1.
Aufgabenstellung ^
Die Arbeit des Juristen ist zu einem wesentlichen Teil Informationsmanagement. Informationen müssen recherchiert, identifiziert, verwaltet, bewertet, beschafft, gespeichert, und aktuell gehalten werden. Dazu ist kürzlich eine gut gegliederte Anleitung in Buchform erschienen: «Juristische Informationen suchen – bewerten – beschaffen – aktualisieren» von Bernhard Bergmann, der feststellt, dass die für das Funktionieren des Rechtssystems erforderliche Informationsmenge zum einen immens ist und zum anderen auch noch ständig im Fluss. Zur Bewältigung dieser Anforderung betrachtet er die sogenannten Verheißungen und auch die Grenzen der Informationstechnik. Schon, dass eine Anleitung zum Informationsmanagement im Jahr 2007 ihrerseits in Buchform erscheint und nicht als online-Publikation, e-book oder auf USB-Stick, mag zum Nachdenken über passende Darreichungsformen anregen.
2.
Papier- und/oder elektronische Information über Gesetze ^
Gerade im juristischen Bereich findet man auch heute noch viele Argumente für die Neigung, Inhalte schwarz auf weiß zu besitzen, um sie getrost nach Hause zu tragen. Folgende Vorteile des Papierbuchs sind nicht nur Juristen geläufig:
- Ein Papier-Buch benötigt kein Lesegerät und keinen Strom.
- Es kann nicht versehentlich gelöscht werden.
- Sein Datenformat ist seit Jahrtausenden akzeptiert.
- Seine Funktionalität erhält sich bei sachgemäßer Lagerung über mehr als ein Menschenleben.
- Es bleibt freiwillig als greifbare Informationseinheit zusammen, und im Gegensatz zu Computerausdrucken ist es bereits geheftet und außen sauber beschriftet.
- Es sieht im Regal gut aus und wirkt seriös.
- Es durchläuft vor der Publikation eine Qualitätskontrolle im Verlagshaus durch Lektorat und Korrektorat.
Bekannte Nachteile , die gerade im juristischen Bereich immer wieder genannt werden, sind:
- Ein Papier-Buch hat keine Volltextrecherche.
- Es veraltet und wird nicht ohne Zutun des Nutzers bei Änderungen der Rechtslage aktualisiert.
- Sein Inhalt ist durch die Buchdeckel begrenzt und nicht vom Nutzer zu beeinflussen.
- Seine Inhalte können nicht mit Copy&Paste übernommen werden.
- Es kostet Geld, und das für Informationen, die man häufig gratis online hätte finden können.
- Es leidet beim Fotokopieren und Fotokopien sind meist qualitativ schlechter als das Original.
- Der Verlag muss eine Startauflage produzieren und verursacht damit Kosten, deren Amortisation unsicher ist.
Diese Vor- und Nachteile gelten insbesondere auch für Gesetzessammlungen. Man versucht mit Mischungen wie nachsortierbaren Loseblattwerken und Datenbankabonnements, die Nachteile zu meiden, ohne auf alle Vorteile zu verzichten.
Ein Nicht-Jurist, der sich über Gesetze informieren muss, weil sie ihn beruflich oder privat betreffen, möchte aber kein Abonnement erwerben. Er will auch nicht erst lernen, mit einer für ihn fachfremden Datenbank umzugehen, sondern blättert lieber in einem Buch. So ein Buch muss er aber im 21. Jahrhundert auch aufgrund einer online-Suche aufstöbern können. Das setzt voraus, dass man für seine Bedürfnisse die online-Recherche nach Rechtsinformationen für Nichtjuristen am besten auch «buchartig» gestaltet, also mit ausführlichen und gleichzeitig übersichtlichen Inhaltverzeichnissen sowie mit Schlagwortlisten und Vorschaufunktionen, sodass man buchähnlich nachschlagen und blättern kann und nicht gezwungen wird, computergerecht zu 'searchen' und zu 'browsen'.
3.
Projektdefinition: ein individuelles Gesetzbuch aus dem Internet ^
Diese Befunde führten zu dem Wunsch, eine «eierlegende Wollmilchsau» zu entwickeln, nämlich ein Internet-gestütztes Gesetzbuch, das inhaltlich vom Nutzer zusammengestellt wird und als gebundenes Werk für ihn individuell auf neuestem Rechtsstand bei Bedarf produziert wird. Natürlich schnell und automatisch, damit es nicht zu teuer wird und nicht veralten kann. Damit zu verbinden ist ein optionales Abonnement, um auf Stand zu bleiben.
