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Verbesserung vielsprachiger Rechtstexte in der Europäischen Union im Verlauf der Rechtsetzung (zwischen Recht, Linguistik und Informatik)

  • Author: Filip Křepelka
  • Category: Articles
  • Region: EU, Czech Republic
  • Field of law: Law linguistics
  • Citation: Filip Křepelka, Verbesserung vielsprachiger Rechtstexte in der Europäischen Union im Verlauf der Rechtsetzung (zwischen Recht, Linguistik und Informatik), in: Jusletter IT 6 June 2012
Das Recht der supranationalen Europäischen Union mit siebenundzwanzig Mitgliedstaaten ist offiziell vielsprachig. Übersetzung begleitet deshalb alle Tätigkeiten ihrer Institutionen. Man muss diese Vielsprachigkeit in allen Etappen der Rechtsetzung – von der ersten Formulierung der Vorschläge, durch alle Etappen der Verhandlungen, der Veröffentlichung bis hin zur Auslegung und Anwendung – beachten. Informatik bietet heutzutage verschiedene Mittel zur Erleichterung der Aufgaben der Übersetzer sowie der Juristen in allen Positionen. Der Beitrag erörtert einzelne Anforderungen, Methoden und Instrumente.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Begründung des Aufsatzes
  • 2. Erörterung des Sprachregimes der Europäische Union
  • 3. Rechtsinformatik in der Europäischen Union
  • 4. Übersetzungsdienste der Europäischen Union
  • 5. Ideal, Optimum und Realität der Anwendung des Europarechts
  • 6. Rechtssetzung und Rechtsformulierung in der Europäischen Union
  • 7. Sprachregime der Rechtsetzung in der Europäischen Union
  • 8. Auswirkungen der Sprachregime auf Verhandlungen über Formulierungen
  • 9. Bedeutung der Datenbanken für die Setzung des Europarechts

1.

Begründung des Aufsatzes ^

[1]

Die Setzung und Anwendung des Rechts der Europäischen Union (Europarechts) steht unter dauernder Beobachtung durch die Rechtswissenschaft sowie Politologie. Man findet auch viel über Vielsprachigkeit (auch Mehrsprachigkeit) der Europäischen Union1 einschließlich ihrer Folgen für die Anwendung des Europarechts.2 Die Auswirkungen dieser Vielsprachigkeit für die Rechtsetzung in der Europäischen Union sind jedoch in den Hintergrund geraten. Sichtweisen von Juristen (insbesondere Europarechtler) und von Linguisten (einschließlich für die EU tätige Übersetzer und Dolmetscher) stellen hier oft zwei getrennte Welten dar.

[2]
Die Informatik wurde zu einer wichtigen Hilfe für Rechtsetzung sowie Rechtsanwendung in den letzten Jahrzehnten. Rechtsdatenbanken bieten einen Mehrwert im Gegensatz zu traditionellen Rechtssammlungen. Das Ausmaß der Rechtstexte, die für eine gute Praxis notwendig geworden sind, ist gestiegen. Man findet die erforderlichen Erläuterungen oft nur schwer in allen Büchern, Zeitschriften oder sonstigen Publikationen. Dies gilt besonders für das Europarecht. Dieses wird meist als Zusatz zum innerstaatlichen Recht angewendet. Viele Juristen arbeiten in der täglichen Praxis nur selten direkt mit diesem Rechtsgebiet. In manchen Mitgliedstaaten findet man nur wenig Information.
[3]

Sprachliche Aspekte der Setzung und Anwendung des Europarechts sind nur teilweise mit öffentlich zugänglichen Quellen erforschbar. Erfahrungen engagierter Juristen und Übersetzer sind nützlich für das Gesamtbild.3 Man erwartet von Autoren aus Ländern Mitteleuropas auch einen Bericht über die Auswirkungen auf die neuen Mitgliedstaaten.4

2.

Erörterung des Sprachregimes der Europäische Union ^

[4]

Die Zahl der Amtssprachen der EU in weitem Sinne, das heißt Vertragssprachen der Gründungsverträge,5 und Amtssprachen in engem Sinne für Formulierung des Sekundärrechts und für die Tätigkeit ihrer Organe,6 ist seit den Osterweiterungen der Europäischen Union (2004 und 2007) auf dreiundzwanzig gestiegen.

