Jusletter IT

Sachenrechtliche Implikationen des «Internet der Dinge»

  • Author: Elisabeth Staudegger
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2010
  • Citation: Elisabeth Staudegger, Sachenrechtliche Implikationen des «Internet der Dinge», in: Jusletter IT 1 September 2010
Welchen sachenrechtlichen Regelungen unterstehen Gegenstände, an denen softwaregesteuert Nutzungsrestriktionen implementiert sind? Der Beitrag will dieser Frage auf Basis des Sachenrechts des ABGB nachgehen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Problemstellung1
  • 1.1. Das «Internet der Dinge»
  • 2. Das Sachenrecht des ABGB
  • 3. Beispiele
  • 3.1. Digitale Güter
  • 3.2. Sonstige Güter
  • 4. Sonstiges
  • 5. Schlussfolgerungen
  • 6. Literatur

1.

Problemstellung1 ^

1.1.

Das «Internet der Dinge» ^

[1]

«Ubiquitous computing»1 bzw. «Internet of Things»2 «bedeutet im Allgemeinen, dass physische Objekte untereinander und mit Rechnersystemen über Internettechnologien kommunizieren können».3

[2]

Es handelt sich dabei um eine Technologie, die Gebrauchsgegenstände mit kommunizierenden datenverarbeitenden Komponenten ausstattet und so nicht nur erlaubt, den lifecycle eines Produkts zu verfolgen, sondern letztlich auch ermöglicht, dessen Nutzung faktisch zu determinieren. Das machen Prognosen wie die in der Feldafinger Studie zum «vernetzten Fahrzeug» ausgeführten4 deutlich. Glaubt man den Autoren – und es besteht kein Grund, an ihrer Seriosität zu zweifeln, ist der Stand der Technik schon aktuell geeignet, das Nutzerverhalten nicht nur beim Erwerb eines Gegenstandes festzulegen, sondern während dessen gesamten Einsatzes bis hin zur Außerdienststellung zu kontrollieren und zu reglementieren. Jedenfalls aber ist die Entwicklung softwaregesteuerter kommunizierender Produkte erklärtes Zukunftsziel, zeichnen sich dabei doch enorme Potenziale ab: «Die so erzielte «Real World Awareness» ermöglicht neben der Optimierung vielfältiger Geschäftsprozesse auch ganz neue nutzenstiftende Anwendungsmöglichkeiten. Eine unaufdringlich mit «smarter» IKT-Technik angereicherte Umgebung dient dem Menschen aber auch unmittelbar, wobei dieser durch die Umgebungsintelligenz (engl. «Ambient Intelligence») in vielfältiger Weise unterstützt und dadurch seine Sicherheit und Lebensqualität erhöht wird5 Es darf angenommen werden, dass diese Fortschritte bzw. Vorteile ihren Preis haben werden. Und es darf auch angenommen werden, dass diese Kosten die Nutzer tragen werden.

[3]

Im Folgenden soll hier der deutschen Bezeichnung «Internet der Dinge» der Vorzug gegeben werden, weil sie deutlich näher am Sachbegriff das ABGB liegt, der bekanntlich in § 285 ABGB «alles, was von der Person unterschieden ist, und zum Gebrauche der Menschen dient,» als Sache im rechtlichen Sinn und damit als Rechtssache definiert.

2.

Das Sachenrecht des ABGB ^

[4]

Das ABGB, das demnächst seinen 200. «Geburtstag» feiert, geht von einem Grundmodell aus, das entgegen späterer bei weitem restriktiverer Gesetzeswerke (wie z.B. dem deutschen BGB) großzügig alle Dinge zu Rechtssachen erklärt, die vom Menschen abgegrenzt werden können und nützlich sind. Ansatzpunkt des Sachenrechts – und letztlich Ziel im Sinne der immer wieder betonten Friedenswahrungsfunktion des Besitzes6 – ist dabei der Übergang von faktischer Sachbeherrschung zu rechtlicher, also die Überführung der faktischen Innehabung in den Rechtsbesitz und letztlich in das Eigentumsrecht. §§ 309 ff lösen die Aufgabe durch Anknüpfung an Echtheit, Redlichkeit und Rechtsmäßigkeit des Besitzes wobei je nach tatsächlicher Qualität Nutzungen abzugelten bzw. auf die Sache getätigte Aufwendungen zu ersetzen sind oder eben nicht.7 Rechtsbesitz oder doch zumindest echter redlicher Besitz ist Voraussetzung für den (gutgläubigen) Eigentumserwerb, der das stärkste Vollrecht an der Sache begründet.

