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Einführung zu den Schwerpunkten Rechtsinformation & Juristische Suchtechnologien

  • Authors: Franz Kummer / Erich Schweighofer
  • Category: Short Articles
  • Region: Switzerland, Austria
  • Field of law: Search technology for jurists, Legal information and e-publishing
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2011
  • Citation: Franz Kummer / Erich Schweighofer, Einführung zu den Schwerpunkten Rechtsinformation & Juristische Suchtechnologien, in: Jusletter IT 24 February 2011
Dieser Beitrag liefert eine kurze Zusammenfassung über die Vorträge der Schwer-punkte «Rechtsinformation & juristische Suchtechnologien» im Rahmen des IRIS 2011. Das Angebot an Rechtsinformation wird nicht nur quantitativ immer mehr, sondern es werden bestimmte Aufgaben immer besser erfüllt. Die Segmentierung der österreichischen Rechtsinformationslandschaft durch eigene Verlagsdatenbanken wurde fortgesetzt. Sprache und Recht sowie komplexe Dokumentstrukturen bleiben eine Herausforderung. Zentrale Anforderung bei der Weiterentwicklung der Such-technologien ist der Einbezug der Nutzerinnen und Nutzer.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Rechtsinformation in Österreich
  • 3. Suchtechnologien, Äquivalenzmanagement, Patentrecherche etc.

1.

Einleitung ^

[1]
Die im letzten Jahr aufgezeigte Umbruchphase ist nach wie vor im Gange. Die Segmentierung der Rechtsinformationslandschaft durch eigene Verlagsdatenbanken wurde mit Lindeonline fortgesetzt. Der Benutzer benötigt daher Instrumente der Gesamtsuche. Ob nun der Rechtsindex (RIDA) oder die Metasuche (Lindeonline, FinDok in Zusammenarbeit mit LexisNexis) sich durchsetzen werden, hängt letztendlich von den Datenbanknutzern ab.
[2]
Das Angebot an Rechtsinformation wird nicht nur quantitativ immer mehr, sondern es werden bestimmter Aufgaben immer besser erfüllt, wie die Suche nach Novellen in der SozDok oder nach Äquivalenzen zwischen EU-Recht und Schweizer Recht.
[3]
Sprache und Recht sowie komplexe Dokumentstrukturen bleiben eine Herausforderung. Einerseits nimmt der Wille zu, lieber einfach in Google zu recherchieren als sich mit Rechtsdatenbanken auseinanderzusetzen. Andererseits zeigt das Beispiel der Patentrecherche, dass die Suchherausforderungen noch größer werden.
[4]
Zentrale Anforderung bei der Weiterentwicklung der Suchtechnologien ist der Einbezug der Nutzerinnen und Nutzer.Usability wird immer wichtiger (s. Beitrag von Geist). Eine juristische Recherche gehört (leider) immer noch nicht zu den Kernkompetenzen der juristisch tätigen Personen. Datenbankbetreiber und Suchapplikationsanbieter sehen sich mit der Forderung konfrontiert, die Suche zu vereinfachen. Angesprochen sind damit «ein» Suchfeld, Erkennung von Mustern bei der Suchanfrage (d.h. Vorverarbeitung der Dokumente, Auswertung, automatische Annotation, Verlinkung etc.), Auswertung und Einsatz dieser Muster bei der Steuerung der Suchresultate etc. Zudem sollen nach Möglichkeit «alle» relevanten Dokumentenkollektionen ausgewertet werden; d.h. neben frei verfügbarem Content (s. Beitrag von Kraft) sollen datenbankübergreifende Recherchen möglich sein. Auch die internen Quellen (von der Dokumentenablage über Bibliothekslösungen bis zum Intranet oder zu internen Datenbanken) soll über ein Suchfeld und mit einer Suchanfrage alles recherchiert werden können.
[5]
Unter Umständen ist es nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Einerseits nimmt die Komplexität der angebotenen Information zu, andererseits soll der Zugang vereinfacht werden. Die Anbieter sind gefordert.

2.

