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Dialogische Logik und juristische Beweislastverteilung

  • Author: Lothar Philipps
  • Category: Short Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Legal Theory
  • Citation: Lothar Philipps, Dialogische Logik und juristische Beweislastverteilung, in: Jusletter IT 5 October 2011
Aus der sachgerechten Verteilung der Beweislast auf die Parteien eines Streitgesprächs ergeben sich die wesentlichen Regeln der Logik. Für die Rechtslogik gilt das auch. Der Aufsatz folgt dem Prozessualisten Leo Rosenberg darin, dass die Beweislast den Regeln des materiellen Rechts innewohnt, also nicht aus gesonderten prozessualen Regeln folgt.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Beweislast im Alltag
  • 2. Beweislast in der Logik
  • 3. Beweislast bei Versprechungen
  • 3.1. Die Erfüllung von Versprechungen
  • 3.2. Das Versprechen und seine Erfüllung – Spiegelbildlichkeit über Kreuz
  • 4. Eulenspiegel, Ikkiyû und die bedingte Behauptung

1.

Beweislast im Alltag ^

[1]
Zwei Hochschullehrer, Prof. P und Prof. O, beide leidenschaftliche Angler, unterhalten sich. «Letzten Sonntag habe ich einen Karpfen gefangen, in dessen Rücken die abgefaulten Beine eines Fischadlers steckten», sagt P. Ein solcher Fang kommt vor, wenn auch nur äußerst selten. Die Geschichte kann also wahr sein, ist aber vielleicht auch nur Anglerlatein. O wird zum Ausdruck bringen, vielleicht durch einen zweifelnden Blick, dass er einen Beweis sehen will, und P wird vielleicht ein Foto zücken, das ihn mit seiner Beute zeigt.1
[2]
«Beim Angeln ist es wie in der Wissenschaft», sagt P. «Alles eine Frage der Disziplin. Ich habe bislang 84 Bücher und 5392 Aufsätze veröffentlicht, und ich sage Ihnen: mir ist nicht ein einziger Druckfehler entgangen.» O bebt vor Wut. Trotzdem wird er diesmal seinen Kollegen nicht zum Beweis auffordern: Bei Fischadlerbeinen in einem Karpfenrücken geht das, aber bei der Druckfehlerfreiheit eines gewaltigen literarischen Lebenswerkes kaum. Doch als O am Abend lustlos in einem von P’s Werken stochert, macht er einen entscheidenden Fund: «Grabställe» statt «Grabstelle», wie es richtig heißen müsste! Das wird er P am nächsten Tag unter die Nase reiben.
[3]
Betrachten wir diese beiden Dialoge von einem allgemeineren Standpunkt aus: P, dessen Kürzel wir jetzt zu «Proponent» vervollständigen, stellt eine Behauptung auf. O, jetzt zu «Opponent» ergänzt, bezweifelt die Behauptung. Wenn P mit seiner Behauptung Ernst genommen werden will, muss er imstande sein, sie zu beweisen. Es gibt freilich Behauptungen, bei denen es sachgerecht ist, dass nicht der Behauptende sie beweist, sondern sein Opponent sie widerlegt. Das gilt vor allem für eine negative Behauptung, die sich auf das Fehlen einer sehr großen Anzahl von möglichen Vorkommnissen (oder Gegenständen) richtet, auf «praktisch unendlich viele». Den Beweis eines Nicht-Vorkommens zu führen ist oftmals «praktisch unmöglich» (gemäß der alten Juristensprache eine probatio diabolica). Andererseits kann die Widerlegung einer solchen Behauptung u.U. leicht und rasch geschehen, wenn man Finderglück hat (mit einem neuerdings beliebten Ausdruck: Serendipity).

2.