[5]

Wir finden in der Welt keinen Staat sowie keine Internationale Organisation mit so hoher Zahl an Amtssprachen. Staaten nutzen meistens nur eine Amtssprache, nur wenige sind offiziell mehrsprachig. Internationale Organisationen haben meistens eine kleine Zahl an Amtssprachen. Ihre Wahl spiegelt den Einfluss oder die Zahl ihrer Mitgliedstaaten wieder (Chinesisch, Englisch, Französisch und Russisch, beziehungsweise Arabisch und Spanisch in den Vereinten Nationen). Eine oder zwei Sprachen setzen sich als gemeinsame Amtssprachen auch in wenigen offiziell vielsprachigen Staaten durch (English und Hindi auf bundesstaatlicher Ebene Indiens).

[6]

Es gibt zwei zusammenhängende Gründe für die amtliche Vielsprachigkeit der Europäischen Union. Ihr Recht wird auch direkt zugunsten und zulasten Einzelner angewendet.7 Kenntnisse der Fremdsprachen jedoch bleiben trotz Sprachunterrichts im europäischen Schulwesen beschränkt8 und sind üblicherweise ungenügend für den Rechtsverkehr. Einfach gesagt, es gibt keine allgemeine Kommunikationssprache im heutigen Europa.

[7]
Versuche, die Anzahl der Amtsprachen zu beschränken, scheitern oft, dies zeigt sich insbesondere am wiederholt angefangenen und wieder beigelegtem Projekt eines einheitlichen Patents. 9
[8]

Die in Europa üblicherweise gelernten Sprachen – Englisch, Französisch und Deutsch – setzten sich nur inoffiziell als Arbeitsprachen für die interne Tätigkeit der Organe der Europäischen Union durch.

[9]
Alte wie neue Sprachen sowie Sprachen der großen, mittleren und kleinen europäischen Völker gelten alle als authentische Sprachen der europarechtlichen Texte. Man sollte nicht diese rechtspolitische Gleichstellung mit linguistischer Originalität verwechseln. Aus linguistischer Sicht werden die Fassungen der Rechtstexte in Ausgangstexte (Originale) und Zieltexte (Übersetzungen) aufgeteilt. Dies gilt nicht nur bei der Einführung neuer Amtssprachen, sondern auch in alltäglicher Anwendung.

3.

Rechtsinformatik in der Europäischen Union ^

[10]
Offizielle Quelle des Europarechts ist das Amtsblatt der Europäischen Union.10 Dieses Blatt erscheint in allen dreiundzwanzig Sprachfassungen. Die jährliche Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts wird in vergleichbarer Weise herausgegeben.11
[11]
Gleiche Nummerierung der Seiten in beiden Editionen ungeachtet der unterschiedlichen Länge der Sprachfassungen hilft dem Leser, sich besser zu orientieren, insbesondere demjenigen, welcher auch fremdsprachige Quellen nutzt.
[12]

Die Einführung neuer Amtssprachen durch die Beitritte neuer Mitgliedstaaten führt zu Veröffentlichungen neuer Sprachfassungen des geltenden Europarechts in sogenannten Sonderausgaben des Amtsblatts.12 Diese sind nicht chronologisch, sondern sachlich sortiert.

[13]

Juristen, andere Fachleute und Laien suchen aber heutzutage die Rechtstexte meistens in elektronischen Datenbanken. Seit 2004 sind alle wichtigen Rechtstexte der Europäischen Union in der Internet-Datenbank EUR-Lex veröffentlicht.13 Diese Rechtsinformationen der Europäischen Union sind unentgeltlich zugänglich.14 Dieses gilt auch für das Amtsblatt der Europäischen Union als offizielle Quelle. Jeder kann seine Dateien in Portable Document Format herunterladen und die gewünschte Ausgabe selbst ausdrucken.

