Jusletter IT

Visualisierung juristischer Zusammenhänge mittels OWL

  • Author: Georg Schwarz
  • Category: Short Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Legal Visualisation
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2010
  • Citation: Georg Schwarz, Visualisierung juristischer Zusammenhänge mittels OWL, in: Jusletter IT 1 September 2010
Die Faktor Logik GmbH führt aktuell ein Forschungsprojekt, in dem Ansätze für eine visuell geführte (juristische) Fallbearbeitung entwickelt werden. Auf einer sogenannten «virtuellen Bühne» wird eine institutionell regulierte Fallsituation erfasst. Das System visualisiert dabei interaktiv jene Bereiche der Situation, zu denen (regelungsrelevante) Informationen ergänzt werden können. Die grafische Benutzeroberfläche soll dabei der intuitiven Vorstellung der Fallsituation entsprechen und den Benutzer durch die Fallbearbeitung führen. Bereits während der Erfassung der Fallsituation ermittelt das System, soweit möglich, die auf den Fall anwendbaren Normen sowie eine (maschinell abgeleitete) Beurteilung der bereits erfassten Situation. Die Web Ontology Language wird im Projekt als zentrale Repräsentationssprache verwendet und ermöglicht die vorgestellte Funktionalität. Anwendungsfelder unseres Ansatzes sehen wir im Bereich der Informationssysteme, in der Rechtsberatung und in der unternehmerischen Geschäftsabwicklung, insbesondere bei Versicherungsunternehmen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Die Visualisierung juristischer Zusammenhänge
  • 2.1. Annotation mittels OWL
  • 2.2. Fallsituation auf einer «virtuellen Bühne»
  • 2.3. Maschinell geführte Fallbearbeitung
  • 3. Aussicht

1.

Einleitung ^

[1]
Viele Aktivitäten und Situationen des täglichen Lebens sind durch Rechtsnormen oder sonstige institutionelle Vorschriften reguliert. Diese Regelungen sind zumeist in natürlicher Sprache und in Textform gefasst. Die Komplexität und Struktur dieser Texte ist dabei oft so groß, dass allein die Ermittlung der auf eine Situation anwendbaren Klauseln ein intensives Studium der relevanten Textwerke erfordert.
[2]

Neue semantische Repräsentationstechniken, insbesondere die Sprachfamilie der Beschreibungslogik1, schaffen das Potential, eine normativ geregelte Fallsituation auf einer «virtuellen Bühne» zu visualisieren und zu bearbeiten. Das System ermittelt dabei mittels logischer Schlussfolgerungen die anwendbaren Normen sowie eine (maschinell abgeleitete) Beurteilung der Fallsituation. Wir versprechen uns von derartigen Systemen insbesondere einen wesentlich einfacheren Zugang zu institutionellen Vorschriften.

2.

Die Visualisierung juristischer Zusammenhänge ^

2.1.

Annotation mittels OWL ^

[3]

Voraussetzung der maschinellen Verarbeitung normativer Inhalte ist deren Formalisierung. Während traditionelle Ansätze mit fallabhängigen Entscheidungsbäumen arbeiten2, versprechen die Sprachen der Beschreibungslogik eine direkte, fallunabhängige Repräsentation des Norminhalts. Der Normtext erhält dabei eine direkte Annotation (Abbildung 1 zeigt hier ein vereinfachtes Beispiel). Diese 1:1 Zuordnung vereinfacht die Verwaltung erheblich. Sobald sich Textteile eines Normenwerks inhaltlich ändern, sind lediglich die Annotationen der geänderten Normen anzupassen. Das System ermittelt automatisiert das Zusammenspiel und die Konsistenz (Widerspruchsfreiheit) der einzelnen Normen im Normenwerk.

Abbildung 1: (Vereinfachte) Annotation eines Normtextes in OWL-DL

[4]

Vor allem die Bestrebungen hinsichtlich eines Semantic Webs3 verschafften der Beschreibungslogik eine fulminante Entwicklung, so dass mit der Web Ontology Language (OWL-DL4) ein praxistaugliches Sprachmittel entstanden ist. Neben einer ausgereiften Tool-Unterstützung (Editoren, Reasoner etc.) gewährleisten die Standardisierungsbemühungen des W3C5 eine breite Akzeptanz und damit eine gute Weiterentwicklung des Sprachumfangs.

2.2.