Beweislast in der Logik ^

[4]
In den Möglichkeiten, die Beweislast für eine Behauptung auf die beiden Parteien eines Streitgesprächs zu verteilen, zeichnen sich die Grundzüge der dialogischen Logik ab.2 Es gibt fünf Verteilungsmöglichkeiten:

  1. Die Beweislast für die Behauptung a liegt bei P, der sie aufgestellt hat.3
  2. Die Beweislast geht auf den Opponenten O über; dies wenn P behauptet hat, dass anicht zutrifft.
[5]
Soviel zur Beweislast bei einer eingliedrigen Behauptung. Weitere drei Möglichkeiten ergeben sich, wenn die Behauptung aus zwei Teilsätzen a und b zusammengesetzt ist:

  1. P obliegt es, beides: aund b zu beweisen, soweit O dies verlangt
  2. P braucht nur eines: aoder b zu beweisen. Er hat die Wahl.
  3. Wenn P a beweist,dann muss O b beweisen. (Bzw. wenn P b beweist, dann hat O a zu beweisen. Strukturell gesehen ist dies das gleiche: Wenn der eine den Beweis für eine bestimmte Teilbehauptung geführt hat, muss der andere mit dem Beweis der anderen Teilbehauptung nachziehen.)
[6]
Wie durch Fettdruck angedeutet, lassen sich die Beweislastverteilungen als Regeln für die Verwendung der Partikelnicht, und, oder, wenn ... dann interpretieren, die wir aus der Aussagenlogik kennen: als Negation, Konjunktion, Alternative und Konditional.
[7]
Wenn jede der Verknüpfungsformen durch eine spezifische Beweislastverteilung bestimmt wird, ist es plausibel, dass man sie nicht zu einer anderen Form umdeuten kann, die dann nämlich mit einer anderen Beweislastverteilung verbunden wäre. In der klassischen Aussagenlogik, die keine Beweislast kennt, sind solche Umdeutungen eine selbstverständliche Möglichkeit. Dort ist beispielsweisewenn a, dann b gleichbedeutend mitnicht a, oder b.
[8]
In der dialogischen Logik ist das nicht der Fall. Wenn der Proponent eine konditionale Behauptungwenn a, dann b aufgestellt hat, kann er sich Zeit lassen, bis sein Opponent O sich auf die Bedingung a eingelassen und sie auch bewiesen hat. Dann, und erst dann, hat der Proponent die Teilbehauptungb zu beweisen. Wenn P hingegennicht a, oder b behauptet, steht er schlechter da. Zunächst hat er auf Os Aufforderung hin zwischen den beiden Alternativennicht a undb zu wählen. Wählt erb , muss erb auch beweisen können; andernfalls verliert er den Dialog. Dass der Opponenta zu beweisen hätte, kann P nicht mehr verlangen. Wenn P andererseitsnicht a wählt, verliert er den Dialog, wenn O diesnicht a mit der Gegenbehauptunga (Regel 2) angreift und era auch beweisen kann; wobei P anders als bei der konditionalen Form (wenn a, dann b ) nun keine Chance mehr hat, dies durch den Beweis vonb noch auszugleichen.
[9]
Die dialogische Logik steht damit der natürlichen Sprache näher als die klassische Logik. Welche Frau würde es auf Anhieb verstehen, wenn ein Mann ihr sagte: «Ich sehe dich nicht, oder mein Herz rast?» Es ist eben nicht dasselbe, als wenn er ihr sagte: «Wenn ich dich sehe, rast mein Herz». Auch für den Verehrer gilt: Wenn er die alternative statt der konditionalen Satzform wählt, «steht er schlechter da». Mit der klassischen Logik verhält es sich wie mit der temperierten Stimmung in der Musik. Diese erlaubt es, Akkorde umzudeuten, beispielsweise den Dominantakkord einer Tonart in die Tonika einer anderen. In der «natürlichen» Stimmung ist das nicht möglich. Die temperierte Stimmung in der Musik wie in der Logik erweitert die Plastizität des Materials ungemein; doch ist das mit kleinen Dissonanzen erkauft, an die wir uns in der Musik gewöhnt haben, in der Sprache dagegen nicht.
[10]
Wenn die dialogischen Verknüpfungen logischer Art sind, sollten sich aus den Regeln ihrer Verwendung logische Gesetze ergeben. Das ist in der Tat der Fall. Es gibt nämlich Sätze, die der Proponent beweisen kann, ohne den Rahmen des Dialogs zu verlassen, d.h. ohne dass er sich auf externes Wissen berufen müsste. Solche Sätze sind, dialogisch gesehen, «logisch-wahr». Der Proponent braucht sich zu ihrem Beweis lediglich an die Verknüpfungsregeln zu halten. Der Beweis gelingt ihm deshalb, weil er sich auf Zwischenbehauptungen berufen kann, die der Opponent seinerseits in den Dialog eingeführt hat. In der Juristensprache: Der Proponent kann sich auf das «Vorbringen der Gegenpartei» berufen.
[11]
Warum aber lässt sich der Opponent zu einem derartigen Vorbringen herbei, obwohl es doch für ihn verhängnisvoll sein wird? Es bleibt ihm nichts anderes übrig; denn andernfalls könnte er die Behauptung des Proponenten schon im Ansatz nicht angreifen. Das einfachste aller Beispiele für einen solchen Dialog ist das folgende: Der Proponent behauptet: «Wenn a, dann a.» Der Opponent möchte das bestreiten; doch kann man einen bedingten Satz nur angreifen, indem man die Bedingung zugesteht (Regel 5).

