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Anschauliche Normlogik. Zugleich eine Erinnerung an Bindings Normentheorie

  • Author: Lothar Philipps
  • Category: Short Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Legal Theory
  • Citation: Lothar Philipps, Anschauliche Normlogik. Zugleich eine Erinnerung an Bindings Normentheorie, in: Jusletter IT 5 October 2011
Zwei Kreise, die sich schneiden, bilden ein Venn-Diagramm. Das Diagramm umfasst drei Sektoren, welche in 23, also acht, unterschiedlichen Weisen erfüllt sein können, und zwar in diesem Falle durch «Normen». Normen sind – im Sinne Karl Bindings – Sätze wie «Du sollst nicht töten!» oder «Du sollst einem Verunglückten beistehen.» Es gibt acht Formen des Verbotenseins und ebenso viele des Gebotenseins; sie werden mit Beispielen aus dem Strafrecht vorgestellt. Besonders interessant ist die Übertretung einer Verbotsnorm durch Unterlassen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Verbote
  • 1.1. Wenn-dann-Verbote und unechte Unterlassungsdelikte
  • 1.2. Spiegelbilder und andere Normsymmetrien
  • 2. Gebote
  • 2.1. Verbote sollen nicht übertreten – Gebote erfüllt werden
  • 3. Zusammentreffen mehrerer Normen
  • 4. Rechtssätze
  • 5. Ein Blick auf John Venn und die Klassenlogik
[1]
Um die logischen Beziehungen zwischen Normen zu veranschaulichen, zeichne man zwei Kreise, die sich überschneiden. Die Kreise sollen zwei Handlungen repräsentieren – hier A und B –, die Gegenstand von Normen sind.

1.

Verbote ^

[2]
Eine solche Norm kann ein Verbot oder ein Gebot sein; betrachten wir zunächst die Verbote. Ein verbotener Bereich lässt sich in dem Diagramm, einem sog. Venn-Diagramm, als «Sperrgebiet» darstellen, dies geschieht am sinnfälligsten durch eine Schraffur (s. unten Diagramm 1)1 . Das Diagramm hat drei Sektoren: zwei «Halbmonde» und dazwischen eine «Mandel»; jeder der drei kann schraffiert sein – oder auch nicht. So ergeben sich 23 , also acht Varianten des Verbotenseins. Acht sind sehr wenige, in der natürlichen Sprache hat man dagegen viele Möglichkeiten, Verbote auszudrücken, und so auch in Gesetzen, Verwaltungsakten, Gerichtsurteilen, wissenschaftlichen Aufsätzen und in der Tagespresse. Zudem lässt sich jedes Gebot als «Verbot» ausdrücken und jedes Verbot als «Gebot»2 : «Es ist verboten, einem Verunglückten keine Hilfe zu leisten!» – soviel zum Gebot der Hilfeleistung bei Unglücksfällen (§ 323c StGB). «Es ist geboten, einen anderen Menschen nicht zu töten!» – das zum Verbot des Totschlags (§ 212 StGB). Doch dadurch wird die eine Normart nicht zur anderen; man kann zwar das Wort «Verbot» wegformulieren, aber nicht von Rechtswegen über ein Sperrgebiet – wie metaphorisch es auch sei – hinweggehen.
[3]

Um zu erkennen, was unter dem sprachlichen Mantel einer Norm steckt, sollte man imstande sein, sie auf ihr Venn-Diagramm zu reduzieren; das ist heute wichtiger denn je, weil wir mit Normen in verschiedenen Sprachen umgehen müssen. Die acht Diagramme des Verbotenseins werden nun vorgestellt:



1.1.

Wenn-dann-Verbote und unechte Unterlassungsdelikte ^

1
Es ist verboten, A zu tun ohne B zu tun.
[4]
So sieht das Diagramm der Verbote in Wenn-dann-Form aus. Wer A tut, ist verpflichtet, auch B zu tun; denn außerhalb von B ist A gesperrt. Solche Verbote gibt es im Recht die Fülle: Wenn man mit dem Auto fährt, soll man sich zuvor anschnallen; bevor man abbiegt, soll man einen Blinker setzen.
[5]
Bei solchen Wenn-dann-Verboten aktualisiert sich die Dann-Komponente zumeist vor der Wenn-Komponente; «wenn man ...» bedeutet dann: «bevor man ...»; bevor man zu einer gefährlichen Handlung ansetzt, soll man ihre Gefahren vermindern, z.B. indem man ein Warnzeichen gibt. Manchmal allerdings verlangt der Schutzzweck ein Dann-Verhaltennach dem Wenn: Man denke nur an das Kindbettfieber, das einst häufig auftrat, wenn Ärzte sich nach dem Sezieren von Leichen nicht die Hände wuschen. Doch ob vorher oder nachher: immer liegt die Gefährdung im Wenn und ihre Verminderung im Dann des Verhaltens.
[6]
Die alten und großen Verbote in dieser Welt sind freilich unbedingt: «Du sollst nicht töten!» Im Diagramm:
2
A zu tun ist verboten.
[7]
Lässt sich auch aus einem unbedingten Verbot eine Handlungspflicht herleiten? Immerhin ist ein Verbot in unbedingter Form sichtlich stärker als in Wenn-dann-Form; denn außer dem linken Sektor ist auch der mittlere gesperrt. Die Handlungspflicht zeigt sich, wenn man etwas Weltwissen hinzunimmt, das oft Fachwissen oder Alltagswissen ist. Ich kleide die Herleitung zunächst in ein Beispiel: Wenn man einen Nichtschwimmer in einen tiefen See stößt, wird er ertrinken – nicht freilich, wenn er einen Rettungsring ergreifen kann. Also: Wenn man einen Nichtschwimmer in einen See stößt, soll man einen Rettungsring hinterherwerfen. (Natürlich braucht es nicht gerade ein Rettungsring zu sein: es lässt sich auch – unspezifisch – «eine den Nichtschwimmer vor dem Ertrinkenmüssen bewahrende Handlung» einführen.)
[8]
Graphisch stellt sich die Entwicklung der Norm so dar:

Erste Stufe ist Diagramm 2 (oben); ein Beispiel ist das Tötungsverbot.
Zweite Stufe, Diagramm 2a: Der noch freie rechte Halbmond wird mit «Splitt» ausgefüllt:

2a
Wer B tut, übertritt das Verbot A.
[9]
Der Halbmond voll Splitt drückt wieder einen Wenn-dann-Satz aus. Der ist jedoch von B nach A zu lesen; wobei die Steine, stärker als eine Schraffur, faktische Unumgänglichkeit zum Ausdruck bringen: Man kommt nicht umhin, mit B auch A zu tun; wer B tut, tut auch A. Das aber ist nach wie vor verboten. (Man beachte zudem, was das Diagramm auch zeigt und was eigentlich selbstverständlich ist: Gegen das Verbot A kann man auch verstoßen, ohne B zu tun.)

Dritte Stufe: Wir haben schon eine Ausnahme in Betracht gezogen: der den Nichtschwimmer ins Wasser gestoßen hat, wirft einen Rettungsring hinterher. Der Ringwurf lässt sich durch einen dritten Kreis C darstellen:
2b
Wenn man B tut, soll man auch C tun.
[10]
Auch diese Norm lässt sich aus dem Diagramm ablesen: Wer B tut, ist gezwungen, A oder C zu tun; denn in B findet er keinen Platz mehr außerhalb der Schnittbereiche zu A oder zu C. A aber darf er nicht tun, also soll er C tun. Das Diagramm veranschaulicht auch, dass C nicht das Verbot einschränkt, sondern die Reichweite der Handlung B. Die «großen» Verbote im Recht sind von einem dicken Polster kleinerer Wenn-dann-Verbote umgeben, welche teils kodifiziert teils unkodifiziert sind und die sich in den Regeln der Berufe und anderer sozialer Rollen niedergeschlagen haben oder die sich, wie bei dem Stoß ins Wasser, aus der Natur der Sache ergeben. Die meisten dieser Verbote sollen freilich nicht erst einen sicheren Erfolg ausschließen, sondern schon die Gefahr vermindern, dass ein solcher Erfolg eintritt.
[11]
Auch soziale und technische Systeme unterliegen Wenn-dann-Regeln. «Wenn zwei Segelschiffe sich einander nähern, so dass dadurch Gefahr des Zusammenstoßes entsteht, so muss ... ein Schiff, welches vor dem Winde segelt, dem andern Schiffe aus dem Wege gehen.» So heißt es in einer Kaiserlichen Verordnung vom 7. Januar 1880, die bei Binding zitiert ist.3 Der Wortlaut bringt zum Ausdruck, dass es das «Schiff» ist, das der Wenn-dann-Norm zu folgen hat, und zwar, um der «Gefahr des Zusammenstoßes» zu entgehen. Natürlich ist unter «Schiff» nicht nur das Gebilde aus Rumpf, Aufbauten und Segeln zu verstehen, sondern all dies zusammen mit seiner Besatzung. Ist es aber nicht eine befremdliche Vorstellung, dass sich die Norm an das Schiff richtet statt beispielsweise an den Kapitän? Keineswegs. Nach der Norm hat sich zu richten und gegen die Norm kann verstoßen, wessen Verhaltennormiert ist. Und das ist hier das Schiff, das vor dem Winde segelt. Normen, die sich an Schiffe richten, gibt es auch in modernen Gesetzeswerken; so in den «Internationalen Regeln von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See».4 Den Wortlaut jener Kaiserlichen Verordnung findet man dort, leicht modifiziert und ergänzt, als Regel 12 (a) wieder: «Wenn zwei Segelfahrzeuge sich einander so nähern, dass die Möglichkeit der Gefahr eines Zusammenstoßes besteht, muss das eine dem anderen wie folgt ausweichen: Wenn sie den Wind nicht von derselben Seite haben, muss das Fahrzeug, das den Wind von Backbord hat, dem anderen ausweichen; wenn sie den Wind von derselben Seite haben, muss das luvwärtige Fahrzeug dem leewärtigen ausweichen ... » Im Falle eines Zusammenstoßes haftet «der Fahrzeugführer und jeder sonst für die Sicherheit Verantwortliche» (§ 4 Abs. 1 der Internationalen Regeln). Wer auf dem Schiff für die Navigation zuständig oder wer wachhabend ist, hat also dafür zu sorgen, dass es «dem anderen Schiffe aus dem Wege» geht. Andernfalls könnte er, wenn es zu einem Zusammenstoß kommt, u.a. der Tötung durch Unterlassen schuldig sein; ob er den Zusammenstoß durch Nichtstun oder durch einen falschen Befehl verschuldet hat, sollte für die Haftung gleichgültig sein. Solche Unterlassungsdelikte nennt man zu Recht «unecht», weil sie sich nicht, wie die «echten», aus einem Gebot herleiten, sondern aus einem Verbot.
[12]
Binding spricht allerdings nicht von «Systemen», die sich an Verbote zu halten haben, sondern von «Gleichgewicht». Wie aber wird Gleichgewicht definiert? «Gleichgewicht ist der Zustand einesSystems , bei dem sich eine oder mehrere Zustandsgrößen über einen bestimmten Zeitraum hinwegim Mittel nicht verändern.» (Wikipedia, Hervorhebungen vom Autor) Genau das ist es, was Binding vor Augen hat und an einem Herr-und-Hund-System erläutert:5

