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Urheberrechtliches UBONGO® – Schlaglichter auf die jüngere Judikatur in urhebersachen

  • Author: Clemens Thiele
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: IP Law
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2011
  • Citation: Clemens Thiele, Urheberrechtliches UBONGO® – Schlaglichter auf die jüngere Judikatur in urhebersachen, in: Jusletter IT 24 February 2011
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit versucht der folgende Beitrag eine Momentaufnahme der aktuellen Rsp. in Urhebersachen. Wesentlich erscheinende Entscheidungen des österreichischen OGH offenbaren in einer Projektion auf die in der Lehre und Praxis gefestigten Grundsätze zumindest «originelle Lösungen», die mit dem bisherigen Urheberrechtsverständnis kaum erfassbar sind. Dadurch eröffnet sich – in einem spielerischen Vergleich – gewissermaßen das Strukturproblem, dass das gegenwärtige Urheberrecht nicht ausreicht, um den Interessenkonflikten der digitalen Realität gerecht zu werden.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. UBONGO® – Gut gelegt ist halb gewonnen
  • 2. Aktuelle Judikaturauswahl
  • 2.1. «Tirol Milch» Logo2
  • 2.2. Mozart Symphonie No 413
  • 2.3. Masterplan II5
  • 2.4. Lieblingshauptfrau/Kein Kindergarten10
  • 3. Eigene Stellungnahme
  • 3.1. «Die Dinger wollen einfach nicht mehr da rein passen, wo sie hingehören»
  • 3.2. «Unter Zeitdruck müssen die Rätsel gelöst werden»
  • 3.3. «Einfach zu verstehen und schwer zu meistern»
  • 4. Schlussfolgerungen –Übung macht den Meister, machen wir weiter

1.

UBONGO® – Gut gelegt ist halb gewonnen ^

[1]
Jeder Spieler erhält seine eigene Legetafel, auf der eine Fläche von 11 bis 14 Quadraten abgebildet ist. Diese Fläche – auf jeder Tafel hat sie eine andere Form – gilt es zu füllen. Dafür hat jeder Spieler denselben Satz an Legeteilen, 12 an der Zahl, alle unterschiedlich geformt und jeweils 2 bis 5 Quadrate groß. Um die Freifläche zu füllen, darf man nur drei der Legeteile verwenden; welche, entscheidet ein Symbolwürfel, den einer der Spieler wirft. Auf jeder Legetafel ist neben dem Symbol abzulesen, welche Legeteile zu verwenden sind – auch das ist individuell unterschiedlich, ebenso wie die zu belegende Freifläche.
Abbildung 1: Spielfläche UBONGO®
© Grzegorz Rejchtman/Nicolas Neubauer/KOSMOS
[2]
Gegen die Zeit – Sanduhr läuft – versuchen alle Spieler, ihre drei Legeteile möglichst schnell auf der Freifläche passend zu platzieren. Dass die Freiflächen grundsätzlich mit jeder der zur Verfügung stehenden Kombination exakt und restlos belegt werden können, ist das Verblüffende am Spiel. Wer seine Aufgabe als erster gelöst hat, ruft «Ubongo!» und darf nun sofort seine Spielfigur auf dem Spielplan bewegen und letztlich Edelsteine sammeln. Wer zuerst «Ubongo!» gerufen hat, darf seine Figur um bis zu drei Felder versetzen, wer später fertig wird, entsprechend weniger. Aus der Reihe, in der die Spielfigur steht, nimmt man dann die vorderen zwei Edelsteine als Belohnung. Wer nicht innerhalb der Sanduhrzeit fertig legt, geht leer aus. Für Kinder ab acht Jahren ist dieses Spiel besonders geeignet. Erwachsene tun sich hingegen besonders schwer, weil es gilt «eingefahrene, gewohnte geometrische Strukturen» zu überwinden.
[3]
Es handelt sich um eine geniale Mischung aus fieberhaftem Lege-Spaß, Puzzle-Leidenschaft, Augenmaß und logischem Denken, die für das Verständnis der aktuellen österreichischen Rsp. in Urhebersachen m.E. durchaus hilfreich sein kann.1

2.

