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Verträge im Netz: Agentenverhandlungen beim elektronischen Vertragsschluss

  • Author: Antje Dietrich
  • Category: Short Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Advanced Legal Informatics Systems and Applications
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2010
  • Citation: Antje Dietrich, Verträge im Netz: Agentenverhandlungen beim elektronischen Vertragsschluss, in: Jusletter IT 1 September 2010
Auch in der Internetökonomie ist die Durchführung transparenter, gerichtsfester, robuster und sicherer Informations- und Transaktionsdienste wünschenswert. Daher wird durch die Umsetzung von «Verträgen im Netz» der vollautomatisierte agentenbasierte Vertragsschluss und die persönliche Beratung durch einen elektronischen Rechtsanwalt, genannt «Rechtsmediator», auch für juristische Laien ermöglicht. Der menschliche Nutzer wird dabei durch einen Agenten vertreten, der für ihn den Vertragschluss und eine eventuell stattfindende Verhandlung über juristische Benutzerpräferenzen übernimmt.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Überblick
  • 2. Aufgabe des Agenten
  • 3. Voraussetzungen und Ablauf der Agentenverhandlung
  • 4. Automatisierte rechtliche Überprüfung im Rechtsmediator
  • 5. Zusammenfassung und Ausblick
  • 6. Literatur

1.

Überblick ^

[1]

In diesem Beitrag werden Arbeiten, die innerhalb des Projektes SESAM1 entstanden sind, vorgestellt. Innerhalb des Projektes ist der Anwendungsbereich der Energiemarkt, so dass der Focus auf dem automatisierten Abschluss von Stromverträgen liegt. Die Schwerpunkte beim automatisierten Vertragsschluss liegen dabei auf der elektronischen Rechtberatung unter Zuhilfenahme eines Rechtsmediators und auf der Umsetzung eines detaillierten Vertragsverhandlungsablaufes. Innerhalb dieses Verhandlungsprozesses mit dem Ziel des Vertragsabschlusses agieren zwei Vertragsagenten und mindestens zwei Rechtsmediatoren. Dabei kommt es bei der Vertragsverhandlung zu einem komplexen, offenen Workflow, der von seinem Ablauf her nicht vorab in allen Einzelheiten planbar ist. Innerhalb dieses Workflows werden in mehreren Iterationen die Benutzerpräferenzen, die vom Besitzer des Agenten angelegt worden sind, verhandelt. Die Bestandteile des Vertrages werden in einem Vertragscontainer gespeichert. Ein Verhandlungsergebnis wird als veränderte Annahme in den Vertragscontainer integriert und vom jeweils zuständigen Rechtsmediator überprüft und auch neu signiert, um die Beweiskraft des Vertragsschlusses zu gewährleisten. Außerdem absolvieren die verschiedenen beteiligten Rechtsmediatoren die rechtlich vorgeschriebenen Prüfschritte. Der Workflow ist beendet, wenn entweder der Vertrag zustande gekommen ist, der Vertrag(sentwurf) endgültig von einer Seite abgelehnt worden ist oder der Verhandlungsprozess nach mehreren festgelegten Iterationen beendet wird.

2.

Aufgabe des Agenten ^

[2]

Die Agenten in SESAM agieren als Vertreter des menschlichen Benutzers. Ihre Hauptaufgabe ist es den Benutzer beim Vertragsschluss zu entlasten und die Verhandlung über Vertragsbestandteile zu übernehmen. Im zugrunde liegenden Szenario der dezentralen Energieversorgung kann der Benutzer sowohl als Käufer als auch als Verkäufer auftreten. Daher ist es Aufgabe des Agenten den Benutzer bei einem spontanen Rollenwechsel zu unterstützen. Um seiner Aufgabe nachzukommen, muss der Agent die Benutzerpräferenzen und Verhandlungsstrategien des menschlichen Benutzers verwalten, die dieser zu Beginn dem Agenten übergeben kann. Diese Benutzerpräferenzen werden während des nun folgenden Vertragsschlusses genutzt und in einer eventuellen Vertragsverhandlung über einzelne Vertragsbestandteile verwendet.

