1.
Einleitung ^
[1]
Mobile Datendienste, vornehmlich Internetzugang mittels UMTS oder vergleichbarer Technologien haben in den letzten Jahren stark an Verbreitung gewonnen.
[2]
Die Produktgestaltung der Mobilfunkbetreiber geht dahin, Dienste zur mobilen Datenübertragung um einen günstigen, meist monatlich zahlbaren Pauschalpreis anzubieten. Im Leistungsumfang enthalten, d.h. mit der Pauschale abgegolten, ist meist eine bestimmte, gar nicht geringe Download-Datenmenge in der Größenordnung etlicher Gigabyte, welche der Nutzer pro Abrechnungszeitraum, im Regelfall pro Monat «konsumieren» kann. Nimmt der Nutzer den Dienst nicht «über Gebühr» in Anspruch, nutzt er ihn demnach im Rahmen der pauschal abgegoltenen Datenmenge, bleibt es beim günstigen Pauschalpreis. Für den Fall einer darüber hinausgehenden «Datennutzung» lassen sich die Betreiber jedoch zur Abgeltung oft nur geringer Datenmengen an Überschreitung in der Größenordnung weniger Megabyte unverhältnismäßig hohe «Aufpreise» versprechen, zahlbar überwiegend pro Megabyte; dies mit der Folge, dass dem betroffenen Nutzer, dem weithin erst im Nachhinein die Überschreitung mitgeteilt wird, astronomisch hohe Entgelte vorgeschrieben werden.
[3]
Ist diese «Preispolitik» rechtlich haltbar?
2.1.
Auflagen durch das Telekommunikationsgesetz 2003 ^
[4]
Auch wenn der zentrale Zweck des Telekommunikationsgesetzes (TKG) 2003 wohl die Förderung des Wettbewerbes im Bereich der elektronischen Kommunikation sein mag, bleiben die Bestimmungen des TKG 2003 nicht bei bloßer Wettbewerbsförderung stehen. Sie verfolgen im Interesse der Nutzer vielmehr die weitergehenden Ziele von Versorgungssicherheit und Verbraucherschutz.
[5]
Zur Umsetzung dieser Ziele verpflichtet das Gesetz die Betreiber, einerseits Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zu erlassen, in welchen auch die angebotenen Dienste beschrieben werden, andererseits die dafür vorgesehenen Entgeltbestimmungen festzulegen1 . Diese Auflagen sollen sicherstellen, dass Telekommunikationsdienste transparent angeboten werden; dies einerseits durch einen klar umrissenen Leistungsumfang (AGB), andererseits durch kalkulierbare, zugleich nachvollziehbare Preisgestaltung (Entgeltbestimmungen).
[6]
Den Begriff der AGB setzt das TKG 2003 ohne eigene Legaldefinition voraus. Nach allgemeinem Rechtsverständnis sind Geschäftsbedingungen die für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, deren Geltung auf Vereinbarung durch die Vertragsparteien beruht. Ob AGB «einen äußerlich gesonderten Bestandteil des Vertrages bilden oder in die Vertragsurkunde selbst aufgenommen werden, welchen Umfang sie haben, in welcher Schriftart sie verfasst sind und welche Form der Vertrag hat», ist gleichgültig2 .
2.2.
«Allgemeines» Schuldrecht ^
[7]
Indem das TKG 2003 die «formale» Erlassung von AGB und Entgeltbestimmungen aufträgt, sind dadurch der Vertragsgestaltung materiell noch keine speziellen Grenzen gesetzt.
[8]
Tatsächlich enthält das TKG 2003 mit Ausnahme vereinzelter Sonderbestimmungen keine Regelungen schuldrechtlicher Natur, so dass Inhaltsfreiheit gilt, demnach die Betreiber ihre Produkte beliebig gestalten dürfen3 ; dies freilich mit der Einschränkung, dass die inhaltlichen Schranken des «allgemeinen» Schuldrechts zu beachten sind, insbesondere jene Bestimmungen, die einerseits das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch vorsieht, andererseits die ergänzend maßgeblichen Sondergesetze, allen voran das Konsumentenschutzgesetz.