[14]
EUR-Lex beinhaltet die üblichen Instrumente vieler Rechtsdatenbanken. Man findet hier konsolidierte Fassungen, Hinweise auf andere Rechtstexte einschließlich Urteile, welche oft für die Auslegung des Europarechts von großer Bedeutung sind, verschiedene Vorbereitungstexte, Hinweise zu Umsetzungsakten sowie anderen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten.
[15]
Die Vielsprachigkeit ist überall in EUR-Lex ersichtlich. Man kann einfach Sprachfassungen wechseln oder zwei Sprachfassungen nebeneinander auf dem Bildschirm abbilden. Die Rechtsinformatik der Europäischen Union macht damit das Vergleichen der Sprachfassungen viel einfacher als in Vergangenheit, als alle Rechtstexte ausschließlich auf Papier erhältlich waren. Man musste sich damals bemühen, um andere Sprachfassungen zu Gesicht zu bekommen. Bibliotheken bestellten das Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften und die Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit normalerweise nur in der landesüblichen Amtssprache.

4.

Übersetzungsdienste der Europäischen Union ^

[16]

Die Europäische Union wird generell als der größte Übersetzungs- und Dolmetscherdienst der Welt betrachtet, zumindest was das Ausmaß und die Bedeutung der übersetzten Texte angeht (Missionszeitschriften Zeugen Jehovas erscheinen in zweihundert Sprachen). Es gibt Direktionen oder Abteilungen bei allen Schlüsselorganen der Europäischen Union.15 Daneben gibt es ein Verbindungszentrum (bekannt insbesondere auf Französisch als Centre de traduction) für die Koordinierung der Übersetzungsdienste und als Assistenz für andere Organe und Institutionen.16 Kommissionen haben zuständige Mitglieder für Fragen der Vielsprachigkeit.17

[17]

Die Zahl der Amtssprachen hat sich wegen der Erweiterungen im letzten Jahrzehnt verdoppelt. Man betrachtete in diesem Zusammenhang insbesondere die stark angestiegene Zahl der Kombinationen der Ausgangs- und Zielsprachen als problematisch. Es setzten sich deshalb Übersetzungen unter Zuhilfenahme sog. Vermittlungssprachen (pivot languages) für «kleineren» Amtssprachen durch.

[18]
Erläuterungen der Situation von Experten zeigen, dass sich eine Hierarchie der Sprachen in der Übersetzungspraxis entwickelt hat. English, Französisch und Deutsch sind an den ersten drei Stellen im Rang der Ausgangsprachen, dann gibt es zwei Gruppen anderer Sprachen. Zielsprachen sind proportionaler vertreten.18
[19]

Befürworter der europäischen Integration betonen gern, dass die Ausgaben für Übersetzungen in der Europäischen Union pro Einwohner der Europäischen Union geringfügig seien.19 Die Wirtschaftlichkeit der Übersetzungen in der Europäischen Union ist trotzdem dauerhaft ein politisches Gesprächsthema. Die Übersetzung mithilfe der Vermittlungssprachen ist nur ein Beispiel der Sparmaßnahmen. Der Druck zur Kürzung der Dokumente sowie die Auswahl der Texte für Übersetzungen in andere oder alle Amtssprachen sind von größerer Bedeutung.

[20]

Die beschränkte Kapazität der Übersetzungsdienste der Organe der Europäischen Union spiegelte sich am deutlichsten in verspäteten Übersetzungen wichtiger Rechtstexte in neue Amtssprachen wider. Veröffentlichungen des Sekundärrechts in Sonderausgaben, die in der Zeit der Beitritte in den Jahren 2004 und 2007 vorgesehen waren, erschienen erst mehrere Monate verspätet. Rechtsfolgen dieses Versagens für die Adressaten der Rechtsnormen wurden vom Europäischen Gerichtshof im Urteil Skoma-Lux20 erörtert. Hiernach sei Rechtssicherheit ernst zu nehmen. Die Übersetzung aller wichtigen Urteile bleibt aber bis heute nicht erfüllt.21

[21]
Der Übersetzungsdienst der Europäischen Union war und bleibt Vorreiter bei der Anwendung der Informatik für Übersetzung, einschließlich machine translation (SYSTRAN) sowie von computer assisted translation.22

5.

