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Die ontologische Beschreibung einer abstrakten Rechtsordnung geistigen Eigentums im Lichte juristischer Methodik

  • Author: Gregor Völtz
  • Category: Short Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Advanced Legal Informatics Systems and Applications
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2012
  • Citation: Gregor Völtz, Die ontologische Beschreibung einer abstrakten Rechtsordnung geistigen Eigentums im Lichte juristischer Methodik, in: Jusletter IT 29 February 2012
Die Erkenntnis, dass es möglich ist, rechtliche Strukturen in Ontologien der Informatik abzubilden, ist nicht neu. Dennoch finden juristische Ontologien in der Praxis bisher kaum Einsatz. Neben praktischen Schwierigkeiten, die die Erstellung einer Ontologie aufwirft, mag ein weiterer Grund in (ungeklärten) juristischen Methodenfragen liegen, welche die Erstellung einer Ontologie im Bereich des Rechts aufwirft. Einige dieser Methodenfragen werden im vorliegenden Beitrag anhand des Beispiels einer ontologischen Beschreibung einer abstrakten Rechtsordnung „geistigen Eigentums“ näher betrachtet und zu beantworten versucht.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Formale Rechtsontologien im Lichte juristischer Methodik
  • 2.1. Geltungsanspruch juristischer Ontologien
  • 2.2. Legitimationsfragen des Transformationsprozesses
  • 2.2.1. Rechtsinterpretation
  • 2.2.2. Rechtsvereinfachung
  • 3. Lösungsansätze
  • 3.1. Bestehende methodische Konzepte
  • 3.2. Legitimation des transformierten Rechts
  • 4. Fazit

1.

Einleitung ^

[1]

In Deutschland wie auch in Österreich gibt es keine einheitliche Immaterialgüterrechtsordnung. Unter dem Oberbegriff „Immaterialgüterrecht“ werden vielmehr die einzelnen Rechtsordnungen der gewerblichen Schutzrechte und des Urheberrechts zusammengefasst.1 Nichtsdestotrotz weisen die dem Immaterialgüterrecht zugehörigen Rechtsordnungen aufgrund von Gemeinsamkeiten der dort geregelten Materie Berührungspunkte auf, die eine Zusammenführung gleichlaufender Normen zu einem „allgemeinen Teil des Immaterialgüterrechts“ rechtfertigen würden.2 Zumindest an einer einheitlichen Betrachtung der dem Immaterialgüterrecht zuzuordnenden Rechtsordnungen führt kaum ein Weg vorbei. Nicht nur, weil sich die Teildisziplinen des Immaterialgüterrechts denselben Grundproblemen gegenübersehen und sich im Zuge internationaler Vorgaben, die nicht zwischen den einzelnen Schutzrechten unterscheiden, zunehmend annähern bzw. bereits überlappen.3 Sondern auch, weil erst die zusammenschauende Perspektive das Aufdecken etwaiger Wertungswidersprüche zwischen den einzelnen Rechtsgebieten des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts ermöglicht.

[2]
Inwieweit das Immaterialgüterrecht einen einheitlichen Rahmen zur Beurteilung von Wertungswidersprüchen liefert, ist allerdings offen. In Ermangelung einer formalen Einheit, beispielsweise in Form eines Immaterialgüterrechtsgesetzbuches, müssen andere Kriterien dazu dienen, Umfang und Inhalt des Immaterialgüterrechts als einheitliche – und damit eigene – Rechtsordnung zu bestimmen. Anstatt auf ein äußeres muss auf ein „inneres System“4 des Immaterialgüterrechts abgestellt werden und es liegt nahe, dies im „größten gemeinsamen Nenner“ der einzelnen Schutzrechtssysteme zu vermuten. Um ein solches System zu identifizieren, ist es erforderlich, die einzelnen Teilrechtsgebiete systematisch aufzubereiten, um jene Normenkomplexe zu erkennen, die sich in vergleichbarer Form in allen Teilrechtsgebieten wiederfinden. Das Immaterialgüterrecht wird insoweit als vorhandene, jedoch abstrakte, mithin verborgene Rechtsordnung „geistigen Eigentums“ verstanden. Das Bestreben einer so betriebenen Systemfindung wäre, ein wissenschaftliches System von Aussagen über das Immaterialgüterrecht aufzubauen, in dem funktionell gebildete Rechtsbegriffe als Träger von Aussagen über die Rechtsinhalte fungieren.5
[3]
Mit der Erkenntnis einer einheitlichen Systematik des Immaterialgüterrechts wäre gleichzeitig ein erster wesentlicher Schritt zur Erstellung einer Ontologie im Sinne der Informatik getan. Denn die für eine brauchbare Ontologie erforderliche6 möglichst vollständige Erfassung der Wissensdomäne sowie die für die Repräsentation notwendigen Begriffe sowie Beziehungen und Ableitungsregeln wären mit ihr gefunden. Arbeiten darüber, ob und inwieweit es möglich ist, rechtliche Strukturen in Ontologien der Informatik abzubilden, sind in den letzten Jahren vermehrt erstellt worden.7 Dennoch finden juristische Ontologien in der Praxis bisher kaum Einsatz.8 Neben praktischen Schwierigkeiten, die die Erstellung einer Ontologie aufwirft, mag ein weiterer Grund in (ungeklärten) juristischen Methodenfragen liegen, welche die Erstellung einer Ontologie im Bereich des Rechts aufwirft. Im Folgenden sollen einige dieser Methodenfragen beleuchtet und anhand des soeben skizzierten Beispiels der ontologischen Beschreibung einer abstrakten Rechtsordnung „geistigen Eigentums“ erste Antworten gesucht werden.

