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Rechtsvisualisierung Quo Vadis? Von der schematisch-logischen zur szenisch-situativen Rechtsvisualisierung

  • Author: Florian Holzer
  • Category: Short Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Legal Visualisation
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2010
  • Citation: Florian Holzer, Rechtsvisualisierung Quo Vadis? Von der schematisch-logischen zur szenisch-situativen Rechtsvisualisierung, in: Jusletter IT 1 September 2010
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der schematisch-logischen und der szenisch-situativen Rechtsvisualisierung. Es wurden Unterschiede herausgearbeitet und Chancen und Risiken für den Bereich der Rechtsdidaktik begutachtet.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Allgemeines
  • 2. Schematisch-logische Rechtsvisualisierung
  • 3. Szenische-situative Rechtsvisualisierung
  • 4. Unterschiede
  • 5. Chancen und Risiken

1

1.

Allgemeines ^

[1]

Die schematisch-logische Rechtsvisualisierung2 dient dazu, Begriffe in eine Ordnung zu bringen. Die szenisch-situative Rechtsvisualisierung dient dazu, eine Situation, ihre Elemente und Relationen3 abzubilden. Bei der abstrakten szenisch-situativen Rechtsvisualisierung, die hier näher betrachtet wird, wird die Situation durch Symbole auf einer stilisierten Bühne dargestellt.

[2]

Beide Rechtsvisualisierungsmethoden werden in der Rechtswissenschaft angewandt. Das Paradebeispiel für die schematisch-logische Rechtsvisualisierung ist das Baumdiagramm.4 Das Standardbeispiel für die szenisch-situative Rechtsvisualisierung ist diejuristische Zeichnung5 , die jenen Visualisierungsmethoden ähnelt, die vor einem Jahrhundert vonPollack undHeck entwickelt wurden.6

2.

Schematisch-logische Rechtsvisualisierung ^

[3]

Bei der schematisch-logischen Rechtsvisualisierung liegt der Visualisierungszweck meist in dem didaktischen Anliegen, die hierarchische Ordnung der Begriffe eines Rechtsgebiets anschaulich kommunizieren zu können.7 Zielgruppe dieser Art der Rechtsvisualisierung sind daher in der Regel Studierende, das Hauptanwendungsgebiet liegt folglich in der Lehre.8 Obwohl insgesamt nur wenige Wissenschaftler Rechtsbilder einsetzen, kann man bezüglich dieser Art der Rechtsbilder ein relativ hohes Maß an Bildkompetenz voraussetzen. Die nach der schematisch-logischen Rechtsvisualisierung erstellten Rechtsbilder sind, bei ausreichender textueller Kommentierung, vergleichsweise einfach zu verstehende Strukturbilder9 . Dabei handelt es sich um jenen Bildtyp, der in der Rechtswissenschaft bereits am weitesten verbreitet und am ehesten akzeptiert ist.10

[4]

Visualisierungsgegenstand der schematisch-logischen Rechtsvisualisierung ist das Recht (Rechtsbegriffe, theoretische Begriffe, logisch-hierarchische Strukturen), in aller Regel jedoch nicht Tatsachen. Gestaltungsideen für die schematisch-logische Rechtsvisualisierung lassen sich durch die Stimulation mit bestehenden Rechtsbildern dieser Art (stimulative Methode11 ) gewinnen. Als Vorbilder kommen etwa die Rechtsbilder vonHilgendorf12 ,Lachmayer13 ,Triffterer14 ,Martini15 undHaft16 in Betracht.

[5]

Die Codierungsmethode beruht auf einer formalen Logik, die zwischen den Begriffsinhalten eine (meist einfache hierarchische) Ordnung herstellt.17 Nimmt man, wie in Teilen der Bildwissenschaft vermutet wird, an, dass die formale Logik der Wissenschaften häufig internen mentalen Bildern folgt,18 haben Rechtsbilder, die nach der schematisch-logische Rechtsvisualisierung erstellt wurden, theoretisch das Potential zur Explikation von internen, auf Bildern basierenden Denkstrukturen.

3.

Szenische-situative Rechtsvisualisierung ^

[6]

Auch bei der szenisch-situativen Rechtsvisualisierung liegt der Hauptanwendungszweck im Bereich des Didaktischen.19 Auch hier sind Studierende die wichtigste Zielgruppe. Da die szenisch-situative Rechtsvisualisierung auf verschiedenen Abstraktionsebenen stattfinden kann,20 kann man nicht pauschal von Bildkompetenz für diese Art der Rechtsbilder ausgehen. Den unterschiedlichen Abstraktionsebenen entsprechend kann die szenisch-situative Visualisierung von darstellenden Bildern (Fotos, Videos) über stilisierte Hybridbilder (Infografik-ähnlichen Piktogrammbilder), bis hin zu reinen symbolischen Darstellungen, die einer Schrift ähneln, jeden Bildtyp hervorbringen.

