1.
Problemstellung ^
Der Ausdruck Ubiquitous computing (UC) steht für die von Mark Weiser1 formulierte Vision, wonach in naher Zukunft sämtliche Dinge des täglichen Lebens mit Mikroprozessoren ausgestattet sein werden. Hinzu kommt zudem, dass diese Mikroprozessoren in die Dinge integriert werden, also unter die Oberfläche wandern und auf diese Weise unmerklich als Internet der Dinge (IoT) den Menschen unterstützen.2 Schon heute finden sich vereinzelt UC-Lösungen in Logistik, Verkehr, Medizin und als Ortungssysteme oder im Umweltmonitoring. In Südkorea ist mit Songdo eine Stadt in Planung, die als Schauplatz einer weitgehend mit UC-Lösungen ausgestatteten urbanen Struktur angesehen wird.
Die Realisierung von Ubiqutious computing stellt einen Paradigmenwechsel dar, technisch wie gesellschaftspoltisch, denn von nun sollen nicht nur Subjekte, sondern auch Objekte miteinander interagieren können. Als Schrittmacher für UC gilt die RFID-Technik, die für die kontaktlose Identifizierung und Lokalisierung von Gegenständen steht. RFID wird auch für die automatische Erfassung und Speicherung von Daten eingesetzt. Die Technik ermöglicht zudem berührungslose Lesevorgänge ohne direkten Sichtkontakt.
Die Allgegenwart von Informationstechnologie und der Umstand, dass diese Technologie zunehmend unsichtbar ist und lautlos agieren soll, sind für sämtliche juristischen Disziplinen eine große Herausforderung. Aus der öffentlich-rechtlichen Perspektive, stellen insbesondere Daten- und Grundrechtsschutz neue Herausforderungen dar, wobei besonderes Augenmerk auf Begriff und Definition von Privatsphäre gelegt werden wird.
DieEuropäische Kommission hat eine Mitteilung mit dem Titel «Internet der Dinge – ein Aktionsplan für Europa» veröffentlicht.3 Das Papier ist als visionärer Rahmenplan für die Zukunft Europas der Menschen und der EU gedacht. Bezüglich des Internets der Dinge, wird hier insbesondere die Bedeutung von institutioneller Bewusstseinsbildung betont, die letztlich aber darauf abstellen soll, das Internet der Dinge im ökonomischen Kontext zügig realisieren zu können.
2.
Ubiquitous computing und Demokratie ^
Rössler hat eine umfassende Abhandlung zum Wert des Privaten verfasst und dabei insbesondere die Bedeutung des autonomen Handelns und die individuelle Freiheit als Voraussetzung für Selbstbestimmung und damit als Grundprinzip liberaler Gesellschaften hervorgehoben.4 Ganz im Gegensatz dazu stehen Aussagen des Facebook-GründersMark Zuckerberg5 , der meint, soziale Netzwerke würden zeigen, dass sich die Auffassung dessen, was als privat erachtet würde, verändert habe. Tatsächlich belegen vielfältige Beobachtungen, dass Menschen für einen geringen Vorteil bereit sind, einen Teil ihrer Privatsphäre zu verkaufen, wie dies etwa bei den Kundenbindungssystemen mittels Kundenkarten bemerkbar ist.
In diesem Spannungsfeld wird die Frage der Selbstbestimmung des Menschen relevant. Es wird zu prüfen sein, wie die individuelle Autonomie durch Ubiquitous computing gefördert oder beeinträchtigt werden kann, welche Auswirkungen auf demokratische Systeme zu erwarten sind, die ihrer Konzeption nach entscheidend von der Idee der Freiheit und damit von der Autonomie und Authentizität des Subjekts geprägt sind. Es scheint eine Analyse jener Komponenten notwendig, die zur Selbstbestimmung von Personen in ubiquitären Umgebungen beitragen.6
Für die am MIT Media Lab forschendeLeah Buechley7 , die sich mitsmart clothes and wearable technologies beschäftigt, bedeutet Ubiqutious computing und Demokratie wiederum, dass jedermann Zugang zu UC-Lösungen hat – fürBuechley geht es in Demokratisierungsprozessen daher gerade um die Überwindung der digitalen Spaltung.8 Das unter ihrer Leitung geführte «LilyPad Arduino»-Projekt ist ein digitaler Werkzeugkasten, der den Bau weicher, stoffbasierter Computer ermöglichen soll, er ist so konzipiert, dass selbst Kinder mit ihm arbeiten können. Damit betrachtet sie das Design als Vermittler zwischen Technik und Anwender.
