1.
Einleitung und Themenstellung ^
Die Verbindung von «Recht» und «Informatik» – im Namen des vom Jubilar schon seit Jahren veranstalteten Symposions IRIS1 sogar zu dem einen Begriff «Rechtsinformatik» zusammengezogen – hat, gerade in Österreich, bereits eine jahrzehntelange Tradition.2 Soweit zu sehen, ging es bei dieser Verbindung ursprünglich vor allem um die Nutzung elektronischer Mittel zur Steigerung der Transparenz der Darstellung des Rechts3, in der Art etwa des vom Bund betriebenen «Rechtsinformationssystems»4, aber auch in Form der «Visualisierung»5. Mittlerweile scheint unter diesem Begriff aber zunehmend auch6 eine Beschäftigung mit Prozessen der elektronischen Setzung von «Recht» – aller Stufen7 bzw Arten8 und aller Phasen9 – stattzufinden.10
Dabei werden jedoch «Recht» und «Informatik» stets als zwei verschiedene Bereiche angesehen, verbunden lediglich in dem – freilich rasant zunehmenden – Ausmass, in dem sich «das Recht» der von «der Informatik» leistbaren technischen Unterstützung bedient; ist damit aber tatsächlich das Reservoir an Gemeinsamkeit erschöpft oder lässt sich diese Verbindung nicht noch tiefer – grundsätzlicher, wesensmässiger – fassen?
Ein derartiger – notwendigerweise skizzenartiger – Versuch soll im Folgenden – ausgehend von den (deutschen) Bezeichnungen der beiden hier einander gegenübergestellten (Erkenntnis-)Gegenstände11 – unternommen werden.
Dabei sei durchaus zugestanden, dass dieser Versuch bereits zu einem Zeitpunkt relativer Schwäche «des Rechts» – in dem seine Autorität gerade auch von Seiten der Informatik selbstbewusst (etwa mit dem Slogan, « code is law»12 ) herausgefordert bzw von den Folgen ihrer Anwendung in seinen Grundvoraussetzungen bedroht werden kann13 – unternommen wird.
Andererseits: unterstreicht nicht gerade diese Rivalität noch die gerade geäusserte Vermutung unter der an der Oberfläche wahrnehmbaren Antagonistik bestehender grundlegender Gemeinsamkeit?
2.1.
Erste Beobachtung ^
Zum Einstieg sei die Merkwürdigkeit konstatiert, dass jedenfalls im Deutschen beide Wissenschaften sich selbst (im Falle der Informatik) bzw ihren Gegenstand (im Falle der Rechtswissenschaft) lediglich mittels eines Adjektives («informaticus, -a, -um» bzw «recht») bezeichnen, was naturgemäss den Gegenstand selbst weniger präzise als ein Substantiv beschreibt und vielleicht schon von daher eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der zu bezeichnenden Substanz indiziert.
2.2.
Informatik ^
Für den Begriff «Informatik» ist wohl sprachlich der Begriff «Mathematik» vorbildhaft gewesen, auch dieser ursprünglich sichtlich ein Adjektiv. Während sich an diesem («mathematicus, -a, -um») aber immerhin noch klar die Ableitung vom griechischen Substantiv « mathemata» – und damit einen Bezug zu präzisem, dh sicheren Wissen14 – erkennen lässt (womit auch die prima facie gegebene semantische Leere des blossen Attributs insoferne aufgefangen wird, als mit dem jeweils Gegebensein «sicheren Wissens» auch die Frage nach dem, wovon etwas in concreto sicher gewusst werde, jeweils eo ipso beantwortet ist), verweist der dem Adjektiv «informaticus» korrespondierende lateinische Begriff «informatio» zunächst einmal lediglich auf den Vorgang einer Formung15 , ohne dass deshalb bereits evident wäre, welcher Stoff in welche Form gebracht werden solle.