Aktuelle Judikaturauswahl ^

2.1.

«Tirol Milch» Logo2 ^

[4]
Die spätere Beklagte, eine Tiroler Molkerei, vertrieb Milch und von ihr produzierte Milchprodukte. Im Jahr 1991 wurde von der Geschäftsführung der Beklagten ein neuer Marktauftritt beschlossen. Dafür musste auch eine neue Wortbildmarke kreiert werden. Nachdem eine firmeninterne Ausschreibung zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis geführt hatte, vergab die Beklagte Anfang 1992 den Auftrag an den späteren Kläger, ein neues Logo zu kreieren. Das von ihm idF. entworfene Logo bestand aus einem stilisierten Berg vor blauem Himmel mit gelber Sonne und dem Firmenschlagwort «TIROL MILCH». Als Hintergrundfarbe wählte er den blauen Farbton «Pantone Process Blue». Im Jahr 1999 änderte die Molkerei die Hintergrundfarbe des Logos. Statt des bisherigen Farbtons «Pantone Process Blue» wurde der dunklere Farbton «Pantone 293» verwendet. Die Farbänderung erfolgte ohne Zustimmung des Klägers, der nach Kenntnis von der Veränderung eine Verletzung von § 21 UrhG geltend machte und Unterlassung begehrte. Das Erstgericht gab der Klage statt; das Berufungsgericht wies ab.
[5]
Der OGH bestätigte und wies die Klage zur Gänze ab. Das Höchstgericht bejahte zwar die Eigenschaft des vom Kläger geschaffenen Logos als Werk der bildenden Kunst nach § 3 UrhG. Die vorgenommene Änderung betraf allerdings allein den Farbton (dunkleres Blau als beim Original), und ließ den wesentlichen gestalterischen Kern des Logos unberührt. Darin würde keine Entstellung des Werks i.S. des § 21 Abs. 3 UrhG liegen. Das Logo wurde für Werbezwecke des Auftraggebers geschaffen. Stärker als in anderen Bereichen wären hier die finanziellen und betriebswirtschaftlichen Interessen des Auftraggebers zu berücksichtigen. Die Veränderung war hier durch den Ausnahmetatbestand des § 21 Abs. 1 zweiter Satz UrhG gedeckt.
[6]
Der Umfang des in § 21 Abs. l UrhG normierten Änderungsrechts ist im Rahmen einer Abwägung der Interessen zwischen dem Werkschutz als Urheberrechtspersönlichkeitsrecht und dem Gebrauchsinteresse des Nutzungsberechtigten v.a. anhand der Kriterien der Art und Intensität des Eingriffs, der Gestaltungshöhe des Werkes (eines künstlerischen Ranges) und seines konkreten Gebrauchszwecks zu bestimmen. Bei für die Werbung geschaffenen Werken fallen die finanziellen und betriebswirtschaftlichen Interessen der Nutzungsberechtigten besonders ins Gewicht.

2.2.