[9]
Schuldrechtlich, gemessen an den im Gesetz geregelten Vertragstypen, ist der auf zweiseitig verpflichtenden Verträgen beruhende Leistungsaustausch, wonach Nutzer mobile Datendienste gegen Entgelt in Anspruch nehmen, dahin einzuordnen, dass derartige Vertragsverhältnisse als gemischte Verträge mit überwiegenden Elementen des freien Dienstvertrages und des Bestandvertrages zu qualifizieren sind, während werkvertragliche Elemente zurücktreten4 .
2.3.
Subjektive, objektive Äquivalenz ^
[10]
Teilaspekt der für Telekommunikationsdienste grundsätzlich bestehenden Vertragsfreiheit ist, dass die Beurteilung, ob ein Vertrag wirtschaftlich Sinn macht, der Partei obliegt. Die Partei selbst muss einschätzen und darauf achten, dass jene Leistung, für deren Inanspruchnahme sie eine Gegenleistung erbringen soll, im Verhältnis zur eigenen (Gegen-)Leistung nicht geringeren Wert hat.
[11]
Diese so genannte subjektive Äquivalenz5 , d.h. die subjektive Überzeugung von der Gleichwertigkeit genügt an sich für die rechtswirksame Begründung der wechselseitigen Leistungsverpflichtungen, vorausgesetzt, die Parteien werden sonst handelseins. Ob bzw. dass darüber hinaus die Leistungen auch tatsächlich gleichwertig sind, ist bei einem zweiseitigen Vertrag keine Voraussetzung seiner Gültigkeit6 .
[12]
Im Ausnahmefall jedoch, dann, wenn das objektive Wertverhältnis «besonders grob gestört ist», demnach ein Ausbeutungstatbestand vorliegt, wird das Prinzip der subjektiven Äquivalenz durchbrochen, indem entweder Nichtigkeitssanktion besteht oder das Gesetz verschiedene Rechtsbehelfe zu einer nachträglichen Vertragsanfechtung einräumt. Dadurch soll zur Wahrung der so genannten objektiven Äquivalenz das krasse Missverhältnis wieder beseitigt werden (können)7 .
[13]
Ob jene oft astronomisch hohen Beträge, die Mobilfunkbetreiber für Download-Überschreitungen verlangen, allenfalls als derartige Äquivalenzstörung zu sehen sind, die gar unwirksam ist oder doch zu nachträglicher Vertragsanfechtung berechtigt, ist nun näher zu untersuchen.
3.1.
Kundmachungs- und Anzeigepflicht ^
[14]
Die AGB und Entgeltbestimmungen, die Betreiber zu erlassen bzw. festzulegen haben (Punkt 2.1), sind gemäß § 25 Abs. 1 TKG 2003 in geeigneter Form kundzumachen, überdies der Regulierungsbehörde noch vor Aufnahme des Dienstes anzuzeigen. Dasselbe gilt gemäß § 25 Abs. 2 TKG 2003 für Änderungen. Die AGB und Entgelte werden von der Regulierungsbehörde auf ihrer Website veröffentlicht8 .
3.2.
Widerspruch ^
[15]
Über eine Kontrolle der AGB nach Telekommunikationsrecht9 hinaus prüft die Regulierungsbehörde, ob die Geschäftsbedingungen mit den Bestimmungen der §§ 879, 864a ABGB, §§ 6, 9 KSchG im Einklang stehen. Der zivilrechtliche Prüfungsmaßstab ist inhaltlich eingeschränkt, indem das TKG 2003 die §§ 879, 864a ABGB und §§ 6, 9 KSchG ausdrücklich aufzählt. Eine darüber hinausgehende Prüfung nach anderen Bestimmungen steht der Regulierungsbehörde nicht zu.
[16]
Gelangt die Behörde zur Auffassung, dass die AGB den angeführten Bestimmungen bzw. einzelnen davon widersprechen, so erhebt sie gemäß § 25 Abs. 6 TKG 2003 binnen acht Wochen ab Anzeige Widerspruch gegen die AGB10 . Die Rechtsfolge ist gesetzlich nicht geregelt. Ganz allgemein dürfte jener Betreiber, der angezeigte AGB trotz dagegen erhobenen Widerspruchs weiterhin verwendet, durch die fortgesetzte Verwendung einen Wettbewerbsverstoß begehen.
