1.1.
Begriff des Redaktionssystems ^
[1]
Unter einem Redaktionssystem wird ein spezielles Content Management System verstanden, das Informationsmanagement im Sinne von Erstellen, Verwalten und Publizieren von Informationen unterstützt1 . Als internes Format wird dabei in der Regel XML verwendet.
[2]
«Klassische» Anwendungsbereiche für Content Management- und Redaktionssysteme sind häufig im Bereich von Wirtschaftsunternehmen zu finden. Beispiele sind Webseitenerstellung, technische Dokumentationen, «Corporate Publishing», Fachinformationen von (juristischen) Verlagen sowie die Informationen von Pharmaunternehmen (Patienteninformationen, Zulassungsdokumente usw.). Der Gedanke, solche Systeme oder Konzepte in der Legistik zu nutzen, mag deshalb nicht unmittelbar auf der Hand liegen.
1.2.
Parallelen bei den Anforderungen ^
[3]
Dennoch gibt es Anforderungen und Konzepte, die möglicherweise auch in der Legistik genutzt werden können:
[4]
Gemeinsam ist den Gebieten, dass es um komplexe Prozesse der Informationserstellung geht.
[5]
Die Informationen sind stark vernetzt, d.h. durch eine Fülle von Referenzen und Querverweisen miteinander verbunden. Die Beteiligten brauchen gute Recherchemöglichkeiten.
[6]
Die Ersteller sollen möglichst weitgehend von der manuellen Formatierung befreit werden, um sich auf die Erstellung der Inhalte konzentrieren zu können. Für Gliederung und Strukturierung der Inhalte gibt es Vorgaben, die möglichst strikt eingehalten werden sollen. Formulierungen und Begriffe sollen vereinheitlicht werden, die Verweise konsistent bleiben.
[7]
Das Gesetzgebungsverfahren entspricht Anforderungen aus standardisierten Workflow- und Freigabeprozessen mit mehreren Beteiligten. Die Publikation soll weitestgehend automatisch ablaufen, um die Ersteller auch hier von der Formatierungsarbeit zu entlasten und den Bekanntmachungsprozess zu beschleunigen. Der Document Life Cycle erschöpft sich nicht mit der einmaligen Veröffentlichung der Inhalte. Die Versionierung der Inhalte ist eine zentrale Anforderung. Dazu gehört auch die Information darüber, was sich von einer Version zur nächsten geändert hat. Angesichts der Anforderungen kann das reine Editieren der Texte nur als Spitze des Eisberges erscheinen, während das Informationsmanagement selbst den größeren Teil der Systemumgebung ausmacht.
[8]
Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, muss sich die Arbeit auf einen Überblick beschränken. Die Anforderungen greifen zum Teil die Anregungen aus dem Vortrag von Krenn-Mayer bei der IRIS 20102 auf.
[9]
Soweit die Konzepte sich auf ein konkretes Redaktionssystem beziehen, stammen die Beispiele aus dem Redaktionssystem SCHEMA ST4.
2.1.1.
Modularisierung und Wiederverwendung ^
[10]
Zentrale Konzepte in Redaktionssystemen sind Modularisierung und Wiederverwendung. Modularisierung bedeutet, dass die Dokumente in einzelne Informationsbausteine aufgeteilt werden. Diese können gesondert editiert und verwaltet werden und Teile des Workflows durchlaufen. Sie können auch eigene Metadaten tragen.
[11]
So bietet es sich bei Gesetzen beispielsweise an, Abschnitte und Paragraphen jeweils als einzelnen Baustein zu erfassen. Diese Bausteine können z.B. unterschiedliche Inkrafttretensdaten tragen, falls diese sich für einzelne Bausteine unterscheiden. Die Hierarchie des Gesetzes wird in einer Baumstruktur dargestellt. Das erleichtert die Übersicht. Einzelne Bausteine können bei Bedarf wiederverwendet werden. Für die Produktion können die Bausteine dann wieder zu einer linearen Struktur zusammengefasst werden.
2.1.2.
Strukturelle Vorlagen ^
[12]
Durch die Aufteilung in Bausteine ergibt sich auch die Möglichkeit, strukturelle Vorlagen zu definieren. Man kann z.B. eine Vorlage für eine Norm erstellen, die bereits die Bausteine «Anwendungsbereich», «Begriffsbestimmungen», «Allgemeiner Teil», «Besonderer Teil», «Verfahrensvorschriften», «Inkrafttreten»3 usw. enthält. Nach dem Baukastenprinzip können auch verschiedene Vorlagen erstellt werden, z.B. für Gesetze und Verordnungen, die bestimmte Bausteine gemeinsam haben. Diese Vorlage kann übernommen und die Teile, die nicht einschlägig sind, gemäß dem Prinzip «Löschen ist leichter als neu schreiben», entfernt werden.4
[13]
Gibt es für einen Baustein mehrere Varianten, wie etwa in Deutschland bei der Eingangsformel für zustimmungsbedürftige oder nicht zustimmungsbedürftige Gesetze5 , dann können Varianten angelegt werden. Die Bausteine werden gekennzeichnet und können später entsprechend dieser Kennzeichnung gefiltert werden.