Mozart Symphonie No 413 ^

[7]
Die später klagende Künstlerin schuf das Gemälde «Mozart Symphonie No 41» (Acrylfarbe auf Leinen, 120 x 160 Zentimeter). Sie gestattete der Beklagten, die ein Hotel in Wien betrieb, in deren Hotelräumlichkeiten eine befristete Verkaufsausstellung ihrer Gemälde zu veranstalten. Während der Ausstellung wurden Lichtbilder von den Räumlichkeiten des Hotels der Beklagten aufgenommen und nach (vorzeitiger) Beendigung der Ausstellung – ohne Zustimmung der Klägerin – auf die Website des Hotels gestellt. Auf zwei von zehn dieser Lichtbilder war das Gemälde der Klägerin im Hintergrund an der Wand hängend zu sehen. Die Klägerin begehrte im Sicherungsverfahren Unterlassung der Websitefotos. Das Erstgericht erließ die e.V., das Rekursgericht wies ab.
[8]
Der OGH bestätigte die Rekursentscheidung im Wesentlichen mit der Begründung, dass die gegenständliche Verkleinerung des Werks auf eine geringfügige Anzahl an Pixel dazu führte, dass nicht mehr festgestellt werden könnte, welches Werk konkret abgebildet worden war bzw. ob dieses überhaupt von der Künstlerin stammte. Mit dieser mangelnden Unterscheidbarkeit fehlte es einer derartigen Vervielfältigung wohl ganz grundsätzlich an der für ein Werk notwendigen Individualität und somit am Werkcharakter.
[9]
Die Aussage des OGH, dass «nur solche Handlungen als Rechtsverletzung beurteilt werden [können], die in irgendeiner Form die Verwertungsmöglichkeiten des Urhebers beeinträchtigen», ist in seiner Allgemeinheit jedoch ein Ansatzpunkt für eine dem § 57 dUrhG entsprechende Rechtslage, der im öUrhG keine Entsprechung findet. Eine solche Auslegung sich m.E. bloß im Rahmen der Ausnahme des Art 5 Abs. 3 lit. i Info-RL («beiläufige Einbeziehung eines Werks oder sonstigen Schutzgegenstands in anderes Material») bewegen.2 Indes, soweit geht diese E nicht, der hier entschiedene Fall gründet sich auf den Umstand, dass die Vervielfältigung «winzig» – also im Verhältnis zum eigentlich vervielfältigen Objekt klein – ist, wodurch das Objekt kaum zu identifizieren ist.

2.3.