Allerdings verwenden wir in unseren modernen Sprachen mittlerweile den Begriff «Information» keineswegs mehr zur Beschreibung der Formung irgendeines Stoffes in irgendeine Form, sondern für ein ganz spezifisches Produkt, nämlich für eine bestimmte, abgegrenzte Portion «Wissen» (keineswegs nur «sicherer» Qualität16 ); freilich scheint man von «Information» dennoch nur dann zu sprechen, wenn es darum geht, dass die betreffende Portion «Wissen» (wofür man durchaus auch die Begriffe «Geist», «Sinn», «Bedeutung», ja «logos», einsetzen kann) schliesslich vom Urheber irgendwohin wegtransferiert werden, also ein spezifischer Formungsvorgang zum endlichen Zwecke der externen Kommunikation stattfinden soll17 ; dies schliesst freilich vorgängige interne Prozesse der Speicherung, vor allem aber der Verarbeitung18 , nicht aus.19
Historisch hat nun die «Informatik» sich keineswegs mit sämtlichen denkbaren derartigen Formungsvorgängen befasst, sondern lediglich mit jenen, die sich einer (damals) neuen Technologie, der Automatisierung des Empfangs, der Verarbeitung und der Übermittlung von Information durch Computer, bedienten. Demgemäss lässt sich heute eine engere Auffassung von «Informatik» – bei der die Bindung an den elektronischen Modus eine wesentliche, ab- bzw eingrenzende Rolle spielt – und eine weitere, modusneutrale, unterscheiden.20 Diese Zweigliedrigkeit teilt die Informatik übrigens mit ihrem Schatten, dem ursprünglich geradewegs zur Abwehr nur der besonderen, von der automationsunterstützten Datenverarbeitung ausgehenden Gefahren entwickelten, mittlerweile aber auch ausserhalb Österreichs in gleicher Weise auch «konventionelle» Daten einbeziehenden «Datenschutz».21
Dieser im «Datenschutz» tragende – und, nach dem Gesagten, den Begriff der «Information» spiegelnde – Begriff eines «Datum» – in § 4 Z 1 DSG 2000 übersetzend definiert als «Angabe» – bestätigt im übrigen den obigen angeführten Befund, insoferne, als ja auch sowohl der passivische Ausdruck des «Gegebenen» wie der aktivische einer «Angabe» semantisch eine kommunikative Dimension voraussetzen, nämlich zumindest einen «Geber» und einen «Empfänger» der betreffenden «Angabe» (des «Datum»).22
«Informatik» beschäftigt sich mit der Formung von (zumindest im Grundsatz bereits vorhandenem) «Wissen» – ohne Restriktion auf mit Prädikaten wie «sicher», «wahr» oder «gut» versehene Mengen, ja sogar unter Abstandnahme von einer derartigen Bewertung – zum Zwecke seiner Kommunikation; eine Einschränkung auf den Modus elektronischer Kommunikation mag sich – aus historischen oder sonstigen – Rücksichten empfehlen, ist aber nicht zwingend, etwa aus der Natur der Sache heraus, erforderlich.
2.3.
Recht ^
Der deutsche Begriff «recht»23 beinhaltet zunächst einmal nichts anderes als ein – positives – Urteil betreffend Übereinstimmung (Identität) eines bestimmten, konkreten Sachverhaltes mit einem allgemeinen Massstab; beigefügt wird das Attribut «recht» allerdings nicht dem Massstab, sondern dem konkreten Sachverhalt.24
Vorausgesetzt ist dabei naturgemäss die in concreto gegebene Relevanz des herangezogenen Massstabes (der «Norm» im ursprünglichen Sinne). Liegt die Relevanz in der (unterstellten) realen Existenz der Norm, dann impliziert das unmittelbar lediglich in Bezug auf den beurteilten Sachverhalt getroffene Identitätsurteil zugleich auch, in Bezug auf den angewandten Massstab, ein – positives – Existenzurteil. Liegt die Relevanz allerdings – alternativ25 oder kumulativ26 – in der positiven Bewertung des Massstabes, dann impliziert das besagte Identitätsurteil zugleich auch, in Bezug auf den angewandten Massstab, ein – positives – Qualitätsurteil.