Abbildung 1: Muster für strukturelle Vorlage
2.1.3.
Single Source Editing im engeren Sinne ^
[14]
Moderne Redaktionssysteme speichern die Inhalte in der Regel medienneutral, das heißt als XML, ab6 . Damit kann auch für den Inhalt der Bausteine eine bestimmte Struktur festgelegt werden, beispielsweise, dass Aufzählungen in der ersten Ebene immer nummeriert und in der zweiten Ebene immer mit Buchstaben versehen werden7 . Der Legist muss sich jedoch nicht zwingend mit der Syntax von XML vertraut machen. Er oder sie kann einen Editor verwenden, der die technische Strukturierung weitestgehend verbirgt. So gibt es Systeme, bei denen Autor oder Autorin wahlweise in Word, Framemaker oder XMetaL schreiben kann. Die Umwandlung in XML passiert ggf. automatisch beim Speichern des Dokuments im Hintergrund.
2.1.4.
Autorenunterstützung, Terminologiemanagement ^
[15]
Autorenunterstützung und Terminologiemanagement unterstützen den Legisten unmittelbar beim Verfassen: schon während des Schreibens werden automatisch ähnliche Sätze in der Datenbank gesucht und zur Auswahl angeboten. Ebenso kann definiert werden, welche Worte nicht verwendet werden sollen. Schreibt der Legist beispielsweise das Word «Auto», so wird er automatisch darauf hingewiesen, dass stattdessen «Fahrzeug» verwendet werden sollte und kann diesen Begriff einfügen.
Abbildung 2: Autorenunterstützung, Terminologie
2.1.5.
Verweise und Konsistenzprüfung ^
[16]
Mit modernen Redaktionssystemen können Verweise innerhalb des Systems automatisch überprüft werden. Wird also eine Norm geändert, die Ziel eines Verweises ist, dann kann eine Meldung generiert werden, dass auch die verweisende Norm zu prüfen ist.
2.1.6.
Erläuterungen, Motive ^
[17]
Im Informationsmanagement ist es möglich, unterschiedliche Klassen von Bausteinen zu definieren und miteinander zu verknüpfen. So kann man beispielsweise eine Klasse «Normtext» definieren, die die Texte enthält, die später als Inhalt der Norm veröffentlicht werden sollen. Eine weitere Klasse «Erläuterung» kann die Motive und Erläuterungen enthalten. Die Informationen können so modelliert werden, dass die Erläuterungen mit den jeweiligen Bausteinen für den Normtext verknüpft werden. Wird der Normbaustein in der Hierarchie verschoben, werden die Erläuterungen dann automatisch mit verschoben.
Abbildung 3: Normtext (rotes Icon) und Erläuterung (graues Icon)
[18]
Für die Ansicht im Intranet, Internet oder für Publikationen (z.B. PDF) kann die Darstellung unterschiedlich definiert werden – z.B. so, dass die Erläuterungen im Intranet für bestimmte Nutzer zu sehen sind, im Internet jedoch nicht. Ebenso können sie bei der Veröffentlichung wahlweise integriert oder ausgefiltert werden. Das wird einmalig definiert und funktioniert ab dann «auf Knopfdruck».
[19]
Zusätzliche Materialien (PDF-Dateien und andere Quellen) können zusätzlich im Redaktions-System abgelegt werden. Ebenso können Bausteine angelegt werden, die externe Links enthalten, also zum Beispiel Verweise auf Webadressen. Damit können die Legisten auf häufig verwendete Quellen zentral zugreifen.
2.2.
Mehrsprachigkeit ^
[20]
Redaktionssysteme bieten die Möglichkeit, Texte und andere Ressourcen (Binärdateien) in mehreren Sprachen zu erfassen, verwalten und zu publizieren. Das ist insbesondere im Hinblick auf die steigende Bedeutung des EU-Rechts auch in Systemen in der Legistik sinnvoll8 .
2.3.1.