Ideal, Optimum und Realität der Anwendung des Europarechts ^

[22]
Mehr- oder vielsprachiges Recht wird verfasst, weil seine Adressaten, dass heißt berechtigte und verpflichtete Einzelne sowie Beamte, Beschäftigte und Vertreter der Organe, Unternehmen, Gesellschaften und Institutionen keine gemeinsame Sprache verstehen. Die Anwendung des Rechts in gleicher Weise setzt aber die Berücksichtigung seiner verschiedenen Sprachfassungen voraus.
[23]
Es gibt völkerrechtliche Grundsätze für die Auslegung mehrsprachiger Verträge. Man sollte äquivalente Wörter als Ausdrücke gleicher Begriffen verstehen. Wenn man in dieser Weise den gefundenen Unterschied nicht beseitigen kann, sollte man den Zweck der Regelung genau betrachten.23
[24]

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes entwickelt diese Grundsätze weiter. Auch andere (als heimische) Sprachfassungen sollen berücksichtigt werden. Die Termini haben nicht selten in Sprachfassungen des Europarechts eine andere Bedeutung als in der Terminologie des jeweiligen innerstaatlichen Rechts.24

[25]

Dennoch betont der Europäische Gerichtshof heute nicht die Notwendigkeit des Vergleichs aller Sprachfassungen. Trotz der Anwesenheit aller Richter und anderer Mitarbeiter der Mitgliedstaaten, d.h. der Kenntnis aller Amtssprachen, gibt es kein Beispiel des Vergleichs aller Sprachfassungen25 seit den letzten Erweiterungen.

[26]

Deshalb sollte man den Vergleich aller Sprachfassungen in den Behörden und Gerichten der Mitgliedstaaten nicht erwarten. Der Vergleich der muttersprachlichen Sprachfassung mit etlichen anderen Sprachfassungen, welche der Leser auch mithilfe anderer Leute wirklich versteht, sollten wir als hochwertige Rechtspraxis betrachten.

[27]
Übrigens, sogar dieser beschränkte Vergleich ist nur selten. Man zieht in den meisten Fällen der Anwendung des Europarechts andere Fassungen kaum heran. Manchmal ist es Folge der Unfähigkeit oder Unwilligkeit. Es wäre jedoch oft auch wenig nützlich, weil verschiedene Sprachfassungen gleich lauten. Differenzen in den Wortlauten in verschiedenen Sprachfassungen bestehen nur bei einem kleinen Teil der Rechtstexte.

6.

Rechtssetzung und Rechtsformulierung in der Europäischen Union ^

[28]

Gründungsverträge der Europäischen Union (Primärrecht) sind völkerrechtliche Verträge, welche auf Regierungskonferenzen vereinbart und von den Staatsoberhäuptern der Mitgliedstaaten ratifiziert werden, dies schließt Abstimmungen in Parlamenten oder der Bevölkerung in Referenda ein. Zustimmung oder Konsultation der Organe der Europäischen Union ändert wenig an ihrem völkerrechtlichen Ursprung,26 obwohl ihre Natur wegen der direkten Anwendung mancher ihrer Regelungen supranational ist. Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen der Europäischen Union (Sekundärrecht) ähneln dem innerstaatlichen Recht. Die Europäische Kommission schlägt dieses vor und das Europäische Parlament und der Rat entscheiden.

[29]

Die Rechtsetzung sollte jedoch von der Formulierung der Rechtstexte unterschieden werden. Rechtsetzende Organe stimmen zu oder lehnen ab. Die vollziehende Gewalt formuliert den Wortlaut der Rechtstexte. Sicherlich, die Legislative verlangt oft und setzt manchmal Änderungen durch. Sie ändert jedoch selten den Wortlaut der Rechtstexte selbst. Jedenfalls stellen diese Änderungen nur einen kleinen Teil der Rechtstexte dar.

[30]
Juristen und andere Fachleute, welche üblicherweise hochrangige Beamte in Organen der Exekutive sind, formulieren die Rechtstexte. Funktionäre dieser Organe segnen diese Rechtstexte als Vorschläge ihrer Organe üblicherweise nur ab. Das Niederschreiben mit der Feder oder (besser gesagt) mit die Tastatur bleibt bei den einzelnen Beamten.

7.