P: Wenn a, dann a
O: Also gut, nehmen wir an, dass a.
P: Ich sage nun a.
O: Beweis es!
P: Du hast a doch selber angenommen.
[12]
Beim Satz vom Widerspruch gewinnt der Proponent den Dialog auf folgende Weise:

P: Es ist nicht richtig, dass a und zugleich nicht a zutrifft.
O: Im Gegenteil, ich behaupte, dass beides zutrifft: a und nicht a.
P: Wie war doch noch der erste Teil deiner Behauptung? (Regel 3)
O: a.
P: Und der zweite Teil?
O: Nicht a.
P: Dem halte ich entgegen: a. (Regel 2)
O: Beweis es!
P: Nichts einfacher als das: ich berufe mich auf dein eigenes Vorbringen, wonach a der Fall sei.
[13]
Beim Satz vom ausgeschlossenen Dritten wird man vielleicht eine Überraschung erleben.

P: Richtig ist a oder nicht a.
O: Du hast die Wahl! (Regel 4)
[14]
Wollte sich P jetzt für a entscheiden, so wäre das töricht; denn O würde ihn sogleich zum Beweis auffordern, und den vermöchte P nur zu leisten, wenn er sich auf faktisches Wissen über a berufen kann. Das wäre aber kein logischer Beweis. Also entscheidet sich P für die andere Alternative: nicht a.
[15]
O hält ihm entgegen: a. (Regel 2)
[16]
Muss O dies a beweisen, wenn ihn P dazu auffordert? Keineswegs: O hat nicht die Rolle des Behauptenden, sondern die des Bestreitenden. In der Juristensprache: O obliegt lediglich der «Gegenbeweis», nicht der «Beweis des Gegenteils». Und vielleicht könnte O ja in der Tata beweisen: weiß denn P, dass O es nicht kann? Eine faktische, vielleicht zufällige Beweismöglichkeit kann aber unmöglich über die Richtigkeit eines logischen Theorems entscheiden.
[17]
Dass der Satz vom ausgeschlossenen Dritten nicht logisch wahr ist im Rahmen eines Streitgesprächs, bedeutet aber nicht, dass er falsch wäre. Dann ließe sich nämlich die Negation des Satzes im Dialog verteidigen. («Es ist nicht der Fall, dass entweder a oder nicht a zutrifft.») Das ist jedoch auch nicht möglich, wovon sich der inzwischen eingeübte Leser selber überzeugen mag.4 Ein Grund zu erschrecken ist das keineswegs; man muss sich vor Augen halten, dass es hier nicht um eine Logik von Aussagen «an sich» geht, sondern um eine Logik von Behauptungen und Beweismöglichkeiten. In diesem Gewand würde der Satz vom ausgeschlossenen Dritten bedeuten, dass jeder Satz beweisbar oder widerlegbar ist. Diese Annahme lässt sich ihrerseits jedoch nicht beweisen.
[18]
Musielak geht in seinem Buch über «Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozess» auf den Satz vom ausgeschlossenen Dritten ein: «Der Richter, der nicht klären kann, ob der Tatbestand einer Norm tatsächlich erfüllt wurde ..., kann auf Grund des Rechtssatzes ... das daraus herzuleitende Recht weder bejahen noch verneinen; denn nach diesem Rechtssatz gibt es nur die beiden Möglichkeiten, dass entweder sein Tatbestand verwirklicht oder nicht verwirklicht wird.»5 Die Auswirkung des ausgeschlossenen Dritten ist damit trefflich beschrieben: dies Postulat macht aus Behauptungen und Bestreitungen neutrale «Sätze an sich», und das führt dazu, dass sich ein Rechtssatz im Falle der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts nicht anwenden lässt. Wie behilft sich da die Rechtswissenschaft (für die natürlich der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ein gesichertes Bildungsgut ist)? Sie erfindet besondere Regeln: «Beweislastregeln». Es ist jedoch natürlicher und einfacher, den Satz vom ausgeschlossenen Dritten wegzulassen, als zusätzliche Regeln zum Recht hinzufügen: Man sollte die Beweislast schon in der sprachlichen Gestalt der Gesetze ausdrücken, so wie das im deutschen BGB geschehen ist.