Ein Urteil ist aber wiederum, seiner Struktur nach, eine Aussage; eine Aussage freilich, die einen spezifischen Anspruch erhebt, nämlich den, «wahr»27 zu sein, dh zu «gelten». Eben diese Struktur ist nun auch durch die Substantivierung des ursprünglichen Attributes «recht» in «Recht» – und ihre dabei erfolgte Übertragung auf den allgemeinen Massstab, statt auf den konkreten Sachverhalt28 , dh auf den zuvor lediglich implizit erfassten Bereich – nicht verlorengegangen; mit anderen Worten:
Eine Norm29, die «gelten» soll, stellt damit eo ipso zumindest den Anspruch, dass die Aussage, die betreffende Norm existiere bzw sei «gut»30 , zutreffe. In diesem Sinne hat bereits 1934K. Menger , wenngleich zu «Moralsystemen», ausgeführt:
Die besondere Pointe eines solchen Wahrheits- (Existenzial- bzw Wert-) Urteils liegt freilich in seiner gegebenenfalls32 auch klaren kontrafaktischen Verbindlichkeit , mit anderen Worten:
Geradewegs im Umfange der normativen «Geltung» der betreffenden «Aussage» beansprucht diese (bzw, für diese, deren «Sender» oder «Autor» bzw ihr Erscheinungsmedium, die «Norm») schlicht, vom Kommunikationspartner (dem «Adressaten» bzw «Empfänger») ohne weiteres – auch entgegen jedweder allfällig gegenläufigen eigenen Evidenz – für «wahr» gehalten zu werden bzw, zumindest, dass die Normadressaten in ihrem äusseren, rechtserheblichen Verhalten so tun, als ob sie die betreffende Aussage für wahr hielten.33
Wenn die weitverbreitete Rede vom «Sollen» in Zusammenhang mit Normen34 daher überhaupt einen Sinn hat, dann offenbar eben diesen:
Ganz unabhängig von der Struktur des spezifischen «normativen Inhalts» – der «Sollens»-Gebote in der Art des Dekalogs, also ethische Normen, beinhalten kann35, aber keineswegs muss, sondern insbesondere auch eo ipso gültige institutionelle36 Normen umfasst37 – gibt jede einzelne Norm, umso mehr aber ein Gefüge vieler Normen, mit Geltungsanspruch den Adressaten Aussagen38 vor , die diese (zumindest pro foro externo) für «wahr» halten «sollen». Oder, ganz kurz:
Die (über blosse, unverbindliche Deskription hinausreichende) Präskriptivität des Rechts liegt weder im Inhalt, noch in der Form der je einzelnen Normen oder ganzer Normensysteme, sondern – ganz abstrakt – in seinem Anspruch, die Wahrnehmung der massgeblichen Wirklichkeit (allenfalls, alternativ oder kumulativ, die massgebliche Werteordnung) im Umfang seiner Geltung authentisch zu definieren.39
2.4.
Gemeinsamkeit und Differenz ^
Was hat nun die gerade in den Punkten 2.2. und 2.3. angestellte Analyse erbracht?
Zunächst einmal ist sichtbar geworden, dass es sowohl «Informatik» wie «Rechtswissenschaft» im Kern mit demselben Gegenstand – «Information» bzw «Aussagen», also jeweils zur Kommunikation bestimmten geistigen Sachverhalten als solchen – zu tun haben; der Unterschied liegt nicht hier, in der Substanz, sondern
- einmal in der traditionellen Fokussierung der «Informatik» auf den Modus elektronischer Kommunikation,
- zum andern in der Verbindlichkeit rechtlicher Information.
Sieht man nun von der auf der grundsätzlichen Ebene nicht zwingenden Engführung des Begriffes «Informatik» ab, dann lassen sich Identität wie Differenz von «Recht» und dem Gegenstand der «Informatik» formelmässig wie folgt bestimmen:
«Recht» = verbindliche «Information».
3.
Das Problem der Wahrheit40 ^
In Punkt 2.3. wurde ein wesensnotwendiger Zusammenhang zwischen «Recht» und «Wahrheit» sichtbar; von welcher Art von «Wahrheit» ist aber hier die Rede?
3.1.
Habermas und Kant ^
Habermas hat 197340 gemeint:
Kant hat allerdings seinerseits bekanntlich eben das von Habermas im Kontext der «Grundnormen vernünftiger Rede» angesprochene «Faktum der Vernunft» – die Grundlage des ganzen Sittengesetzes! – ausgerechnet mit einem Juvenal-Zitat (Satiren, VI, 223) illustriert42 , das, in Langform, lautet:
3.2.
Die radikale Skepsis ^
Es ist nicht zu verkennen, dass eine derartige – radikal skeptische – Position sowohl für Informatikerwie für Juristen durchaus sehr bequem handhabbar wäre:
Denn wenn letzter Geltungsgrund der «Wahrheit» einer Aussage stets lediglich irgendeine «voluntas» sein sollte, dann minderte sich zunächst einmal für den Juristen die oben hervorgehobene Pointe «kontrafaktischer Verbindlichkeit» des Rechts zu einer blossen Machtfrage, wer wem seine – objektiv freilich gleich belanglose – Redeweise zu überbinden im Stande sei.