Sprachregime der Rechtsetzung in der Europäischen Union ^

[31]
Erste Vorschläge und Anmerkungen der Gründungs- oder Änderungsverträge sind oft nur in der Arbeitssprache(n) der jeweiligen Regierungskonferenz verfasst. In der Europäischen Union sind dies bis heute oft Englisch und Französisch.
[32]
Andere Sprachfassungen der Dokumentation für die Vorbereitung der Verträge werden jedoch schnell vorbereitet. Mitgliedstaaten brauchen diese für innerstaatliche Analysen, Debatten und Präsentationen. Die Mitgliedstaaten mit anderen Amtssprachen erwarten eine frühe Anfertigung der eigenen Sprachfassungen auch aus politischen Gründen, um eine Infragestellung der existierenden Sprachregime zu vermeiden. Die Übersetzung begleitet deshalb alle Regierungskonferenzen. Gründungs- oder Änderungsverträge sind in allen vorgesehenen Sprachfassungen spätestens zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Verträge vorbereitet.
[33]
Die Erweiterungen der Europäischen Union erhöhen die Anzahl der Vertragssprachen. Die Beifügung oder Bereitstellung neuer Sprachfassungen wird in Beitrittsverträgen vorgesehen.27
[34]

Die Verhandlung des Sekundärrechts im Europäischen Parlament und im Rat sieht die Bereitstellung aller Sprachfassungen notwendiger Dokumentation vor. Parlamentarier sowie Minister oder andere Vertreter der Regierungen können laut entsprechenden Geschäftsordnungen alle Unterlagen für Verhandlungen in ihrer Sprache verlangen.28 Man erwartet damit keine Kenntnis der Fremdsprachen bei Vertretern der Mitgliedstaaten und europäischen Völker. Ihre Verhandlung basiert deshalb völlig auf der Arbeit von Übersetzern und Dolmetschern.

[35]
Allgemeine Unkenntnis der Fremdsprachen ist jedoch nach Jahrzehnten der europäischen Integration nicht mehr Realität. Viele Politiker und hochrangige Beamten verstehen Englisch, Französisch oder Deutsch, welche sich auch deshalb als Arbeitssprachen der Europäischen Union durchgesetzt haben. Insbesondere professionelle europäische Diplomaten beherrschen Fremdsprachen gut.
[36]

Die Gründe für das Verlangen der Übersetzungen sind deshalb andere. Vertreter der Mitgliedstaaten müssen auf die Stellung der eigenen Sprachen in der Europäischen Union achten. Das Benutzen der Fremdsprachen ist auch ein Vorteil in Verhandlungen zugunsten der Staaten, deren Vertreter diese als Muttersprache beherrschen. Das Interesse für die eigene Sprachfassung liegt letztendlich auch in der Notwendigkeit für künftige innerstaatliche Anwendung.

[37]

Anders sieht es mit der Vorbereitung der Texte in der Europäischen Kommission aus.29 Hier nutzt man oft nur inoffizielle Arbeitssprachen. Wichtige Dokumente für die Debatten der Fachleute wie die Weißbücher und die Grünbücher werden zwar heutzutage in allen Amtsprachen veröffentlicht, ergänzende und begleitende Texte sind oft in den drei oben genannten Sprachen oder nur in Englisch abgefasst.30

8.

Auswirkungen der Sprachregime auf Verhandlungen über Formulierungen ^

[38]
Vielsprachigkeit stellt in Bezug auf Verhandlungen im innerstaatlichen Raum mit üblicherweise nur einer Sprache einen wichtigen Unterschied dar. Man kann im innerstaatlichen Raum jederzeit eine neue Formulierung des Rechtstextes vorschlagen, diskutieren und dann annehmen oder ablehnen. Sicherlich, die Änderung des Wortlautes kann Schwierigkeiten bei der künftigen Auslegung verursachen. Die Verhandlung vielsprachig verfasster Rechtstexte braucht Übersetzungen neuer Versionen der Dokumente. Jede Umformulierung, einschließlich geringfügigen Änderungen der Sätze oder sogar einzelner Wörter, ist davon umfasst. Dieses spiegelt sich sicherlich in der Arbeitsweise aller Organe der Europäischen Union wider.
[39]

Jeder Rechtstext wird jedoch am Anfang in einer Sprache formuliert, in den letzten Jahren meistens in Englisch. Teilnehmende Juristen und andere Fachleute beherrschen diese Sprache. Diese ist jedoch meistens nicht ihre Muttersprache. Englisch ist daneben aber auch die Sprache des angloamerikanischen Rechtskreises, mit spezifischen Konzepten und Denken, und ist deshalb wenig passend für die Kommunikation des Europarechts in den meisten Mitgliedstaaten, welche dem kontinentalen Rechtskreis angehören. Als Reaktion darauf entsteht Euro-English.31