[17]
Für die untersuchte Rechtsfrage von Bedeutung ist, dass sich die Prüfungsbefugnis ausschließlich nur auf die AGB bezieht, nicht hingegen auf die Entgelte. Diese unterliegen keiner Prüfung durch die Regulierungsbehörde11 .
3.3.
Verhältnis zur zivilgerichtlichen Kontrolle ^
[18]
Aus Gründen der Vollständigkeit wird darauf verwiesen, dass die (ohne die Entgeltbestimmungen) in die Prüfungsbefugnis der Regulierungsbehörde fallenden Geschäftsbedingungen behördenseitig keine abschließende Prüfung erfahren. Vielmehr bestimmt § 25 Abs. 6 TKG 2003 ausdrücklich, dass die Zuständigkeiten zur Überprüfung nach anderen Rechtsvorschriften unberührt bleiben, oder anders ausgedrückt, die zur Entscheidung in Zivilrechtssachen berufenen Gerichte sind völlig frei, die Bestimmungen der AGB rechtlich auch anders zu beurteilen, als dies die Behörde getan hatte. So sind zahlreiche AGB-Klauseln, denen die Regulierungsbehörde nicht widersprochen hatte, durch den Obersten Gerichtshof als sittenwidrig und deswegen nichtig eingestuft worden12 .
4.1.
Ausgangsüberlegungen ^
[19]
Auf die in der Einleitung beschriebenen Produktmerkmale wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
[20]
Keinen rechtlichen Bedenken begegnet jener regelmäßig, meist monatlich zahlbare Pauschalpreis von wenigen zig Euro (im Folgenden kurz Grundpreis genannt), der für eine bestimmte Download-Datenmenge in der Größenordnung etlicher Gigabyte (GB) (Grundmenge) gebühren soll.
[21]
Gegenstand der Untersuchung ist vielmehr jener oft astronomisch hohe, meist pro Megabyte (MB)13 zur Verrechnung gelangende «Aufpreis», der vom Nutzer für jene Datenmenge verlangt wird, um die im Zuge der Nutzung die pauschal bezahlte Datenmenge überschritten wird (Überschreitungsmenge). Es stellt sich die Frage, ob das objektive Wertverhältnis zwischen Überschreitungsmenge einerseits und für diese hinzugebendem Aufpreis andererseits nicht «grob gestört ist»14 .
[22]
Zur anschließenden Beurteilung dieses Wertverhältnisses sind vorab Überlegungen notwendig, mit welchem Betrag der Wert überhaupt zu bemessen ist.
4.2.
Grundsätze der Wertermittlung ^
[23]
Sachgerecht erscheint die Anwendung jener Grundsätze, die die Rechtsprechung zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen einer Verkürzung über die Hälfte im Sinne des § 934 ABGB entwickelt hat. Danach ist unter dem maßgeblichen Wert der «gemeine Preis» des § 305 ABGB zu verstehen, das ist jener Nutzen, den die Sache mit Rücksicht auf Zeit und Ort gewöhnlich und allgemein leistet. Dies ist in erster Linie der Marktpreis, also Austauschwert einer Sache. Nur dann, wenn sich kein wahrer Markt gebildet hat oder dieser im Verdacht ungerechter Preisbildung steht, ist auf den Ertrags- oder Gestehungskostenwert abzustellen15 .
[24]
Dass sich bei mobilen Datendiensten ein Markt gebildet hat, steht angesichts des Überangebots an derartigen Diensten außer Zweifel. Maßgeblich für die Wertermittlung ist demnach der Marktpreis, während unter Anwendung der durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze die Ertrags- oder Gestehungskosten außer Ansatz zu lassen sind. Aufschluss über den Marktpreis gibt nach Ansicht des Autors der Grundpreis (Punkt 4.1), wonach am Markt, soweit erkennbar, alle Betreiber die Übertragung durchaus beträchtlicher Datenmengen für wenige zig Euro anbieten.
4.3.