In weiterer Folge gäbe es aber auch für den Informatiker keinerlei «idealen» Grund, gegen allenfalls auch ein Monopol der Verarbeitung lediglich der jeweils «herrschenden Information» zu opponieren (sondern allenfalls den, dass ohne eine derartige Restriktion mehr verarbeitbares Material – und, demgemäss, mehr «materielles» Auskommen – zur Verfügung stünde).
3.3.
Die «Idee» der Wahrheit ^
In dem Augenblick freilich, in dem eine inhaltlich über die gerade in Punkt 3.2. beschriebene Position der Subjektivität bzw Beliebigkeit hinausreichende «Idee der Wahrheit»– wohl nur scheinbar gänzlich «unnatürlich»43 – innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft akzeptiert wird, treten Spannungen – aber auch spannende Perspektiven – auf:
3.3.1.
Die Erkennbarkeit absoluter Wahrheit ^
Werden nicht nur die Existenz, sondern auch die vollständige Erkennbarkeit «objektiver» bzw absoluter – weil vollständig losgelöst von individuellen Befindlichkeiten gültiger, und demnach überdies «sicherer» – Wahrheiten angenommen, so liegt der Hauptunterschied zu dem gerade in Punkt 3.2. geschilderten Szenario in dem erheblich höheren emotionalen Engagement (also dem genauen Gegenteil zur skeptischen «ataraxia»), das – positiv wie negativ – der jeweils, auf der Grundlage solcher Erkenntnis, für verbindlich erklärten «Wahrheit» entgegengebracht wird. Daraus ergeben sich im Falle eines Dissenses letztlich – für Informatiker wie für Juristen gleichermassen – erhebliche Gefahrenpotentiale, zunächst, was die Möglichkeit der Beschäftigung mit bestimmter Information als solche anlangt, in weiterer Folge aber auch bis hin zur Gefährdung der physischen Existenz.
3.3.2.
Die Relativität der Wahrheitserkenntnis ^
Wird dagegen zwar einerseits an der grundsätzlichen Existenz objektiver Wahrheit – und damit, in rechtlichem Kontext, letztlich an «veritas non auctoritas facit legem»44 – festgehalten, andererseits jedoch deren vollständige subjektive Erkennbarkeit nicht angenommen, dann (erst) wächst der intersubjektiven Verständigung vieler derartiger (epistemischer) «Mängelwesen»45 über deren jeweilige unvollständige (relative, subjektive) Perspektiven – also, mit Habermas, der (möglichst) «vernünftigen Rede» innerhalb einer (möglichst) idealen «Kommunikationsgemeinschaft» bzw, in späterer Formulierung, «einer politisch funktionierenden Öffentlichkeit»46 – zentrale Bedeutung zu.
Diese intersubjektive Verständigung ist diesfalls gerade auch darüber nötig, welche «Information» in einem bestimmten (zeitlichen, örtlichen, persönlichen, sachlichen) Bereich aus welchen Gründen47 gerade in der für das «Recht» typischen Weise als verbindlich ausgezeichnet werden solle. Zugleich bewirkt aber gerade die Einsicht in die, als Grundlage dieser Auszeichnung, den jeweiligen Akteuren jeweils nur erreichbar gewesene Relativität der «Wahrheit» eine jedenfalls erheblich grössere Bereitschaft zur zumindest periodischen Revision der Vergabe dieser Auszeichnung, also einen Rückgang der Intensität dieser Verbindlichkeit.48
Beide Arten der Kommunikationsprozesse – jener der erstmaligen Erzeugung einer (jeweils nur relativen) rechtlichen Wahrheit, also einer Norm, wie jener der nachfolgenden Revisionen – stellen, zumal unter den quantitativ wie qualitativ erheblichen Anforderungen der – einander wechselseitig fördernden – «Digitalisierung» und «Globalisierung»49 , erhebliche Herausforderungen dar, und zwar wiederum letztlich an den Juristen wie an den Informatiker gleichermassen.
4.
Schluss ^
Die bisherigen Ausführungen scheinen die einleitende Ahnung «grundlegender Gemeinsamkeit» schon allgemein zumindest nicht entkräftet zu haben; gerade unter dem Paradigma «relativer Wahrheit» (Punkt 3.3.2.) dürfte sich diese Gemeinsamkeit aber als sowohl besonders fruchtbar wie als besonders notwendig erweisen.
5.
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- 1 Internationales Rechtsinformatik Symposion, welches heuer zum vierzehnten Mal stattfindet.