[7]

Visualisierungsgegenstand bei der szenisch-situativen Rechtsvisualisierung sind grundsätzlich Tatsachen. Ein Video eines Tathergangs etwa entspricht einer szenisch-situativen Darstellung. Das Interessante daran ist, dass durch Abstraktion, letztlich durch Symbolisierung der Elemente und Relationen einer tatsächlichen Situation, das Rechtsbild weniger als Tatsachenvisualisierung, sondern eher als Projektion von Recht angesehen werden kann. Das erscheint nachvollziehbar, wo der Tatbestand einer Norm auch als abstrakte Beschreibung tatsächlicher Geschehensabläufe verstanden werden kann. Es verdeutlicht zudem, dass die Grenzen zwischen tatsächlicher und rechtlicher sowie schematisch-logischer und szenisch-situativer Visualisierung fließend sind.

[8]

Die Gestaltungsideen zur abstrakten szenisch-situativen Rechtsvisualisierung können aufgrund der bislang geringen Anzahl an Beispielen im Grunde nur systematisch21 sein. Die Grundregel bei der systematischen Vorgehensweise lautet hier: Abstraktion des Tatsächlichen. Abstraktion bedeutet Stilisierung bis hin zur Symbolisierung. Geht man von einem Text aus, der Tatsachen beschreibt, empfiehlt es sich, in einem ersten Schritt Verräumlichungsmethoden (Mapping, Schematizing, Networking) anzuwenden.22 Dabei sind die Elemente (Personen, Sachen, Ereignisse) herauszustellen und durch symbolisierte Relationen (Handlungen), die im Text meist durch Verben repräsentiert werden, zu ergänzen. In einem nächsten Schritt werden die Elemente dann symbolisiert. Die Anordnung der Elemente sollte räumlich, zeitlich und kausal dem tatsächlichen Geschehen angepasst werden. Die genauen Codierungsschritte sind bislang nicht näher beschrieben worden und müssen erst noch herausgearbeitet werden.

4.

Unterschiede ^

[9]

Auch die theoretischen Unterschiede der beiden Methoden sind bislang kaum diskutiert worden.Lachmayer ist einer der wenigen, der sich der schematisch-logischen Visualisierung (und zwar bereits in den 1970er Jahren) intensiv gewidmet hat23 und sich auch der szenisch-situativen Rechtsvisualisierung annimmt.

[10]

Bei der szenisch-situativen Rechtsvisualisierung kann ein Rechtsbild durch die Darstellung von Inhalten mittels realistischer Bilder (Videos, Fotos, etc.), durch stilisierte ikonische Zeichen (Piktogramme) oder sogar durch Symbole generiert werden. Rechtsvisualisierung ist somit auf verschiedenen Abstraktionsebenen möglich. Das Problem der Konkretisierung durch Rechtsvisualisierung lässt sich dadurch erheblich abschwächen.24 Zudem fällt auf, dass die schematisch-logischen Rechtsbilder die theoretisch-konstruktive, begriffliche Seite des Rechts betonen und die szenisch-situativen Rechtsbilder das Recht stärker als Lösungsinstrument für soziale Konfliktfälle erscheinen lassen.25 Schematisch-logische Rechtsbilder können somit ein Mittel sein, sich die Rechtsdogmatik zu erschließen. Die szenisch-situativen Rechtsbilder sind eher ein Mittel der Rechtsanwendung.

5.

Chancen und Risiken ^

[11]

Die Chancen der schematisch-logischen Rechtsvisualisierung liegen in erster Linie in der Nutzbarmachung der Bildfunktionen26 für die Heranführung an (1) schematische Prüfstrukturen und (2) unbewusste Denkstrukturen. Die Chance der szenisch-situativen Rechtsvisualisierung liegt darin, die Bildfunktionen zur Sensibilisierung für (1) Konstellation, (2) Reziprozität und (3) zeitliche, räumliche und kausale Ordnung von Sachverhalten nutzen zu können.

[12]

Insbesondere die metaphernbasierte schematisch-logische und die auf einer Symbologie beruhende abstrakte szenisch-situative Rechtsvisualisierung bieten die Chance, dass sich die Rechtswissenschaft auf längere Sicht den aktuellen technischen Kommunikationsmöglichkeiten öffnen kann. Die durch diese Methoden generierten Rechtsbilder können nämlich auch als visuelle Benutzeroberfläche für das Recht verstanden werden. Zudem sind dreidimensionale und haptische Ausgestaltungen möglich.27

[13]

Ein Risiko bei beiden Rechtsbildtypen besteht in der Gefahr, dass sich der Kommunikationsprozess vom Sprachlichen entfernt und dadurch Sprachkompetenzen eingebüßt werden.28 Ein weiteres Risiko besteht darin, dass die Auseinandersetzung mit den Rechtsbildern von Dozenten und Studierenden ein erhebliches Maß an Zeit abverlangt. Darüber können Projekte zur visuellen Kommunikation schnell scheitern, selbst wenn bekannt ist, dass sich die Infomationsverarbeitung auf längere Sicht durch visuelle Kommunikation verschnellern kann.29