3.

Beweislast bei Versprechungen ^

3.1.

Die Erfüllung von Versprechungen ^

[19]
Trifft das, was für Behauptungen gilt, auch auf Versprechungen zu? Dann jedenfalls, wenn es um dieErfüllung eines Versprechens geht! Die Grundidee ist ja die gleiche: Wer eine Behauptunga aufgestellt hat, hat sich unter den Anspruch gestellt, die Wahrheit vona auch beweisen zu können. Und wer eine Handlung a versprochen hat, hat sich unter den Anspruch gestellt, a «wahr zu machen», also sein Versprechen zu erfüllen und die Erfüllung auch zu beweisen. Übrigens: P lässt sich außer zu Proponent auch zu «Promissor» ergänzen.
[20]
Auch die Strukturen sind die gleichen. Die zu Anfang angeführte Problematik einer negativen Behauptung wiederholt sich in einem negativen Versprechen, dem Versprechen, etwas zu unterlassen.6 Wenn Frau Olga von ihrem Ehemann Peter aus Anlass ihrer Silbernen Hochzeit den Beweis verlangt, er habe sie, seinem Versprechen vor dem Traualtar gemäß, in all den 25 Ehejahren nicht betrogen, so verlangt sie etwas, das unmöglich ist. Umgekehrt ist der Beweis eines Ehebruchs, auch eines lange zurückliegenden, eine realistische Möglichkeit, beispielsweise dann, wenn Frau Olga Finderglück hat (oder Finderunglück – das ist oft dasselbe). Man liest immer wieder in der Zeitung, dass eine blutige Tragödie damit begann, dass eine Ehefrau einen alten Anzug ihres Mannes an eine karitative Kleidersammlung geben wollte und dann in einer Jackentasche einen Liebesbrief gefunden hat oder eine Hotelrechnung für ein Doppelzimmer.

[21]
Bei mehrgliedrigen Versprechungen gelten ebenfalls die dialogischen Regeln. Zum Beispiel und zur Erinnerung: Paul verspricht seiner Freundin Ottilie, ihr von einer Reise nach Florenz ein Armbandund eine Brosche mitzubringen. (Nach seiner Rückkehr kann sie beides verlangen.) Vielleicht verspricht er auch nur ein Armbandoder eine Brosche. (Er kann dann wählen welches Schmuckstück; doch wird sie nicht gekränkt sein, wenn er ihr beides mitbringt, diese Möglichkeit wird durch dasoder nicht ausgeschlossen.) Oder er verspricht ihr:Wenn du mir ...,dann ich dir ... (Beim bedingten Versprechen legt sich die Beweislast auf beide Parteien: zuerst auf den Opponenten und dann auf den Promissor.)
[22]
Wie verhält es sich bei einer negativen Bedingung? Der Reiseveranstalter P hat vielleicht eine Geldzurück-Garantie für den Fall gegeben, dass bei einer Bootsfahrt kein Wal zu sehen ist; der Tourist O will das jedenfalls so verstanden haben.

O: War kein Wal zu sehen: also Geld zurück!
P: War doch zu sehen!
[23]
Dies hat P zu beweisen. (Regeln 5 und 2 – zu bedenken ist dabei, dass sich in einem komplexeren Dialog – wie diesem – die Rollen von P und O vertauschen können.) Sollte dieser Beweis misslingen, etwa weil andere Touristen auf dem Boot den Wal auch nicht gesehen haben, müsste P vielleicht später beweisen, dass er das Geld zurückerstattet hat. Das dürfte indessen keine Schwierigkeiten machen, wenn er sich eine Quittung hat geben lassen. Problematischer wird der Fall, wenn P bestreitet, eine Geldzurück-Garantie gegeben zu haben. Diese Zusage müsste nun O beweisen; doch das ist ein Problem für das nächste Kapitel.

3.2.