- 2 Vgl etwa Lang/Bock, Wiener Beiträge; Winkler, Rechtstheorie und Rechtsinformatik.
- 3 Die Erleichterung des Zugangs zu rechtswissenschaftlicher Literatur, sei es über eine (in Österreich privat betriebene) «Rechtsdatenbank», zunehmend aber auch direkt über on-line-Journale bzw «open access» via Internet zu gedruckten Zeitschriftenbeiträgen oder gar ganzen Büchern, vermag zwar das Rechtsverständnis auch erheblich zu erleichtern, ist jedoch hier nicht gemeint.
- 4 Vgl § 6 BGBlG. Ein derartiges – Gesetzgebung (nicht nur als Wiedergabe der seinerzeitigen Publikation, sondern auch in konsolidierter Fassung, jedenfalls der jeweils aktuellen, jedoch auch mit historischer Dimension) und Rechtsprechung (aller Zweige, und zwar auch unterhalb der höchstgerichtlichen Ebene) integrierendes – System ist auch heute noch europaweit keineswegs selbstverständlich, obwohl es hier keineswegs nur um eine technische Spielerei bzw. um Luxus, sondern um die hochrangige rechtliche Problematik zeitgemässer Gewährleistung des Zugangs zum Recht – bedeutsam sowohl unter demokratischem wie unter rechtsstaatlichem Gesichtspunkt – geht.
- 5 Vgl zum gegenwärtigen Stand etwa Čyras, Klecatsky-FS, 139ff, die Beiträge auf der IRIS 2010 (Punkt 20 des Tagungsbandes, 541ff) oder http://www.legalvisualization.com.
- 6 Nur am Rande erwähnt sei die Einbeziehung auch des «Rechts der Informatik» – verstanden als Gesamtheit der rechtlichen Rahmenbedingungen für elektronische Tätigkeiten – wie etwa die Beschäftigung mit «Urheberrecht», aber auch mit «Datenschutz», in den Begriff der «Rechtsinformatik».
- 7 Im Grundsatz kann auf elektronischem Wege sowohl ein Legislativ-Referendum (auch über die höchste Schicht der jeweiligen Rechtsordnung) wie auch eine Partizipation in einem auf die Erlassung eines individuellen Rechtsaktes fokussierten Verwaltungsverfahren abgewickelt werden.
- 8 Vgl die Begriffe «E-Demokratie», «E-Government», «E-Justiz», «E-Beschaffung», «E-Finanz», aber auch «E-Commerce» oder schlicht «E-Geld».
- 9 Der Einsatz von Elektronik ist sowohl am Beginn eines legislativen (vgl die Sammlung von Unterstützungserklärungen für eine «Europäische Bürgerinitiative» in einem «online-Sammelsystem») wie administrativen (etwa im Kontext des § 44c AVG) Prozesses wie an dessen Ende (vgl §§ 7ff BGBlG [dazu bereits krit Wiederin, Rechtsinformationssystem, 321ff], oder den dritten Abschnitt des ZustG), wohl aber – freilich nur nach Massgabe der technischen Möglichkeiten in Relation zur Komplexität des Gegenstandes – auch in den dazwischenliegenden Phasen (vgl, zur Problematik von Computerstrafverfügungen, bereits Jabloner, Imperativ, 92ff; siehe auch Staufer, virtuelle Hauptversammlung, deren Ausführungen ja im Prinzip auch auf parlamentarische oder diplomatische Rechtssetzung übertragbar wären) denkbar.
- 10 Vgl nur die entsprechenden «Workshops» der IRIS 2010.
- 11 Wie bereits aus der Überschrift ersichtlich, ist das korrekte Pendant von «Recht» «Information», während der «Informatik» die «Rechtswissenschaft» korrespondiert. Dieser Unterschied wird hier jedoch, aus pragmatischen Gründen, gelegentlich etwas vernachlässigt.
- 12 Gemeint ist «der von den Programmierern geschaffene Software-Code», der, anstelle des Rechts, nunmehr «die entscheidende, das Verhalten steuernde Norm» darstellen soll (vgl, mwNw in do FN 40, Boehme-Nessler, JRP 2009, 5). Freilich kann es dann auch geschehen, dass nahezu die gesamte Community der Programmierer von einem doch einmal ergehenden Rechtsspruch wie dem Urteil des dBVerfG vom 3.3.2009, 2BvC 3/07, zum Einsatz elektronischer Wahlmaschinen unangenehm überrascht – zu einem veritablen «Paradigmenwechsel» (cit Prosser, Ruling, 18; zu dessen Ausmass, einer veritablen Kapitulation vor den aus technischer Sicht als unerfüllbar eingestuften rechtlichen Anforderungen, siehe etwa Richter/Langer/Hupf/Volkamer/Buchmann, Verifizierbarkeit, 63, 66) gezwungen – wird.