[5]

Unausgesprochene Voraussetzung der juristischen Konstruktion ist, dass der, der eine Sache innehat, diese auch nutzen kann. Das war die faktische Ausgangslage, die es mit den rechtlichen Bestimmungen zu reglementieren galt. Die Vorstellung, jemand könne eine bewegliche Sache innehaben, sie aber nicht tatsächlich nutzen, war den Verfassern des ABGB fremd und konnte von ihnen mangels Relevanz der Konstellation zu Recht unberücksichtigt bleiben.8 Heute aber scheint die Technologie gerade solche Gebrauchsgegenstände zu forcieren, bei denen Innehabung und Nutzung exakt voneinander getrennt werden können. Wie passt dieses geänderte reale Umfeld zum Sachenrecht des ABGB?

3.

Beispiele ^

[6]

Die zivilrechtliche Literatur vermag aktuell (noch) keine Antworten auf die oben formulierte Frage zu geben. Das Thema ist offenbar hier noch nicht angekommen. Dabei ist der Einsatz nutzenbeschränkender Technologien bei digitalen Produkten, sog. «Software», lange schon im Einsatz und unter dem Stichwort «DRM» (Digital Rights Management) auch Objekt juristischer Diskussionen. Da in diesem Bereich aber Sonderregelungen bestehen, ist eine direkte Übernahme der dort gefundenen Lösungen ins allgemeine Sachenrecht nicht zulässig. Es gilt vielmehr, nach anderen hier einschlägigen Beispielen zu suchen. Und diese finden sich in Form der Herstellerpraxis beim Vertrieb mobiler Telefone, die zwar grundsätzlich auf jeder Funkfrequenz nutzbar wären, aber herstellerseits so determiniert werden, dass sie nur mehr in ganz bestimmten Netzen funktionieren. Die Rückführung auf die ursprüngliche Funktionalität ist zwar möglich und wird von den Herstellern meist auch (allerdings gegen Entgelt) angeboten, daneben haben sich jedoch unabhängige «Entsperrdienste» etabliert. Ist das Entsperren aber auch rechtlich zulässig?

3.1.

Digitale Güter ^

[7]

Seit geraumer Zeit werden digitale Güter wie zB Computerprogramme, Audio- und Videofiles, aber auch personenbezogene Daten, Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse, kurz Information jeglicher Art unabhängig von ihrem rechtlichen Status faktisch mit Code ausgestattet, der ihre Nutzbarkeit exakt determiniert. Dass ein solches Vorgehen zulässig ist, wurde global durch Art 11 WCT9 sichergestellt, der wie Grünberger festhält, durch RL 2001/29/EG noch übertroffen wurde.10 Für die hier interessierende Frage genügt, dazu festzuhalten, dass DRM nicht nur breit eingesetzt, sondern gesetzlich anerkannt und von den Nutzern offenbar weitgehend akzeptiert wird. Juristische Ausgangslage ist dabei, dass den starken und durch die jüngere urheberrechtliche Gesetzgebung weiter verstärkten Rechten der Rechteinhaber lediglich Schranken, Ausnahmen, freie Werknutzungen usf gegenüberstehen, denen nicht die Qualität gleichwertiger Nutzerrechte zukommt.11

[8]

In diesem Zusammenhang ist allerdings anzumerken, dass dieser Umstand – nämlich die beinahe ausschließliche Berücksichtigung der Rechtsposition des Rechteinhabers und die gleichzeitige Vernachlässigung der Nutzer in der EU-Rechtssetzung – bereits Anlass zu Aktivitäten der Kommission gegeben hat, die der aktuellen Situation gegensteuern könnten.12

3.2.

Sonstige Güter ^

[9]

Als Beispiel für Nutzungsrestriktionen an softwaregesteuerter Hardware – so könnte man die Produktgruppe des Internet der Dinge wohl kurzgefasst nennen – sind derzeit insbesondere Mobiltelefone im Gespräch, deren Einsatz auf ein bestimmtes Netz eingeschränkt wurde. Technisch erfolgt dies im Allgemeinen durch Software, was ein Entsperren relativ einfach zulässt. Die juristische Grundfrage ist hier, wieweit der Erwerb eines Gutes (damit also das Eigentumsrecht am Produkt) vom Veräußerer eingeschränkt werden darf.