[40]
Der gemeinsame Leitfaden des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission für Personen, die in den Gemeinschaftsorganen an der Abfassung von Rechtstexten mitwirken,32 betont die Notwendigkeit der Übersetzung in andere Amtssprachen in einem gesonderten Kapitel.
[41]

Dieser Leitfaden verlangt einfache und eindeutige Formulierungen in den Ausgangstexten.33 Alle Formulierungen, welche schon in anderen Rechtstexten sind, müssen klar markiert werden,34 um die Kohärenz der Rechtstexte zu bewahren. Damit wird auch unnötige Übersetzung vermieden. Es wird auch betont, dass Übersetzungen die Fehler in den Formulierungen des Originals ans Licht bringen können. Juristen und Fachleute sind damit berufen, aufmerksam hinsichtlich der Anregungen und Bemerkungen der Übersetzer zu sein.35

[42]
Der erwähnte Leitfaden zeigt Probleme anhand von Formulierungsbeispielen in englischer, französischer und deutscher Sprache auf. Es wird damit gezeigt, dass die Ausgangstexte meistens in diesen Sprachen verfasst sind; ihre inoffizielle Stellung als Arbeitssprachen ist damit bewiesen.
[43]

Eine bemerkenswerte Besonderheit des Europarechts sind Berichtigungen (corrigenda) von ernsten Übersetzungsfehlern.36 Die Berichtigung wird gegenüber einer schlechten Formulierung bevorzugt, da man sich nicht auf den Vergleich der Sprachfassungen und die Betrachtung des Zwecks des Rechtstextes verlassen kann. Meiner Meinung nach stellen diese Berichtigungen eine gut gerechtfertigte Ausnahme von der Gleichstellung der Amtssprachen der Europäischen Union dar.

9.

Bedeutung der Datenbanken für die Setzung des Europarechts ^

[44]
Die Europäische Union veröffentlicht auch große Menge der Dokumentation über die Vorbereitung der Rechtstexte in spezialisierten Internet-Datenbanken Prelex37 und OEIL38 neben der erwähnten Datenbank des Europarechts EUR-Lex. Man kann hier Etappen der Rechtsetzung mit allen jeweiligen Dokumenten beobachten.
[45]

Die Europäische Union hat schrittweise auch hausgemachte Datenbanken der Terminologie zusammengelegt und der weltweiten Öffentlichkeit im Internet zugänglich gemacht.39 Die Datenbank IATE – InterActive Terminology for Europe40 bietet heute hunderttausende Termini in allen Amtssprachen. Diese Datenbank bietet jedoch nicht Äquivalente für jeden Terminus in allen Amtssprachen an. Eine Suche nach bekannten Äquivalenten in Amtssprachen der Mitgliedstaaten, welche ähnliche Rechtsinstitute haben, zeigt die Grenzen dieser Datenbank.41

[46]
Übersetzer und Dolmetscher der Europäischen Union nutzen deshalb andere elektronische Wörterbücher und Nachschlagwerke. Diese Datenbanken sind meistens auf nationalen Märkten angeboten, welche sich üblicherweise mit einzelnen Sprachräumen überlappen. Das zeigt auch Grenzen der Integration in der Europäischen Union.

Masarykova univerzita, Brno, Tschechien
Dozent (Ph.D.)
filip.krepelka@law.muni.cz

Ich danke Prof. Erich Schweighofer und Simone Kaiser für die wichtigen Anregungen sowie für die sprachliche Bearbeitung.


 

