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Leben nach Plan – Utopien in den Biowissenschaften

  • Author: Markus Wiederstein
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Science fiction and utopias
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2011
  • Citation: Markus Wiederstein, Leben nach Plan – Utopien in den Biowissenschaften, in: Jusletter IT 24 February 2011
Keine Wissenschaft führt uns die Grenzen menschlichen Handelns so klar vor Augen wie die Biologie. Gleichzeitig weisen rezente Strömungen biologischer Forschung in utopisch anmutende Richtungen mit dem Ziel, ebendiese Grenzen zu überwinden. Bietet die Biologie damit nur neue Landeplätze für demiurgische Fantasien? Oder verändert sich die Biologie dadurch zunehmend zur Ingenieurwissenschaft, die – nach der Entzifferung der Logik des Bios – nun den Evolutionsprozess gestaltend vorantreiben möchte? Und wie nahe kommen sich in diesem Kontext Biologie und Kunst? Mit der Darstellung einiger Entwicklungen in den Biowissenschaften und deren Randgebieten soll ein Blick auf Utopien in der Biologie der nächsten Jahrzehnte geworfen werden. Es ist zu erwarten, dass mit diesen Entwicklungen auch intensive ethische und rechtliche Debatten einhergehen werden.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Synthetisches Leben
  • 2. Personal Genome Sequencing
  • 3. Proteindesign

1.

Synthetisches Leben ^

[1]
Kaum ein Phänomen unserer Erfahrungswelt übt eine ähnlich starke Faszination auf uns aus wie Leben. Die Autonomie alles Lebendigen, seine scheinbare Fähigkeit, die Grenzen der physikalischen Welt der Materie zu überwinden, zieht uns in ihren Bann, und wohl jede Konfrontation mit dem Ende eines Lebensvorgangs berührt uns in einer gewissen Weise.
[2]
Einer der Aspekte, die uns an Lebewesen faszinieren, ist deren Fähigkeit, neues Leben hervorzubringen. Und seit Louis Pasteur anerkennen wir auch, dassnur Leben neues Leben hervorbringt («omne vivum ex vivo »). Die Prozesse, die diese Fähigkeit ermöglichen, haben sich im Verlauf der Evolution erstaunlich weit ausdifferenziert1 , beruhen allerdings stets auf dem selben molekularbiologischen Prinzip: der Replikation des Bauplans aller Organismen, der DNA.
[3]
Mit der Entstehung von Bewusstsein in derHominiden -Evolution und den damit verbundenen Möglichkeiten zur rationalen Erfassung des Phänomens Leben kommt nun eine neue Modalität des Umgangs von Leben mit sich selbst in die Welt. Dem Verständnis grundlegender Lebensprozesse folgen die ersten Phasen gezielter Veränderung dieser Prozesse, die in die Gen- und Biotechnologie der vergangenen Jahrzehnte münden. Die Erfolge dieser Technologien sind der Ausgangspunkt für neue Forschungsfelder innerhalb der Biowissenschaften, die, über die bloße Modifikation von Lebensprozessen hinausgehend, die vollständige Neuschaffung von lebenden Systemen zum Ziel haben und unter dem Begriff «Synthetische Biologie» («Synthetic Biology», «Synthetic Life») zusammengefasst werden können2 ,3 ,4 . Im Unterschied zur «Artificial Life»-Forschung, die versucht, die essentiellen Eigenschaften von lebenden Systemen zu abstrahieren, zu formalisieren und zu implementieren (vornehmlich in algorithmischer Form bzw. als Computerprogramm), versucht man in der Synthetischen Biologie, neuartige biologische Systeme auf der Basis organischer Bausteine zu entwickeln und herzustellen. Dies würde eine völlig neue Art und Weise bedeuten, wie Leben Leben hervorbringen kann, nämlich durch rationales Design und den bewussten (schöpferischen) Akt des Schreibens eines DNA-Bauplans.
[4]

Was zunächst Assoziationen zu literarischen Vorläufern dieses Themas weckt5 , bedeutet – zumindest, was den derzeitigen Status der Synthetischen Biologie betrifft – die Behandlung u.a. folgender Probleme:

  • Wie kann man sich der grundlegenden Frage der Biologie – «Was ist Leben?» – in einem operationalen Sinn annähern? (Um etwas bauen zu können, muss man es (zumindest in seinen Grundzügen) verstehen).
  • Was sind die Minimalanweisungen für Leben? Mit anderen Worten: Wie schaut das Minimalgenom aus, das gerade noch ausreicht, alle wesentlichen Eigenschaften von Leben zu kodieren (autonome Replikation, Stoffwechsel, Wachstum, Reizverarbeitung, etc.).
  • Welche modulare genetische Einheiten lassen sich identifizieren, die sich (analog zu elektronischen Schaltkreisen) zu größeren Einheiten zusammenschalten lassen, um dann bestimmte Aufgaben zu erfüllen?
  • Sind lebende Systeme auch mit anderen als den in der Natur vorkommenden Biomolekülen denk- und konstruierbar?
[5]

Die Perspektiven, die die Proponenten der Synthetischen Biologie skizzieren, sind in der Tat atemberaubend, die genannten Anwendungsfelder vielfältig6 : künstliche biologische Systeme zur Energieversorgung (treibstoffproduzierende Bakterien, photosynthetisierende Dachziegel, photosynthetisierende Menschen), als Biosensoren (z.B. zum Aufspüren von TNT in Minenfeldern), Bioreaktoren (z.B. zum Abbau von toxischen Stoffen), Biocomputer (molekulare Turingmaschine), in der Medizin (nachwachsende Organe, medikamentenproduzierende Gewebe), als neuartige Materialien (selbst-reparierend, nachwachsend, auf Kommando die Form ändernd), u.v.a.m.7 Bisher erzielte Ergebnisse der Synthetischen Biologie umfassen zum Beispiel

  • die Konzipierung und Herstellung sogenannter Xenonukleinsäuren (XNAs), welche die DNA als informationstragendes Makromolekül ersetzen. XNAs können sich von DNA beispielsweise in der chemischen Struktur der Nukleotide, deren Anzahl und der Struktur des Rückgrats unterscheiden, was einerseits erlaubt, das genetische Alphabet zu erweitern und andererseits eine Möglichkeit zur Absicherung vor ungewolltem genetischem Austausch künstlicher Biosysteme mit natürlichen Organismen darstellt8 .
  • das Design und die chemische Synthese eines kompletten bakteriellen Genoms und dessen Verwendung zur Herstellung einer sich selbst replizierenden künstlichen Bakterienvariante9 ,10 ,11 . Um das künstliche Genom von natürlichen unterscheiden zu können, wurden bestimmte verschlüsselte Erkennungssequenzen («watermarks») in das Genom integriert und machten das künstliche Bakterium damit zum ersten Organismus, dessen Bauplan eine Webadresse, die Namen seiner Schöpfer sowie drei Zitate (von James Joyce, Robert Oppenheimer und Richard Feynman) enthält.12
  • die Erstellung eines standardisierten Inventars an molekularbiologischen Bauteilen, die für die Allgemeinheit frei verfügbar sein sollen und damit kreative Entwicklungen im Bereich der Synthetischen Biologie vorantreiben sollen13 ,14 . So werden beispielsweise beim jährlich stattfindenden iGEM-Wettbewerb die besten Entwürfe von Biosystemen prämiert, die aus diesen Bauteilen zusammengesetzt sind.15
  • etwas weiter gefasst auch eine begleitend geführte Diskussion ethischer und anderer gesellschaftlich relevanter Aspekte der Synthetischen Biologie16 .
[6]
Das Potential, das eine ingenieurwissenschaftlich betriebene Biologie für sich beanspruchen kann, reicht weit über die Möglichkeiten der herkömmlichen industriellen Technologien hinaus, und es ist offensichtlich, dass die Synthetische Biologie auch düsteren Entwicklungen das Tor öffnet. Die Erzeugung biogener Waffen erreicht eine neue Dimension, unter anderem, weil pathogene Mikrobiosysteme weitgehend unbemerkt eingesetzt werden können und die Einrichtung von Kontrollinstanzen weitaus schwieriger ist als für die traditionelle Rüstungsindustrie. Auch die leichte Verfügbarkeit von modularen Bauteilen zur Synthese neuartiger biologischer Konstrukte zeigt in diesem Zusammenhang seine Kehrseite, wie ein Journalist des Guardian bereits 2006 plakativ demonstrierte, der ohne Hindernisse die nötigen DNA-Sequenzen zum Zusammenbau des Pockenvirus über das Internet bestellen konnte17 .
[7]
Eine Form des gesellschaftlichen Echos auf die Entwicklungen in den konstruktiv-kreativen Biowissenschaften sind Bewegungen wie «biohacking» oder «biopunk», die in Analogie zum open-source Gedanken in der Softwarewelt für die weitgehende Freigabe genetischer Daten und der Mittel zu dessen Manipulation eintreten.18 Und natürlich haben auch Kunstschaffende schon längst damit begonnen, die neuen Möglichkeiten der Synthetischen Biologie zu nutzen.19 Werke wie «Victimless Leather», eine Gewebezüchtung einer kleinen Lederjacke, für die kein Tier sterben musste20 , führen direkt zu einigen der zahlreichen ethischen Fragen, die von der Synthetischen Biologie aufgeworfen werden: Welchen Verpflichtungen sollen ethisch vertretbare Unternehmungen in diesem Forschungsfeld unterworfen sein? Kann man jemanden für so etwas wie «fahrlässiges Biodesign» haftbar machen, oder wäre das im Hinblick auf die inhärente Indeterminiertheit von lebendigen Systemen unverhältnismäßig? Wie lange können Patentansprüche auf Konstrukte erhoben werden, die sich von selbst weiterentwickeln? Gibt es eine (auf den ersten Blick paradox anmutende) ethische Verpflichtung zur Schaffung von Tod, in Form von Schaltkreisen, die zu einem vorbestimmten Zeitpunkt oder unter bestimmten Bedingungen das Leben eines Organismus beenden? Müsste man mit der zu erwartenden zunehmenden Komplexität der konstruierten Biosysteme nicht auch den Einbau von «Schmerzempfindungsvermeidern» (in weiterer Folge «Bewusstseinsvermeidern») fordern?