Das Versprechen und seine Erfüllung – Spiegelbildlichkeit über Kreuz ^

[24]
Bei den Versprechungen haben wir uns bisher nur mit dem Aspekt ihrer Erfüllung beschäftigt. Hier liegt aber nicht das einzige Problem, und nicht einmal das zeitlich erste. Bevor sich die Frage stellt, ob jemand ein Versprechen erfüllt habe, fragt es sich, ob er es überhaupt abgegeben habe, und oft genug wird dies streitig sein.
[25]
Die Beweislast für beiderlei – für das Versprechen und für seine Erfüllung – wird nicht bei einer und derselben Partei liegen, eher im Gegenteil. Dass jemand seine Verpflichtung erfüllt, befreit ihn von einer Bürde – und nimmt seinem Gegenpart die korrespondierende Berechtigung. Das liegt im Interesse des Verpflichteten, und deshalb ist es angemessen, dass er die Beweislast trägt. Dass er aber zuvor die Verpflichtung eingegangen ist, hat ihm einen Berechtigten gegenübergestellt, der begünstigt ist. Es ist daher nur billig, dass dafür dieser die Beweislast trägt. Als Leitidee sei deshalb festgehalten, dass die Beweislast für die Verpflichtung einerseits und die Erfüllung andererseits den Parteien in spiegelbildlicher Weise zugeordnet sein sollte. Betrachten wir das im Detail:
[26]
Bei einer Einzelleistung ist die Spiegelbildlichkeit unproblematisch. Wie gesagt: Wenn die eine Partei die Verpflichtung zu beweisen hat, dann die andere Partei die Erfüllung. Nicht anders bei einer Doppelleistung. Wenn ein P dazu verpflichtet ist,a und b zu leisten, so befreit er sich von dieser Doppelpflicht dadurch, dass era wie auchb leistet. Dass er beide Leistungen erbracht hat, muss der Schuldner notfalls beweisen. Dass aber überhaupt eine Doppelverpflichtung zua und b vorliegt, das zu beweisen ist Aufgabe seines Opponenten, des Berechtigten.
[27]
Wie verhält es sich aber bei einer Verpflichtung in der FormWenn a, dann b  ?
[28]
In der folgenden Fallkonstellation wird die Frage der Beweislast aktuell: O verklagt P auf Leistung vonb , was ihm P zugesichert hat. P stellt seine Verpflichtung nicht grundsätzlich in Frage, erklärt sie aber für bedingt: es sei verabredet, dass eine Bedingung a erfüllt sein müsse. O bestreitet eine solche Verabredung. Es ist P’s Sache, die Verpflichtung zu b erfüllen und dies zu beweisen – also sollte es nach dem Prinzip der Symmetrie O, dem Schuldner, obliegen, P’s Verpflichtung zu beweisen. Außerdem obliegt es O, zu beweisen, dass die Bedingunga erfüllt ist (nach der dialogischen Regel 5). Und spiegelbildlich dazu ist es P, der zu beweisen hat, dass die Bedingunga verabredet wurde.
[29]
Noch einmal: O hat zu beweisen, dass P zub verpflichtet ist – und darüber hinaus, dass die Bedingunga erfüllt ist. P hat zu beweisen, dass er seineVerpflichtung zu b erfüllt hat – und dass dieBedingung a verabredet worden ist.
[30]
So verhält es sich jedenfalls nach der von dem prozessualistischen Klassiker Leo Rosenberg vertretenen «Einwendungstheorie», welche Bezeichnung darauf anspielt, dass der Schuldner seine Verpflichtung nicht grundsätzlich leugne, sondern nur eine «Einwendung» geltend mache.7 Herrschende Lehre ist das freilich nicht. Nach der herrschenden Lehre ist P’s Bestehen darauf, dass eine Bedingung a verabredet worden sei, nicht als bloße Einwendung (partieller Natur) gegen seine Leistungspflicht anzusehen, sondern als Leugnung des gesamten Klagevorbringens («Klagleugnungstheorie»). Das Klagevorbringen wird danach nicht, wie von Rosenberg vorgeschlagen, in Verpflichtung und Bedingung zerlegt, sondern als eine unzertrennbare Sinneinheit aufgefasst. Die Beweislast dafür, auch für die Bedingunga , liegt dann beim Kläger O.
[31]
Dies ist nur eine rechtslogische Untersuchung: Auf die Details im juristischen Für und Wider einzugehen, erlasse ich mir.8

4.