[10]

Zwar hat sich der OGH mit der Praxis sowohl aus strafrechtlicher,13 als auch aus kartellrechtlicher14 und letztlich lauterkeitsrechtlicher15 Sicht mit Nutzungsbeschränkungen an Mobiltelefonen befasst, doch fehlen Aussagen zu der oben formulierten rechtlichen Grundfrage noch völlig. Allein Reindl hat sich – allerdings aus strafrechtlicher Sicht – mit der Wirkung des Eigentums am Gerät bei SIM-Locks auseinandergesetzt, sieht im Entsperren aber keine strafrechtsrelevanten Tatbestände.16

4.

Sonstiges ^

[11]

Ein Blick über die Grenze zeigt, dass sich auch der BGH bereits mit dem Thema SIM-Lock befasst hat. Er kommt zu einem Verbot des Entsperrens – allerdings mit der etwas konstruiert wirkenden Berufung auf eine Garantiefunktion der Marke.17

[12]

In den USA hatten Gerichte die Zulässigkeit softwaregesteuerter Manipulation von Druckerkartuschen zu beurteilen, die die Bindung an einen bestimmten Hersteller bewirkte. Da sich dieser auf das Urheberrecht am Code berief, wurde das Entfernen aber als zulässig erkannt: Das Urheberrecht kann nicht dafür herangezogen werden, digitale Nutzungseinschränkung an Gebrauchsgegenständen zu legitimieren.18

[13]

Diese zwei Beispiele machen eines deutlich: Von einem harmonischen Rechtsstand im Umgang mit technischen Nutzungsrestriktionen kann keine Rede sein. Die Möglichkeit, die Nutzung von Alltagsgegenständen einschränken zu können, ist zu neu, um auch nur einen Grundkonsens über deren Zulässigkeit annehmen zu dürfen. Sie steht im Spannungsverhältnis zwischen dem Eigentumsrecht des Veräußerers (das dieser in Form der Nutzbarkeit des Gutes über die Weitergabe hinaus prolongiert) und des Eigentumsrechts des Erwerbers, das mit den technischen Mitteln auf die bloße Verfügbarkeit (unter Umständen bar jeglicher Nutzbarkeit) reduziert sein kann.

[14]

Tatsache ist, dass DRM – Digital Rights Management – in seiner Bedeutung zunehmend vielschichtig wird: Es kann sich dabei um technische Verfahren zur Sicherstellung von Rechten an urheberrechtlich geschützten digitalen Werken handeln. Es kann aber auch digitales Verfahren zur Sicherung von (zB Eigentums-)rechten des Herstellers an Gebrauchsgegenständen gemeint sein. Und letztlich kann es sich um digitale Verfahren zum Management (was gleichbedeutend ist mit «Kontrolle») auch bereits veräußerter Produkte ganz unabhängig von irgendwelchen daran bestehenden Rechten handeln. Diese werden vielmehr als Faktizitäten («digital rights» in einem ganz anderen pragmatischen Sinn) erst geschaffen.

5.

Schlussfolgerungen ^

[15]

Zivilrechtliche Untersuchungen zum «Internet der Dinge» stehen derzeit noch aus. In Anbetracht des Umstandes, dass es eben jene Dinge sein werden, die uns künftig als Rechtssachen entgegentreten werden, scheint eine intensive Befassung aus zivilrechtlicher Sicht jedoch unverzichtbar. Die Erfahrungen, die aus dem Umgang mit digitalen Produkten gewonnen werden konnten, dürfen in der Diskussion nicht unberücksichtigt bleiben.

6.

Literatur ^

Bericht der Kommission vom 22. Oktober 2009, Creative Content in a European Digital Single Market: Challenges for the Future, A Reflection Document of DG INFSO and DG MARKT.
Wahlster/Raffler (Hersg.), Forschen für die Internet-Gesellschaft: Trends, Technologien, Anwendungen Trends und Handlungsempfehlungen 2008 des Feldafinger Kreises.
Grünberger, Rechtsdurchsetzungsbemühungen – Anzeichen eines Systemkollapses? inHilty/Jäger et al. (Hersg.) Geistiges Eigentum, Springer Berlin Heidelberg 1–46 (2008).
Staudegger, Phänomen Enduser License Agreements – EULAs in Bergauer/Staudegger (Hersg.), Recht und IT, Sramek Verlag Wien 151–171 (2009).

