Jusletter IT

Juristisches Zitieren in elektronischen Medien

  • Author: Margit Vetter
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Legal Informatics
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2010
  • Citation: Margit Vetter, Juristisches Zitieren in elektronischen Medien, in: Jusletter IT 1 September 2010
Die Rechtskultur des juristischen Zitierens hat sich über lange Zeit entwickelt und ist trotz des Einsatzes von elektronischen Medien noch immer für die Printwelt optimiert. Dies führt zu Qualitätsverlusten sobald Werke als elektronische Texte in Datenbanken aufgenommen werden. Im Gegensatz zu den anglo-amerikanischen Ländern, wo schon seit einiger Zeit eine «neutral citation» diskutiert wird und zum Teil auch schon umgesetzt ist, ist hierzulande dieses Problem nicht im Fokus der Wissenschaft und Praxis.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Problembeschreibung
  • 1.1. Generell
  • 1.2. Zitierung von Urteilen
  • 1.3. Daraus resultierende Probleme in elektronischen Medien aus Benutzersicht
  • 1.3.1. Suche
  • 1.3.2. Verlinkung
  • 1.3.3. Verbesserung der Qualität
  • 1.3.3.1. Verbesserung der Sortierung nach Relevanz:
  • 1.3.3.2. Kenntlichmachung von redundanten Ergebnissen:
  • 1.3.3.3. Verlinkung im Orginaldokument zu Dokumenten, die das Original zitieren:
  • 2. Lösung
  • 2.1. Medienneutrale eindeutige Zitierung von Entscheidungen
  • 2.2. Initiativen auf EU-Ebene
  • 3. Conclusio
  • 4. Literatur

1.

Problembeschreibung ^

1.1.

Generell ^

[1]

Bei der Zitierung von Urteilen, Gesetzen und juristischer Literatur gibt es eine große Bandbreite von Zitierungsmöglichkeiten. Die meisten Zitierweisen sind dahingehend optimiert, dass Benutzer mit Druckwerken und bei der Bibliotheksrecherche gut arbeiten können. Viele Informationen werden heutzutage sowohl in Print-Medien als auch in Online-Medien publiziert, immer mehr Information wird ausschließlich online veröffentlicht. Diese Informationen werden in weiteren Publikationen, sowohl in Printwerken als auch online uneinheitlich und sehr kreativ zitiert. Daraus ergeben sich erhebliche Nachteile in elektronischen Medien.

[2]

An Hand der Zitierung von Urteilen soll die Problemlage aufgezeigt werden. Die Probleme sind bei anderen Dokumenttypen anders gelagert, aber keinesfalls geringer.

1.2.

Zitierung von Urteilen ^

[3]

Die seit Jahren auf dem Markt befindlichen AZR1 und die 2009 neu erschienenen leg cit2 zeigen eine ganze Reihe von Möglichkeiten auf, wie man Urteile zitieren sollte. Die Zitierregeln lassen den Autoren von vornherein großen Spielraum, der dann auch noch mehr oder weniger regelkonform genutzt wird.

1.3.

Daraus resultierende Probleme in elektronischen Medien aus Benutzersicht ^

[4]

Die hier angeführten Probleme wurden in Interviews von Anwälten und Höchstrichtern formuliert, die im Zeitraum 1.12.2008 – 15.1.2009 als Basis für eine Master Thesis durchgeführt worden sind3 .

1.3.1.

Suche ^

[5]

Eine häufige Problemstellung in der Praxis ist, dass Benutzer irgendwo ein Urteilszitat finden und den Volltext dieses Urteils in einer Datenbank suchen. Sie stoßen dabei auf folgende Hürden4 :

  1. Die Datenbank finden, in der das zitierte Publikationsmedium des Urteils enthalten ist. In der Praxis wird abweichend von den Empfehlungen in den Zitierregeln oft auf die Anführung der Geschäftszahl verzichtet und nur eine einzige der oft mehrmaligen Veröffentlichungen eines Urteils in Zeitschriften zitiert.
  2. Die Datenbank finden, die mit diesem Zitattyp überhaupt arbeiten kann. Dies betrifft vor allem Entscheidungssammlungszitate, Rechtssatzzitate und die RIS-Nummer. Jede der am Markt befindlichen Datenbanken geht damit unterschiedlich um.
  3. Eine geeignete Suchmaske und ein geeignetes Suchfeld für das vorhandene Zitat finden. Manche Zitate funktionieren im allgemeinen Suchfeld, manche Zitate nur in einem speziellen Suchfeld für eine Geschäftszahl, das Zeitschriftenzitat oder das Rechtssatzzitat. Oft kommt es auch zu unterschiedlichen Ergebnissen, abhängig davon welches Suchfeld man verwendet hat.
  4. Die Schreibweise des Zitats finden, mit der die Datenbank arbeiten kann. Die Anbieter bieten dazu Hilfestellungen an, die die Situation für die Benutzer erleichtern, aber keinesfalls zufriedenstellend lösen.
[6]