So sieht das aktuelle online-Angebot aus: [www.gesetzbuch24.de]
Und das fertige Buch geht spätestens am nächsten Werktag zur Post.
Dazu muss eine umfassende Vorschriftendatenbank online gestellt werden. Es ist eine für Fachfremde und für Spezialisten geeignete Erschließung der Inhalte dieser Datenbank vorzuhalten. Die Recherche selbst muss anonym und kostenlos bleiben. Daran angeschlossen müssen weitere robuste Schnittstellen1 dafür sorgen, dass die ausgewählten Gesetze in einem Buch zusammengefasst werden, dessen Buchdeckel der Benutzer weitgehend selbst gestalten kann. Außerdem muss das Buch dann sofort gedruckt, gebunden und ausgeliefert werden, wofür eine vollständige automatisierte Druckerei im Dauerbetrieb vorzuhalten ist. Somit hat der Leser von Gesetzen ein richtiges Buch mit den genannten Vorteilen in der Hand.
Zu prüfen bleibt, ob die genannten Nachteile durch den Einsatz von Informationstechnologie beseitigt werden konnten:
4.
Nachteilsausgleich? ^
- Die Volltextrecherche ist nun da. Sie wird vorab in der online-Datenbank durchgeführt. Der Interessent sucht nach «seinen» Schlagworten und erhält damit eine Vorauswahl möglicherweise relevanter Vorschriften, die er dann anhand des Langtitels durch gezielte Abwahl oder durch Einschränkungen der Suchkriterien weiter verfeinern kann. Wenn der Leser zu einem späteren Zeitpunkt eine weitere Volltextsuche online durchführt, kann er diese auch dazu benutzen oder «missbrauchen», den Inhalt des bei ihm bereits vorhandenen Papierbuches zu durchforsten.
- Gegen das unbemerkte Veralten der Sammlung kann man kostenlos einen email-Pushdienst abonnieren, der individuell warnt, wenn sich der Inhalt genau des persönlichen Gesetzbuchs verändert hat. Man kann sich auch das Werk als Loseblattwerk zum Nachsortieren ausliefern lassen und sich für ein Abonnement vormerken. Aktualisierte Vorschriften erhält man dann automatisch zugesandt.
- Den Inhalt des Buchs legt der Nutzer fest, indem er aus den verfügbaren 8000 Vorschriften frei auswählt. Wenn es mehr als ein Band wird, bekommt er mehrere Bände zugeschickt, ab ca. 400 Seiten wird aufgeteilt.
- Die Inhalte können leider weiterhin nicht mit Copy&Paste übernommen werden. Diese Funktion bleibt einer eventuellen Weiterentwicklung vorbehalten, mit der zum Beispiel anstelle der Papierbücher individuelle PDF-E-books per Mail versandt werden. Selbstverständlich ist an dieser Front der Schutz vor Raubkopierern und eventuellen gewerblichen Weiterverwendern ein Thema.
- Es kostet leider auch weiterhin Geld, aber man bezahlt es für qualitätsgesicherte Rechtsinformationen mit definiertem und aktuellem Rechtsstand, die man alle selbst ausgesucht hat. Der Seitenpreis beträgt derzeit 3,9 Cent und die Grundpauschale 5 Euro.
- Fotokopieren ist verlagsseitig natürlich unerwünscht, es besteht das Angebot, mehrere Exemplare gleicher Qualität zu bestellen, zum Beispiel einen Klassensatz als Seminarunterlage.
- Der Verlag musste zwar keine Startauflage in Papier produzieren, aber die online-Plattform und die anschließende Produktionsstrecke aufbauen und testen. Insofern ist im Investitionsbereich bei diesem Erstprodukt kein Vorteil zu verzeichnen.
Die Nachteile des Papierbuches konnten also zum Teil tatsächlich ausgeglichen werden.
5.
Anwendungsbeispiele und Zielgruppen: ^
Seminare können damit last minute mit den passenden Rechtsgrundlagen ausgerüstet werden und Angehöriger seltener Berufe müssen nicht mehr überflüssige Vorschriften dazukaufen und sie in der Tasche mitschleppen, wenn sie sich über «ihr» Rechtsgebiet informieren wollen. Wer eine aktuelle Vorschriftendatenbank nutzen möchte, aber «seine» Gesetze dennoch lieber in Buchform liest, ist bei Gesetzbuch24.de richtig. Die Zielgruppe dieses neuen Angebots sind vor allem diejenigen, denen in ihrer viel zu dicken Gesetzessammlung trotzdem immer noch etwas gefehlt hat.