  1. 1 Müller F., Burr I. (Eds.), Rechtssprache Europas. Reflexion der Praxis von Sprache und Mehrsprachigkeit im supranationalen Recht, Duncker & Humblot, Berlin, 2004, Arzoz X. (Eds.), Respecting Linguistic Diversity in the European Union, John Benjamins Publishing Company, 2008, Pozzo B., Jacometti V., Multilingualism and Harmonisation of European Law, Kluwer Law International, 2006.
  2. 2 Schübel-Pfister I., Sprache und Gemeinschaftsrecht – Die Auslegung der mehrsprachig verbindlichen Rechtstexte durch den Europäischen Gerichtshof, Berlin, Duncker & Humblot, 2004.
  3. 3 Ich möchte meinem Student und Kollegen M. Lovritš, jetzt Übersetzer für die Europäische Union, und O. Pacholík, Leiter der Gruppe der tschechischen Übersetzer in der Europäischen Kommission danken.
  4. 4 Mehr über die Einführung neuer Amtssprachen im Europarecht und deren Folgen für die Rechtspraxis in Tschechien s. Krepelka F., Probleme mit neuen Sprachversionen des Europarechts, In Fischer R. (Hrsg.), Sprache und Recht in großen europäischen Sprachen. Regensburg: Universitätsverlag Regensburg, 2010, Seiten 233–246.
  5. 5 Artikel 55 des Vertrags über die Europäischen Union in ihrer konsolidierter Fassung nach Inkrafttreten des Lisbon-Vertrags im Jahre 2009, Amtsblatt der Europäischer Union, 2010, C 83, Seiten 13 ff.
  6. 6 Artikel 1 der Verordnung Nr. 1 vom 15. Mai 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Amtsblatt Nr. 17 vom 6. Oktober 1958, geändert durch Beitrittsakte und Verordnungen.
  7. 7 Sogenannte Direktwirkung in und Vorrang des Unions (Gemeinschafts-)Rechts gegenüber den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten (siehe die berühmten Urteile van Gend en Loos und Costa v. ENEL)
  8. 8 European Commission, Special Eurobarometer 243 Europeans and their Languages, 2006 (http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_243_en_pdf) zeigt, dass die Mehrheit der Europäer keine zweite Sprache besser als ausreichend für eine einfache Kommunikation beherrscht. Meiner Meinung nach ist diese Selbsteinschätzung zu bescheiden. Wo sind all die Tschechen (28%), die Deutsch können sollen?
  9. 9 Streit war immer über Übersetzung gesamter Patentschriften und Patentansprüche. Insbesondere Italien und Spanien lehnen es ab, nur drei inoffizielle Amtssprachen in der Europäischen Union zu nutzen. Manche andere Mitgliedstaaten zeigen sich jedoch jetzt bereit, auf Übersetzungen unter bestimmten Bedingungen zu verzichten.
  10. 10 Artikel 297 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
  11. 11 Es gibt keine besondere Sprachenregelung für diese Sammlung. Verordnung Nr. 1 ist deshalb anwendbar.
  12. 12 Artikel 58 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge.
  13. 13 Webseite http://eur-lex.europa.eu/de/legis/index.htm.
  14. 14 Vorgänger des EUR-Lex war CELEX (Communitatis Europeae Lex) welcher seit dem Jahre 1981 gegen Entgelt auch Privaten zugänglich gemacht wurde.
  15. 15 Generaldirektionen Übersetzung (GDT) und Dolmetschen (SCIC) in der Europäischer Kommission, zwei vergleichbare Generaldirektionen Übersetzung und Dolmetscher & Konferenzen im Europäischen Parlament sowie der Sprachendienst des Generalsekretariats im Rat der Europäischen Union.
  16. 16 Gegründet mit der Verordnung (EG) Nr. 2965/94 des Rates zur Errichtung des Übersetzungszentrums für Einrichtungen der Europäischen Union.
  17. 17 Eigenständiges Kommissariat für Mehrsprachigkeit mit L. Orban seit dem Beitritt Rumäniens im Jahr 2007. Bis 2004 und wieder seit 2009 gehören diese Agenda zur Bildung und Kultur.
  18. 18 Entwicklung und Möglichkeiten beider Technologien in Karlberg M., Grünewald W., Translation strategy decision support in the European Union (http://egpa-conference2011.org/)
  19. 19 Das Europäische Parlament schätzt in seiner Übersicht «European Parliament – Never Lost in Translation» (http://www.europarl.europa.eu) die Ausgaben für Dolmetschung und Übersetzung auf eine Milliarde Euro (2 Euro pro Einwohner.
