Jusletter IT

Europäische Bürgerinitiative – Rückblick und Ausblick aus österreichischer Position

  • Author: Robert Stein
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Democracy
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2011
  • Citation: Robert Stein, Europäische Bürgerinitiative – Rückblick und Ausblick aus österreichischer Position, in: Jusletter IT 24 February 2011
Nachdem im Jahr 2010 mit Input der 27 Mitgliedstaaten ein Entwurf zur Verordnung betreffend das EBI konzipiert und vom Europäischen Parlament verabschiedet worden ist, ist es 2011 nun Sache der Mitgliedstaaten, innerhalb eines Jahres ab Inkrafttreten der Verordnung für eine verordnungskonforme Vollziehbarkeit der Europäischen Bürgerinitiative zu sorgen. Vieles konnte in den letzten Monaten klargestellt werden, bei einigen Merkmalen der Verordnung darf man gespannt sein, ob die Skepsis mancher Mitgliedsaaten in Hinblick auf eine ordnungsgemäße Vollziehbarkeit der Verordnung gerechtfertigt waren.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Rückblick
  • 1.1. Genese der Verordnung
  • 1.2. Welche Voraussetzungen sind für die Einbringung einer Europäischen Bürgerinitiative erforderlich?
  • 2. Ausblick
  • 2.1. «Hausaufgaben»
  • 2.2. Maßnahmen auf verfassungsrechtlicher Ebene?
  • 2.3. Einfach-gesetzliche Regelungen
  • 2.4. Erforderliche administrative Maßnahmen für die Europäische Bürgerinitiative
  • 3. Literatur

1.

Rückblick ^

1.1.

Genese der Verordnung ^

[1]
Aus nur einem Satz besteht die Vorgabe im Vertrag von Lissabon, mit der die Europäische Bürgerinitiative im Regelwerk der Europäischen Union verankert worden ist. Wörtlich heißt es im Vertrag von Lissabon:

«Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, können die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen.»1
[2]
Am Beginn der praktischen Umsetzung auf europäischer Ebene stand ein sogenanntes «Grünbuch»2 , das in einen von der Europäischen Kommission erstellten Entwurf einer Verordnung zur Europäischen Bürgerinitiative mündete.3 Während des ersten Halbjahrs 2010 fand auf der Ebene der Kommission ein Willensbildungsprozeß statt, bei dem die Mitgliedstaaten Einwände und Verbesserungsvorschläge zum Entwurf einbrachten. Strittig waren insbesondere die Frage der Zahl der erforderlichen Unterstützungen, die Frage, aus wie vielen Mitgliedstaaten die Unterstützerinnen und Unterstützer zu welcher Quote zu entstammen hätten, die Frage des Mindestalters für eine Unterstützung, vor allem aber die Frage der Überprüfung der Unterstützungserklärungen und der im Anhang 3C zum Entwurf enthaltenen Katalog der Dokumente, mit der ein Unionsbürger (eine Unionsbürgerin) eine Initiative unterstützen kann. Bereits in dieser Phase musste Österreich manche Abstriche gegenüber den ursprünglichen Vorstellungen in Kauf nehmen, insbesondere was die Frage der Verifikation der Unterstützungen betraf. Viele Mitgliedstaaten forderten in diesem Zusammenhang die Möglichkeit eines «random samplings» ein, wobei zu keinem Zeitpunkt nähere Kriterien über die Menge der hierbei zu ziehenden Stichproben an Unterstützungen in den Raum gestellt wurden. Österreich hat bei allen Verhandlungen immer wieder deponiert, dass das Motiv für eine relativ strenge Prüfung die Verhinderung eines Datendiebstahls ist, das heißt, dass eine Unterstützung durch eine Person vermeintlich erfolgt, ohne dass dieser Person bewusst ist, dass sie als Unterstützer(in) auf dem entsprechenden Formular aufscheint.
[3]
Der ohnedies in vielen Punkten «abgeschwächte» Entwurf wurde in den Beratungen im Bereich des Europäischen Parlaments von vornherein als zu restriktiv empfunden. Immerhin wurde aber in dieser Phase des Prozederes von der ursprünglich beabsichtigten zweigliedrigen Unterstützung abgegangen, was bedeutet, dass eine Europäische Bürgerinitiative vor Beginn der Sammlung registriert und geprüft werden muss und dann die Sammlung sämtlicher Unterstützungen zu beginnen hat. Aus österreichischer Sicht wird als bedauernswert erachtet, dass Unterstützungen laut Anhang 3B zur Verordnung nicht in Form von Einzelblättern, sondern in Form von Listen abgegeben werden können. Als Erfolg beharrlicher Wortmeldungen aus Österreich ist zu betrachten, dass die Europäische Kommission rechtzeitig eine herunterladbare Software anzubieten haben wird, die es den Organisatoren ermöglicht, Unterstützungen auch elektronisch zu sammeln, wie es im Entwurf verankert ist. Nach Verabschiedung des Entwurfs im Europäischen Parlament am 15. Dezember 2010 erscheint die Zustimmung des Rates der Europäischen Union nur noch Formsache. Es ist davon auszugehen, dass aufgrund der einzuhaltenden Legisvakanz von einem Jahr, ab einem bestimmten Zeitpunkt im ersten Quartal 2012 Bürgerinitiativen bei der Kommission registriert werden können.