«Ich nehme einen Hund mit mir auf die Straße – einerlei ob meinen Hund oder den eines anderen –, der die Untugend hat, alle schlecht angezogenen Leute ernsthaft anzufallen, aber die Tugenden besitzt, auf mein Wort zu hören und sich nicht aus meiner Sehweite zu entfernen. Ich will ihm gerade jene Untugend abgewöhnen. Soll ich nun nicht Urheber der Schäden werden, die der Hund anrichtet, so bedarf es einer Willensanspannung in zweifacher Richtung: ich muss6 die Aufmerksamkeit so scharf anspannen als nötig, um sofort zu bemerken, wenn der Hund seine Tücke üben will, und muss schon zum voraus gewillt sein, im gleichen Moment mit Ruf, Pfiff oder Peitsche zu intervenieren. ..... Man sieht: es liegt ein Fall des berühmten, in seiner Möglichkeit so oft und so falsch bestrittenen Gleichgewichts der positiven und negativen Bedingungen vor7 : auf der einen Seite das Tier mit seinen bestialischen Trieben, auf der andern der Mensch mit seinem Vernunftwillen. Ein schwer zu bemerkender Trick des Hundes, ein Nachlassen der Aufmerksamkeit beim Menschen: und das Unheil ist geschehen ... Dem Hund gelingt es nun doch, einen Bummler gründlich in den Arm zu beißen. Der Hemmungsapparat ist ausgeschaltet worden, entweder weil der Begleiter dem Bummler den Biss gönnte, oder weil er glaubte, des angreifenden Hundes zur Notwehr zu bedürfen, also weil er bewusst nicht hemmen wollte, oder weil er den Hund doch außer Augen gelassen oder zu spät oder zu schwach gerufen oder gepfiffen hatte oder weil er plötzlich schwer unwohl, vielleicht ohnmächtig ... und somit unfähig geworden war, den Apparat zu bedienen, wenn ich einmal so sagen darf.
Die Wirkung ist in allen Fällen die gleiche: eine gewaltige Änderung in der Spannung der Kausalitäten-Welt ist eingetreten. Eine große Hemmung ist weggefallen: die bisher gehemmte Kausalität hat dadurch allein ihre volle Entwicklungsfähigkeit erlangt und hat sich zur Ursache ausgewachsen.»
[13]
Herr und Hund sind die Elemente des Systems. Was sie verbindet, ist Kommunikation: Der Hund hält sich in Sichtweite seines Herrn, und er horcht auf dessen Stimme. Der Herr richtet seine Aufmerksamkeit angespannt auf das Verhalten des Hundes. Der Hund wird immer wieder versuchen, jemanden anzugreifen, und sein Herr wird jedes Mal intervenieren, «mit Ruf, Pfiff oder Peitsche», um das Tier in die Mitte des Systems zurückzuholen. Es ist denn auch ein Aussetzen der Kommunikation, was zum Eintritt des «Unheils», zu dem «gründlichen Biss» in einen Arm geführt hat: «Ein schwer zu bemerkender Trick des Hundes, ein Nachlassen der Aufmerksamkeit beim Menschen», der den Hund «doch außer Augen gelassen oder zu spät oder zu schwach gerufen oder gepfiffen hatte oder der plötzlich schwer unwohl, vielleicht ohnmächtig und somit unfähig geworden war, den Apparat zu bedienen». Mit dem Hinweis auf die weitere Möglichkeit, dass der Herr in einer Notwehrsituation den Hund «bewusst nicht hemmen wollte», zeigt Binding, dass es hier nicht um eine Frage der Rechtswidrigkeit, sondern der «Spannung in der Kausalitäten-Welt» geht. Dass – «wenn ich einmal so sagen darf» – der «Hemmungsapparat» «bedient» und gar «ausgeschaltet» wird, hätte übrigens ein heutiger Systemtheoretiker auch nicht kühler sagen können.

