auf breiter Ebene nachhaltig zu fördern. Per 28.2.2009 verwenden von den 2.008.000 Benutzern von FinanzOnline lediglich 17.100 die Bürgerkarte zur Authentifizierung.

7.

Literatur ^

Bauer, F.L., Kurze Geschichte der Informatik. Heinz Nixdorf Museumsforum, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn, 2007.
DIN EN ISO 9241-110, Grundsätze der Dialoggestaltung, ISO/TC159/SC4/WG5, International Organization for Standardization (ISO), 2006.
Flieder, K., Mödritscher, F., Foundations of a Pattern Language Based on Gestalt Principles. Ext. Abstracts of CHI 2006, ACM Press, 773-778.
Hofstadter, D., Gödel Escher Bach – ein Endloses Geflochtenes Band. Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 10. Auflage, 2004, 672.
Holzinger, A., Usability Engineering for Software Developers. Communications of the ACM, 48 (1), 2005, 71-74.
Khazaelli, C.D., Systemisches Design. Rowohlt Verlag, Hamburg, 2005, 244 ff.
Wandmacher, J., Software-Ergonomie, Walter de Gruyter, Berlin und New York, 1993.
Zaiß, A., Graubner, B., Ingenerf, J., Leiner, F., Lochmann, U., Schopen, M., Schrader, U. und Schulz, S., Medizinische Dokumentation, Terminologie und Linguistik. In: Lehmann, T. und Meyer zu Bexten, E. (Hrsg.): Handbuch der Medizinischen Informatik, Hanser Verlag, München und Wien, 2002, 45-103.

 



Karl Flieder, Nebenberuflicher Lektor für Angewandte Informatik an der FH JOANNEUM, Mitglied des Arbeitskreises HCI&UE der OCG; Graz, AT
eai@karlflieder.at
Felix Mödritscher, WU Wien, Wirtschaftsinformatik und Neue Medien; Wien, AT
felix.moedritscher @wu-wien.ac.at