- 13 Boehme-Nessler, ZÖR 2009, 148, benennt als zentrale Eigenschaften der «Digitalisierung» «Allgegenwart und Entgrenzung» und sieht daher im – «grundsätzlich begrenzend[en] und begrenzt[en]» – «Recht» «das extreme Gegenmodell».
- 14 Vgl Zekl, Einleitung, XIX.
- 15 Also, ohne Fremdwort, auf eine Gestaltung. Offensichtlich aber liegt beiden Begriffen die Grundstruktur aristotelischer Metaphysik zugrunde; zu deren auch aktueller Relevanz vgl unlängst etwa Detel, Kommentar, 709ff, insbes 717ff.
- 16 Dies belegt ja durchaus schon die heutige (siehe nächste FN) Verortung der Informationsfreiheit im Kontext der Meinungsfreiheit, also der Freiheit zur Vertretung einer blossen «doxa».
- 17 In diesem Sinne gewährt nunmehr Art 11 Abs 1 EUGRCh, als Teilmenge des «Rechts auf freie Meinungsäusserung», explizit auch «die Freiheit …, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben».
- 18 Im Schema des Logischen Empirismus handelt es sich bei dieser Tätigkeit als solcher, dh der Ordnung und Verknüpfung der (zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegenden) Ausgangsinformationen, um «analytische», nicht aber um «synthetische» Erkenntnis (vgl zur Gegenüberstellung etwa Czaniera, Moralphilosophie, 12ff, insbes 14).
- 19 So auch die aktuelle grundrechtliche Interpretation des Umfanges der «Informationsfreiheit» («geschützt ist der gesamte Prozess des Sich-Informierens, von der schlichten Entgegennahme einer Information bis zu ihrer Aufbereitung und Speicherung …», cit Bernsdorff, Art 11, Rz 13).
- 20 Siehe näher Rechenberg, Informatik Spektrum 2010, 54ff, der selbst dezidiert für die (Rückkehr zur) engere(n) Auffassung plädiert, als Vertreter der weiteren Auffassung aber etwa auf Dijkstraverweist.
- 21 Vgl nunmehr vor allem Art 8 EUChGR (zu dessen Daten-Begriff siehe etwa Bernsdorff, Art 8, Rz 16).
- 22 Dieser an sich basale Sachverhalt wird im Datenschutz etwas dadurch verdunkelt, dass dieser von vorneherein nur «personenbezogene» Daten schützt, also solche Daten, die aufgrund ihres Inhaltes auf eine bestimmte, in aller Regel von den Partnern der Kommunikation verschiedene Person bezogen sind. Aufgrund dieses primären Zwecks greift der Datenschutz dann aber auch bereits bei der blossen «Verarbeitung», also ohne eigentliche Kommunikation. Allerdings müssen sich ja auch diese «personenbezogenen» Daten irgendwann einmal von der betreffenden Person abgelöst haben; fasst man diesen Ablösevorgang aber gleichfalls als einen Kommunikationsvorgang (zwischen der betroffenen Person und dem ersten Empfänger) auf, dann verschwindet die gerade konstatierte strukturelle Abweichung.
- 23 Natürlich trifft zu, dass für denselben Gegenstand in anderen Sprachen andere Bezeichnungen gebraucht werden bzw wurden, die andere Aspekte akzentuier(t)en. So dürfte – um nur das Lateinische zu nennen – «ius» den modus des «iurare» betonen, «lex» dagegen jenen des «Sprechaktes». Daraus lässt sich aber nicht schliessen, dass die vielleicht gerade nur im deutschen Begriff zu Tage getretene Einsicht (vgl allgemein zu dieser Funktion der Sprache etwa Habermas, Einheit der Vernunft, 174 [Hvm], wonach der «linguistischen Wende» ua die – sichtlich auch von ihm selbst geteilte – Überzeugung zugrundegelegen sei, «die Sprache» bilde «das Medium für die geschichtlich-kulturellen Verkörperungen des menschlichen Geistes», weshalb «eine methodisch zuverlässige Analyse der Tätigkeit des Geistes, statt an Bewusstseinphänomenen unmittelbar, an dessen sprachlichen Ausdrücken anzusetzen habe») nicht von allgemeiner sachlicher Relevanz wäre.