Masterplan II5 ^

[10]
Der Kläger war Zivilingenieur für Bauwesen. Die Beklagte war die mit der Errichtung und dem Betrieb der österreichischen Autobahnen und Schnellstraßen betraute Aktiengesellschaft (ASFINAG). Der Kläger entwarf aus eigenem Antrieb im Jahr 1996 Pläne für den Bau einer Autobahnstation am Nordufer des Wörthersees, die mehrere mögliche Zufahrten und die Lage von Gebäuden und Parkplätzen enthielten. Diese Pläne stellte er unter anderem der örtlich zuständigen Gemeinde T. zur Verfügung. Diese hatte Interesse an der Ansiedlung der Autobahnstation, übertrug dem Kläger das diesbezügliche «Projektmanagement» und beauftragte ihn, sie bei der Standortsuche gegenüber öffentlichen Stellen zu vertreten. Für die Pläne (im Weiteren kurz: Masterplan II), die den für die Standortauswahl zuständigen Stellen übermittelt werden sollten, zahlte die Gemeinde dem Kläger insgesamt 120.000 Schilling. Dem Kläger war die beabsichtigte Verwendung der Pläne bekannt.
[11]
Die Beklagte beauftragte zunächst im Jahr 1998 das Forschungszentrum Seibersdorf mit der Erstellung eines Gutachtens zu den Standortalternativen. Grundlage dieses Gutachtens war unter anderem der «Masterplan II», von dem ein Auszug ohne den im Original angebrachten «Urheberrechtsvermerk» im Gutachten abgedruckt wurde. Nach Vorliegen des Standortgutachtens holte die Beklagte ein bodenmechanisches Gutachten ein, dem ebenfalls unter anderem der «Masterplan II» des Klägers zugrunde lag.
[12]
Im Dezember 2001 schrieb die Beklagte die Errichtung einer Autobahnstation aus. Gegenstand war der Abschluss eines Bestandvertrags mit Errichtungs- und Betriebspflicht des Bestandnehmers. Zu den Ausschreibungsunterlagen gehörte insbesondere das Standortgutachten mit dem darin enthaltenen «Masterplan II». An der Ausschreibung beteiligte sich auch der Kläger, und zwar zunächst im eigenen Namen, dann als Vertreter einer Bietergemeinschaft. Den Zuschlag erhielt aber ein großes Bauunternehmen, das in weiterer Folge die Autobahnstation tatsächlich errichtete.
[13]
Der Kläger begehrte EUR 143.972,99 s.A., welcher Betrag sich auf der Grundlage eines Baukostenaufwands von ATS 150 Mio (umgerechnet EUR 10.900.925,--) nach der Gebührenordnung für Ziviltechniker errechnete, als Vergütung nach § 86 UrhG und Schadenersatz nach § 87 UrhG. Die Beklagte wendete ein, nicht Bauherrin der Raststation gewesen und daher nicht passiv legitimiert zu sein. Die Pläne des Klägers wären keine eigentümlichen geistigen Schöpfungen i.S. des § 1 UrhG. Zudem wäre der Kläger bereits von der Gemeinde entschädigt worden; der nunmehr geforderte Betrag damit überhöht. Schließlich wäre Verwendung der Pläne durch die Beklagte jedenfalls zulässig gewesen.
[14]
Das Erstgericht wies die Klage mangels Werkqualität der klägerischen Pläne ab. Das Berufungsgericht bestätigte und führte aus, dass Bauherrin und damit auch «Ausführer» i.S. des § 15 Abs. 4 UrhG nicht die Beklagte war, sondern allein jenes Bauunternehmen, das die Autobahnstation letztlich errichtet hatte. Nur dieses haftete daher (allenfalls) nach § 86 UrhG, nicht auch Anstifter oder Gehilfen wie die Beklagte. Die ordentliche Revision wurde zugelassen und angenommen.
[15]
Das zivile Höchstgericht hatte letztlich zur in öffentlichen Ausschreibungen durchaus häufig vorkommenden Frage Stellung zu nehmen, ob durch den Abdruck eines Plans für ein Bauvorhaben in einem Standortgutachten eines Dritten und durch Verwendung des Plans bei der Ausschreibung in gesetzlich angeordnete Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers eingegriffen würde?
[16]
Der OGH wies die Klage ebenfalls zur Gänze ab.
[17]
Der Abdruck einer Plankopie im Standortgutachten hingegen war zwar eine der Beklagten zuzurechnende Vervielfältigung i.S. von § 15 Abs. 1 UrhG. Diese Vorgangsweise war aber durch eine konkludent erteilte Werknutzungsbewilligung gedeckt. Die Beklagte konnte nämlich aus dem Verhalten des Klägers, insbesondere aus dessen Eingliederung in die Delegation der Gemeinde, aus dem Zweck der Vorsprache (Präsentation eines Standorts im Interesse der Gemeinde) und aus der Übergabe der Pläne ableiten, dass die Verwendung (auch) des «Masterplans II» bei der Standortauswahl und – darauf aufbauend – bei einer allfälligen Ausschreibung zulässig sein sollte. Einen anderen Zweck konnte die Übergabe der Pläne aus Sicht eines redlichen Empfängers nicht haben. Diese schlüssige Zustimmung des Klägers schloss es auch aus, den Anspruch wegen der Verwendung des «Masterplans II» bei der Bewertung der Standortalternativen auf § 1041 ABGB zu stützen, zumal die Vermögensverschiebung durch eine Rechtsbeziehung zwischen den Beteiligten gedeckt war, und immaterialgüterrechtliche Ansprüche auf das «angemessene Entgelt» nur gegen den Inhaber eines Unternehmens bestünden, nicht auch gegen dessen Bedienstete oder Beauftragte.
[18]
Die teilweise Aufnahme eines Werkes in ein anderes stellt nach bisheriger Auffassung zweifellos eine die Verwertungs- und Persönlichkeitsrechte des Urhebers betreffende Verwendung dar. Das Urheberrecht an einem Sammelwerk wird durch den Nachdruck einzelner Beiträge verletzt, wenn dadurch die – eine eigentümliche geistige Schöpfung bildende – Auswahl oder Anordnung übernommen wird.3 So gilt bereits die bloße Veröffentlichung eines anwaltlichen Vertragsentwurfs in einer Zeitschrift als unzulässige Vervielfältigung und Verbreitung.4
[19]
Gleichwohl kann der (auszugsweise) Abdruck dennoch durch die kritische Auseinandersetzung i.S. desZitatrechts nach § 54 Abs. 1 Z 3a UrhG iVm. Art 10 MRK gerechtfertigt sein, sodass die Kunstkritik in jedem Fall zulässig bleibt,5 da die auch die weitere Voraussetzung erfüllt ist, wonach das zitierende Werk ein urheberrechtlich schutztaugliches Werk sein muss.6

2.4.