1.2.

Welche Voraussetzungen sind für die Einbringung einer Europäischen Bürgerinitiative erforderlich? ^

[4]
Ein Bürgerausschuss, das aus mindestens sieben Personen bestehen muss, die wiederum aus mindestens sieben Mitgliedstaaten stammen, muss zunächst seine Initiative bei der Kommission registrieren lassen. Die Kommission hat die Bürgerinitiative vor ihrer Registrierung dahingehend zu prüfen,
  • ob der – zwingend erforderliche – Bürgerausschuss eingesetzt worden ist und die Kontaktpersonen benannt worden sind,
  • ob sie sich nicht offenkundig außerhalb des Rahmens bewegt, in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen,
  • ob die geplante Bürgerinitiative offenkundig missbräuchlich, leichtfertig oder schikanös ist und
  • ob die geplante Bürgerinitiative nicht offenkundig gegen die Werte der Union gerichtet ist.
[5]
Nach erfolgter Registrierung hat das Bürgerkomitee ein Jahr Zeit, die erforderliche Zahl von Unterstützungen zu sammeln. Insgesamt müssen dies eine Million Unterstützungen sein. Sie müssen aber aus mindestens sieben Mitgliedstaaten herrühren, wobei für jeden Mitgliedstaat eine Mindestanzahl an Unterstützungen festgelegt ist. Für Österreich werden 14.250 Unterstützungen erforderlich sein (750 x Zahl der in Hinkunft 19 österreichischen EP-Abgeordneten). Die Organisatoren (Organisatorinnen) einer Bürgerinitiative können die Unterstützungen in den einzelnen Mitgliedstaaten in Papierform oder elektronisch sammeln, auch eine Unterstützung mittels digitaler Signatur wird vorgesehen sein (allerdings ohne dass man sich auf Ebene der Kommission nähere Gedanken über die praktische Umsetzung dieser Möglichkeit gemacht hat). Über das tatsächlich für eine elektronische Sammlung der Unterstützungen herangezogene Online-Sammelsystem muss der jeweilige Mitgliedstaat eine durch Anhang 4 zur Verordnung mit Formular vorgegebene Bestätigung ausstellen, dass die Software verordnungskonform ist.4

2.

Ausblick ^

2.1.

«Hausaufgaben» ^

[6]
Nach Inkrafttreten der Verordnung wird die einjährige Legisvakanz durch die Mitgliedstaaten intensiv genutzt werden müssen, damit auch in der Praxis eine Europäische Initiative registriert werden kann und in der Folge Unterschriften gesammelt werden können. Die «Hausaufgabe» der Kommission wird darin bestehen, die anzubietende Software zertifizieren zu lassen und rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. Das Design dieser Software wird mit ausschlaggebend sein, wie die Mitgliedstaaten, insbesondere auch Österreich, die Europäische Bürgerinitiative in ihre Rechtsordnung implementieren und insbesondere die Bestätigung über die Verordnungskonformität ausstellen.
[7]
Innerstaatlich gesehen wird es im Jahr 2011 erforderlich sein, fallweise durchwegs mit «Henne-Ei-Problemen» behaftet, parallel legistische und administrative Maßnahmen zu ergreifen. Hierbei werden administrative Maßnahmen durchaus angedacht und vorbereitet werden können, für möglicherweise notwendige Ausschreibungen wird es einer Gesetzesgrundlage bedürfen.

2.2.