Rechtsinformation in Österreich ^

[6]
Dietmar Jahnel zeigt die Segmentierung der Rechtsinformationslandschaft in Österreich auf. Die Inhalte werden immer mehr in eigenen Verlagsdatenbanken angeboten; desgleichen ist ein starker Trend zur Publikation abseits der Fachzeitschriften in Handbüchern, Jahrbüchern, Sammelbänden und Festschriften gegeben. Index-Datenbanken bekommen dadurch verstärkte Bedeutung (siehe Beitrag in diesem Tagungsband).
[7]
Die Segmentierung der Rechtsinformation bedingt neue Suchformen wie Metasuche in mehreren Rechtsdatenbanken.Matthias Kraft beschreibt das Online-Angebot des Linde Verlags, was durch eine Metasuche eine Suche in mehreren Rechtsinformationssystemen ermöglicht (siehe Beitrag in diesem Tagungsband).
[8]
Angela Stöger-Frank undManfred Baschiera berichten über PPP – neue Suchstrategien in juristischen Datenbanken am Beispiel von BMF-Findok und LexisNexis:
[9]
«Die Finanzdokumentation ist das Rechts- und Fachinformationssystem des österreichischen Finanzressorts, das Auslegungsbehelfe des Bundesministeriums für Finanzen sowie Entscheidungen des Unabhängigen Finanzsenates zum Steuer- und Zollrecht beinhaltet (http://www.bmf.gv.at oder direkt http://findok.bmf.gv.at/findok). Das Unternehmen LexisNexis ist einer der international führenden Anbieter von Wirtschafts- und Rechtsinformationen. Seine Online-Datenbank umfasst Fachzeitschriften, Kommentare und Fachbücher sowie Normen und Judikatur insbesondere zum Steuer- und Wirtschaftsrecht.
[10]
Historie: Mitte der 80er Jahre trat als erste österreichische juristische Datenbank die RDB-Rechtsdatenbank, ein Unternehmen der Verlage Manz und Orac auf den Markt, um seine Fachliteratur elektronisch anzubieten. Auch andere juristische Fachverlage Österreichs (ARD, Linde, Springer etc.) kooperierten mit der RDB und stellten ihre Inhalte zur Verfügung. Über das Rechtsinformationssystem (RIS) stand die RDB in der Bundesverwaltung und dadurch auch in der gesamten Finanzverwaltung zur Verfügung. In der Folge hatten die neuen elektronischen Medien in der täglichen Arbeit der Juristen ihren Platz gefunden. Das elektronische Recherchieren wurde zur Routine. Anfang 2000 kamen weitere Datenbankanbieter auf den Markt und man gewöhnte sich daran, in mehreren Datenbanken (RIS, EUR-Lex, RDB, LexisNexis, Lindeonline etc.) mit unterschiedlichen Suchformularen zu recherchieren. Darüber hinaus stellten die Datenbankbetreiber ihre Inhalte nur mehr exklusiv zur Verfügung, sodass eine «Gesamtabfrage» über alle Datenbanken nicht mehr möglich war.
[11]
Status Quo: In der Finanzverwaltung stehen neben der eigenen Finanzdokumentation (Findok), dem Rechtsinformationssystem des Bundes oder EUR-Lex auch die kostenpflichtigen Datenbanken der juristischen Fachverlage LexisNexis, Manz und Linde zur Verfügung. Die Anwender sind mit den jeweils unterschiedlichen Suchformularen und strategien konfrontiert. Um den Aufwand der Suche in diesen Datenbanken zu reduzieren, hat das Bundesministerium für Finanzen mit dem Verlag LexisNexis im Sommer 2010 ein Projekt gestartet, das eine Suche über die Inhalte beider Datenbanken ermöglichen soll.
[12]
Das neue Web-Service: Aufgabe eines Web-Services ist es, das Zusammenspiel von mehreren, auf verschiedenen Plattformen laufenden Programmen zu unterstützen bzw. überhaupt zu ermöglichen. Im Fall des LexisNexis-Web-Services wird eine Anfrage vom Client des Kunden an das Web-Service gestellt. Dieser leitet die Anfrage an die LexisNexis-Datenbank weiter, empfängt die Antwort und gibt diese an den Client des Kunden retour. Im internen Portal des Finanzressorts kann nun über die Finanzdokumentation (Findok) bei entsprechender Einstellung mit einer Recherche