1.2.

Spiegelbilder und andere Normsymmetrien ^

[14]
Fahren wir mit den Diagrammen des Verbotenseins fort:
3
Wenn man A tut, darf man nicht B tun. Es ist verboten, B zusammen mit A zu tun.
[15]
Verglichen mit Diagramm 1 ist die Schraffur vom linken in den mittleren Sektor gerückt. Normen gemäß Diagramm 3 gibt es ebenso häufig wie ihre Verwandten gemäß 1, und sie sichern ebenfalls zentrale Verbote in deren Vorfeld ab. Zwei Beispiele:Während des Autofahrens darf man nicht mit einem Mobilphon am Ohr telefonieren. Und: Wenn man Alkohol trinkt (außer in geringen Mengen), darf man nicht Autofahren.
[16]
Zwischen diesen beiden Beispielen gibt es einen bemerkenswerten Unterschied: Telefonieren ist nur dann verboten, wenn es zeitgleich mit dem Fahren erfolgt. Wer aber viel Alkohol trinkt, für den kann noch Stunden danach das Autofahren verboten sein. Logische Verknüpfungen sind zeitlos; zwischen dem Wenn und dem Dann liegt weder eine kurze noch eine lange Zeitspanne. Doch mit dem Inhalt kommt ein Zeitmoment hinzu, welches je nach der Natur der Sache, um die es geht, unterschiedlich lang ist.

[17]
Normen gemäß Diagramm 3 sind in sich selbst spiegelbildlich. Das zeigt sich nicht nur in der Graphik, sondern auch in der Möglichkeit, die Norm in umgekehrter Richtung auszusprechen:Wenn man mit dem Auto fährt, darf man keinen Alkohol trinken.
[18]
Symmetrien gibt es zu sämtlichen Normen, und in Venn-Diagrammen treten sie ans Licht. Manche Normen sind, wie hier in Diagramm 3, in sich selber symmetrisch. Andere haben ein Gegenstück, zu dem sie symmetrisch sind.
4
B ohne A zu tun ist verboten. Wenn man B tut, soll man auch A tun.
[19]
Spiegelbildlich zu oben 1, wobei die Reihenfolge von A und B vertauscht ist.
[20]
Die nachfolgende Norm nach Struktur 5 ist symmetrisch zu einer Norm nach 2. Doch handelt es sich jetzt nicht nur um ein Spiegelbild, sondern auch um eine Verschiebung:8
5
[21]
B zu tun ist verboten. Wer A tut, darf dabei nicht B tun. Wie oben 3, nur A und B in ungekehrter Reihenfolge.
[22]
Nun wieder eine Norm mit Spiegelbildlichkeit in sich selbst:

6
A ohne B zu tun ist verboten und ebenso B ohne A.
[23]
Eine derartige Norm gibt es beispielsweise bei der Führerscheinprüfung: Der Führerschein darf nicht ausgehändigt werden, wenn der Prüfling bei der theoretischen oder der praktischen Prüfung durchgefallen ist. Dergleichen kommt auch bei Einstellungen vor, wenn es um Piloten, Weltraumfahrer und dergleichen geht. Sie müssen körperlich topfit sein, und die geistige Fitness muss auch sehr hoch sein.
[24]
Auch die Norm des beiderseitigen Verbotenseins ist in sich selbst spiegelbildlich:
7
A oder B zu tun ist verboten. Man darf weder A noch B tun. Sowohl A wie B zu tun ist verboten.
[25]
Wenn man auf die zweite oder die dritte Formulierung trifft, etwa aufSowohl A wie B zu tun ist verboten , sollte man sich klar machen, was gemeint ist: Struktur 7 oder aber 7a:
7a
[26]
Bei 7a handelt es sich umzwei Verbote A und B. Wenn man miteiner Handlung beide Verbote übertritt, wenn also die Handlung in den Schnittbereich der beiden Kreise fällt, dann stehen die Übertretungen gemäß der Juristensprache in «Idealkonkurrenz». Idealkonkurrenz liegt beispielsweise vor, wenn jemand einen Betrug mittels einer Urkundenfälschung begeht. Ist es dagegenein Verbot mit zwei Varianten A und B (wie zuvor in 7), in deren Schnittbereich die Handlung liegt, sprechen Juristen von «Gesetzeskonkurrenz». So zum Beispiel wenn jemand einen Menschen «heimtückisch» aus «Habgier» tötet; beides sind Varianten des einen Mordtatbestands (§ 211 StGB).
[27]
Als letztes der Fall des schlichten Nichtverbotenseins:
8
Weder A noch B ist verboten.
[28]
Entsprechende Sätze wird man nur benutzen, wenn das Unverbotensein nicht selbstverständlich ist: Betäubungsmittel in geringer Menge herzustellen oder zu besitzen, ist nicht verboten (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 BtMG).
[29]
Noch eine Bemerkung zu Folgerungen aus Verboten. Sie sind unproblematisch: in einem Sperrgebiet ist grundsätzlich auch jeder Unterbezirk gesperrt. Wenn es verboten ist, «fremde bewegliche Sachen» zu stehlen (§242 StGB), ist es auch verboten, Autos zu stehlen, und ist es auch verboten, Sportwagen zu stehlen.