2.

Personal Genome Sequencing ^

[8]
Ein zentrales Instrument der Synthetischen Biologie ist der DNA-Synthesizer, also eine Maschine zur Synthese von DNA-Strängen mit einer vorgegebenen Sequenz. Neben den Möglichkeiten, genetische Information zu schreiben, unterliegt auch der Lesezugriff auf Genomsequenzen einer rasanten technologischen Entwicklung. Mittels DNA-Sequenzierern kann man immer schneller und kostengünstiger die vollständige Sequenz immer größerer Genome bestimmen. Während die erstmalige Sequenzierung des menschlichen Genoms im Rahmen des Human Genome Projects noch etwa 3 Milliarden US-Dollar kostete und rund 10 Jahre dauerte21 , ist die Aufklärung eines individuellen Genoms mittlerweile zum Konsumprodukt geworden. Ein an seiner persönlichen Genomsequenz interessierter Mensch kann heute aus einer Vielzahl an kommerziellen Angeboten wählen22 , die Kosten hierfür liegen derzeit (je nach Umfang der dabei ermittelten Sequenzdaten) in der Größenordnung von mehreren 100.- bis mehreren 10.000.- US-Dollar; auch die ersten Smartphone-Applikationen zur Interpretation dieser Daten werden bereits angeboten.
[9]
Das diploide Genom eines Menschen besteht aus ca. 6 Milliarden Genbausteinen (Basen-paaren). Was verspricht man sich nun vom Wissen über die exakte Sequenz, also die Abfolge der Bausteine, eines individuellen Genoms? Die medizinische Relevanz dieser Daten ist sicherlich das momentan am häufigsten angeführte Argument für das Personal Genome Sequencing. Neben der Diagnose von Erbkrankheiten und gesundheitlichen Risikofaktoren erhofft man sich große Fortschritte in der personalisierten Medizin. Arzneimittelwahl, -dosierung und Behandlungsmethoden könnten wesentlich genauer auf den einzelnen Patienten (bzw. sein Genom) abgestimmt werden, was Behandlungsergebnisse verbessern und Nebenwirkungen reduzieren soll. Die Aggregierung vieler individueller menschlicher Genome in Datenbanken soll darüber hinaus u.a. helfen, die Zusammenhänge von genetischen Dispositionen und Umweltfaktoren besser zu verstehen. Die Erfassung der genetischen Diversität der Menschheit wird aber auch für soziologische, ethnologische und anthropologische Fragen relevant sein. Projekte wie das Personal Genome Project bemühen sich daher, möglichst viele Individuen zur Sequenzierung und Freigabe ihres Genoms zu bewegen.23
[10]
Richard Powers reflektiert in seiner Reportage «Das Buch Ich #9» den Weg zur Aufklärung seines persönlichen Genoms24 und führt den Leser dabei auch an einige interessante Fragen heran, die die (nicht-anonyme) Freigabe genetischer Daten aufwirft. Welche Konsequenzen kann/darf eine solche Freigabe für das Individuum, dessen Genom sequenziert wurde, nach sich ziehen?25 Müssten mit einer Freigabe dieser Daten nicht auch alle engeren Verwandten einverstanden sein, da bis zu einem gewissen Grad auch Informationen über deren Genotyp erschlossen werden könnten? Wenn sich herausstellen sollte, dass