Praxisbeispiel ^
[25]
Die Verhältnisse zwischen Grundpreis, Aufpreis, Grundmenge, Überschreitungsmenge (Punkt 4.1), demnach das objektive Wertverhältnis sollen wie folgt anhand der konkreten Entgeltbestimmungen eines namentlich nicht interessierenden Mobilfunkbetreibers untersucht werden, wobei die Beträge repräsentativ für die am Markt üblichen Preise sind, oder anders ausgedrückt, auch andere Betreiber bieten zu ähnlichen Konditionen an.
[26]
Der (für Zwecke des Praxisbeispiels) konkret ausgewählte Betreiber bietet unter anderem die beiden folgenden Tarife an (Stand 24. August 2010), anonymisiert bezeichnet als Tarif 1, Tarif 2:
[27]
Tarif 1: «Monatliche Grundgebühr EUR 10,00, inkludiertes Datenvolumen im Inland 5 GB,
bei Datennutzung über inkludiertes Datenvolumen hinaus EUR 0,25 pro zusätzlichem MB.
bei Datennutzung über inkludiertes Datenvolumen hinaus EUR 0,25 pro zusätzlichem MB.
[28]
Tarif 2: «Monatliche Grundgebühr EUR 15,00, inkludiertes Datenvolumen im Inland 15 GB,
bei Datennutzung über inkludiertes Datenvolumen hinaus EUR 0,25 pro zusätzlichem MB.
bei Datennutzung über inkludiertes Datenvolumen hinaus EUR 0,25 pro zusätzlichem MB.
4.3.1.
Analyse des Tarifs 1 ^
[29]
Rechnerisch bedeutet der Tarif 1, dass das Megabyte, solange die Nutzung im Rahmen der pauschal abgegoltenen Datenmenge bleibt, weniger als 1 Cent kostet (1 GB zu EUR 10,00 ergibt EUR 0,009 je 1.024 MB). Der Höhe nach völlig anders sieht jedoch der MB-Preis im Überschreitungsfall aus, der mit EUR 0,25 pro zusätzlichem MB festgelegt ist. Der für eine Überschreitungsmenge pro MB zur Verrechnung gelangende Preis übersteigt jenen, der pro MB der Grundmenge zu entrichten ist, somit um das 25,6-fache.
[30]
Dasselbe Missverhältnis zeigt sich, wenn die EUR 0,25 «pro zusätzlichem MB» auf die Einheit GB hochgerechnet werden. Dann liegt der Preis für das GB bei EUR 256,00 (EUR 0,25 pro MB ergibt EUR 256,00 für 1.024 MB) statt den EUR 10,00 für die fünffache Grundmenge von 5 GB. Das ist der Faktor 128 (EUR 256,00 pro 1 GB ergibt EUR 1.280,00 für 5 GB statt EUR 10,00).
4.3.2.
Tarif 1, Tarif 2 im Vergleich ^
[31]
Wie sehr die Preise auseinanderklaffen, zeigt ein Vergleich der beiden Tarife anhand eines Mengenbeispiels: Wird in nur einem Monat der Nutzung «ein Datenvolumen» von 12 Gigabyte übertragen, so fällt nach Tarif 1 ein Gesamtpreis von EUR 1.802,00 an (EUR 10,00 für das inkludierte Datenvolumen von 5 GB zuzüglich je EUR 0,25 pro zusätzlichem MB, das sind bei einer Überschreitung um 7 GB gesamt 7.168 MB, daher EUR 1.792,00).
[32]
Das zwischen den beiden Tarifen 1, 2 für dasselbe Datenvolumen von 12 GB bestehende Verhältnis von EUR 1.802,00 (Tarif 1) zu EUR 15,00 (Tarif 2) bedeutet den Faktor 120, oder anders ausgedrückt, hätte der Nutzer von Anfang an statt des Tarifs 1 den Tarif 2 gewählt, dann müsste er vertragsgemäß statt den EUR 1.802,00 ein Entgelt von lediglich EUR 15,00 entrichten.
5.1.
Vorbemerkungen ^
[33]
Für die astronomisch hohe Differenz zwischen den Entgelten für ein und dieselbe Leistung gibt es nach Ansicht des Autors wirtschaftlich keine plausible Erklärung, geschweige denn Rechtfertigung. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass der exorbitante Aufpreis für die Überschreitungsmenge, wenn ihm Entgeltcharakter beigemessen wird, im krassen Missverhältnis zum Marktpreis steht, oder andernfalls gar nicht als Entgelt zu sehen, sondern als Vertragsstrafe zu qualifizieren ist.