2.

Gebote ^

[30]
Ebenso wie zum Sperrgebiet kann man Bereiche des Diagramms zumZielgebiet erklären. Ein Sperrgebiet zu betreten ist verboten – ein Zielgebiet dagegen soll man aufsuchen, das istgeboten . Zur Markierung des Zielgebietes füge man einen Balken in das Diagramm ein.
9
A zu tun ist geboten.
[31]
So weit der Balken reicht, so weit ist das Zielgebiet ausgewiesen und so weit reicht das Gebot, nicht weiter und nicht weniger weit. So darf man in Normen gemäß Diagramm 9 das Zielgebiet nicht verengen, – etwa auf den Schnittbereich von A und B – denn damit würde man das Gebot A unzulässig erschweren. Man darf das Zielgebiet aber auch nicht erweitern – nicht von A zu den vereinigten Kreisen A und B –, denn dadurch würde man das Gebot in unzulässiger Weise abschwächen.

2.1.

Verbote sollen nicht übertreten – Gebote erfüllt werden ^

[32]
Da jeder der drei Sektoren des Venn-Diagramms einen Balken haben kann oder auch nicht, gibt es für das Gebotensein ebenfalls acht Varianten. Sie sollen hier nicht eigens vorgestellt werden; man braucht lediglich die Schraffuren in den Normbildern des Verbotes durch Balken zu ersetzen. Und ebenso kann man in den sprachlichen Fassungen der Normen «Verbotensein» durch «Gebotensein» ersetzen. Grundsätzlich ist das jedenfalls möglich, doch nicht immer. Was die obenstehenden acht Verbotsdiagramme anlangt, so lässt sich von ihren sprachlichen Umschreibungen die jeweils erste zu einem analogen Ausdruck des Gebotenseins umformen, für die nachfolgenden Varianten gilt das jedoch oftmals nicht. Verbote dürfen nicht übertreten, Gebote sollen erfüllt werden: dieser Unterschied wirkt sich sprachlich aus. Betrachten wir die Gebotsnorm, deren Normbild dem Wenn-dann-Verbot aus Diagramm 1 entspricht:
10
Es ist geboten, A ohne B zu tun.
[33]
Das entspricht der Formulierung zu Diagramm 1:Es ist verboten, A ohne B tun. Aber zu der anderen Formulierung dieses Verbotes,Wenn man A tut, soll man auch B tun , gibt es im Bereich des Gebotenseins kein Gegenstück. Warum nicht? Beim Verbot schwingt ein «Immer wenn man A tut ...» mit. Ein typisches Verbot kann immer wieder übertreten werden, demgemäß ist es zeitlos gefasst; die Zehn Gebote – zumeist Verbote – sind es seit Jahrtausenden. Dies «immer» passt aber nicht zu Geboten, bei denen es ja nicht auf Übertretungen, sondern auf die Erfüllung ankommt, und die braucht zumeist nur einmal zu erfolgen. Demgemäß ist an ein Gebot auch in der Regel ein Termin geknüpft, bis zu dem es erfüllt sein soll: das ermöglicht zudem die Feststellung (und dokumentiert sie auch oft), dass die Norm erfüllt oder noch nicht erfüllt ist oder dass sie gar endgültig unerfüllt bleibt. Typisch ist die Zeitbestimmung bei Befehlen und bei Verwaltungsakten («sofort»; «in genau 24 Stunden»; «spätestens bis zum 7. August 2011»). Wie bringt man den Erfüllungstermin im Diagramm zum Ausdruck? Im Grunde nicht anders, als es der TÜV mit dem Datum der nächsten Inspektion tut: Man stempelt ihn auf die Graphik. Natürlich kann sich die Aktualisierung des Gebotes auch an irgendeinen Vorgang knüpfen, oftmals ergibt sie sich aus der Natur der Sache, so wenn man auf einen Unglücksfall stößt und zur Hilfeleistung verpflichtet ist (§ 323c StGB).
[34]
Noch ein Beispiel für den sprachlichen Unterschied zwischen Geboten und Verboten:

11
Es ist geboten A oder zu tun.
[35]
Das entspricht – Gebotensein statt Verbotensein – dem Satz «Es ist verboten, A oder B zu tun» (s. 3). Zu der anderen Umschreibung dieses Verbotes – «Es ist verboten, sowohl A wie B zu tun» – gibt es dagegen in der Sprache der Gebote keine Entsprechung, jedenfalls nach meinem Sprachgefühl nicht. «Es ist geboten, sowohl A wie B zu tun», diesen Satz würde man so verstehen, dasszwei Handlungen – eine zu A und eine zu B – zu vollziehen seien. Und man würde das Diagramm so zeichnen (entsprechend Diagramm 7a):
11a

[36]
Der Unterschied erklärt sich vermutlich so: Während Verbote danach streben, dass etwas in Ruhe gelassen wird, wollen Gebote, dass etwas geschieht. Und wenn schon etwas geschehen soll, warum dann nicht gleich in zwei Handlungen?

3.