sowohl auf die eigenen Rechts- und Fachinformationen als auch über die neu eingerichtete Schnittstelle auf die LexisNexis-Inhalte zugriffen werden. Damit erhält der Jurist bei einer Abfrage sowohl Ergebnisse aus der Findok (Erlässe, Richtlinien, UFS-Entscheidungen etc.) als auch aus LexisNexis (Artikel aus Fachzeitschriften, Kommentare etc.). Die Abfrageoberfläche wurde nicht verändert, lediglich der Suchumfang (Quelle) kann auf LexisNexis erweitert werden. Das Suchergebnis wird in Registern dargestellt. Man erhält somit einen Überblick, welche Treffer die Suche in der Findok oder in LexisNexis ergab. Die im Ergebnis aufgelisteten Artikel können nun wahlweise in der portaleigenen Anwendung geöffnet und eingesehen werden (Klick auf unterstrichenen Titel) oder in der LexisNexis-eigenen Anzeigeform (Klick auf LexisNexis-Symbol). In diesem Fall wird der LexisNexis-Online-Dienst in einem gesonderten Fenster gestartet und der gewünschte Artikel (mit allen Spezial-Features, zum Beispiel Anzeige des gesamten Heftes, Anzeige der Dokumente, die das gegenständliche zitieren) angezeigt.
[13]
Vorteile des Web-Services: Der Anmeldevorgang zu LexisNexis Online entfällt. Dadurch wird der Zugang zu den Inhalten schneller und einfacher. Die Suche erfolgt zur Gänze in der gewohnten «Portalanwendung» mit der dort üblichen Handhabung. Syntaktische Differenzen zwischen beiden Suchsystemen werden automatisiert ausgeglichen (beispielsweise wird das im BMF-Portal vorgesehene Maskierungszeichen * durch das bei LexisNexis zu diesem Zweck vorgesehene Rufzeichen bei der Übergabe an LexisNexis ausgetauscht). Die Implementierung erforderte daher keinen Schulungs- und Erklärungsaufwand bei den Benützern.
[14]
Ausblick: Nach erfolgter Integration und positiven Reaktionen der Anwender, ist als weiterer Schritt die Implementierung von Gesetzestexten geplant.»1
[15]
Jürgen Lintzel berichtet über den neuen Zugang zum Recht, der sowohl dem Profi als auch dem Laien eine schnelle und einfache Möglichkeit bietet, sich über Gesetz und Rechtsprechung zu informieren.
[16]
Die österreichische Sozialversicherung verfügt über eine sehr gute Rechtsdokumentation, die nunmehr weiter verbessert wird.Michaela Gmoser undJosef Souhrada (siehe Beitrag in diesem Tagungsband) berichten über die Verbesserung der Transparenz im Gesundheitswesen durch die Offenlegung der Verträge der gesetzlichen Krankenversicherung mit Ärzten, Apothekern und anderen Gesundheitsdiensteanbietern im Internet mittels des Kundmachungssystems der Sozialversicherungwww.avsv.at .Beate Glück undMartin Zach (siehe Beitrag in diesem Tagungsband) analysieren die neuen inhaltlichen Such- und Auswertungsmöglichkeiten der SozDok – Die Dokumentation des österreichischen Sozialversicherungsrechts bei der Suche nach Novellen.
[17]
Anton Geist erläutert ein weiteres Problem der Dominanz von Google. Jusstudierende wollen sich immer weniger gern mit den komplexen Rechtsdatenbanken auseinandersetzen. «Vor dem Hintergrund der immer komplizierteren Verteilung der verfügbaren Volltextinhalte auf verschiedene Rechtsdatenbanken laufen Datenbankanbieter wie Schulende Gefahr, einer an sich verständlichen Entwicklung nicht die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Mit verwöhnt, müssen Studierende heute zunächst einmal überzeugt werden, überhaupt noch Zeit und Mühe in zusätzliche Rechtsdatenbanken-Recherchen zu investieren. Diese Entwicklung wird anhand praktischer Beispiele aus seiner Rechercheunterstützungspraxis an der WU Wien demonstriert, es werden die Gefahren für Benutzer/innen, Anbieter und Schulende erläutert, und unbedingt notwendige Gegenstrategien für Anbieter und Schulungspersonal aufgezeigt.»2