Die Anbieter bemühen sich alle möglichst viele Varianten abzudecken. Technische Restriktionen in der verwendeten Suchmaschinensoftware oder fehlende Rechte auf Inhalte führen aber dazu, dass im Endeffekt jede Datenbank anders arbeitet. Die Anbieter leisten Hilfestellungen, denen aber wirtschaftliche und technische Grenzen gesetzt sind.

1.3.2.

Verlinkung ^

[7]

Viele Benutzer kritisieren, dass zitierte Urteile, obwohl die Volltexte im Angebot vorhanden sind, im Datenbankangebot nicht verlinkt worden sind. Verlinkt wird automatisch durch Texterkennungsmethoden. Bedingt durch die vielen Zitierungsmöglichkeiten bei Urteilen und weil Zeitschriftenzitate oft nicht eindeutig sind, ist die Erkennungsrate äußerst gering.

1.3.3.

Verbesserung der Qualität ^

[8]

Viele Benutzer fordern eine Verbesserung der Suchergebnislisten. Sie kritisieren, dass die derzeitigen Relevanz-Ranking Methoden nicht zufrieden stellend sind. Weiters würden sie sich wünschen, dass redundante Ergebnisse besser kenntlich gemacht werden um die Suchergebnislisten effizienter durcharbeiten zu können.

1.3.3.1.
Verbesserung der Sortierung nach Relevanz: ^
[9]

Eine gute Möglichkeit eine Sortierung nach Relevanz neben den derzeit angewendeten mathematischen Methoden anzubieten, wäre darauf anzustellen, ob und wie häufig ein Urteil in Kommentaren, Zeitschriftenartikeln und nachfolgenden Urteilen zitiert worden ist. Dadurch, dass ein Urteil in der Datenbank als Geschäftszahl, als Entscheidungssammlungsnummer oder als Zeitschriftenfundstelle von verschiedenen Fachzeitschriften zitiert werden kann, ist ein Ranking, das darauf aufbaut, praktisch nicht machbar.

[10]

Eine Relevanzsortierung nach Suchhäufigkeit wäre auch vorstellbar, wenn man alle Direktaufrufe eines Urteils als Kriterium heranzieht.

[11]

Voraussetzung für die Anwendung solcher Methoden ist natürlich, dass man die zu Grunde gelegten Kriterien offenlegt.

1.3.3.2.
Kenntlichmachung von redundanten Ergebnissen: ^
[12]

Die Benutzer kritisieren, dass sie oft erst nach langwierigem Durcharbeiten von Suchergebnislisten feststellen, dass sich viele Ergebnisse auf ein und dasselbe Urteil beziehen und würden sich hier Erleichterung wünschen. Mit technischen Mitteln ist es derzeit nicht möglich eindeutig zu erkennen, ob es sich um Dokumente zu ein und demselben Urteil handelt und alle in einer Suchergebnisliste als zusammengehörig zu kennzeichnen.

1.3.3.3.
Verlinkung im Orginaldokument zu Dokumenten, die das Original zitieren: ^
[13]

Technisch ist es möglich darzustellen, ob ein gefundenes Dokument anderswo später zitiert worden ist. Die Benutzer begrüßen diese Funktion, kritisieren aber, dass nicht alles dargestellt wird, was potentiell in der Datenbank vorhanden wäre.

2.

Lösung ^

2.1.

Medienneutrale eindeutige Zitierung von Entscheidungen ^

[14]
Eine Lösung der aufgezeigten Probleme könnte man durch eine medienneutrale Zitierung von Urteilen erreichen. In anglo-amerikanischen Ländern gibt es dazu schon seit längerem eine Diskussion und auch entsprechende Initiativen.
[15]

Medienneutrale Zitierungen stellen in der Regel auf folgende Elemente ab:

Entscheidungsjahr
Gericht (in abgekürzter Form)
Nummer (nicht mit Geschäftszahl identisch)
[16]

Die Absätze werden mit Randzahlen durchnummeriert, um auch längere Urteile gut zitierbar zu machen.