Zusammentreffen mehrerer Normen ^

[37]
Beispiele dafür haben wir oben schon angeführt: vor allem das Zusammentreffen zweier Verbote in Idealkonkurrenz, etwa von Betrug und Urkundenfälschung (vgl. Diagramme 7a). Es gibt aber noch viel mehr Möglichkeiten. Denn von den Verbotßtrukturen kann jede mit jeder der acht zusammentreffen und natürlich auch auf Gebote in achterlei Gestalt! Für Verbot/Verbot und Gebot/Verbot stellen wir je ein Beispiel vor9 :
12
[38]
Verbot/Verbot. A ist verboten – zur Gänze. Wer trotzdem in den Bereich A gerät, sollte wenigstens noch in den Bereich B gehen – sonst übertritt er noch ein zweites Verbot. Zum Beispiel:Man soll keinen Verkehrsunfall verursachen. Wer es trotzdem tut, soll bis zur Feststellung seiner Personalien und des Unfallhergangs an der Unfallstelle warten (§142 StGB). Auf diese Weise kann zu einer fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr noch ein «unerlaubtes Entfernen vom Unfallort» hinzukommen. (Ob auch das ein Fall von Idealkonkurrenz ist, ist in der Literatur umstritten; die herrschende Lehre verneint es.)
13
[39]
Gebot/Verbot. Geboten ist, A zu tun. Aber wenn man A tut, darf man es nicht außerhalb von B tun: Zu dem Gebot hinzu kommt ein Verbot in Wenn-dann-Form. Damit macht das Diagramm auch zwei Formen normwidrigen Verhaltens sichtbar. 1. Man verweigert sich dem Gebot und geht nicht in A; dann übertritt man auch nicht das Verbot, das ja in A liegt. 2. Oder man tut zwar A, aber außerhalb von B. Dann tut man dem Gebot Genüge, handelt aber dem Verbot zuwider. Eine Möglichkeit, beiden Normen zugleich zuwiderzuhandeln, ist nicht ersichtlich. Solche Konstellationen ergeben sich oft. Ein Beamter erhält den Auftrag, ein fernes Land aufzusuchen. Zur Einreise müsste er seinen Pass verlängern lassen, sich vielleicht auch impfen lassen. Doch wenn er sich weigert, in jenes Land zu fahren, aus welchen Gründen auch immer, ist er nicht verpflichtet, sich um Pass und Impfung zu kümmern.

4.

Rechtssätze ^

[40]
Wer eine andere Person körperlich misshandelt ..., wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§ 223 StGB). Das ist ein typischer Rechtssatz. Das «wird» bringt den unpersönlichen Charakter der Rechtsordnung zum Ausdruck; selbstverständlich drückt es keine Prognose aus, manch ein Schläger kommt ungeschoren davon. Gemeint ist: Wenn jemand einen anderen misshandelt,soll er bestraft werden. Ein solcher Wenn-dann-Satz ist ein Verbot: Es darf nicht sein, dass jemand einen anderen misshandelt und nicht bestraft wird. Typische Rechtssätze haben die Form von Verboten; auch Naturgesetze hat Karl Popper mit einer großartigen Metapher als «Verbote» bezeichnet. Wenn man aus einem universalen Rechtssatz individualisierende Sätze herleitet (wieder ein wenig Weltwissen vorausgesetzt), tritt die Verbotsnatur deutlicher hervor: «Wenn du nicht im Gefängnis landen willst, dann halt dich zurück!»

5.