[3]

Grundlagen der Agentenverhandlung sind die folgenden Aspekte: Man benötigt ein Verhandlungsobjekt in Form eines Vertragscontainers und die entsprechenden Benutzerpräferenzen. Das Verhandlungsobjekt wird initial von einem Optimierungsdienst beschafft, welcher versucht Benutzerbedarf und Angebote bestmöglich zur Deckung zu bringen.2 Ein Verhandlungsprotokoll steuert anschließend den Verhandlungsverlauf zwischen dem Agenten des Käufers und dem Agenten des Verkäufers. Durch das Verhandlungsprotokoll wird auch gesteuert, dass während des Vertragsschlusses an den relevanten Schritten eine rechtliche Prüfung durch den Rechtsmediator und gegebenenfalls die erneute Signierung erfolgt.

3.

Voraussetzungen und Ablauf der Agentenverhandlung ^

[4]

Die Benutzerpräferenzen sind vor allem juristischen Ursprungs, da die betriebswirtschaftlichen Kriterien bereits zuvor innerhalb der Optimierung des zugrunde liegenden Angebotes abgearbeitet werden. Es stehen die Benutzerpräferenzen Formstufe des Vertragspartners, bevorzugt anzuwendendes Recht, Vertragslaufzeit und Kündigungsfrist zur Auswahl.

[5]

Die Grundlage für die Verhandlung über Benutzerpräferenzen sind Ansätze aus der Possibilitätstheorie und der Fuzzy-Theorie3 . Innerhalb dieser Theorien werden die abstrakten Größen wie beispielsweise «Kündigungsfrist» in einem linguistischen System als Grundwerte bezeichnet. Diese Grundwerte müssen eindeutig und messbar sein. Am Beispiel Kündigungsfrist bedeutet dies, dass es möglich seine muss, die Kündigungsfrist durch eine Zeiteinheit eindeutig und messbar zu bestimmen. Die linguistische Wertemenge für die Kündigungsfrist umfasst beispielsweise die Ausprägungen der Grundwerte: L={lang, mittel, kurz}. Dies entspricht einer umgangssprachlichen Bezeichnung des menschlichen Benutzers. Der Zufriedenheitsgrad der einzelnen scharfen Grundwerte wird somit durch den Menschen durch unscharfe Begriffe modelliert. Diese können zum Beispiel in einer Wertetabelle unter der Verwendung von den unscharfen Begriffen: «bedeutet nicht», «bedeutet vielleicht», «bedeutet wahrscheinlich», «bedeutet sicher» dargestellt werden. Durch diese unscharfe Darstellungsweise können die individuellen subjektiven Ansichten eines Benutzers im Agenten modelliert werden. Unter diesen Voraussetzungen können im Folgenden Verhandlungen über juristische Vertragsbestandteile unter Zuhilfenahme der zuvor modellierten Benutzerpräferenzen durchgeführt werden.

[6]

Jede Verhandlung über Benutzerpräferenzen betrifft immer nur genau einen Nachfrager und genau einen Anbieter. Verständlicherweise möchte jeder Verhandlungspartner seine eigenen Interessen durchsetzen. Daher kann er in einer Benutzeroberfläche entsprechend seinen Wünschen die benutzerspezifischen Präferenzen auswählen. Diese Einstellungen der Benutzerpräferenzen des Verhandlungspartners sind dem Gegenüber der Verhandlung selbstverständlich unbekannt. Auch die Wahl der Strategie des Verhandlungspartners ist für den Gegenüber nicht voraussehbar.