6.
Werkstattbericht ^
Eine gute Idee, die jedoch zur Umsetzung das Know-how mehrerer Fachabteilungen voraussetzt. Es folgt ein Überblick über die zu beachtenden Entwicklungsschritte bei der Projektrealisierung, sozusagen vom Lektorat bis zum Buchbinder, vom Werbeplaner bis zum Webdesigner.
Die Funktionsweise der Webschnittstelle www.gesetzbuch24.de war technisch und juristisch zu definieren und mit einem aufgebohrten Warenkorbsystem aufzubauen. Juristische Hintergrundinformationen mussten an die Gestalter der Webschnittstelle gehen, damit die Zielgruppen angesprochen werden können. Die Hard- und Softwareanforderungen an die Webschnittstelle waren zu ermitteln und experimentell zu bestätigen. Die Funktionsweise des tatsächlichen Produktionslaufs war zu planen und in Echtzeit umzusetzen. Sie enthält nach der erstmaligen Datenbankerstellung und Exportdefinition und nach der Fertigstellung der Templates für die PDF-Erzeugung folgende täglichen Zyklen:
Datenbankaktualisierung, Exportdurchführung, Filteranwendung zur Eliminierung von historischen und zukünftigen Textversionen, PDF-Erzeugung aus XML-Dateien, Qualitätskontrolle, PDF-Transfer auf den Webserver, Verknüpfung der PDFs mit dem Webshop- und Warenkorbsystem, Verknüpfungen der neutralen XML-Daten mit dem Webshop- und Warenkorbsystem zum Zwecke der Volltextindizierung und der Aktualisierung der Suchbäume.
Die Kommunikationswege vom und zum Kunden, von der Buchhaltung zur online-Datenbank und zurück, von der Verlagsdatenbank zur online-Datenbank, vom PDF-Generator zur Online-Datenbank und die Schnittstellen zwischen Warenkorbsystem, Benutzerverwaltung und den eigentlichen Inhalten mussten definiert und gegen unbemerkte Ausfälle gesichert werden.
Jede Anforderung einer konkreten Vorschriftensammlung durch einen angemeldeten Benutzer löst den folgenden Handlungsablauf aus:
Registrierung des Auftrags und Zuordnung im System, Bestätigungsmail an den Benutzer, Transport der gewählten Vorschriften-PDFs vom Webserver zur Druckerei mit zugeordneter Auftragsnummer, Druck, Verarbeitung als Klebebindung oder Loseblattwerk mit Ordnern, Druck von Lieferschein, Rechnung und Adressaufklebern, Verpackung, Versand, Fakturierung.
Ein Dauerthema bei einem so hoch automatisierten komplexen Prozess ist die durchgehende Qualitätssicherung ohne unvertretbare Zeitverluste. Die Personalanforderungen sind in allen Bereichen sehr hoch, weil alle einfachen Tätigkeiten – mit Ausnahme der Postzustellung – ereits vollautomatisiert sind. Die Datenbanken müssen aus Gründen der stromlinienförmigen Prozessgestaltung generell eine XML-Datenstruktur aufweisen, sodass auch alle beteiligten Mitarbeiter in diesem Datenformat zuhause sein müssen. Der Zeitrahmen für die Entwicklung betrug deutlich mehr als ein Jahr und Projektstart war nach ausgiebigem Testbetrieb im Herbst 2009.
7.
Fazit ^
Der Verlag, der dieses Angebot zusammengestellt hat, ist nun auf die Reaktionen gespannt und prüft im Echttest, ob der prognostizierte Web 2.0-Kunde tatsächlich bereit ist, für individualisierte aktuelle Fachinformationen in Buchform Geld auszugeben.
Alexander Konzelmann, Abteilungsleiter, Richard Boorberg Verlag Stuttgart, Rechtsdatenbanken
Scharrstr. 2, 70563 Stuttgart DE, a.konzelmann@boorberg.de, www.boorberg.de
- 1 Benutzerschnittstellen sollen nach ISO 9241 Teil 110 den Aufgaben angemessen, selbstbeschreibend, individualisierbar und steuerbar, fehlertolerant sowie leicht erlernbar sein und erwartungskonform reagieren.