Eulenspiegel, Ikkiyû und die bedingte Behauptung ^

[32]
Beweislast gibt es schon vor der Rechtswissenschaft, überall dort, wo es Streit und Argumente gibt,9 in den Auseinandersetzungen der Politik, der Philosophie und der Naturwissenschaften, also in Gebieten, in die die Kunstfertigkeit der juristischen Konstrukteure gar nicht hineinreicht. Und, wie sich jetzt zeigen wird, gibt es Entscheidungen durch Beweislast auch in alten Legenden. In den folgenden Streitgesprächen biegen Eulenspiegel und Ikkiyû, die Proponenten, ihre Thesen in die Form einer bedingten Ankündigung. Der Beweis wird unter eine Bedingung gestellt, die zu erfüllen nach den Regeln der dialogischen Logik in die Zuständigkeit des Opponenten fällt. Die Bedingung zu erfüllen ist freilich unmöglich: also siegt der Proponent.
[33]
Eulenspiegels Geschichte spielt in Prag. «Zu der Zeit wohneten darselbst noch gute Christen vor der Zeit, als Wickliff aus Engelland die Ketzerei in Böhmen tät und durch Johann Hus verbreitet ward.» Eulenspiegel hatte die Universität («alle Doctores und Gelehrten») zu einem Streitgespräch herausgefordert, indem er sich anheischig machte, «große Fragen» zu beantworten, «die sonst ander Meister nit auslegen oder Bericht kunnten geben».
[34]
«Und da er nun in ihre Versammlung kam, da hießen sie ihn auf den Stuhl steigen und hießen ihn antworten auf die Fragen, die ihm vorgelegt wären. Und die erste Frag, die der Rektor an ihn tät, war, dass er sagen und mit der Wahrheit bewähren sollt (also vortragen und beweisen), wieviel Ohm Wasser im Meer wären. Wo er die Frag nit auflösen und berichten könnt, so wollten sie ihn als einen ungelehrten Anfechter der Kunst verdammen und strafen.»
[35]
Zu derselben Frag er behend antwortet: «Würdiger Herr Rektor, heißet die anderen Wasser stillstehen, die an allen Enden in das Meer laufen, so will ich Euch messen, beweisen und die Wahrheit sagen darvon, und es ist leicht zu tun.»
[36]
«Dem Rektor war unmöglich, die Wasser zu behalten, und also zog er das ab und erließ ihm das Messen.»
[37]
In der gleichen Weise operationalisiert Eulenspiegel auch seine Thesen zu den anderen Fragen, die ihm vorgesetzt wurden: wo die Mitte der Welt sei, wie weit es von der Erde bis zum Himmel sei, und wie groß der Himmel sei.
[38]
«Eulenspiegel war in allem zu Bescheid, und mussten ihm alle Recht geben. ... Da war ihm leid, dass sie ihm etwas zu trinken gäben, dadurch er zu Schaden käm. Deshalben zog er sich aus den langen Rock und zog hinweg ...»
[39]
Man muss allerdings einräumen, dass der Rektor der Prager Universität sich reichlich dumm anstellt. Eine in Japan von Ikkiyû Sôjun überlieferte Geschichte ist eleganter, vor allem deshalb, weil es der Vorstoß des Gegners selber ist, den Ikkiyû sich nach Art asiatischer Kampftechniken zu Eigen macht.10
[40]
Ikkyû Sôjun (1394–1481) war eine der prägenden Gestalten des Zen-Buddhismus in Japan. Gerüchten zufolge war sein Vater der Tenno Go-Komatsu. Seine Mutter war eine Hofdame; auf Betreiben der eifersüchtigen Gemahlin des Tenno wurde sie vom Hofe gejagt. Als ihr Junge fünf Jahre alt war, übergab sie ihn dem Ankoku-ji Tempel in Kyoto als Akolyten; hier war er vor Nachstellungen von Seiten des Hofes besser geschützt. Ikkyû ging alsbald seiner Umgebung durch ebenso boshafte wie geistreiche Streiche auf die Nerven; ein früher Biograph drückte das so aus: «Er trug schon als Kind die Zeichen des Drachens.» Shogun Yoshimitsu, der davon hörte, bestellte ihn zu sich ins Schloss, um ihm eine Lehre zu erteilen. «Ich habe gehört, dass du ein aufgeweckter Junge bist», sagte der Shogun, «traust du dir aber auch zu, einen Tiger zu fangen?» «Ich denke schon, Euer Gnaden», antwortete Ikkyû. «Dann fang diesen hier», forderte Yoshimitsu ihn auf, zeigte auf einen Tiger, der, halb hinter Bambussträuchern verborgen, auf einen Wandschirm gemalt war, und warf dem Jungen ein Seil zu.11 Ikkyû ergriff das Seil, knüpfte eine Schlinge, überprüfte sorgfältig den Sitz der Knoten und stellte sich dann vor das Bild. «Ich bin bereit, Euer Gnaden. Wenn Sie ihn jetzt heraustreiben wollen ...»



