Jusletter IT

Semantische Technologien: Ihr Einsatz in Rechts- und rechtlich relevanten Gebieten

  • Authors: Josef Makolm / Silke Weiss
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Semantic technology
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2010
  • Citation: Josef Makolm / Silke Weiss, Semantische Technologien: Ihr Einsatz in Rechts- und rechtlich relevanten Gebieten, in: Jusletter IT 1 September 2010
Die Fokus-Session über semantische Technologien gibt einen Überblick über den Einsatz semantischer Technologien bei Ausschreibungsprojekten bzw. bei der Patentsuche. Es wird zwischen Technologien basierend auf formalen Wissensrepräsentationssprachen und Technologien zur Extraktion von Semantik aus unstrukturierten bzw. semi-strukturierten Daten unterschieden. Die Beiträge behandeln den Stand der Forschungen über semantische Technologien und deren Entwicklung sowie Metadaten als Basis für semantische Serviceorchestrierung.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Ziele der Fokus-Session
  • 2. Semantische Technologien: Stand der Forschung & Visionen
  • 3. osSso: Semantische Serviceorchestrierung basierend auf einer Rechtsontologie
  • 4. Prior Art Search / Infringement Search

1.

Ziele der Fokus-Session ^

[1]

Die Session richtet sich an Forscher und Praktiker aus dem universitären, wirtschaftlichen und öffentlichen Umfeld. Ziel der Session ist es, Raum für Erfahrungs-, Ideen- und Meinungsaustausch zu bieten und die auf diesem Gebiet tätigen Wissenschafter und Praktiker zusammen zu bringen. Die Beiträge sind abgeschlossene wissenschaftliche Fragestellungen, Forschungsvorhaben, Implementierungsstrategien sowie Beispiele aus der Praxis. Organisiert wird der Workshop im Rahmen des Arbeitskreises Organisation des Forums e|Government der Österreichischen Computer Gesellschaft (OCG).

2.

Semantische Technologien: Stand der Forschung & Visionen ^

[2]

Semantische Technologien unterteilen sich grundlegend in Technologien basierend auf formalen Wissensrepräsentationssprachen und in Technologien zur Extraktion von Semantik aus unstrukturierten bzw. semi-strukturierten Daten. Ziel dieses Vortrags von Herrn Dr. Michael Granitzer und Herrn Wolfgang Kienreich vom Know-Center Graz ist es, beide Seiten darzustellen sowie deren Zusammenspiel aufzuzeigen. Neben der Diskussion der Vor- bzw. Nachteilen beider Ansätze wird insbesondere deren Potential hinsichtlich der Erschließung unstrukturierter Texte aufgezeigt. Den Abschluss bildet die Diskussion der Anwendung semantischer Technologien im Web sowie im Bereich der Rechtsinformatik.1

3.

osSso: Semantische Serviceorchestrierung basierend auf einer Rechtsontologie ^

[3]

Frau Doris Ipsmiller, Geschäftsführerin der m2n consulting and develpment gmbh präsentiert osSso, das Herzstück der österreichischen VCD-Anwendung. Das PEPPOL-VCD-Regelwerk besteht aus definierten Regeln, die die zutreffenden Rechtsvorschriften abbilden. Dieses Regelwerk wird in einer Ontologie hinterlegt. Es ist in folgenden drei Schichten aufgebaut: In derUpper-Level Ontologie werden die grundsätzlichen Konzepte wie Nachweise, Kriterien, Services, Bewerber, etc. festgelegt. Daseuropäische Regelwerk dient zur Modellierung der EU-Rechtsmaterie (EU-Richtlinie 2004/18/EC, Artikel 45, 46, und47ff). Modelliert werden die einschlägigen EU-Kriterien, die auf EU-Ebene definiert und die notwendig sind, um das Mapping zwischen den Kriterien im Sinne der EU-Richtlinie 2004/18/EC zu ermöglichen. Weiters sind im europäischen Regelwerk die in der EU möglichen Bieterstrukturen modelliert. In dennationalen Ontologien (je EU-Mitgliedstaat eine Teil-Ontologie) werden die nationalen Zusammenhänge zwischen Kriterien und Nachweisen abgebildet. Sie beschreiben somit, welche nationalen Nachweise (Dokumente und Informationen) Bewerber und Bieter zum Nachweis ihrer Eignung bzw. Qualifikation beibringen müssen. Durch das PEPPOL-VCD-Regelwerk wird erstmalig Recht in einer Ontologie modelliert, um von einem «Reasoner» im Rahmen einer von Endanwendern zu bedienenden IT-Anwendung abgearbeitet zu werden. Durch die Implementierung mit Hilfe semantischer Technologien wird die gegenseitige, EU-weite Anerkennung von Qualifikationsdokumenten unterstützt.