Ein Blick auf John Venn und die Klassenlogik ^

[41]
John Venn (1834–1923) war Professor für Logik in Cambridge. SeineSymbolic Logic (er hat diesen Namen geprägt) erschien in erster Auflage 1880.
[42]
Venn war ein Vertreter der sogenannten Klassenlogik, und die von ihm erfundenen Diagramme werden auch heute gern zur Veranschaulichung der Beziehungen zwischen «Klassen» benutzt. Zum Vergleich mit der Normlogik sei nur soviel erwähnt: Dass ein Kreis schraffiert ist, bedeutet in der Klassenlogik (und auch in den nun folgenden Diagrammen), dass die entsprechende Klasse leer ist. Dann bedeutet auch jeder Unterkreis eine leere Klasse: Wenn die Klasse der Einhörner leer ist, ist auch die Klasse der pinkfarbenen Einhörner leer. (Das ist wie bei Verboten: Wenn die Zucht von Einhörnern verboten wäre, wäre auch die Zucht von pinkfarbenen Einhörnern verboten.) Wenn sich dagegen in dem Kreis, der ein Klasse bezeichnet, ein Stern befindet *, dann ist die entsprechende Klasse nicht leer, und dann ist auch jede sie erweiternde Klasse nicht leer. Wenn es in Japan durchsichtige Frösche gibt (sie sind dort für Biologen und Mediziner gezüchtet worden), gibt es in Japan Frösche. Für eine imperativische Interpretation passt der Stern aber nicht; die Bitte, aus Japan einen durchsichtigen Frosch mitzubringen, wird natürlich nicht durch irgendeinen Frosch als Mitbringsel erfüllt. Deshalb mussten wir durch einen Balken im Diagramm die Reichweite des Gebotes andeuten.
[43]
Blicken wir noch einmal zurück auf Diagramm 13: Schraffur und Balken, Verbot und Gebot können sich ganz oder teilweise decken. In einer klassenlogischen (ontischen) Interpretation des Diagramms wäre dergleichen nicht möglich. Schraffur und Stern, leere und nichtleere Klasse, Nichtsein und Sein schließen einander aus.
[44]
Vielleicht kann man Verbote und Gebote als Klassen, mit Handlungen als Elementen, interpretieren. Diese Deutung wäre jedoch gekünstelt. Seit Jahrtausenden gibt es Verbote und Gebote, die sich auf Räume und Orte richten, gibt es Verbannungen, Lager, militärische Sperrgebiete, müssen Menschen zu Kriegsschauplätzen marschieren oder in fremden Gegenden nach Schätzen suchen. Das war schon bei den Argonauten so. Auch in der Welt des Märchens findet man entsprechende Motive: das Zimmer, das die Ehefrau nicht betreten darf, die Zauberwurzel, die der Held hinter hohen Gebirgen und reißenden Flüssen finden soll. All das hat sich tief in die Seele des Menschen eingegraben. Der Begriff der logischen Klasse ist dagegen ein Kunstgebilde des 19. Jahrhunderts.
[45]
Venn, in der Begrifflichkeit der Klassenlogik, kam aber überraschend nahe an die Welt der Normen heran; ein Blick auf eine Übungsaufgabe in seinem Lehrbuch zeigt das10 : Die Satzung eines Vereins enthält einige Regeln über die Mitgliedschaft in Vereinsausschüssen und die Inkompatibilitäten dabei.

  1. Der Finanzausschuss wird aus dem Verwaltungsausschuss gewählt.
  2. Niemand soll zugleich Mitglied des Verwaltungsausschusses und des Bibliotheksausschusses sein, wenn er nicht auch Mitglied des Finanzausschusses ist.
  3. Kein Mitglied des Bibliotheksausschusses soll dem Finanzausschuss angehören.
[46]
Die Schraffuren im entsprechenden Venn-Diagramm bedeuten jetzt keine Verbote, sondern unzulässige Mitgliedschaften in den Ausschlüssen. Beispielsweise kann man kein Mitglied im Finanzausschuss sein, wenn man nicht auch dem Verwaltungsausschuss angehört: Regel 1).

14
[47]
Venn fragt, ob man das Regelsystem vereinfachen könne. Das ist in der Tat möglich; man braucht nur das Venn-Diagramm zu vereinfachen und es dann wieder in Normsätze zurückübersetzen. Links unten im Schnittbereich von Finanzausschuss und Bibliotheksausschuss überlagern sich zwei Schraffuren; das zeigt Redundanz an. Man kann die Schraffuren aber auch so auslegen, dass es keine Überlagerung mehr gibt: dann sind die Inkompatibilitäten nicht mehr redundant, und es treten an die Stelle jener drei Regeln deren zwei:

15

  1. Der Finanzausschuss wird aus dem Verwaltungsausschuss gewählt.
  2. Niemand darf zugleich dem Verwaltungsausschuss und dem Bibliotheksausschuss angehören.
[48]
Ist das eine Verbesserung? Einfachheit ist erstrebenswert für Regelsysteme. Aber Einfachheit ist nicht alles. Vielleicht wären die Vereinsmitglieder gar nicht glücklich über die Vereinfachung ihrer Satzung. Den Verlust der Regel 2 würden sie wohl verschmerzen: sie war wenig durchsichtig. Doch verschwunden ist auch Regel 3:Kein Mitglied des Bibliotheksausschusses soll dem Finanzausschuss angehören. Diese Inkompatibilität könnte jedoch wichtig sein: ahnt man doch, wofür Büchernarren Vereinsgelder ausgeben, wenn ihnen nicht ein unabhängiger Finanzausschuss auf die Finger schaut! In der Sache hat sich durch die Vereinfachung zwar nichts geändert, die Schnittmenge zwischen Finanzausschuss und Bibliotheksausschuss ist nach wie vor leer. Doch dass diese Leere nicht mehr ausdrücklich postuliert ist, könnte sich in Streitfällen auswirken. Natürlich mögen die Vereinsmitglieder das auch anders sehen; in unserem Zusammenhang kommt es nur auf die Erkenntnis an, dass man durch Venn-Diagramme alternative Fassungen für Regelungen finden kann.
[49]
In der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts gab es auf dem Gebiete der Normlogik einen Durchbruch: es entstand die «deontische» Logik.11 Hunderte von Tagungen und Workshops haben sich mit ihr auseinandergesetzt; aberhunderte von Büchern und Aufsätzen sind ihr gewidmet; zahlreiche Forschungsprojekte hatten sie zum Gegenstand, finanziert von Universitäten, staatlichen Institutionen oder gemeinnützigen Stiftungen. Für die Rechtswissenschaft ist freilich wenig herausgekommen. Und Venns Ansätze zu einer Normlogik wurden meines Wissens nicht weitergeführt. Warum nicht? Dafür mag es viele Gründe geben, nur in einem bin ich mir sicher: Der Stil der Logik hatte sich geändert: in der Nachfolge Bertrand Russels stützte sie sich nun auf die Präzision von Axiomen und Ableitungen statt auf die Anschaulichkeit von Diagrammen.