3.
Ubiquitous computing und Bewusstsein ^
Das Subjekt in ubiquitären Umgebungen wird auf eine neue und bis dahin noch nie erlebte Weise mit Maschinen verbunden. Es wird zu fragen sein, welche «mentalen Kollektive» durch technische Vernetzungen des Menschen mit dem Internet der Dinge entstehen und wie sich dadurch unsere Vorstellung vom Selbst verändert. Nicht nur in sozialen Netzwerken, durch das Sammeln von Datenbeständen und die zunehmende Interaktion und Kommunikation von Menschen und Maschinen wird sich dieser Prozess vertiefen. Zunehmend wird auch die Enhancement-Debatte relevant, die Verbesserung des Menschen mit Hilfe der Technik.Kevin Warwick9 sieht in der Wahlfreiheit des Menschen, sich mit Hilfe technischer Möglichkeiten zu verbessern, das demokratische Element der Selbstbestimmung Hier werden über demokratiepolitische Fragen hinaus aber auch ethische Aspekte relevant. Die Problematik sozialer Differenzierung, die wieder ausgehend vom Gedanken der Freiheit des Einzelnen und der Autonomie des Subjekts als Basisbaustein demokratischer Konzeptionen sozialer Gerechtigkeit betrachte werden kann, verweist zurück auf die Frage, wie sich eine demokratische Gesellschaft im Ubicomp definieren wird.
4.
Literatur ^
Marx , Garry T., Murky conceptual waters: The public and the private. Ethics and Inf. Techn.3 (3): 157-169, 2001.
Rössler , Beate., Der Wert des Privaten. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2001. Wolfgang, S., Verteidigung des Privaten. C.H. Beck, München 2007.
Sofsky , Wolfgang,., Verteidigung des Privaten, C.H. Beck, München 2007.
Warwick , Kevin, I, Cyborg, University of Illinois Press, Urbana and Chicago 2004
Weiser , Mark, The Computer for the Twenty-First Century, Scientific American, pp 94-100, September 1991.
Weiser , Mark, Some computer science problems in ubiquitous computing. Communications of the ACM, 36 (7): 75-84, Juli 1993.
Elisabeth Hödl, Lektorin, Institut für Rechtphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsinformatik an der Karl-Franzens-Universität Graz
Universitätsstraße 15/BE und C2, 8010 Graz AT; elisabeth.hoedl@uni-graz.ac.at
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Rechtsanwaltskanzlei Eisenberger&Herzog
Hilmgasse 10, 8010 Graz AT; e.hoedl@court.at
- 1 Weiser, M., The Computer for the Twenty-First Century, Scientific American, S. 94-100, September 1991.
- 2 Weiser M., Some computer science problems in ubiquitous computing. Communications of the ACM, 36 (7): 75-84, Juli 1993.
- 3 Mitteilungen der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Internet der Dinge – ein Aktionsplan für Europa. KOM (2009) 278 endg. Vgl Kollmann, K, Das «Internet of Things», Telepolis, 27.07.2009,.www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30805/1.html aufgerufen 20.01.2010.
- 4 Rössler, B., Der Wert des Privaten. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2001. Sofsky, W., Verteidigung des Privaten. C.H. Beck, München 2007.
- 5 Schwan, B., Facebook-Gründer Zuckerberg. Privatsphäre ist «überholt», taz 11.1.2010.
- 6 Vgl hier insb Marx. G.T., Murky conceptual waters: The public and the private. Ethics and Inf. Techn.3 (3): 157-169, 2001. http://web.mit.edu/gtmarx/www/garyhome.html.
- 7 http://web.media.mit.edu/~leah/publications.html aufgerufen 20.01.2010.
- 8 Vgl Leah Buechley und daswww.arduino.cc/en/Main/ArduinoBoardLilyPad aufgerufen 20.01.2010.
- 9 Warwick, K., I, Cyborg. University of Illinois Press 2004.