4.

Prior Art Search / Infringement Search ^

[4]

Herr Dipl. Ing. Gerald Landl von der voestalpine Stahl Gmbh präsentiert die Anwendung von semantischen Technologien im Rahmen von patentrechtlichen Aktivitäten. Grundlage jeder patentrechtlichen Aktivität ist ein Überblick über die jeweilige Patentsituation zu einem Thema. Je nach Anforderung, (z.B. Recherche zum Stand der Technik für Anmeldungen, Suche nach Material für Forschungsprojekte, Klärung der Schutzrechtssituation für eine freie Produktion) ist dabei der Fokus auf unterschiedliche Bereiche eines Patents zu legen. Insbesondere bei der Freedom to Operate–Recherche geht es darum, zielgenau Schutzrechte Dritter zu finden und sehr schnell abzuklären, ob möglicherweise eine Verletzung dieses Schutzrechtes mit den eigenen Produkten oder Verfahren gegeben ist. Basis dieser Recherche ist eine Liste von Patenten, die herkömmlicher Weise über eine Verknüpfung von Suchbegriffen, Firmennamen, Erfindern und Patentklassen erfolgt. Diese Listen werden dann in Übersichtslisten von Patentexperten über eine schnelle Beurteilung von Titel, Abstract und Bild weiter eingeschränkt, um die tatsächlich relevanten Dokumente zu finden. Dieser Vorgang nimmt trotz der Unterstützung mit modernen Patentdatenbanken sehr viel Zeit in Anspruch und führt in der betrieblichen Praxis zu Situationen, in denen auf Grund einer langen Recherchedauer möglicherweise die Zusage zu einer Lieferung mit einer qualifizierten Aussage zur Verletzungssituation nicht gegeben werden kann. Die Patentabteilung der voestalpine Stahl hat daher in einem Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit m2n ein System geschaffen, welches in Kombination einer semantischen Suche und der Verwendung einer graphischen Suchergebnis-Anzeige extrem große Datenmengen inhaltlich leicht erfasslich erschließt und direkt weiter bearbeitbar macht, ohne zwingend via die übliche Listenanzeige arbeiten zu müssen. Dadurch entsteht eine massive Zeitersparnis im Arbeitsablauf bei gleichzeitiger Erhöhung des Recall und der Precision. Die graphische Übersicht «verleitet» überdies die Kernzielgruppe der Forschungsingenieure zu einer «explorativen» Suche, welche zu intuitiven Ergebnissen führt, welche über die strikt zielgerichtete Suchabfrage eines Rechercheurs nicht als Treffer kommen würden, dies erhöht wiederum den innovativen Output der Forschungsabteilungen. Über die Erhöhung des Recalls werden auch bei Recherchen durch den Patentexperten Dokumente gefunden, welche sich über die herkömmliche Suche nicht erschließen können, da ein sehr häufiger Fehler in den Patentmetadaten die falsche Schreibweise von Begriffen darstellt, die teilweise auch strategisch von Anmeldern verwendet wird. Über die hohe automatische Abarbeitung gesamter Workflows ist das System zusätzlich auch in der Lage die automatische Überwachung von Rechtsständen, Patentpublikationen, etc. zu unterstützen und damit eine Überwachung von Mitbewerbern, eine so genannte competitive intelligence, zu ermöglichen. Über die Veränderung von Aktivitäten bei Firmen und in technischen Themenbereichen können Rückschlüsse auf zukünftige Marktaktivitäten gezogen werden. Automatische Alarme weisen dabei den Experten auf außergewöhnliche Veränderungen hin und geben ihm damit die Möglichkeit, gewisse Entwicklungen schon zu antizipieren und gegenüber der Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Zusätzlich führt die Einbindung von Literaturdaten und von Normen in den zu suchenden Datenbestand zu einem umfassenderen Übersicht des Standes der Technik und damit zu Dokumenten, welche über Erfolg oder Misserfolg eines Einspruchs oder einer Nichtigkeit entscheiden können und damit im extremen Fall über den Weiterbestand einer Firma.2



Josef Makolm, Abteilungsleiter, Silke Weiss, Organisatorin
Bundesministerium für Finanzen
Hintere Zollamtsstraße 4 1030 Wien
josef.makolm@bmf.gv.at ,silke.weiss@bmf.gv.at



  1. 1 Dr. Michael Granitzer, eingereichtes Abstract zur IRIS2010, noch nicht veröffentlicht.
  2. 2 Dipl. Ing. Gerald Landl, eingereichtes Abstract zur IRIS2010, noch nicht veröffentlicht.