Fallsituation auf einer «virtuellen Bühne» ^

[5]

Die in der Beschreibungslogik definierten Konzepte und Rollen repräsentieren die Begriffe des Norminhalts und dienen damit als Vokabular für dessen Beschreibung. Da diese Konzepte und Rollen in einem formalen Zusammenhang stehen, können sie als Graph visualisiert werden (siehe Abbildung 2). Diese Visualisierung ist jedoch nur ein Zwischenschritt und entspricht aus unserer Sicht nicht einer intuitiven Darstellung der Fallsituation. Um eine solche zu erreichen, bilden wir die Situation auf sogenannten «virtuelle Bühnen» ab. Eine virtuelle Bühne repräsentiert ein relevantes Verhalten oder Ereignis, an dem mehrere Objekte beteiligt sein können. In unserem Beispiel wäre das Konzept «Fahrt» ein solches Ereignis, das somit eine eigene Bühne erhält. Die teilhabenden Objekte «Kraftfahrzeug», «Verkehrsteilnehmer» und «RoteAmpel» sind gemäß ihrer Rolle auf dieser «Fahrt»-Bühne platziert (siehe Abbildung 3).

Abbildung 2: Visualisierung einer (normativ) geregelten Fallsituation als Graph

[6]

Zu beachten ist, dass auf einer solchen «virtuellen Bühne» sowohl generische Fallsituation (wie in unserem Beispiel) als auch konkrete Fallsituationen im Sinn eines Lebenssachverhalts dargestellt werden können. Die gemeinsame formale Ontologie verbindet den Lebenssachverhalt mit den generischen Fallsituationen auf einer formal logischen Ebene. Für einen erfassten Lebenssachverhalts könnten damit auch die einschlägigen Norminhalten ermittelt werden. Eine maschinell unterstützte Fallbearbeitung wäre möglich.

Abbildung 3: Darstellung der Fallsituation auf einer «virtuellen Bühne»

2.3.

Maschinell geführte Fallbearbeitung ^

[7]

In unserem Projekt «Fallnavigator» untersuchen wir diese Möglichkeiten der maschinell unterstützten Fallbearbeitung. Mit dem Fallnavigator soll ein Nutzer auf einer (oder mehreren) virtuellen Bühne(n) eine Fallsituation erfassen, zu der das System automatisiert die anwendbaren Normen (z.B. die anwendbaren Vertragsklauseln oder Paragraphen eines Gesetzes) ermittelt. Dabei signalisiert der Fallnavigator stets jene Bereiche auf der Bühne, zu denen Informationen für eine vollständige Fallbeurteilung fehlen (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4: Idee eines «Fallnavigators»

[8]

Solange Informationen fehlen, die für die Anwendbarkeit einer Norm entscheidend sind, wird diese Norm als «Evtl. Anwendbar» ausgewiesen. Erst wenn es die Informationslage zulässt, schließt das System auf deren Anwendbarkeit bzw. auf deren fehlende Anwendbarkeit. Als anwendbar klassifizierte Normen können zudem mit einer Implikation verknüpft werden, die z.B. ein (deontisch) qualifiziertes Folgeverhalten enthält. In unserem Beispiel würde ein Folgeverhalten «Anhalten» als «Geboten» oder «Verboten» klassifiziert werden.

3.

Aussicht ^

[9]

Aus unserer Sicht liegt das Potential des vorgestellten Ansatzes einerseits in einem intuitiven Zugang zu einem Normenwerk, andererseits in der relativ einfachen Pflege der formalen Repräsentation der Norminhalte. Eine Anwendung im Feld der Rechtsinformationssysteme wäre denkbar. Der Zugang zu Rechtsmaterialien in diesen Systemen wird hauptsächlich mit Volltextsuchen nach Schlüsselwörtern bewerkstelligt. Intuitiv besser ist unseres Erachtens die Erfassung einer Fallsituation, auf deren Basis das System die anwendbaren Rechtsgrundlagen und relevanten Textpassagen ermittelt.

[10]

Ein weiterer Anwendungsbereich könnte in der automatisierte Abwicklung von Geschäftsprozessen liegen, soweit diese von Normen abhängig sind. Ein Beispiel hierfür ist die Schadensregulierung im Versicherungsunternehmen, die durch Versicherungsvertragsbedingungen normativ bestimmt ist. Ein Fallnavigator könnte einen Sachbearbeiter durch eine Schadensregulierung führen, ohne dass dieser die entsprechenden Vertragsbedingungen im Detail kennen muss.

 



Georg Schwarz, Geschäftsführer, Faktor Logik GmbH
Neumarkter Str. 71, 81673 München DE
georg.schwarz@faktorlogik.dewww.faktorlogik.de

 

  1. 1 Eine ausführliche Einführung in die Beschreibungslogik bietet: Baader. F.; et. al., The Description Logic Handbook: Theory, Implementation and Applications, Cambridge University Press, 2. edition, 2007.
  2. 2 Dieser Ansatz wird gerne im Umfeld der business rules engines gewählt.
  3. 3 Berners-Lee, T; Hendler, J; Lassil, O.: The Semantic Web. In «Scientific American», 17. Mai 2001.
  4. 4 «-DL» bezeichnet einen Sprachumfang der Web Ontology Language, DL steht für «description logic» (Beschreibungslogik).
  5. 5 Wold Wide Web Consortium, http://www.w3.org.