[34]
Demnach liegt entweder eine «Äquivalenzstörung» oder die Sanktionierung einer Nichteinhaltung des «inkludierten» Datenvolumens vor; dies mit den folgenden Konsequenzen.
5.2.1.
Sittenwidrigkeit ^
[35]
Wertet man jene überproportionalen Beträge, die eine Überschreitung des «inkludierten» Datenvolumens nach sich zieht, nicht als eine Vertragsstrafe, sondern als Entgelt, bejaht man demnach das Vorliegen einer Äquivalenzstörung, stellt sich die Frage, ob der zwischen Betreiber und Nutzer zustande gekommene Vertrag wegen des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung möglicherweise sittenwidrig ist. Die «Gute-Sitten-Klausel» (§ 879 Abs. 1 ABGB) soll den Richter in Stand setzen, bei Handlungen, welche dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, d.i. aller billig und gerecht Denkenden widersprechen, helfend einzugreifen16 .
[36]
Auch wenn die Ungleichheit der beiderseitigen Leistungen allein einen Vertrag an sich nicht schon sittenwidrig macht17 , so kann ein Beharren auf Vertragserfüllung sittenwidrig sein; dies dann, wenn die bei Prüfung der Sittenwidrigkeit vorzunehmende Interessenabwägung im Falle einer Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergibt18 .
[37]
Angesichts des besonders grob gestörten Wertverhältnisses zwischen Leistung (Datennutzung über das inkludierte Datenvolumen hinaus) und Gegenleistung (unverhältnismäßiges Entgelt) begründet mE das Beharren auf Vertragserfüllung die Sittenwidrigkeit, auch wenn der Vertrag selbst an sich gar nicht sittenwidrig sein sollte.
[38]
Eine Sittenwidrigkeit hat Nichtigkeit der Entgeltvereinbarung zur Folge.
5.2.2.
Wucher ^
[39]
Darüber hinaus könnte der Tatbestand des Wuchers iS des § 879 Abs. 2 Z 3 ABGB erfüllt sein. Diese Bestimmung baut sowohl auf objektiven als auch auf subjektiven Elementen auf.
[40]
Voraussetzung in objektiver Hinsicht ist ein auffallendes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung. Das Vorliegen eines derartigen Missverhältnisses ist (unter Hinweis auf das in Punkt 4.3 untersuchte Praxisbeispiel) nach Ansicht des Autors zu bejahen.
[41]
Zusätzlich verlangt das Gesetz jedoch ein Hinzutreten subjektiver Elemente, und zwar einerseits, dass «der Bewucherte aus gewissen Gründen verhindert» gewesen sein muss, «die ‚Äquivalenz‘ aus eigenem zu wahren», andererseits, dass «der Wucherer die Lage des Bewucherten ausgenützt haben muss»19 . Eine bewusste Ausnützung wird nicht verlangt, Fahrlässigkeit des Wucherers genügt20 , so dass die subjektiven Voraussetzungen, soweit sich diese auf den «Wucherer» beziehen, ebenfalls verwirklicht erscheinen. Anders hingegen verhält es sich beim «Bewucherten», dem eine Berufung auf Wucher nur zusteht, wenn er infolge Leichtsinns, Zwangslage, Unerfahrenheit oder Verstandesschwäche, Gemütsaufregung oder dgl. die «Äquivalenz» nicht wahren konnte.
[42]
Dass der betroffene Nutzer in seiner Urteils- oder Entscheidungsfreiheit durch subjektive Momente der angeführten Art bzw. Schwere bei Vertragsabschluss beeinträchtigt gewesen sei, wird sich nur schwer argumentieren lassen; dies umso mehr, als viele Nutzer von der untersuchten «Preispolitik» der Mobilfunkbetreiber aus der Medienberichterstattung Kenntnis haben, so dass selbst die allenfalls argumentierbare «Unerfahrenheit» ausscheidet.
5.2.3.