2.

Formale Rechtsontologien im Lichte juristischer Methodik ^

[4]
Allgemein bedeutet Methodenlehre die Reflexion einer Wissenschaft auf ihr eigenes Vorgehen.9 Die juristische Methodenlehre dreht sich folglich um den (richtigen) Weg der Rechtserkenntnis bzw. Rechtsgewinnung. Damit leistet sie einen Beitrag zur Bindung der Rechtsanwendung an die Rechtssetzung, mithin zur Wahrung der Gewaltenteilung und des Demokratieprinzips.10
[5]
Methodenfragen setzen einen Geltungsanspruch der gewonnen Erkenntnisse voraus, andernfalls wäre die angewandte Methodik ebenso wie das Ergebnis ohne Belang. Sie stellen sich umso drängender, je stärker der Geltungsanspruch greift. Damit steht die Frage im Raum, welche Geltung ontologische Beschreibungen von Rechtsordnungen wie beispielsweise jene einer abstrakten Rechtsordnung „geistigen Eigentums“ beanspruchen.

2.1.

Geltungsanspruch juristischer Ontologien ^

[6]
Die Antwort auf diese Frage hängt vom geplanten Einsatz der Ontologie in der Praxis ab.11 So könnte die ontologische Beschreibung einer abstrakten Rechtsordnung „geistigen Eigentums“ beispielsweise dem Aufbau einer semantischen Wissensbasis dienen, die Experten und möglicherweise auch Nichtexperten einen einfachen und effektiven Zugang zum Expertenwissen „Immaterialgüterrecht“ bietet.12 In diesem Fall wäre der Geltungsanspruch der Ontologie etwa vergleichbar mit dem eines juristischen Lehrbuchs oder Kommentars. Die ontologische Beschreibung der Rechtsordnung wäre weitestgehend frei und die ihr zugrundeliegenden Erkenntnisse, soweit im Rahmen anerkannter juristischer Methodik ermittelt,13 nutzbar. Auch müssten etwaige Wertungswidersprüche, die sich im konkreten Beispiel zwischen den einzelnen Schutzrechtsgebieten ergeben könnten, nicht zwingend aufgelöst werden. Die Ontologie könnte sich vielmehr darauf beschränken, sie aufzudecken und rechtspolitische Vorschläge nach deren Ausräumung zu bieten.
[7]
Problematischer liegt der Fall, wenn ein ontologiebasiertes Expertensystem der Entscheidungsvorbereitung und/oder -findung bei Gerichten oder Behörden dienen soll. Anerkanntermaßen gibt es in entscheidungsbedürftigen Rechtsfragen keine apodiktisch (un-)wahren Entscheidungen, sondern lediglich Werturteile, die mal überzeugend, mal weniger überzeugend sind.14 Der Grad der Überzeugungskraft hängt dabei vor allem von der Art der Auseinandersetzung mit etwaigen widerstreitenden Rechtsansichten und der Abwägung der jeweils hervorgebrachten Argumente ab. Neumann formuliert insoweit treffend: „die Qualität der juristischen Begründung [ist] für die Qualität der von ihr getragenen Rechtsauffassung konstitutiv“15 . Um vertretbare Ergebnisse zu erhalten, müssten der einem Expertensystem zugrundegelegten Ontologie also zwingend derartige Abwägungsprozesse vorausgegangen sein. Sie müsste darüber hinaus so beschaffen sein, dass der Entscheidungsträger bei Bedarf, also im Falle der Urteilsanfechtung, im Stande wäre, die jeweils relevanten Abwägungsprozesse nachzuvollziehen und darzulegen. Ferner müssten etwaige Wertungswidersprüche bereinigt und ein in sich konsistentes Wertesystem erstellt werden. Nur wenn diese Voraussetzungen gegeben wären, könnte eine juristische Ontologie für die Entscheidungsfindung Geltung beanspruchen. Sie müsste es dann aber auch, da sie andernfalls die in ihr verkörperten Rechtsauffassungen selbst in Frage stellen würde.
[8]
Dennoch bleibt zu konstatieren, dass eine juristische Ontologie, auch wenn sie methodisch korrekt erarbeitet wurde, lediglich eine Sichtweise (von regelmäßig vielen anderen) der in ihr dargestellten Rechtsordnung widerspiegelt. Damit wird deutlich, dass die Transformation einer durch Gesetze geschaffenen und durch Gerichtsentscheidungen geprägten Rechtsordnung in eine neue Form der Repräsentation Legitimationsfragen aufwirft, die sich bei der Ontologieerstellung in anderen Wissensdisziplinen, insbesondere bei den empirischen Wissenschaften, so nicht stellen.16

2.2.