Lieblingshauptfrau/Kein Kindergarten10 ^

[20]
Bei der Salzburger Landtagswahl im März 2009 galt es für Gabi Burgstaller erstmals, ihre Stellung als Landeshauptfrau zu verteidigen. Die Landes-SPÖ ließ Burgstaller werbewirksam inmitten von Kindern plakatieren, auch im Internet wurde das Bild lanciert. Dazu war in großen Lettern zu lesen «Mein Kindergarten. Meine Freunde. Meine Lieblingshauptfrau!». Ein Verein, der schwangere Frauen zum Verzicht auf Abtreibungen ermutigen möchte, fertigte eine Parodie der SPÖ-Werbung an. Politischer Hintergrund: Burgstaller hatte die Vornahme von Abtreibungen in den Salzburger Landeskliniken ermöglicht. Auf der Persiflage war das Werbeplakat der SPÖ nachgezeichnet. Ein Kind neben Burgstaller war aber «ausradiert», darunter stand der Text: «Weil ich Ihre Abtreibungsstation nicht überlebt habe: Kein Kindergarten. Keine Freunde. Keine Lieblingshauptfrau!» Im Kleingedruckten fand sich überdies der Hinweis: «Seit April 2005 wird auf Burgstallers Anweisung im LKH-Salzburg abgetrieben, 4’000 Kinder wurden seither getötet. Wählen Sie am 1. März nicht die SPÖ mit ihrer Abtreibungspolitik!» Die Abtreibungsgegner publizierten das Bild im Internet und verteilten es via Postwurfsendung an 90’000 Haushalte.
[21]
Die Landes-SPÖ wollte gegen den Verein und seinen Vorsitzenden eine einstweilige Verfügung erwirken, damit die Parodie nicht mehr verbreitet wird: Das Originalbild sei urheberrechtlich geschützt, daher dürften es die Abtreibungsgegner auch nicht «nach Art eines Cartoons» verändern. Das Landesgericht Salzburg entschied zugunsten der SPÖ, das Oberlandesgericht Linz bestätigte die Entscheidung. Die Nachahmung der Abtreibungsgegner sei «keine selbstständige Neuschöpfung», der Eingriff ins Urheberrecht auch nicht durch die freie Meinungsäußerung gerechtfertigt. Der Verein sei kein politischer Gegner der SPÖ, und Urheberinteressen dürften ohnedies nicht verletzt werden.
[22]
Im Licht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sei die Äußerung daher im Meinungsstreit mit einem Politiker zulässig. Der OGH wies den Antrag der SPÖ auf eine einstweilige Verfügung gegen die Abtreibungsgegner ab
[23]
Die Höchstrichter halten zunächst fest, dass bei einer Parodie7 das als bekannt vorausgesetzte Werk unter Beibehaltung kennzeichnender Formmittel, aber mit gegenteiliger Intention, nachgeahmt wird. Das entscheidende Kriterium von Parodie und Satire ist die inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit bestimmten Aussagen und Eigenheiten des parodierten Werkes. Ob überhaupt eine Parodie vorliegt, hängt im Einzelfall davon ab, ob das neue Werk i.S. des § 5 Abs. 2 UrhG trotz starker Anlehnung an Inhalt und Form des parodierten Werkes noch eine ausreichend individuelle schöpferische Leistung darstellt, in der die Züge des benutzten Werkes eindeutig hinter den neuen, den parodistischen, zurücktreten. Für die Zulässigkeit einer Parodie ist daher grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen, wobei der verfassungsgesetzlich garantierten Kunstfreiheit nach Art 17a StGG eine nicht unbedeutende Rolle zukommt.8
[24]
Dies bedeutet, – und das erscheint bemerkenswert neu an der vorliegenden Entscheidung – dass eine comic-artige Verfremdung eines Wahlplakates bereits ausreicht, eine individuelle und selbstständige geistige Leistung im Sinne einer freien Bearbeitung des Vorbilds nach § 5 Abs. 2 UrhG zu erschaffen. Die Höchstrichter halten ergänzend fest, dass die parodistische Abbildung weder die wirtschaftlichen Interessen des Urhebers aushöhlt, noch die normale Auswertung des als Vorbild dienenden Lichtbildes beeinträchtigt.
[25]
Selbst wenn keine freie Bearbeitung vorliegen würde, wäre der Eingriff – nach Auffassung des 4. Senats –jedenfalls durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