 



Elisabeth Staudegger, Privatdozentin, Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsinformatik, Universitätsstraße 15/BE, 8010 Graz, Austria
Tel.: +43 316 380 3408; Fax: +43 316 380 69 3408
E-Mail: elisabeth.staudegger@uni-graz.at
http://www.uni-graz.at/staudegger

 

  1. 1 Der Begriff geht auf Mark Weiser zurück, der die Alltäglichkeit der IKT schon 1991 vorhersehend beschreibt; vgl. dazu Weiser, The Computer for the 21st Century, Scientific American 265; eine «more final» Version findet sich unter http://www.ubiq.com/hypertext/weiser/SciAmDraft3.html (20. Januar 2010).
  2. 2 Die Bezeichnung «Internet of Things» bzw «Internet der Dinge» schreibt sich das Fraunhofer Institut zu.
  3. 3 So der Originalwortlaut der AdiWa, der «Allianz Digitaler Warenfluss», eines Projekts der Fraunhofer Instituts; vgl. http://www.sit.fraunhofer.de/projekteundthemen/Adiwa.jsp (20. Januar 2010).
  4. 4 Wahlster/Raffler (Hrsg), Forschen für die Internet-Gesellschaft: Trends, Technologien, Anwendungen Trends und Handlungsempfehlungen 2008 des Feldafinger Kreises, bekannt als Feldafinger-Studie (2008); online unter http://www.feldafinger-kreis.de/Feldafinger-Kreis_Studie_2008.pdf (20. Januar 2010).
  5. 5 Feldafinger-Studie (2008) 43.
  6. 6 Zum Grund des Besitzschutzes ausf Kodek, Die Besitzstörung (2002) 18 ff, der ebenfalls die Friedensfunktion als hM erklärt und dieser zustimmt (29 ff).
  7. 7 Vgl. insbesondere §§ 329 ff ABGB.
  8. 8 Umso bemerkenswerter ist, dass ein von jeglicher Nutzbarkeit abgelöstes Eigentumsrecht an Immobilien (das in Form der Lehen-, Erbpacht- und Erbzinsgüter geschaffene «Ober- und Nutzungseigentum») durchaus anerkannt war. Es wurde jedoch mit der Aufgabe des Lehenswesens abgeschafft, die entsprechenden Bestimmungen – §§ 357, 359 f ABGB – durch das Deregulierungsgesetz 2006 – DRG 2006 BGBl I 2006/113 aufgehoben.
  9. 9 WIPO-Urheberrechtsvertrag – Gemeinsame Erklärungen, ABl. L 89 vom 11. April 2000, S. 8–14, der von der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten kürzlich, nämlich am 14. Dezember 2009, ratifiziert wurde (http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/09/1916&forma%20t=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=de 20. Januar 2010).
  10. 10 Grünberger, Rechtsdurchsetzungsbemühungen – Anzeichen eines Systemkollapses? in Hilty/Jäger et al. (Hersg.) Geistiges Eigentum (2008) 19.
  11. 11 So ausdrücklich BGH 17.7.2008 I ZR 219/05, jusIT 2008/103, 216 (Staudegger).
  12. 12 Vgl. dazu den zusammenfassenden Bericht der Kommission vom 22. Oktober 2009, Creative Content in a European Digital Single Market: Challenges for the Future, A Reflection Document of DG INFSO and DG MARKT http://ec.europa.eu/avpolicy/docs/other_actions/col_2009/reflection_paper.pdf (20. Januar 2010).
  13. 13 OGH 11. September 2003, 14 Os 116/03, JSt 2006, 123 (Velten).
  14. 14 OGH 17. November 2003, 16 Ok 11/03, ÖBl 2004/46, 173 (Barbist).
  15. 15 OGH 14. Juli 2009, 4 Ob 101/09w, jusIT 2009/112, 225 (Staudegger).
  16. 16 Reindl, Computerstrafrecht im Überblick (2004) S. 95–98; unverändert in der zweiten Auflage aus 2009.
  17. 17 BGH 9. Juni 2004 I ZR 13/02, zustimmend Fritzsche, LMK 2005, 28.
  18. 18 Die E 387 F.3d 522 (6th Circuit) ausführlich analysierend Cohen, Copyright in a global information economy2 (2006) 634 ff.