- 24 An diesem Befund ändert sich nichts, wenn man «recht» von «richtig», dh mit der (von wem immer, vgl aber lateinisch «rex») angezeigten «Richtung» übereinstimmend, ableitet.
- 25 Wird Billigung für ein nicht zugleich auch aktuell positives «Recht» gefordert, so birgt dies erhebliches revolutionäres Potential, zumal das «Gute» in aller Regel zur Verwirklichung drängt, während ja eben durch die genannte Forderung dem «nur» positiven Recht der Schutz der (selbst freiwilligen) Billigung entzogen werden soll.
- 26 Die Verbindlichkeit, einen bestimmten normativen Inhalt nicht nur als existent zu akzeptieren, sondern auch zu billigen, erfasst den einzelnen Normunterworfenen insoweit total, da diesem insoweit keinerlei Distanzierung mehr offensteht.
- 27 Psychologisch interessant ist, dass Kant die «Wahrheit» (in Gestalt der Pilatus-Frage) zwar assoziativ bei der Frage nach dem Wesen des Rechts in den Sinn kam (Rechtslehre, 229), er in diese Richtung dann aber gerade nicht weiterdachte.
- 28 In diesem Sinne ist «Recht» die Gesamtheit jener Normen, die bei der Beurteilung, ob der konkrete Sachverhalt «recht» sei, heranzuziehen sind.
- 29 In einer gestuften Rechtsordnung ist allerdings zu modifizieren: zum einen dahin, dass dauerhafte Geltung einer niederrangigen Norm unter dem Vorbehalt nachfolgender Nichtaufhebung in einem Normenkontrollverfahren steht, zum andern aber, im komplementären Umfang, dahin, dass die Geltung einer höherrangigen Norm für die Dauer der Geltung einer mit ihr in Widerspruch stehenden niedrigeren Norm überlagert wird.
- 30 Dies ist wohl der Fall bei Kants berühmter Definition, wonach «das Recht … der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann», sei (Rechtslehre, 230). Denn Kant handelt ja – wie er nur wenige Sätze zuvor klarstellt (aaO, 229) – gerade nicht vom jeweiligen positiven Recht («was die Gesetze an einem gewissen Ort und zu einer gewissen Zeit sagen oder gesagt haben»), sondern von dem, was unabhängig davon «iustum» bzw «iniustum» sei.
- 31 K. Menger, Moral, 76, H des «ist» iO.
- 32 Rein empirisch gesehen wird freilich (schon aus Gründen der Durchsetzbarkeit) im weitaus grössten Bereich tatsächliche Übereinstimmung zwischen der eigenen Beurteilung der Normadressaten und der von der Rechtsordnung vorgegebenen herrschen (weshalb es auch insoweit verfehlt erscheint, das «Recht» ausschliesslich dem Bereich des «Sollens» zuzuweisen; Kelsen hat dagegen diesen Anteil des «Seins» lediglich für das «gesollte Verhalten» anerkannt, siehe Reine Rechtslehre 2, 6).
- 33 Dies ist, nach Kant (Rechtslehre, 219), das Wesen der «Legalität» (im Unterschied zur «Moralität»).
- 34 Vgl, neben Kelsen, Reine Rechtslehre 2, 4ff, Allgemeine Theorie, 2f, nur etwa Alexy, Theorie, 42ff.
- 35 Jellinek (Staatslehre, 332) schrieb dagegen noch ganz selbstverständlich: «Kein Streit herrscht darüber, dass das Recht aus einer Summe von Regeln für menschliches Handeln» (sohin aus nichts sonst) «besteht».
- 36 Man denke insbesondere an die Errichtung einer Behörde, aber auch an eine so grundlegende (und wohl nach persönlicher Ansicht nicht weniger Meinungsträger auch heute noch kontrafaktische) Aussage wie jene des Art 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte («Alle Menschen sind gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt…»). Auch die beiden ersten Artikel des B-VG enthalten aber derartige institutionelle Normen (Art 1: «Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus»; Art 2: «Österreich ist ein Bundesstaat»). Wenn Kelsen/Fröhlich/Merkl, Bundesverfassung 65f, seinerzeit hiezu kommentierten, diese Begriffe hätten «keinen relevanten Rechtsinhalt», so sprachen sie damit letztlich zumindest diesen beiden ersten Artikeln des B-VG die normative Kraft zur eigenständigen Gestaltung der Wirklichkeit ab.