Lothar Philipps ist Professor emeritus für Strafrecht, Rechtsinformatik und Rechtsphilosophie an der Ludwig Maximilians Universität München.

loth@jura.uni-muenchen.de


  1. 1 Die beste mir bekannte Erörterung der Venn-Diagramme findet sich bei Willard van Orman Quine, Methods of Logic, New York 1964, dtsch. Grundzüge der Logik, Frankfurt 1969. Von Normen ist dort aber nicht die Rede. Die Diagramme sind nicht zu verwechseln mit Euler-Kreisen, welche sich teilweise oder ganz ineinander schieben oder sich voneinander entfernen; bei den leistungsfähigeren Venn-Diagrammen ist die Lage der Kreise zueinander starr. Näheres zu dem Unterschied bei L. Philipps, Normentheorie, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 7. Aufl. Frankfurt/Main 2004, S. 320 ff.
  2. 2 Weshalb manche Rechtswissenschaftler der Meinung sind, zwischen Geboten und Verboten gebe es nur einen Unterschied des sprachlichen Ausdrucks; so Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 2. Aufl. 1923, S. 669.
  3. 3 Karl Binding, die Normen und ihre Übertretung, 2. Auflage 1890–1919, Bd. 1, S. 125.
  4. 4 Das gilt auch für Motorschiffe, vgl. Regel 18: Verantwortlichkeiten der Fahrzeuge untereinander

    .....

    a. Ein Maschinenfahrzeug in Fahrt muss ausweichen

    i. einem manövrierunfähigen Fahrzeug;

    ii. einem manövrierbehinderten Fahrzeug;

    iii. einem fischenden Fahrzeug;

    iv. einem Segelfahrzeug.

    b. Ein Segelfahrzeug in Fahrt muss ausweichen

    i. einem manövrierunfähigen Fahrzeug;

    ii. einem manövrierbehinderten Fahrzeug;

    iii. einem fischenden Fahrzeug.

    c. Ein fischendes Fahrzeug in Fahrt muss, soweit möglich, ausweichen

    i. ...

    So geht es weiter, bis die Begegnungsmöglichkeiten aller Fahrzeuge, in der Reihenfolge ihrer Manövrierbehinderung, aufgelistet sind. Das Gesetz spricht nicht mehr von «Schiffen», da es sich auf vielerlei «Fahrzeuge», sogar auf Wasserflugzeuge erstreckt.
  5. 5 Binding, II,1 S. 552 ff.
  6. 6 Binding betont wiederholt die Verwendung des Wortes «muss» – anstelle von «soll», geht es dabei doch um die Innehaltung jenes «Gleichgewichts», das in manchen Fällennotwendig ist zur Beachtung eines Verbots. Vgl. II,1 S. 549, 554.
  7. 7 Zum «Gleichgewicht» s. Normen II 1, S. 567 ff., In I, S. 116 ff. ist auch von der Möglichkeit des «labilen Gleichgewichts» die Rede, welches der «Garant» (der Ausdruck kommt wohl erst in Bd. II,1 vor) immer wieder ins Lot zu bringen hat, um ein «Unheil» zu verhüten; gerade das Beispiel von Herr und Hund zeigt das. Das zeitlose Wenn-dann der Norm kann beim Übergang ins Sein höchst dynamische Formen annehmen. Demgemäß versteht Binding die Verursachung als «Werdeprozess», der «Schritt für Schritt entsteht», II 1, S. 508.
  8. 8 Verschiebbarkeit fällt auch unter die Symmetrien und ist auch für die Rechtswissenschaft wichtig. Ein Objekt wird als symmetrisch bezeichnet, wenn es gegenüber bestimmten Transformationen, auch juristischen Transformationen, invariant bleibt. Deshalb sei auf Bindings Bemerkung hingewiesen: «In der Entwicklung des Strafrechts bilden die Normen das stabile Element ...». Normen I, S. 142. Eine vorzügliche Darstellung der «Rules of Symmetry» gibt Mario Livio:http://plus.maths.org/issue38/features/livio/index.html
  9. 9 Binding, Normen II 1, S. 101 gibt zum Zusammentreffen von Gebot und Verbot ein Beispiel an: «Wohl aber gibt es einen Nullpunkt zwischen Ver- und Gebot, vielleicht richtiger einen Punkt, in dem sie zusammentreffen. ’Stillgestanden!’ bedeutet ein Verbot der Bewegung und ein Gebot, sich in nichtbewegte Stellung zu begeben und darin zu verharren.» Vgl. auch Normen I, S. 110.
  10. 10 Die Aufgabe ist zitiert bei Herbert Fiedler, Juristische Logik in mathematischer Sicht, in: ARSP 1966, S. 93 ff.
  11. 11 Eine treffliche Darstellung des gegenwärtigen Standes der «Deontic Logic» gibt Paul McNamaras gleichnamiger Artikel in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (im Internet).