Verkürzung über die Hälfte (laesio enormis) ^
[43]
Anders als die Wucherbestimmung (Punkt 5.2.2) baut der in § 934 ABGB geregelte Rechtsbehelf einer Verkürzung über die Hälfte (laesio enormis) nicht auf subjektiven Elementen auf, sondern stellt auf die objektiven Werte einerseits der Leistung, andererseits der Gegenleistung ab.
[44]
Klaffen diese Werte außergewöhnlich auseinander, so erlaubt der Rechtsbehelf der laesio enormis zur Wahrung der objektiven Äquivalenz (Punkt 2.3) eine Aufhebung des Vertrages. Voraussetzung ist ein krasses Missverhältnis zwischen den Werten der ausgetauschten Leistungen in der Größenordnung einer Verkürzung über die Hälfte, die z.B. bei einem Wertverhältnis 49 zu 100 vorliegt, nicht hingegen bei einem Verhältnis von 50 zu 10021 .
[45]
Vorausgesetzt, dass dem exorbitanten Preis, den bei mobilen Datendiensten zahlreiche Mobilfunkbetreiber für «eine Datennutzung über ein inkludiertes Datenvolumen hinaus» verrechnen, Entgeltcharakter zukommt, so erscheinen angesichts der Wertverhältnisse, z.B. 1 zu 25,6 (Punkt 4.3.1, erster Fall), 1 zu 128 (Punkt 4.3.1, zweiter Fall) oder 1 zu 120 (Punkt 4.3.2) die Voraussetzungen für den Rechtsbehelf einer Verkürzung über die Hälfte jedenfalls erfüllt.
[46]
Dem denkbaren Einwand, dass Verträge, die Telekommunikationsdienste zum Gegenstand haben, auf Dauer angelegt sind, während der Rechtsbehelf auf Zielschuldverhältnisse anwendbar sei, ist unter Hinweis auf die Judikatur zu begegnen, wonach die Anfechtbarkeit wegen Verkürzung über die Hälfte auch bei Dauerrechtsverhältnissen in Betracht kommt22 . Auch auf Verträge, bei denen nach der Art der Leistung die Herstellung des vorigen Zustands von Anfang an unmöglich ist, z.B. bei Dienstleistungen, sobald mit den Diensten begonnen wurde, ist die Regelung des § 934 ABGB anzuwenden. In einem solchen Fall führt die begründete Einwendung zur Anpassung des Entgeltes für die Vergangenheit und zur Aufhebung des Vertrages für die Zukunft23 .
5.3.
Charakter einer Vertragsstrafe ^
[47]
Denkbar ist überdies eine Argumentation dahin, dass der Aufpreis gar nicht als Gegenleistung für die Überschreitungsmenge gedacht, sondern als Vertragsstrafe i.S. des § 1336 AGBB zu sehen ist, welche durch Nichteinhaltung, d. h. Überschreitung des «in der monatlichen Grundgebühr inkludierten Datenvolumens» ausgelöst wird.
[48]
Bejaht man den Charakter einer Vertragsstrafe, würde der Aufpreis gemäß § 1336 Abs. 2 ABGB der richterlichen Mäßigung unterliegen. Bei der Beurteilung, ob der zufolge solcher Argumentation als Pönale anzusehende Preis überhöht und deswegen vom Richter zu mäßigen ist, sind vor allem die Verhältnismäßigkeit, darüber hinaus Art und Ausmaß des Verschuldens an der Vertragsverletzung, ferner die Höhe des durch die Vertragsverletzung entstandenen Schadens entsprechend zu berücksichtigen24 .
[49]
Umgelegt auf die erörterte Rechtsfrage, sind die angeführten Kriterien wohl überwiegend im Sinne des Nutzers erfüllt. Während Verschulden und Höhe des Schadens, falls überhaupt eingetreten, als minimal zu bewerten sind, erscheinen die in den Entgeltbestimmungen für «eine Datennutzung über das inkludierte Datenvolumen hinaus» vorgesehenen Beträge völlig unverhältnismäßig.
[50]
Eine Ausübung des Mäßigungsrechtes dahin, die Nutzer von den überhöhten Beträgen weitgehend zu befreien, dürfte aus den dargelegten Gründen angemessen bzw. argumentierbar sein.