- 37 Vgl bereits Lachmayer, Struktur, 104ff, wenngleich dort noch deutlich die Genese seines Begriffes der «Institution» (ein «gesolltes Geschehen») aus dem der ethischen Norm («gesolltes Verhalten») erkennbar ist, also der normative Inhalt erst als generalisiert begriffen, aber noch nicht, wie hier, ganz abstrakt aufgefasst wird. Diese Differenz zeigt sich auch daran, dass bei Lachmayer «Rechtsnormen» und «Rechtsaussagen», abhängig vom konkreten Inhalt, stets nur nebeneinander stehen, statt dass – wie hier – erstere auf der grundsätzlichen Ebene stets auch, wesensmässig, als Aussagen begriffen würden.
- 38 Vgl idR schon Raz, Normen, der einerseits Normen als «ausschliessende Gründe» für menschliches Verhalten auffasst (100f), andererseits bereits zuvor erklärt hat, dass «nur Aussagen als Gründe anzusehen sind» (18). Aber auch schon Kelsen hat auch noch in der zweiten Auflage seiner Reinen Rechtslehre die vom Recht vorgefundene «Selbstdeutung» eines «Aktes menschlichen Verhaltens» als «Aussage darüber …, was er rechtlich bedeute», bezeichnet (3) und die Wirkung des Rechts als «Deutungsschema» dahin charakterisiert, dass «der Inhalt eines tatsächlichen Geschehens mit dem Inhalt einer … Norm übereinstimmt» (4; H jeweils niO).
- 39 In Harts «rule of recognition» mag man, so man diesen Ausdruck als «Erkenntnisregel» übersetzt (vgl Schnizer, Ringhofer-GS, 150ff), diese Sicht bereits angelegt finden.
- 40 Erkenntnis und Interesse. Nachwort, 416 (kursive HiO).
- 41 In diese Richtung auch erst rezent wieder Mahlmann, Rationalismus, 236ff.
- 42 Kritik der praktischen Vernunft, 56.
- 43 Ohne eine solche zumindest regulative «Idee der Wahrheit» wäre ja nicht einmal der in Punkt 3.2. angesprochene Machtkampf führbar, setzt dieser doch letztlich ein Einverständnis der Kontrahenten über das Ergebnis ebenso wie über den Inhalt der nunmehr dem einen vom andern verbindlich vorgegebenen »Redeweise» voraus.
- 44 Eben diese «Umkehrung des Hobbesschen Satzes» benennt Habermas (Strukturwandel, 153) ausdrücklich als Kennzeichnung der «‹Herrschaft› der Öffentlichkeit», in der «das öffentliche Räsonnement der Privatleute überzeugend den Charakter einer gewaltlosen Ermittlung des zugleich Richtigen und Wahren behauptet», was wiederum Quintessenz der «bürgerlichen Idee vom Gesetzesstaat» sei (aaO, 152).
- 45 So, im hier in Rede stehenden Kontext, ausdrücklich (in evidentem Anschluss an Gehlen und Herder) Forst, Rechtfertigung, 9.
- 46 Strukturwandel, 153.
- 47 Nach Habermas (Strukturwandel, 153) soll die öffentliche «Debatte … voluntas in eine ratio überführen, die sich in der öffentlichen Konkurrenz der privaten Argumente als der Konsensus über das im allgemeinen Interesse praktisch Notwendige herstellt»; vgl auch Forst, Rechtfertigung, 224-269, zur «deliberativen Demokratie», «verstanden als Herrschaft der Gründe».
- 48 In der modernen Demokratietheorie wird eben dieses Merkmal besonders akzentuiert, vgl Hong, icl-journal 2010, 45ff (mit besonderem Blick bereits auf Kelsen); Vidmar, LJIL 2010, 213ff; Brunkhorst, Kritische Justiz 2010/1, 15f; Grimm, Zukunft, 296; Habermas, Beteiligung, 261. siehe auch Patton, Post-Structuralism, 132ff.
- 49 Zur Förderung der «Globalisierung» durch «Digitalisierung» siehe Boehme-Nessler, ZÖR 2009, 159f; umgekehrt zeigt sich zunehmend, dass gewohnte demokratische wie rechtsstaatliche Standards in globalisierten Bezügen anders als im digitalen Modus gar nicht mehr einhaltbar sind.