Workflow allgemein ^
[21]
Da in großen Unternehmen mehrere Personen und Abteilungen an der Erstellung und Freigabe der Informationen beteiligt sind, bieten moderne Redaktionssysteme Unterstützung für den «Workflow», d.h. die Erstellung, Prüfung und Freigabe durch verschiedene Personen an. Im System wird in der Regel gekennzeichnet, welchen Status ein Baustein hat, ob er also z.B. noch in Bearbeitung (Entwurf) oder bereits freigegeben ist. Der Status kann auch bei Produktionen ausgewertet werden, beispielsweise mit einem Wasserzeichen für Entwürfe.
[22]
Die Aufgaben können mit Terminen versehen und nach Erledigung eines Arbeitsschrittes dem nächsten Bearbeiter zugewiesen werden.
[23]
Während des Prüf- und Freigabeprozesses können Kommentare in den Text eingegeben werden. Dabei wird jeweils gekennzeichnet, welcher Autor zu welchem Datum den Kommentar eingefügt hat.
[24]
Das Einfügen von Kommentaren und die Freigabe kann z.B. in SCHEMA ST4 auch über einen WebClient erfolgen.
Abbildung 4: Workflow mit Kennzeichnung überfälliger Aufgaben
[25]
In flexiblen Redaktionssystemen kann der Workflow angepasst werden, d.h. er kann Spezifika des Gesetzgebungsprozesses (mehrere Lesungen) berücksichtigen.
2.3.2.
Versionierung, Vergleichsansicht ^
[26]
Von einem freigegebenen Baustein kann eine neue Version angelegt werden, beispielsweise, wenn ein Gesetz novelliert wird. Redaktionssysteme können die Möglichkeit bieten, zwei Baustein-Versionen miteinander zu vergleichen. Dabei werden die Unterschiede automatisch hervorgehoben, ähnlich einer Textgegenüberstellung9 (s. Abbildung 5).
[27]
Bei konsequenter Anwendung des Modularisierungskonzepts ergibt sich ein weiterer Vorteil: Bausteine, die nicht geändert wurden, können in der bisherigen – freigegebenen – Version eingebunden werden (s. auch Abbildung 6). Da die Bausteine einen Zeitstempel tragen, wann sie zuletzt geändert wurden, lässt sich damit sehr schnell erkennen, ob sie überhaupt von einer Normänderung betroffen sind. Das spart Zeit bei der Prüfung und senkt den Aufwand für das Erstellen der Novellierungsanordnung.
Abbildung 5: Vergleich verschiedener Versionen oder Arbeitsstände
Abbildung 6: Änderungen auf Bausteinebene
[28]
Für die medienneutralen Inhalte kann nicht nur das Layout im engeren Sinn (Absatz- und Zeichenformate) automatisch generiert werden, sondern auch weitere generierbare und regelbasierte Inhalte, wie z.B. Inhaltsverzeichnisse, Änderungsübersichten usw.
[29]
Die Ausgabe kann von Metadaten abhängig gemacht werden. Wie beschrieben10 , kann die Ausgabe einer Norm im Entwurfsstadium z.B. ein Wasserzeichen enthalten. Man kann auch eine Produktion definieren, die auch die Motive und Erläuterungen enthält und eine, in der diese nicht enthalten sind. Auch diese einmalig definierten Produktionen können dann von Ausgabe zu Ausgabe unterschiedlich ausgewählt werden.
2.4.
Multi-Autoren-Umgebung ^
[30]
Redaktionssysteme, die auf Redaktionen mit mehreren Mitarbeitern ausgelegt sind, bieten die Möglichkeit einer Benutzerverwaltung. Außerdem kann der Zugriff auf Informationen abhängig von Rollen und Rechten definiert werden. Man kann die Rechte beispielsweise so festlegen, dass nur bestimmte Anwender Bausteine editieren dürfen, andere dagegen nur prüfen und freigeben. Auch das lässt sich für das Gebiet der Legistik entsprechend anpassen.
2.5.
Flexibilität und Anpassbarkeit des Systems ^
[31]
Ist das Redaktionssystem nicht fest mit einer bestimmten Domäne, wie etwa der technischen Dokumentation verknüpft, sondern bietet ein Framework für das Informationsmanagement, dann ist es auch erweiter- und anpassbar. Das beginnt bei der Definition verschiedener Layouts und Produktionsarten, und geht über die Modellierung (Definition von Baustein-Klassen, Definition von Metadaten, Anpassung der internen Strukturvorschriften wie DTD oder XSD) bis hin zur Definition unterschiedlicher Ansichten, die davon abhängig sind, wer sich an dem System anmeldet. Über eine Anpassung der Modellierung kann man beispielsweise auch maßgebliche Zeitpunkte im Gesetzestext kennzeichnen und dafür eine Warnfunktion implementieren.