3.

Eigene Stellungnahme ^

3.1.

«Die Dinger wollen einfach nicht mehr da rein passen, wo sie hingehören» ^

[26]
Die Rechtsanwendung sieht sich in Verletzungsprozessen mit einem z.T. überbordenden Werkbegriff konfrontiert, der scheinbar die Rsp. dazu veranlasst, in durchaus origineller Weise urheberrechtliche Ansprüche dennoch im Ergebnis zu verneinen. Eine – europarechtlich unzulässige Alternative böte nur die restriktive Auslegung des Werkbegriffs an sich. So führt der OGH9 in der EntscheidungZeitungslayout aus: Selbst wenn man entgegen der nicht unvertretbaren Beurteilung der Vorinstanzen annehmen wollte, dass das Layout der Zeitung der Klägerin ein Werk im Sinn des Urheberrechts sei,10 hätte es jedenfalls nur einen sehr geringen Grad an Individualität. Daher führen schon die vom Erstgericht festgestellten Abweichungen und insbesondere die originelle Farbgestaltung der Flugschrift der Beklagten zum Verblassen der Vorlage und damit zum Vorliegen einer freien Benützung nach § 5 Abs. 2 UrhG.
[27]
Demgegenüber hat dasInfopaq -Urteil des EuGH11 deutlich gemacht, dass ein durch mehrere Richtlinien bereits eingeleitete Abgehen von der «Eigentümlichkeit» einer Schöpfung als generelle Voraussetzung für einen urheberrechtlichen Werkschutz nicht nur maßgeblich, sondern m.E. auch einen in der gesamten Gemeinschaft autonom und einheitlich auszulegenden Schutzansatz darstellt, der sich aus dem Gemeinschaftsrecht insgesamt ergibt. Zu Recht geht daher die neuere Lehre12 von einemeuropäischen Werkbegriff aus, der ganz wesentlich auf die Neubestimmung des Urheberrecht in der Informationsgesellschaft ausstrahlt, dem allerdings kaum urheberrechtliche Schranken – auf europäischer Ebene – gesetzt worden sind.

3.2.