der überwiegende Teil von krankheitsrelevanten Faktoren ererbt (und ungleich verteilt) ist, wie ist dann das Verhältnis von persönlicher Verantwortung für die Gesundheit und staatlicher Gesundheitsvorsorge zu bewerten? Wie soll mit Irrtümern und Fehlinformation (in der Sequenzierung und in der Interpretation) umgegangen werden? Wer kann das hochkomplexe Zusammenspiel, das aus der Gensequenz letztendlich resultiert, tatsächlich adäquat interpretieren?
[11]
Die fortschreitenden Möglichkeiten von Sequenzierungstechniken und computerunterstützter Sequenzanalyse provozieren aber auch Fragen nach unserer (biologischen) Identität, und zwar im zeitlichen wie auch im räumlichen Sinn: Einerseits ist es durchaus realistisch anzunehmen, dass die DNA-Sequenzierung in wenigen Jahrzehnten so kostengünstig, präzise und schnell durchgeführt werden kann, dass das regelmäßiges Ablesen des Genoms einen Blick auf dessen Entwicklung in der Zeit liefern könnte, also auf die Dynamik des Genoms über die gesamte Ontogenese eines Individuums. So könnte beispielsweise untersucht werden, wie viele und welche Mutationen sich wann und in welchen Zelltypen im Lauf eines Lebens ereignen, d.h. also, wie hoch die Persistenz der genomischen DNA als Informationsspeicher ist. Andererseits kommen Metagenomik-Projekte wie das Human Microbiome Project26 zu Ergebnissen, die auch das Verständnis unserer Identität als Organismus betreffen. Ziel des Human Microbiome Projects ist die Erfassung und Charakterisierung der im und am Menschen lebenden Mikroorganismen und deren Wechselwirkungen mit der individuellen Physiologie. Die genaue Bedeutung vieler dieser im Verdauungstrakt, auf der Haut, im Speichel, in Schleimhäuten etc. vorkommenden Mikroorganismen ist noch ungeklärt, im Normalfall verursachen sie jedoch keinerlei Erkrankung sondern spielen im Gegenteil oft eine essentielle Rolle für den Wirt, so zum Beispiel für dessen Energieversorgung (durch den Aufschluss von Kohlehydraten), den Stoffwechsel (Vitamin K-Synthese) oder das Immunsystem. Man geht heute davon aus, dass sich etwa 10x mehr Mikroorganismenzellen als menschliche Zellen in und auf dem menschlichen Körper befinden.27 Mit anderen Worten, die Entitäten, die wir makroskopisch als menschliche Individuen bezeichnen, bestehen zu 90% aus Zellen, die ein nicht-menschliches Genom tragen. Die Gesamtzahl der Gene des humanen Mikrobioms könnte die Gesamtzahl an menschlichen Genen sogar um den Faktor 100 übersteigen.28 Erkenntnisse dieser Art lassen Interpretationen des Menschen als «Supra-Organismus» zu29 , als einen Teil einer größeren symbiotischen Einheit. Vor diesem Hintergrund wird, einmal mehr, die Vielfalt der Abhängigkeiten des Menschen von einer intakten Biosphäre deutlich. Es ist wahrscheinlich, dass ähnliche symbiotische Einheiten – und damit ähnliche Abhängigkeiten – auch aus und mit den konstruierten Biosystemen der Synthetischen Biologie hervorgehen werden.

3.