3.
Fazit und Ausblick ^
[32]
Es gibt einige Konzepte in Redaktionssystemen, die auch für die legistische Arbeit geeignet scheinen. Da moderne Redaktionssysteme ein Framework für das Informationsmanagement bieten, kann die Modellierung (Informationsklassen, Metadaten, DTD, XSD) für den konkreten Anwendungsfall angepasst werden. Dazu gehört beispielsweise die Definition, welche Informationen für die Bekanntmachung bestimmt sind und welche Informationen bei der Bekanntmachung herausgefiltert werden sollen.
[33]
Mit Modularisierung und Versionierung kann ein Konzept für statische und dynamische Verweise entwickelt und implementiert werden. Metadaten erlauben die Definition spezifischer Recherche- und Zugriffsmöglichkeiten, die Modellierung weiterer Linkklassen oder die Abbildung von Normbeziehungen. Es ist denkbar, die Änderungserkennung als Basis zu verwenden, um die Novellierungsanordnungen automatisch zu generieren.
[34]
Eine weitere mögliche Erweiterung ist eine Navigation über eine Sammlung von Gesetzen mittels einer Ontologie oder Taxonomie, die ebenfalls über ein solches Redaktionssystem gepflegt werden könnte. Diese Punkte bieten sich für Vertiefung, Ausbau oder einen Prototypen an.
Heide Ebert, Senior Consultant, SCHEMA Consulting GmbH
Hugo-Junkers-Straße 15-17, 90411 Nürnberg, DE
heide.ebert@schema-consulting.de,www.schema.de
heide.ebert@fernuni-hagen.de,www.fernuni-hagen.de (Studium der Wirtschaftswissenschaften und Informatik)
Heide Ebert, Senior Consultant, SCHEMA Consulting GmbH
Hugo-Junkers-Straße 15-17, 90411 Nürnberg, DE
heide.ebert@schema-consulting.de,www.schema.de
heide.ebert@fernuni-hagen.de,www.fernuni-hagen.de (Studium der Wirtschaftswissenschaften und Informatik)
- 1 Zur Abgrenzung zu anderen System wie etwas Web-CMS, vgl. auchDrewer, P. / Ziegler, W., Technische Dokumentation, Vogel Buchverlag, Würzburg (2011), S. 290 f.
- 2 Krenn-Mayer, R. Anforderungen an eine elektronische legistische Arbeitsumgebung, Vortrag bei der IRIS 2010, Session Elektronische Rechtsetzung I, kurze Zusammenfassung beiSchefbeck, G., Workshop «Elektronische Rechtssetzung». In: Schweighofer, E. et al., Globale Sicherheit und proaktiver Staat – Die Rolle der Rechtsinformatik, Tagungsband des 13. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2010, 2. Aufl.,books@ocg.at , Wien, S 445 ff. (2010).
- 3 Vorschläge nachSchneider, H. Gesetzgebung, C.F. Müller Verlag, Heidelberg, 2. A. (1991), RN 333.
- 4 Engeljehringer, W.: Training für Legistinnen und Legisten in der elektronischen Rechtsetzung, Vortrag bei der IRIS 2010, Session Elektronische Rechtsetzung II.
- 5 Zu den Formulierungen vgl. § 30 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien Besonderer Teil (GGO II), in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.10.1976 (GMBl. S. 550, 605) und vom 17.10.1989 (GMBl. S. 696 u. 697).
- 6 Drewer, P. / Ziegler, W., aaO., S. 296.
- 7 So z.B. Legistisches Handbuch des Landes Steiermark, Version 4 (März 2010), Abschnitt E, S. E-9,http://www.verwaltung.steiermark.at/cms/dokumente/10165551_4530957/fdb2d80f/E_Form.pdf , zuletzt aufgerufen 2. Februar 2011, ähnlich für andere Gesetzgebern.
- 8 S. dazu auch das illustrative Beispiel inSchefbeck, G. Das Projekt «E-Recht» und rechtlich verbindliches Publizieren von Rechtsdaten in Österreich, 4. Magglinger Rechtsinformatikseminar 14. Juni 2004, S. 15,http://www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/staat_buerger/rechtsinformatik/macolin_2004/01_schefbeck-d.pdf , zuletzt aufgerufen 31. Januar 2011.
- 9 Zur Textgegenüberstellung vgl. Legistisches Handbuch des Landes Steiermark, aaO., Abschnitt G, S. G-7.
- 10 S. 2.4.1. Workflow allgemein.