«Unter Zeitdruck müssen die Rätsel gelöst werden» ^

[28]
Darüber hinaus sind nach Ansicht des EuGH die dem Urheber vorbehaltenen Nutzungsarten, maW. die Verwertungsrechte, weit auszulegen.13 Eine konsequente Befolgung dieser Grundsätze führt daher manchmal zu Auswegen, die eher von dem zweckgerichteten Ergebnis des «free flow of information» als von der tradierten Dogmatik des Zivilrechts getragen sind.
[29]
Unter Rückgriff auf den Grundsatz «volenti non fit iniuria »14 unterscheidet das deutsche Höchstgericht15 die anspruchsbegründende rechtsgeschäftliche Willenserklärung von der bloßen Einwilligung, durch die zwar kein Recht erworben werde, die aber «als Erlaubnis zur Rechtsmäßigkeit der Handlung führt».16 Dabei unterliege sie unabhängig von ihrer rechtstechnischen Einordnung jedenfalls den allgemeinen für Willenserklärungen geltenden Regeln. Da nun die textgestützte Bildersuche mit Anzeige der Vorschaubilder festgestelltermaßen ein übliches Verfahren von Bildersuchmaschinen sei und die Klägerin sogar aktiv an der besseren Auffindbarkeit mitgewirkt habe, dürfe – weil es allein auf den objektiven Erklärungsgehalt aus der Sicht des Erklärungsempfängers ankomme – der Betreiber einer Suchmaschine das Einverständnis zur Aufnahme vonthumbnails in die Trefferliste annehmen.
[30]
Als Schlussfolgerung aus den rechtlichen Erwägungen ergibt sich, dass Urheber der Nutzung ihrer Werke in Suchmaschinen aktiv (insbesondere durch Blockierung der Suchmaschinenindexierung) vorbeugen müssen.
[31]
Die rechtsdogmatischen Grundsätze eines derartigen Verständnisses der urheberrechtlichen Einwilligung erscheinen aufklärungsbedürftig. Die gesetzlich nicht definierte Rechtsfigur wirkt zunächst unrechtsausschließend und ist als Anknüpfung an eine faktische Handlung an der Grenze zwischen Vertrags- und Deliktsrecht anzusiedeln. Insoweit grenzt sie der BGH von der rechtsgeschäftlichen Einwilligung des § 183 dBGB bewusst ab. Es ist m.E. durchaus besorgniserregend, wenn der einzelne Rechteinhaber aktiv werden muss, um seiner Rechte nicht verlustig zu gehen; dass mit der Veröffentlichung im Internet und seinen Diensten die Einwilligung erteilt wird, führt faktisch ein «Opt-out» ein, das insbesondere der monistischen Auffassung des Urheberrechts widerspricht. Es erscheint m.E. dogmatisch äußerst fragwürdig, dass die deutschen Höchstrichter in derBildersuche -Entscheidung einen individuell erklärten Widerruf als unbeachtlich ansehen, solange das Werk weiterhin ohne hinreichende Sicherung im Netz eingestellt ist.17

3.3.

«Einfach zu verstehen und schwer zu meistern» ^

[32]
Die gleichzeitige Beachtung europarechtlicher Vorgaben und die Synthese mit bewährten Topoi der Zivilrechtsdogmatik in den Mitgliedstaaten überfordert in zunehmenden Maß die Struktur des europäischen Urheberrechts und zwingt m.E. jedenfalls de lege ferenda zu einerNeuvermessung der Schrankenbestimmungen . Anders als im Bereich der
[33]
Der Vorteil, der in der Bildersuche-E für die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken im Internet und seinen Diensten gewählten Lösung, wonach derjenige, der Inhalte dort frei zugänglich macht, sein Einverständnis mit den üblichen Nutzungshandlungen erklärt, liegt darin, dass sie eine praktische Rechtfertigungslage für die Praxis schafft. Andererseits bedeutet es einen systemfremden, gravierenden Nachteil, dass der Wille des Urhebers oder sonstigen Rechteinhabers unterstellt wird und keine bzw. kaum Wertungskriterien für die Abgrenzung zum missbräuchlichen Zugriff bestehen.
[34]
Als Alternative zu dieser letztlich für beide Seiten unbefriedigenden Situation kommt m.E. eine (großzügige) Öffnung des urheberrechtlichen Schrankenkatalogs in Betracht. Wünschenswertde lege ferenda wäre die Einführung eines detaillierten Katalogs einschließlich einer Öffnungsklausel.

4.

Schlussfolgerungen –Übung macht den Meister, machen wir weiter ^

[35]
De lege lata bleibt den Rechtsanwendern eine dogmatisch fundierte und exakte Auseinandersetzung mit dem europäischen Werkbegriff, dem weiten Verständnis der Werknutzungsrechte des Urhebers und seinen Persönlichkeitsrechten nicht erspart. Wer gewillt ist, diesen mitunter unbequemen Weg zu gehen, wird nicht nur durch tiefer gehende Einsichten in die Notwendigkeit erweiterter Schrankenbestimmungen belohnt, sondern bereichert die Rechtspraxis um besser begründete und für die Beratung in Urhebersachen richtungsweisende Entscheidungen.