Florian Holzer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Ludwig-Maximilians-Universität München
Prof.-Huber-Platz 2, 80539 München DE
florian.holzer@jura.uni-muenchen.de;http://www.rechtsvisualisierung.net

  1. 1 Der Autor dankt Friedrich Lachmayer für die wertvollen Ratschläge und die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet.
  2. 2 Rechtsvisualisierung bezeichnet hier die Erstellung von Rechtsbildern.
  3. 3 Vgl.Haft, F. , Juristische Rhetorik, 7. Auflage, Freiburg 2007, S. 27.
  4. 4 Vgl.Röhl, K.F. , Logische Bilder im Recht, in:Butzer, H. , Organisation und Verfahren im sozialen Rechtsstaat, Festschrift für Friedrich E. Schnapp zum 70. Geburtstag, Berlin 2008, S. 816.
  5. 5 Röhl, K.F. / Ulbrich, S. , Recht anschaulich, Köln 2007, S. 148.
  6. 6 Vgl.Heck, P. , Grundriß des Schuldrechts, Tübingen 1929, S. V-VII. Vgl.Pollack, W. , Perpektive und Symbol in Philosophie und Rechtswissenschaft, Berlin 1912, S. 342ff.
  7. 7 Vgl.Garnitschnig, K. / Lachmayer, F. , Computergraphik und Rechtsdidaktik, Wien 1979, S. 10ff.
  8. 8 Vgl.Langer, T. , Die Verbildlichung der juristischen Ausbildungsliteratur, Berlin 2005, S. 24, 106.
  9. 9 Zum Begriff vgl.Sachs-Hombach, K. , Das Bild als kommunikatives Medium, Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft, 2. Auflage, Köln 2006, S. 201ff. Zur Rezeption des Begriffs in der Rechtswissenschaft sieheBoehme-Neßler, V. , Unscharfes Recht, Überlegungen zur Relativierung des Rechts in der digitalen Welt, Berlin 2008, S. 233ff. Zudem siehe auchBergmans , Visualisierung in der Rechtslehre und Rechtswissenschaft, Ein Beitrag zur Rechtsvisualisierung, Berlin 2009, S. 33ff.
  10. 10 Vgl.Röhl / Ulbrich , Recht anschaulich, S. 63.
  11. 11 Zur stimulativen Methode vgl.Brunschwig, C.R. , Visualisierung von Rechtsnormen, Legal Design, Zürich 2001, S. 83.
  12. 12 SieheHilgendorf, E. , dtv-Atlas Recht, 2. Auflage, München 2008, S. 1 und durchgehend.
  13. 13 SieheGarnitschnig / Lachmayer , S. 1 und durchgehend.
  14. 14 SieheTriffterer, O. , Optisches Strafrecht, Herne 1981, S. 1 und durchgehend.
  15. 15 SieheMartini, M. , Verwaltungsprozessrecht, 4. Auflage, 2008, S. 1 und durchgehend.
  16. 16 Das nachstehend genannte Werk von Haft war nur bis zur 8. Auflage visualisiert, sieheHaft, F. , Strafrecht Allgemeiner Teil, Eine Einführung für Anfangssemester 8. Auflage, München 1998, S. 1 und durchgehend.
  17. 17 Vgl.Bergmans , S. 35ff.
  18. 18 Zusammenfassend sieheSachs-Hombach , S. 79ff.
  19. 19 Im angelsächsischen Raum wird die szenisch-situative Rechtsvisualisierung auch zur Erstellung von Trial Graphics herangezogen.
  20. 20 Hierzu sieheRöhl, K.F. , Was ist ein Bild?, in:Dölling, D. , Jus Humanum. Festschrift Ernst Joachim Lampe zum 70. Geburtstag, Berlin 2003, S. 227-244.
  21. 21 Zur systematischen Vorgehensweise sieheBrunschwig , S. 83.
  22. 22 Zu Mapping-Techniken sieheKrapp, A. / Weidenmann, B. , Pädagogische Psychologie, 5. Auflage, Weinheim 2001, S. 176f.
  23. 23 Vgl.Garnitschnig / Lachmayer , S. 1 und durchgehend.
  24. 24 Zum Problem der Konkretisierung sieheBoehme-Neßler, V. , BilderRecht, Berlin 2010, S. 237 m.w.N..
  25. 25 Zur Frage der Fokussierung von sozialen Konfliktfällen im Recht sieheUlbrich, S. , Visuelle Rechtskommunikation, Bochum 2004, S. 209.
  26. 26 Zu den Bildfunktionen sieheUlbrich , S. 102-111. siehe auchSachs-Hombach , S. 262ff.
  27. 27 Lachmayer, F. , Multisensorisches Recht und multisensorische Rechtstheorie, beck-community / Multisensory Law,http://community.beck.de/comment/reply/29634?quote=1#comment-form , Zugriff am: 19.01.10.
  28. 28 Vgl.Knaus, T. , Kommunigrafie, Eine empirische Studie zur Bedeutung von Text und Bild in der digitalen Kommunikation, München 2009, S. 205-212.
  29. 29 Vgl.Boehme-Neßler , BilderRecht, S. 64.