[7]

Für die eigentliche Verhandlung wird der Ablauf von einem Verhandlungsprotokoll gesteuert: Die Initiierung erfolgt in unserem Beispiel durch den Stromnachfrager. Dieser übermittelt gesteuert durch seinen persönlichen Vertreter den Agenten ein vorläufiges Angebot an den Stromanbieter. Die Ablehnung, die Annahme oder auch ein Gegenangebot kann im Anschluss vom Agenten des Anbieters übermittelt werden. Die Ablehnung, die Annahme oder die Übermittlung eines neuen Gegenangebots erfolgt im Folgenden durch den Nachfrager. Die letzten beiden Schritte werden in Iterationen so lange durchgeführt bis es zu einem Ende der Verhandlung kommt. Dies kann entweder erreicht werden indem man sich einigt und ein Vertrag abgeschlossen wird, einer der Verhandlungspartner die Verhandlung als nicht aussichtsreich beendet oder wenn nach einer bestimmten Anzahl an Iterationen die Verhandlung abgebrochen wird.

[8]

Das mathematische Modell, das der Agentenverhandlung zugrunde liegt, ist ebenfalls aus der Possibilitätstheorie und Fuzzy-Theorie übernommen. Bei der Verhandlung handelt es sich um ein Constraint Satisfaction Problem (CSP), also um ein Problem der Erfüllung von bestimmten Nebenbedingungen.

[9]

Definiert wird das Problem, eine konsistente Wertezuweisung zu einer festen endlichen Menge an Variablen zu finden, so, dass alle Constraints zwischen diesen Variablen erfüllt sind. Mit Constraints können Präferenzen, aber auch Kosten und Wahrscheinlichkeiten abgebildet werden. Im vorliegenden Fall handelt es sich im engeren Sinne sogar um ein Possibilistisches Constraint Satisfaction Problem (PCSP). Dies bedeutet, dass eine Possibilitätsverteilung über die Wertezuordnung verwendet wird um somit die entsprechenden Wertezuweisungen darstellen zu können.

[10]

Während einer nun ablaufenden Vertragsverhandlung lösen beide beteiligten Agenten ein CSP: Das bedeutet, dass die Menge der Variablen, die den Vertrag beschreiben, gleich ist. Jeder Agent kann verschiedene Constraints über den Variablen haben und das Konzept des PCSP kann verwendet werden, um den Grad zu repräsentieren, mit dem die Präferenzen des einzelnen Agenten erfüllt werden. Die Kommunikation zwischen den beiden beteiligten Agenten läuft wie folgt ab: Ein Agent schlägt Zuordnungen für alle Variablen vor (bietet also einen vollständig beschriebenen Vertrag an). Der zweite Agent antwortet, indem er angibt, inwieweit er mit dieser Variablenbelegung zufrieden ist: entweder vollständig einverstanden oder teilweise einverstanden. Der zweite Agent gibt die Variablen zurück, mit deren Wertebelegung er nicht zufrieden ist und er gibt einen Zufriedenheitsgrad für jede Variablenbelegung an. Der erste Agent ändert die Wertebelegung in den Constraints, in denen die nicht akzeptierten Variablenbelegungen vorkommen, unter Berücksichtigung seiner Präferenzen und den angegebenen Zufriedenheitsgraden des zweiten Agenten. Diese Kommunikationsstrategie wiederholt sich solange, bis beide Agenten den Vertrag akzeptieren, eine Seite ihn endgültig ablehnt oder der Vertrag nach einer festgelegten Anzahl von Verhandlungsiterationen für gescheitert erklärt wird. Der Benutzer wird zum Abschluss informiert, ob und mit welchen verhandelten Präferenzen der Vertrag zustande gekommen ist.

4.

Automatisierte rechtliche Überprüfung im Rechtsmediator ^

[11]

Durch die fortwährende Überprüfung nach rechtlichen Gesichtspunkten im Rechtsmediator im Auftrag des Agenten werden Angebote überprüft. So können vor allem juristisch nicht bewanderte Marktteilnehmer bzw. deren Agenten Verträge automatisiert überprüfen lassen. Der Rechtsmediator agiert als eine Art «Persönlicher Anwalt» des Anbieters bzw. des Nachfragers. Er übernimmt die Vorprüfung des Angebotes, die Vorprüfung der Annahme und die Schlussprüfung. Die Wissensbasis für das Inferenzsystem des Rechtsmediators verfügt über sicheres Wissen, das in einer Rechtsdatenmodellontologie modelliert ist, und über eine Modellierung unbestimmter Rechtsbegriffe in einer Rechtsbegriffsontologie.4

5.