Clemens Thiele, Rechtsanwalt/Partner, Eurolawyer® Rechtsanwälte Salzburg
Imbergstraße 19 Top 3, 5020 Salzburg AT,Anwalt.Thiele@eurolawyer.at ;www.eurolawyer.at


  1. 1 Eine sehr gute Einführung in das Spiel ist unterwww.youtube.com/watch?v=4TxDovg0yuM (14. Januar 2011) abrufbar.
  2. 2 Vgl.von Lewinski/Walter invon Lewinski/Walter , European Copyright Law (2010) Rz 11.5.64.
  3. 3 OGH 3. Oktober 2000, 4 Ob 224/00w –Schüssels Dornenkrone I , MR 2000, 373 (Walter ) = RdW 2001/85, 85 = SZ 73/149.
  4. 4 OGH 17. Dezember 1996, 4 Ob 2363/96w –Head-Kaufvertrag , wbl 1997, 175 = MR 1997, 93 (Walter ) = SZ 69/283.
  5. 5 OGH 12. Juni 2001, 4 Ob 127/01g –Medienprofessor , MR 2001, 304 (Walter undSwoboda ) = SZ 74/108; 20. Mai 2003, 4 Ob 100/03i –Schüssels Dornenkrone II , RdW 2003/558, 637 = MR 2003, 387 (Walter ).
  6. 6 OGH 31. Januar 1995, 4 Ob 1/95 –Friedrich Heer II , EvBl 1995/102 = ecolex 1995, 498 = MR 1995, 179 = SZ 68/26.
  7. 7 GrundlegendNoll , Parodie und Variation. Über spezifische Formen der Werkbenutzung im österreichischen Urheberrecht, MR 2006, 196;Walter , Österreichisches Urheberrecht I (2008) Rz. 1119 ff jeweils mwN.
  8. 8 Zutreffend bereitsPregartner , Der Bildnisschutz und das Grundrecht auf Freiheit der Kunst, inZacharias (Hrsg.), Die Dynamik des Medienrechts (2001), 129, 131 f.
  9. 9 OGH 13. Juli 2010, 4 Ob 109/10y –Meta, MR 2010, 404 (kritischWalter ).
  10. 10 Vgl. zum Layout einer Website OGH 24.4.2001, 4 Ob 94/01d –www.telering.at , MR 2001, 147 (Guggenberger ) = wbl 2001/318, 537 (Thiele ) = ecolex 2001/316, 847 (Schanda ); dazuSchumacher , Schutz einer Website, ecolex 2002, 438.
  11. 11 EuGH 16.7.2009, C-5/08, jusIT 2009/62, 133 (Staudegger ) = MR-Int 2009, 56 = RdW 2009/481, 505 = EuGRZ 2009, 480 = MR-Int 2010, 91 = ecolex 2010/58, 175 = ÖBl-LS 2009/293, 252 (Büchele ).
  12. 12 Thiele , Die Säulen der Erde – zum Verhältnis zwischen Urheber- und Ausstattungsschutz, inSchweighofer u.a., IRIS 2007, 363, 365 f. mwN;Staudegger , Entscheidungsanmerkung, jusIT 2009, 175, 176.
  13. 13 EuGH 16. Juli 2009, C-5/08 –Infopaq , Rz 41 zum Vervielfältigungsbegriff.
  14. 14 «Dem Wollenden geschieht kein Unrecht», Digesten 47,10,1,5; vor allem im Strafrecht gepflogener Grundsatz.
  15. 15 BGH 12. Mai 2010, I ZR 121/08 –Google Thumbnails/Bildersuche im Internet , jusIT 2010/63, 138 (Staudegger ) = RdW 2010/343, 317.
  16. 16 BGH 12. Mai 2010, I ZR 121/08 –Google Thumbnails , Rz. 34.
  17. 17 BGH 12. Mai 2010, I ZR 121/08 –Google Thumbnails , Rz. 38 f., 41.