Proteindesign ^

[12]
Die Kombination des Lesezugriffs auf die existierenden Genome durch Sequenzierungstechnologien mit den Schreibzugriffsmethoden der Synthetischen Biologie stellt ungeahnte Möglichkeiten in Aussicht, wie das enorme Potential, das in den Genen des auf der Erde existierenden Lebens steckt, auf konstruktiv-kreative Weise nutzbar gemacht werden kann. Doch auch wenn die Techniken, auf welche Bioingenieure und Künstler heute zurückgreifen können, bereits relativ weit fortgeschritten sind, unterliegen sie doch einigen wesentlichen Einschränkungen.
[13]
Eine dieser Einschränkungen wird erkennbar, wenn man die Übersetzung genetischer Information in jene molekularen Bausteine betrachtet, die das eigentliche strukturbildende Element des Lebens bilden, nämlich die Proteine. Erst mit der Übersetzung der in den Genen kodierten Bauanweisungen in Proteine vermag das Leben der Materie Form (und damit Funktion) zu geben. Diese Übersetzung geschieht in mehreren Stufen: zunächst wird die DNA-Sequenz eines Gens in eine mRNA-Sequenz umgeschrieben, diese wiederum wird in die Aminosäuresequenz eines Proteins übersetzt. Erst diese lineare Kette von Aminosäuren geht schließlich jene Konformationsänderung ein, die für die Übersetzung von Information in Struktur entscheidend ist: sie faltet sich und bildet eine definierte, von der jeweiligen Sequenz abhängige Raumstruktur aus.
[14]
Genau diesen Übersetzungsschritt aber versteht man bis jetzt nur ansatzweise: es ist kein Verfahren bekannt, das für eine beliebige Aminosäuresequenz deren Raumstruktur vorhersagen könnte. Und auch umgekehrt kann man für eine beliebige vorgegebene Raumstruktur eines Proteins nicht automatisch diejenige(n) Sequenz(en) angeben, die sich in diese Raumstruktur falten. Diese Probleme – das Proteinfaltungsproblem und das inverse Proteinfaltungsproblem – zählen zu den faszinierendsten ungelösten Problemen der Biologie. Die Bedeutung dieser Probleme für die Synthetische Biologie ist unübersehbar: sollte es gelingen, sie zu lösen, könnte man nicht nur die bereits vorhandenen Bausteine aus dem Katalog der Natur zu neuen biologischen Schaltkreisen kombinieren. Man könnte darüber hinaus auch gänzlich neue Bausteine entwerfen, indem man Gene synthetisiert, die in der Natur nicht vorkommen und die für Proteine kodieren, die eine maßgeschneiderte Struktur haben und damit eine gewünschte Funktion übernehmen können.30 Die Integration dieser neuen Bausteine in die bestehenden Funktionszusammenhänge, das Abstimmen der komplexen Gefüge miteinander interagierender Proteine, und das Design neuer Stoffwechselwege und Signalnetzwerke sind große Herausforderungen für die proteinbasierte Synthetische Biologie.31 Wie in kaum einem anderen Feld der Biowissenschaften werden die Akteure hier nicht nur Biologen und Ingenieure, sondern auch Künstler sein müssen.



Markus Wiederstein, Assistenzprofessor, Universität Salzburg, Fachbereich Molekulare Biologie, Center of Applied Molecular Engineering, Hellbrunnerstraße 34, 5020 Salzburg, AT
markII@came.sbg.ac.at ;www.came.sbg.ac.at