  20. 20 Urteil von 11. Dezember 2007, C-161/06, Sammlung 2007, I-10841.
  21. 21 Der Europäische Gerichtshof hat 948 Urteile und Beschlüsse gewählt und ihre Übersetzung in Amtssprachen neuer Mitgliedstaaten vereinbart. Bis heute findet man jedoch auf seiner Webseite nur 57+79 Urteile in allen 2004 Amtsprachen (http://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_14955/).
  22. 22 Craciunescu O., Gerding-Salas C., Stringer-O’Kaeffe S., Machine Translation and Computer Assisted Translation: a new Way of Translating? Translation Journal. Vol. 8. No. 3. 2004 (http://translationjournal.net).
  23. 23 Artikel 33 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, Absätze 3 und 4.
  24. 24 Urteil des Europäischen Gerichtshof 283/81 CILFIT vom 6. Oktober 1982, Punkte 18 und 20 der Begründung.
  25. 25 Ein Beispiel für den weitgehenden Vergleich vieler Sprachfassungen findet man im Urteil C-340/08 M. and others von 29. April 2010. Man vergleicht hier in den Punkten 33–74 fast alle Sprachfassungen (keine slawischen Amtssprachen) einer Formulierung der Verordnung Nr. 881/2002, welche Sanktionen gegen Unterstützung des Terrorismus vorsieht.
  26. 26 Artikel 48 des Vertrages über Europäischen Union.
  27. 27 Artikel 61 der Akte über die Bedingungen des Beitritts (siehe Fußnote oben).
  28. 28 Artikel 146–Sprachen Absatz 1 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments und Artikel 14 Absatz 1 und 2 des Beschlusses des Rates 2009/937/EU, Euratom zur Annahme seiner Geschäftsordnung.
  29. 29 Sicherlich, die Kommission beschließt am Ende ihrer Entscheidungen und Vorschläge in allen Amtssprachen, wie es Artikel 17 des Anhangs zum Beschluss 2010/138/EU, Euratom der Kommission zur Änderung ihrer Geschäftsordnung fordert. Diese Geschäftsordnung sieht jedoch nicht die Bereitstellung aller Sprachfassungen in der Phase der Vorbereitung dieser Rechtstexte vor.
  30. 30 Siehe Webseite http://europa.eu/documentation/official-docs/green-papers/ in anderen Sprachfassungen.
  31. 31 Linguisten debattieren, ob es sich schon zu einem vergleichbaren Phänomen wie American-English oder Indian-English entwickelt hat, siehe dazu Bemerkungen in Internet von R. Nordquist. Der Übersetzungsdienst der Europäischen Union versucht jedoch Standard British English im Formulierung englischer Texte zu behalten, unter anderem mit English Style Guide–A handbook for authors and translators in the European Commission, (http://ec.europa.eu/translation/english/guidelines/documents/styleguide_english_dgt_en.pdf).
  32. 32 Ausgearbeitet aufgrund von Beschlüssen der juristischen Dienste der drei Organe im Jahre 2003, veröffentlicht vom Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften auch als Buch ISBN 92-894-4061-9 (http://eur-lex.europa.eu/de/techleg/index.htm).
  33. 33 Punkt 5.2 des Leitfadens.
  34. 34 Punkt 5.5.1 des Leitfadens.
  35. 35 Punkt 5.5.2 des Leitfadens.
  36. 36 Für eine kritische Erörterung dieses Phänomens siehe Bobek M., Corrigenda in the Official Journal of the European Union: Community Law as Quicksand, European Law Review, Vol. 34, pp. 950–962, 2009.
  37. 37 Werdegang der Interinstitutionellen Verfahren, Webseite http://ec.europa.eu/prelex/rech_avancee.cfm?CL=de.
  38. 38 Legislative Observatory the European Parliament, Siehe http://www.europarl.europa.eu/oeil/home/home.do.
  39. 39 Mitteilung der IP/07/962 von 28. Juli 2007 «Eine einzige Datenbank für die gesamte EU-bezogene Terminologie (InterActiveTerminology for Europe) nun in 23 Sprachen öffentlich zugänglich».
  40. 40 Webseite http://iate.europa.eu.
  41. 41 Der deutsche Rechtsterminus «Berufung» als Rechtsmittel gegen Urteile des erstinstanzlichen Gerichts hat klare Äquivalente mindestens in mitteleuropäischen Sprachen einschließlich Tschechisch. Man findet diese Äquivalenz in IATE beim Tschechischen, Slowakischen oder Polnischen als Ausgangsprache weniger eindeutige oder es werden unpassende Formulierungen wie «Beschwerde» oder «Rechtsmittel» angeboten.