Lothar Philipps ist Professor emeritus für Strafrecht, Rechtsinformatik und Rechtsphilosophie an der Ludwig Maximilians Universität München.

loth@jura.uni-muenchen.de

Dieser Text ist erstmals erschienen in:
Meiji Gakuin Review of Law 2003 (vol.19), 3–17

  1. 1 Ob das in unserer Zeit der Digitalphotographie und Bildbearbeitung am Computer noch genügt, ist eine Frage, auf die ich hier nicht näher eingehen kann als mit der allgemeinen Bemerkung, dass die Akzeptanz eines Beweises oder auch nur einer Glaubhaftmachung von sozialen Normen abhängt, nicht nur im Alltag und nicht nur vor Gericht, sondern auch in der Gemeinschaft der Naturwissenschaftler.
  2. 2 Vgl. den Sammelband «Dialogische Logik», den Paul Lorenzen und Kuno Lorenz herausgegeben haben, Darmstadt 1978, sowie W. Kamlah und P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 3. Aufl. Stuttgart 1996, (1. Aufl. 1967). Was die juristische Anwendung dieser Logik anlangt, so sei hingewiesen auf meine Aufsätze Das dialogische Tableau als Werkzeug des Rechts, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 2 (1972), S. 233 ff. und Der Computer als Hilfsmittel zu einer interessengerechten Normierung, in: Gesetzgebung und Computer, hrsg. von Theo Öhlinger, DVR Beiheft 17 (1984), S. 67 ff. Vgl. auch schon L. Philipps, Rechtliche Regelung und formale Logik ARSP 1964, S. 317 ff. Der dialogische Ansatz findet sich auch bei Thomas F. Gordon, The Pleading Game: an Artificial Intelligence Model of Procedural Justice, Dordrecht 1995.
  3. 3 Eine Ausnahme davon ist nur scheinbarer Art: Wenn P’s Behauptung eine Ehrverletzung des O enthält, dann wird oftmals, jedenfalls einst im «germanischen und altdeutschen Prozesse», erwartet, dass der Verletzte «sich in substanziellerer Weise dagegen wehrt, als lediglich den Ehrverletzer zum Beweis aufzufordern». So H-J Musielak. Die Grundzüge der Beweislast im Zivilprozess, Berlin-New York 1975, S. 209 ff., S. 220 Anm. 279. Wir brauchen übrigens nicht unsere Phantasie anzustrengen, um uns in die Welt der Germanen zu versetzen, sondern nur das Fernsehgerät anzuschalten; auf einem der vielen Kanäle wird uns die Problematik bestimmt vor Augen geführt: An die Theke der Westernbar gelehnt, behauptet ein in schwarzes Leder gekleideter Killer Ehrabschneidendes über den jungen Cowboy neben ihm oder gar über dessen Mutter. Das darf dieser «nicht auf sich sitzen lassen», auf keinen Fall! Er wird aber den Schwarzgekleideten nicht zum Beweis ausfordern, sondern «in substanziellerer Weise» reagieren, also zum Revolver greifen. Dann wird ihn der schneller ziehende Killer in «Notwehr» erschießen. (Es sei denn, dass John Wayne, ein väterlicher Freund des Cowboys, zur Stelle ist und den jungen Mann blitzschnell ausknockt. Wenn die Zeit dafür reif ist, wird Wayne selber den Killer in einem Shoot-out töten.) Musielak meint, dass die substanzielle Reaktion des Verletzten das «Urtümliche» sei. Dass dieser dagegen eine formale Position einnehme und den Anschuldiger «ruhigen Blutes» zum Beweis auffordere, gehöre «erst einer späteren Entwicklungs- oder, wenn man will, Niedergangsstufe an». Das mag sein; es ist aber leider auch typisch für Zeiten des Niedergangs, dass nur noch selten ein John Wayne neben einem steht. Unser Text steht gar nicht in Widerspruch zu solcher Urtümlichkeit. Bei dieser geht es um die Beleidigung, die in der ehrverletzenden Behauptung als solcher liegt und nicht um die Frage, ob sie wahr oder falsch sei. Deshalb nützt es dem Betroffenen auch nichts, die Behauptung zu bestreiten; damit würde er sich nur einen zweiten Angriff einhandeln: «Soll das heißen, dass ich ein Lügner bin!» Auch das kann man, wie so vieles, aus Western lernen.