  1. 1 So finden wir in heutigen Organismen die verschiedensten Varianten von asexueller Reproduktion, sexueller Reproduktion, Parthenogenese, Generationswechsel u.a.m.
  2. 2 syntheticbiology.org , aufgerufen 14. Januar 2011 (2011).
  3. 3 Schmidt, M., Kelle, A., Ganguli-Mitra, A., & Vriend, H.d. (Hrsg.), Synthetic Biology: The technoscience and its societal consequences, Springer, Dortrecht (2009).
  4. 4 Endy, D., Foundations for engineering biology. In: Nature, Heft 438, S. 449-453 (2005).
  5. 5 Vgl. Mary Shelleys Frankenstein, den Homunculus des Mittelalters, das Golem-Motiv in der jüdischen Literatur, aber auch «Elementarteilchen» von Michel Houellebecq, List Taschenbücher, München (2001).
  6. 6 Vgl. Interviews auf SYNBIOSAFE,www.synbiosafe.eu/index.php?page=expert-interviews , aufgerufen 15. Januar 2011 (2007).
  7. 7 syntheticbiology.org/Applications.html , aufgerufen 15. Januar 2011 (2003).
  8. 8 Schmidt, M., Xenobiology: a new form of life as the ultimate biosafety tool. In: Bioessays, Heft 32, S. 322-331 (2010).
  9. 9 Gibson, D.G. et al., Complete chemical synthesis, assembly, and cloning of a Mycoplasma genitalium genome. In: Science, Heft 319, S. 1215-1220 (2008).
  10. 10 Gibson, D.G. et al., Creation of a bacterial cell controlled by a chemically synthesized genome. In: Science, Heft 329, S. 52-56 (2010).
  11. 11 Vgl.www.ted.com/talks/craig_venter_is_on_the_verge_of_creating_synthetic_life.html , aufgerufen 15. Januar 2011 (2008), undwww.ted.com/talks/craig_venter_unveils_synthetic_life.htm, aufgerufen 15.1.2011 (2010) .
  12. 12 Die Entschlüsselung ist mittlerweile mehrmals gelungen, siehe z.B.www.arcfn.com/2010/06/using-arc-to-decode-venters-secret-dna.html , aufgerufen 15. Januar 2011 (2010).
  13. 13 Vgl. The BioBricks Foundation,bbf.openwetware.org , aufgerufen 15. Januar 2011 (2005), und Registry of Standard Biological Parts,partsregistry.org , aufgerufen 15. Januar 2011 (2003).
  14. 14 Canton, B., Labno, A., & Endy, D., Refinement and standardization of synthetic biological parts and devices. In: Nature Biotechnology, Heft 26, S. 787-793 (2008).
  15. 15 Vlg. IGEM – Synthetic Biology based on standard parts,ung.igem.org , aufgerufen 15. Januar 2011 (2003).
  16. 16 Schmidt, M. (Hrsg.), Societal aspects of synthetic biology. In: Systems and Synthetic Biology, Heft 3, special issue (2009). Vgl. auchwww.synbiosafe.eu (2007) undwww.cisynbio.com (2009), beide aufgerufen 15. Januar 2011 (2007).
  17. 17 Randerson, J. Revealed: the lax laws that could allow assembly of deadly virus DNA. In: The Guardian, 14. Juni 2006.
  18. 18 Ledford, H., Garage biotech: Life hackers. In: Nature, Heft 467, S. 650-652 (2010).
  19. 19 Siehe z.B.Reichle, I., Art in the Age of Technoscience: Genetic Engineering, Robotics, and Artificial Life in Contemporary Art. Springer, Wien (2009).
  20. 20 The Tissue Culture and Art Project,tcaproject.org , aufgerufen 16. Januar 2011 (2009). Das Thema wurde auch von Douglas Adams in seinem Roman «Das Restaurant am Ende des Universums» (1982) aufgegriffen, in dem ein ethisch bedenkenloses Fleischgericht in Form einer speziellen Kuhzüchtung auftritt, die den ausdrücklichen Wunsch äußert, gegessen zu werden.
  21. 21 Vgl.www.ornl.gov/sci/techresources/Human_Genome/home.shtml , aufgerufen 17. Januar 2011 (2010).
  22. 22 Siehe z.B.www.23andme.com ,www.navigenics.com ,www.decodeme.com ,knome.com , alle aufgerufen 17. Januar 2011.
  23. 23 Vgl. Personal Genome Project,www.personalgenomes.org , aufgerufen 17. Januar 2011 (2006).
  24. 24 Powers, R., Das Buch Ich #9, Fischer, Frankfurt a.M. (2010).
  25. 25 In den USA versucht man dies beispielsweise über den Genetic Information Nondiscrimination Act zu regeln, siehewww.gpo.gov/fdsys/pkg/PLAW-110publ233/content-detail.html , aufgerufen 18. Januar 2011 (2008).
  26. 26 Human Microbiome Project,nihroadmap.nih.gov/hmp , aufgerufen 18. Januar 2011 (2011).
  27. 27 Savage, D.C., Microbial ecology of the gastrointestinal tract. In: Annual Review of Microbiology, Heft 31, S. 107-133 (1977).
  28. 28 Vgl. Canadian Microbiome Initiative,www.cihr.ca/e/39940.html , aufgerufen 18. Januar 2011 (2009).
  29. 29 Turnbaugh, P.J. et al., The human microbiome project. In: Nature, Heft 449, S.804-810 (2007).
  30. 30 Stanisław Lem vergleicht dies mit der Schaffung von Neologismen; siehe dazu seine Bemerkungen in: Prognose über die Entwicklung der Biologie bis zum Jahr 2040. In:Lem, S., Science fiction: ein hoffnungsloser Fall mit Ausnahmen, Suhrkamp, Frankfurt a.M., S. 177 (1987).
  31. 31 Vgl. z.B.Grünberg, R., Serrano, L., Strategies for protein synthetic biology. In: Nucleic Acids Research, Heft 38, S. 2663-2675 (2010).