Maßnahmen auf verfassungsrechtlicher Ebene? ^

[8]
Obwohl eine Änderung des Bundesverfassungsgesetzes unter Umständen nicht zwingend erforderlich ist, gibt es gute Gründe, die Europäische Bürgerinitiative innerstaatlich auf Verfassungsebene zu verankern.5 Fände eine solche Verankerung nicht statt, so gäbe es für Organisatorinnen und Organisatoren insbesondere keinen Rechtsschutz durch ein Höchstgericht (naheliegend wäre hierfür der Verfassungsgerichtshof analog zu anderen Instrumenten der direkten Demokratie). Des Weiteren bliebe es ohne verfassungsrechtliche Absicherung einem zukünftigen (EU-kritischen) «einfachen» Gesetzgeber unbenommen, die Vollziehung der Europäischen Bürgerinitiative durch entsprechende Gesetze innerstaatlich de facto auszusetzen, ohne dass dadurch eine verfassungswidrige Handlung direkt nachweisbar wäre.

2.3.

Einfach-gesetzliche Regelungen ^

[9]
Einer der ersten Schritte wird die die Festlegung der innerstaatlichen Zuständigkeit einer Behörde (mehr als naheliegend: BM.I) durch Verankerung im Bundesministeriengesetz sein. Weiters wird eine Entscheidung zu treffen sein, ob ein Gesetzesentwurf mittels Regierungsvorlage eingebracht wird (mit dem Vorteil, dass zahlreiche Stellen im Rahmen eines Begutachtungsverfahrens faktischen Einfluss auf die Ausgestaltung des Gesetzes nehmen könnten) oder ob der Entwurf als Initiativantrag der Regierungsparteien (oder allenfalls auch weiterer Parteien) eingebracht wird (mit dem Vorteil, dass der Zeitdruck für eine Finalisierung der Kodifikation gemindert wird). In der Kodifikation werden insbesondere Normen, mit denen die Entgegennahme von Unterstützungen zu Europäischen Bürgerinitiativen durch eine Behörde näher geregelt wird, aufzunehmen sein. Dabei wird insbesondere die Frage einer möglichen Anpassung des in Anhang 3B der Verordnung vorgegebenen Formulars auf österreichische Erfordernisse zu prüfen sein.
[10]
Mit dem zu beschließenden Gesetz wird eine Behörde zur Überprüfung der Daten der Unterstützungen, sei es, dass diese in Papierform oder elektronisch herangetragen werden, sowie zur Weiterleitung des Ergebnisses der Überprüfung an die Europäische Kommission zu verpflichten sein. Für diese oder allenfalls für eine andere Behörde wird eine Zuständigkeit gesetzlich zu verankern sein, die Software der Organisatoren zu zertifizieren.
[11]
Wie schon bei den Regelungen für Europawahlen wird es den Mitgliedstaaten, so auch Österreich, vorbehalten sein, Sanktionen für strafbare Handlungen im Zusammenhang mit der Einbringung einer Europäischen Bürgerinitiative, insbesondere mit Fälschungen von Unterstützungen, in der Rechtsordnung zu verankern. Dabei wird auf die datenschutzrechtliche Implementierung der Vorgänge im Zusammenhang mit der Europäischen Bürgerinitiative, insbesondere was die Aufbewahrung und Vernichtung der Daten betrifft, ein besonderes Augenmerk zu richten sein.

2.4.