3.

Suchtechnologien, Äquivalenzmanagement, Patentrecherche etc. ^

[18]
Franz Kummer zeigt neue Entwicklungen im Bereich Suchtechnologien auf. «Single Point of Entry» ist eine neue Bibliothekslösung (Outsourcing-Modell) in Kombination mit einer Rechtsbibliographie. Diese beiden zusätzlichen Informationsquellen können für eine betriebsinterne Recherche (Suchraum sowie Referenzerkennung und Verlinkung) genutzt werden. Weiters berichtet er über die Fortschritte in der semiautomatischen bzw. automatischen Indexierung beim Schweizerischen Bundesstrafgericht bzw. beim Bundesverwaltungsgericht (www.bvger.ch/publiws/?lang=de ).
[19]
Marius Roth beschreibt die schweizerische Lösung für (teilweisen) «autonomen Nachvollzug» des EU-Rechts EU-Aeq. «Auch die Schweiz steht immer mehr unter dem Einfluss des EU-Rechts: Die schweizerischen Behörden müssen periodisch gegenüber der EU nachweisen, dass das Landesrecht in gewissen Bereichen den EU-Regelungen entspricht. Dies entspricht dem Nachweis, den die Mitgliedsstaaten über die Umsetzung von EU-Richtlinien erbringen müssen. Der Nachweis wird in der Regel mittels von Hand erstellter synoptischer Tabellen erbracht, in denen in einer Spalte das Landesrecht und in einer anderen Spalte die relevanten Passagen des EU-Rechts dargestellt werden. Die langwierige Arbeit der Herstellung solcher Äquivalenztabellen konnte mit der vorgestellten Applikation, dank einem modernen Ansatz, wesentlich vereinfacht und effizienter gestaltet werden: Bei EU-Aeq werden die Äquivalenzen in einer spezifischen Webapplikation erfasst; die Applikation kann anschliessend selbständig alle in Frage kommenden Tabellen und Ansichten vollautomatisch nach Word exportieren. Die Applikation ist in der Lage, auch pathologische Fälle wie mehrfache oder überlappende Verweise zu berücksichtigen.»3
[20]
Auf die Besonderheiten der Patentrecherche gehtMichael Dittenbach ein. «Einen speziellen Bereich der Informationssuche im Kontext der Rechtsinformatik, in dem der Informationsbedarf jedoch über reine Rechtsinformation hinausgeht, stellt die Patentrecherche dar. Aufwändige Suchaufträge die von den Patentinformationsexperten in großen Konzernen, kleinen innovativen Firmen, von Patentagenturen und Patentanwälten in immer kürzerer Zeit durchzuführen sind, stehen einer stetig wachsenden Informationsmenge gegenüber. Einerseits wächst die Anzahl der weltweiten Patentanmeldungen Jahr für Jahr an (1985: 926,008 – 2008: 1,907,915; Quelle: WIPO), wozu vor allem technologisch boomende Länder wie China und Indien maßgeblich beitragen. Andererseits sind für bestimmte Arten der Patentsuche alle jemals veröffentlichten Publikationen relevant. Immer komplexer werdende Technologien und immer kleinere, schwieriger zu erkennende Innovationssprünge komplementieren die Charakteristika einer der wohl herausforderndsten informationsintensiven Tätigkeiten die gerade im Kontext der wirtschaftlichen Bedeutung von Schutzrechten dem durchführenden Menschen einen hohen Grad an Verantwortung aufbürden. Die aktuellen Patentrechercheprodukte einschlägiger Anbieter sowie die Suchsysteme der Patentbehörden setzen im Lichte der durch die Verantwortung geforderten technologischen Transparenz und Nachvollziehbarkeit auf ebendiese und wirken verglichen mit dem Stand der Forschung im Bereich des Information Retrieval und verwandter Informatikdisziplinen – überspitzt und verallgemeinernd formuliert – altertümlich. Es werden diese Rahmenbedingungen erörtert und es wird auf Problematiken und Herausforderungen im Zusammenhang mit den Daten selbst (=Patentdokumente) eingegangen. Als Beispiele seien hier neben der scheinbaren Banalität unterschiedlicher verwendeter Zeichen- und Zeichensätze auch komplexere Faktoren wie etwa OCR Fehler gescannter Dokumente, eine korrekte Interpretation von Tabellen, chemischen Strukturen oder einer hilfreichen Analyse und Durchsuchbarmachung von Bildern erwähnt. Neben einem Streifzug durch den State-of-the-Art kommerzieller Systeme werden aktuelle Entwicklungen in relevanten Bereichen der Informatikforschung wie etwa Information Retrieval, Natural Language Processing, Machine Learning oder Semantic Technologies kurz beleuchtet. Abschliessend wird das Potenzial des Einsatzes moderner Textanalyse- und Suchtechnologien anhand eines konkreten Beispiels aus der Praxis erörtert.»4



Erich Schweighofer, Ao. Universitätsprofessor, Universität Wien, Arbeitsgruppe Rechtsinformatik (DEICL/AVR), Schottenbastei 10-16/2/5, 1010 Wien, AT,erich.schweighofer@univie.ac.at ;rechtsinformatik.univie.ac.at

Franz Kummer, Gründer und Inhaber, Weblaw AG, CyberSquare, Laupenstrasse 1, 3008 Bern, CH,franz.kummer@weblaw.ch ;www.weblaw.ch


  1. 1 Editierte Version des Abstracts von Stöger-Frank und Baschiera.
  2. 2 Editierte Version des Abstracts von Geist.
  3. 3 Editierte Version des Abstracts von Roth.
  4. 4 Editierte Version des Abstracts von Dittenbach.