2.2.

Initiativen auf EU-Ebene ^

[17]

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Initiative der EU. Es gibt erste Überlegungen zur übergreifenden Suche nach nationaler Judikatur ein gemeinsames Identifikationssystem für Gerichtsentscheidungen, die so genannte «ECLI-Number»5 , einzuführen.

[18]

Sie soll folgendermaßen aussehen:

ECLI: [EU country code]:[court code]:[year of decision]:[ordinal]
zB.: «ECLI:IT:CC:2008:322» für «Italien, Corte Costituzionale 322/2008»
[19]

Die ECLI Nummer soll auf nationaler Ebene festgelegt werden und danach gemeinsam mit dem Link zur nationalen Fundstelle in ein gemeinsames Register eingetragen werden.

3.

Conclusio ^

[20]

Die Umsetzung solcher Initiativen erfordert eine gute Vorbereitung und den Willen aller Beteiligten die Kosten und die Mühen für eine solche Änderung zu tragen. Die Einführung einer medienneutralen Zitierweise von Urteilen erfordert umfangreiche Adaptierungen in den Datenbanken, bei den Dokumenterstellungsprozessen, bei den Zitiergewohnheiten jedes Einzelnen und bei den Recherchegewohnheiten jedes Anwenders.

[21]

Die Vorteile einer solchen Lösung sind nachvollziehbar, die Umsetzung erfordert aber die Koordinierung von vielen Interessenslagen.

4.

Literatur ^

Friedl, Gerhard/Loebenstein, Herbert, Abkürzungs- und Zitierregeln der österreichischen Rechtssprache und europarechtlicher Quellen6 Manz, Wien (2008).
Jahnel, Dietmar , Literatur- und Judikaturrecherche: Suche nach Fundstellenzitaten (2008), jusIT S. 113 (2008).
Jahnel, Dietmar , Veränderungen in der Zitierweise der Gerichte als Suchproblem, in: Schweighofer/Liebwald/Kreuzbauer/Menzel (Hrsg.) Informationstechnik in der juristischen Realität, Verlag Österreich, Wien, S. 303-308 (2004).
Keiler, Stephan/ Bezemek, Christoph, leg cit. Leitfaden für juristisches Zitieren. Springer, Wien (2009).
Liebwald, Doris , CASELEX: Europäisches Fallrecht und relevante nationale Rechtsprechung zum Europäischen Wirtschaftsrecht, JusIT S. 66 (2009).
Mader, Peter, RIS-Justiz: Hinweise zur erfolgreichen Judikatursuche, JusIT S. 231 (2009).
Staudegger, Elisabeth , EUR-Lex: Suche mit Nummer des Dokuments, JusIT S. 193 (2009).
Staudegger, Elisabeth , Die Celex-Nummer, JusIT S. 229 (2008).
Staudegger, Elisabeth , Suche von Entscheidungen mit Aktenzeichen bzw «Geschäftszahl», JusIT S. 33 (2008).
Stomberger, Hermann , Die neue Version der Judikaturdatenbank «RIS-Justiz», ZAK S. 11 (2009).
Tscherner, Eva., Entscheidungssuche im Europarecht - Das Auffinden von Gerichtsentscheidungen in Curia und EUR-Lex (2008), jusIT S. 147 (2008).
Tscherner, Eva, Suche von Gerichtsentscheidungen in Curia und EUR-Lex (2008), jusIT S. 151 (2008).



Margit Vetter, Rechtsinformatikerin, Oldenburggasse 13-27/97, 1230 Wien, AT
margit.vetter@hagues.info

  1. 1 Friedl, G./Loebenstein, H., Abkürzungs- und Zitierregeln der österreichischen Rechtssprache und europarechtlicher Quellen6 Manz, Wien, S. 8f (2008).
  2. 2 Keiler, S./ Bezemek, C., leg cit. Leitfaden für juristisches Zitieren. Springer, Wien (2009).
  3. 3 Vetter, M., Akzeptanz von Rechtsdatenbanken, Master Thesis an der Donau-Universität Krems, 2009.
  4. 4 Siehe dazu auchJahnel, D., Literatur- und Judikaturrecherche: Suche nach Fundstellenzitaten (2008), jusIT S. 113 (2008).
  5. 5 Siehe dazuBundeskanzleramt, Abteilung I/11, Bericht der RAG Rechtsinformatik über die Sitzung vom 3. und 4.12.2009 mit weiteren Details.