Erforderliche administrative Maßnahmen für die Europäische Bürgerinitiative ^

[12]
Es wird die Aufgabe der für die Administration der Europäischen Bürgerinitiative zuständigen Behörde sein, für die Schaffung der Infrastruktur zur Überprüfung der in Papierform vorgelegten Unterstützungen zu sorgen. Da die Unterstützungen, anders als bei Volksbegehren, noch vor keiner Behörde vorgelegt worden sind, erscheint es im Rahmen der von Österreich angestrebten lückenlosen Überprüfung aller Unterstützungen erforderlich, diese mit dem Melderegister abzugleichen, und zu überprüfen, ob die unterstützenden Personen tatsächlich existent und unterstützungsberechtigt sind und ob sie allenfalls die Initiative doppelt oder mehrfach unterstützt haben. Um den beschriebenen «Datenklau» hintanzuhalten, sollen die Daten der in Anhang 3C der Verordnung zugelassenen Dokumente (österreichischer Reisepass und österreichischer Personalausweis) mit dem IDR (Identitätsdokumentenregister) lückenlos abgeglichen werden. Diese Absicht ist der wesentliche Grund für die restriktive Haltung Österreichs bei der Ausgestaltung des Dokumentenkatalogs laut Anhang 3C des Verordnungsentwurfs.
[13]
Mehr als fraglich ist, ob für die Überprüfung der Unterstützungen ein automatisches Einlesen der Papierformulare möglich sein wird, bei dem nur schlecht ausgefüllte Formulare nachkodiert werden müssen. Wahrscheinlich wird das Umschwenken von Einzelformularen auf Listen der Grund sein, warum Unterstützungen in Österreich – kostenintensiv – händisch geprüft werden müssen.
[14]
Auf Seiten der Kommission nicht geklärt sind Einzelheiten für eine Schnittstelle zur Entgegennahme elektronisch gesammelter Unterstützungen sowie digital signierter Unterstützungen. Nach den Vorstellungen des BM.I wird für diese Art der Unterstützungen seitens der zuständigen Behörde eine EDV-Applikation zu beschaffen sein. Die Frage der Beschaffenheit dieser Applikation wird stark vom Design der von der Kommission zur Verfügung gestellten Software abhängen. Es bleibt in diesem Zusammenhang zu hoffen, dass die Organisatorinnen und Organisatoren nicht berechtigt oder gar verpflichtet werden, einen «Medienbruch» durchzuführen und die Daten in Papierform zu transformieren.
[15]
Nicht unterschätzt werden darf das Erfordernis zur Schaffung einer Infrastruktur für die Manuduktion von interessierten Personen. Darunter fällt einerseits die Information von an einer Europäischen Bürgerinitiative interessierten Organisatorinnen und Organisatoren, andererseits die Unterstützung bei der Kontaktaufnahme der Organisatorinnen und Organisatoren mit anderen Mitgliedstaaten, zum Zweck der Weiterleitung der Daten von nicht-österreichischen EU-Bürgerinnen und -Bürgern, die in diesen Ländern zu überprüfen sein werden. Zu dieser Manuduktion wird wohl auch ein dahingehend erweiterter Internetauftritt des BM.I unabdingbar sein.

3.

Literatur ^

Viktoria Robertson, Elemente der direkten Demokratie im Vertrag von Lissabon, Journal für Rechtspolitik 18, 133-145 (2010)
Walter Obwexer/Julia Villotti, Die Europäische Bürgerinitiative, Grundlagen, Bedingungen und Verfahren, Journal für Rechtspolitik 18, 108-121 (2010)
Johannes W. Pichler (Hrsg.), Direkte Demokratie in der Europäischen Union, Schriften zur Rechtspolitik Bd. 29 (2009)
Johannes W. Pichler/Bruno Kaufmann (Hrsg.), The European Citizens' Initiatives – into new democratic territory, Schriften zur Rechtspolitik Bd. 30 (2010)
Alexander Balthasar/Alexander Prosser , Die Europäische Bürgerinitiative ( Gefährdung der Glaubwürdigkeit eines direktdemokratischen Instruments?, Abhandlung im Journal für Rechtspolitik, Volume 18, Number 3, 122-132
Robert Müller-Török, Robert Stein, Die Europäische Bürgerinitiative aus Sicht nationaler Wahlbehörden, Ver-waltung und Management (VM), 2010/5



Robert Stein, Leiter der Abteilung für Wahlangelegenheiten im Bundesministerium für Inneres, stellvertretender Bundeswahlleiter, BM.I, Herrengasse 7, 1014 Wien, AT,robert.stein@bmi.gv.at ,www.bmi.gv.at/wahlen/


  1. 1 EU-Vertrag, Titel II – Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze (Art. 9-12), Artikel 11 (4).
  2. 2 GRÜNBUCH zur Europäischen Bürgerinitiative vom 11. November 2009, KOM(2009) 622.
  3. 3 Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Bürgerinitiative vom31. März 2010, KOM(2010) 119.
  4. 4 Anhang IV im Wortlaut: «Bescheinigung über die Übereinstimmung eines Online-Sammelsystems mit der Verordnung (EU) Nr. …/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom … über die Bürgerinitiative: [….] (Bezeichnung der zuständigen Behörde) aus [….] (Bezeichnung des Mitgliedstaates), bestätigt hiermit, dass das Online-Sammelsystem [….] (Internetadresse) zur elektronischen Sammlung von Unterstützungsbekundungen für diese Bürgerinitiative mit den einschlägigen Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. .../2011 übereinstimmt. Datum, Unterschrift und Stempel der zuständigen Behörde:
  5. 5 Der nächste «freie» Buchstabe für einen «23er-Artikel» im B-VG (mit diesen immer wieder eingefügten Artikeln werden EU-Belange in der Verfasssung ergänzt) wäre der Buchstabe l.