  4. 4 Der holländische Mathematiker Luitsen Brower, der die «intuitionistische» Mathematik begründet hat, aus der die dialogische Logik hervorgegangen ist, hat den Satz vom ausgeschlossenen Dritten «onbetrowbar» genannt; er sei zwar nicht falsch, man könne ihm aber nicht trauen und nicht auf ihn bauen, jedenfalls nicht bei einem Beweis, in dem unendliche Mengen eine Rolle spielen.
  5. 5 aaO. S. 19 ff., vgl. auch noch S. 111. Musielak hat die «Beweislastregeln» in ungemein gründlicher und sorgfältiger Weise erörtert.
  6. 6 Ehrlich gesagt bin ich auf die Problematik der Negativa im Recht erst durch die logische und wissenschaftstheoretische Literatur gestoßen, als Theoretiker halt. Da die «Negativentheorie» der Beweislast nur noch in der Dogmengeschichte des Prozessrechts ihr Dasein fristet, war ich ferner der Meinung, dass die Problematik auch in der juristischen Praxis keine nennenswerte Rolle mehr spiele. Um so überraschter war ich, als ich beim Vortrag des gegenwärtigen Textes in der Trierer Richterakademie (Sommer 2001) auf einen starken Widerhall bei den Praktikern stieß, die mir eine Fülle von «diabolischen» Fällen aus ihrem Berufsalltag präsentierten und offenbar froh waren, eine mitfühlende und mitdenkende Seele gefunden zu haben. Zur Negativentheorie vgl. Musielak aaO. S. 259f. 268f.
  7. 7 L. Rosenberg, Die Beweislast, 5. Aufl. 1965
  8. 8 Vgl. dazu Musielak, aaO. S. 332, wo der Streitstand eingehend dargstellt ist.
  9. 9 So auch Rosenberg, Beweislast S. 134 ff. mit einer Reihe von Beispielen, die ich für überzeugend halte. Eine kritische Auseinandersetzung damit findet sich bei Musielak aaO. S. 294 ff.
  10. 10 Ich frage mich, ob Eulenspiegel und Ikkiyû etwas Tieferes gemeinsam haben als die Ähnlichkeiten ihrer Streiche, insofern sie beide dazu neigen, an sie gerichtete Aufforderungen wörtlich zu nehmen. Gemeinsam ist ihnen die uneheliche Geburt und ein problematischer sozialer Status, wobei Eulenspiegel allerdings der Unterschicht, Ikkyû der Oberschicht angehörte. Ich kann mir leicht einen deutschen Leser von Ikkyus Jugendstreichen vorstellen, der sie spontan «Eulenspiegeleien» nennt. Ich stelle mir auch vor, dass ein japanischer Leser von Eulenspiegels Streichen sie in die Nachbarschaft der operationalen Lösung eines Zen-Koans rücken würde, aber sicher kann ich mir da nicht sein.
  11. 11 Die Geschichte deutet wohl auch auf das alte chinesische Motiv hin – Gegenstand vieler Märchen und Novellen –, wonach Bild und Wirklichkeit sich ineinander verwandeln können: das Bild eines Fisches, auf Seide gemalt, das von einem Windstoß in einen Bach geweht wird, verwandelt sich alsbald in einen lebendigen Fisch. Vgl. dazu Ludwig Klages, Der Geist als Widersacher der Seele, 4. Aufl. München-Bonn 1960, S. 358 ff. In der griechischen Überlieferung dagegen bleiben die gemalten Weinbeeren eine Täuschung, wenn auch so brillant, dass die Vögel an ihnen picken.