Zusammenfassung und Ausblick ^

[12]

In diesem Beitrag wurde die Umsetzung eines automatisierten agentenbasierten Vertragsschlusses am Beispiel des Abschlusses eines Stromvertrages beschrieben. Insbesondere wird der menschliche Benutzer bei den Vertragsverhandlungen von einem Agenten unterstützt. Der Benutzer kann zuvor durch die Modellierung von Benutzerpräferenzen seine Bedürfnisse einbringen. Parallel erfolgt eine automatisierte rechtliche Überprüfung in einem Rechtsmediator. Entwickelt wurde ebenso ein Modell um durch Übernahme von Ansätzen der Possibilitätstheorie die Modellierung der Benutzerpräferenzen intuitiver zu gestalten. Wünschenswert wäre eine zukünftige Übertragung auf andere Domänen.

6.

Literatur ^

Benno Biewer. Fuzzy-Methoden, Springer 1997.
A. Dietrich, P.C. Lockemann, O. Raabe. Agent Approach to Online Legal Trade. In J. Krogstie, A.L. Opdahl, S. Brinkkemper (eds.): Conceptual Modelling in Information Systems Engineering. Springer 2007, 177-194
Antje Dietrich. Automatisierte Agentengestützte Vertragsverhandlung beim Energiehandel: Online Rechtsberatung, IRIS 2007: Internationales Rechtsinformatik Symposium, Salzburg, Proceedings
Antje Dietrich. Verträge im Netz, IRIS 2006: Internationales Rechtsinformatik Symposium, Wien, Proceedings
Antje Dietrich, Markus Franke, Andreas Geyer-Schulz, Andreas Kamper, Peter Lockemann, Daniel Rolli, Hartmut Schmeck, Christof Weinhardt. Impacts of Distributed Generation from Virtual Power Plants, SDRC 2005: International Sustainable Development Research Conference, Helsinki, Proceedings



Antje Dietrich, Dipl.-Wi.-Ing., KIT Karlsruher Institut für Technologie
Institut für Programmstrukturen und Datenorganisation, Projektgruppe Verteilte Informationssysteme
Am Fasanengarten 5, 76128 Karlsruhe GE, dietrichantje@web.de

  1. 1 Die Selbstorganisation ist Gegenstand des vom BMBF geförderten Projektes «Selbstorganisation und Spontaneität in liberalisierten und harmonisierten Märkten» (SESAM). Die Arbeiten des vorliegenden Beitrags wurden teilweise unter diesem Vorhaben gefördert. Einfluss übte auch das DFG-Schwerpunktprogramm 1083 «Intelligente Softwareagenten und Betriebswirtschaftliche Anwendungsszenarien» aus.
  2. 2 Antje Dietrich, Markus Franke, Andreas Geyer-Schulz, Andreas Kamper, Peter Lockemann, Daniel Rolli, Hartmut Schmeck, Christof Weinhardt. Impacts of Distributed Generation from Virtual Power Plants, SDRC 2005: International Sustainable Development Research Conference, Helsinki, Proceedings.
  3. 3 Benno Biewer. Fuzzy-Methoden, Springer 1997.
  4. 4 A. Dietrich, P.C. Lockemann, O. Raabe. Agent Approach to Online Legal Trade. In J. Krogstie, A.L. Opdahl, S. Brinkkemper (eds.): Conceptual Modelling in Information Systems Engineering. Springer 2007, 177-194.

    Antje Dietrich. Automatisierte Agentengestützte Vertragsverhandlung beim Energiehandel: Online Rechtsberatung, IRIS 2007: Internationales Rechtsinformatik Symposium, Salzburg, Proceedings.

    Antje Dietrich. Verträge im Netz, IRIS 2006: Internationales Rechtsinformatik Symposium, Wien, Proceedings.