6.
Schlussfolgerungen ^
[51]
Jene Entgeltbedingungen, wonach Mobilfunkbetreiber überproportional hohe Beträge verlangen, wenn bei mobilen Datendiensten «eine Datennutzung über das in einer Grundgebühr inkludierte Datenvolumen hinaus» vorkommt, erscheinen nach allgemeinem Zivilrecht aus mehreren Gründen nicht haltbar, allenfalls sogar nichtig, zumindest anfechtbar.
[52]
Auch wenn mangels Verwirklichung der subjektiven Voraussetzungen der Wuchertatbestand nicht in Betracht kommt, so sind die verbreiteten, für Nutzer grob nachteiligen Entgeltvereinbarungen, indem auf deren Erfüllung beharrt wird, wohl als sittenwidrig (§ 879 Abs. 1 ABGB) zu beurteilen, nach § 934 ABGB wegen Verkürzung über die Hälfte überdies anfechtbar.
[53]
Gewichtige Argumente sprechen alternativ auch für den Charakter einer der richterlichen Mäßigung unterliegenden Vertragsstrafe. Einschlägige Rechtsprechung steht bis dato allerdings aus.
Hermann Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, Garnisongasse 11/8, 1090 Wien, AT,rechtsanwalt@schwarz-auf-weiss.at ;www.schwarz-auf-weiss.at
Vom Autor gewidmet seiner kleinen Tochter Sarah Ellen und ihrer Mutter Claudia
Hermann Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, Garnisongasse 11/8, 1090 Wien, AT,rechtsanwalt@schwarz-auf-weiss.at ;www.schwarz-auf-weiss.at
Vom Autor gewidmet seiner kleinen Tochter Sarah Ellen und ihrer Mutter Claudia
- 1 § 25 Abs. 1 iVm. § 1 Abs. 2 Z. 3 lit. c TKG 2003.
- 2 Ertl, M., Die AGB-Kontrolle nach § 25 TKG 2003, Medien & Recht 2005, 139 ff.
- 3 Vgl. § 1 Abs. 1 TKG 2003, wonach «innovative» Kommunikationsdienste von Gesetzes wegen «erwünscht» sind.
- 4 JBl. 2005, 735 (Rechtsprechung/Ordentliche Gerichte/Zivilsachen): Mobilfunkvertrag als gemischter Vertrag.
- 5 Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I13, S. 114.
- 6 OGH 21.10.1953, 1 Ob 803/53.
- 7 Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I13, S. 114.
- 8 www.rtr.at/agb-eb .
- 9 Telekommunikationsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist das TKG 2003 selbst u. die aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen (§ 25 Abs. 6 TKG 2003).
- 10 Ertl, M., Die AGB-Kontrolle nach § 25 TKG 2003, Medien & Recht 2005, 139 ff.
- 11 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass im Ausnahmefall, wenn dies als (Wettbewerbs-)Regulierungsmaßnahme geboten ist, die AGB und Entgelte von Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht an eine Genehmigung der Behörde geknüpft werden können; vgl. dazu §§ 45 Abs. 1 iVm 43 TKG 2003.
- 12 Pichler, C., Allgemeine Geschäftsbedingungen in Mobilfunkverträgen, Medien & Recht 2007, 216.
- 13 1 GB = 1.024 MB.
- 14 Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I13, S. 114.
- 15 OGH 13. 4. 2000, 6 Ob 187/99 i; OGH 12. 4. 1983, 4 Ob 536/83.
- 16 SZ 44/58; SZ 57/39; JBl 1972, 200.
- 17 EvBl 1960/221; 1969/321; MietSlg 31.091; 31.094.
- 18 OGH 10. 1. 1989, 5 Ob 650/88.
- 19 Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I13, S. 177 f.
- 20 MietSlg. 24.083/12; SZ 67/123.
- 21 Welser, Bürgerliches Recht II13, S. 93 ff.
- 22 OGH 18. 12. 1991 JBl. 1002, 319 = SZ 64/183.
- 23 OGH 17. 12. 1980, 6 Ob 753/80.
- 24 OGH 20. 12. 1989 RdW 1990, 293 = ecolex 1990, 304.