Legitimationsfragen des Transformationsprozesses ^

[9]
Man kann das Recht als Kommunikationssystem begreifen, in dem Informationen, beispielsweise Regelungsanordnungen, erzeugt und festgelegt sowie verarbeitet und ausgetauscht werden.17 Dies geschieht durch Zeichen, die mit Hilfe eines physikalischen Mediums übermittelt werden, wobei das dominierende Zeichensystem des Rechts die Sprache und das regelmäßig verwendete Medium Wort und Schrift sind.18 Die Umsetzung des Rechts in ein anderes Zeichensystem wie eine Ontologie setzt vor diesem Hintergrund eine Interpretation des Rechts voraus. Das Interpretationsergebnis muss anschließend vom bestehenden Zeichensystem losgelöst und in das neue Zeichensystem transformiert werden. Dass ein derartiger Transformationsprozess vom einen in das andere Zeichensystem den rechtlichen Gehalt nicht völlig unberührt lässt, dürfte auf der Hand liegen.19
[10]
Für die vorliegende Betrachtung gleichfalls relevant ist die Erkenntnis, dass die Erstellung einer Ontologie notwendigerweise eine Vereinfachung der Wissensrepräsentation anstrebt, damit das in der Ontologie verkörperte Wissen (auch) von Maschinen verarbeitet werden kann.20 Wäre dem nicht so, müssten Maschinen in der Lage sein, sich das Recht anhand der menschlichen Sprache zu erschließen.21 Sowohl die Rechtsinterpretation als auch die Rechtsvereinfachung rufen aber juristisch-methodische Fragen auf den Plan, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen.

2.2.1.

Rechtsinterpretation ^

[11]
Neben den „klassischen“ methodischen Fragen, die sich auch im Rahmen der Rechtsanwendung ergeben, bei der eine Entscheidung anhand des gesetzten und ggf. höchstrichterlich fortentwickelten Rechts ermittelt werden soll, stellen sich bei der Erstellung juristischer Ontologien weitere Fragen, insbesondere hinsichtlich der Methodik der Begriffsfindung und der Strukturierung.
[12]
Die Informatik beschäftigt sich bereits seit längerem mit möglichen Wegen, Ontologien zu erstellen. Dabei werden im Wesentlichen zwei Ebenen unterschieden: Die konzeptuelle, die sich auf die Struktur und Terminologie der beschriebenen Domäne bezieht, sowie die formale, die der Darstellung der Domäne im Rahmen eines formalen Modells dient. Auch wenn Ontologie-Sprachen spezielle Sprachkonstrukte zur Darstellung von Terminologien und Strukturen bieten, ist die korrekte Verwendung dieser Konstrukte im Hinblick auf die adäquate Abbildung einer Domäne kein leichtes Unterfangen. Um diesen Weg zu erleichtern, bestehen zwar auch in der Informatik Vorgehensmodelle, die eine systematische Erfassung und Umsetzung der Anforderungen in entsprechende Definitionen unterstützen.22 Für eine juristische Methode der Begriffsbildung und Strukturierung können die Methoden der Informatik aber keinen Ersatz bieten. Denn anders als die empirischen Wissenschaften, denen jeweils eine Beobachtung des „Sein“ zugrundliegt, geht die Rechtswissenschaft der Frage nach dem „Sollen“ nach.23 Anders als das „Sein“ ist aber das „Sollen“, ausformuliert in Rechtssätzen, untrennbar mit der Sprache verknüpft,24 so dass Fragen der Wissensrepräsentation immer auch zugleich Fragen der Wissensdomäne „Recht“ sind.
[13]
Selbstredend sollten die in einer juristischen Ontologie verwendeten Begriffe, wo möglich, der Terminologie der abzubildenden Wissensdomäne entsprechen, um unnötige Verständnisschwierigkeiten zu vermeiden.25 Dennoch ist klar, dass das ungleich engere sprachliche „Korsett“ einer Ontologie auch die Neufindung von (Ober-)Begriffen erforderlich macht. Dies gilt erst recht für jene Fälle, wie dem der eingangs skizzierten abstrakten Abbildung einer Immaterialgüterrechtsordnung, wo die Ontologie Strukturen wiedergeben soll, die sich dem kodifizierten Rechtstext so nicht entnehmen lassen. Auch aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist eine originär rechtswissenschaftliche Methode zur Begriffs- und Strukturfindung vonnöten.

2.2.2.

Rechtsvereinfachung ^

[14]
Ein Weg zu einer formal vereinfachten und damit für Maschinen verarbeitungsfähigen, man könnte auch sagen: „rationaleren“, Darstellung des Rechts liegt in seiner Abstraktion.26 Deutlich wird dies am Beispiel der ontologischen Beschreibung einer abstrakten Rechtsordnung geistigen Eigentums. Diese würde die gemeinsamen Prinzipien, Normen und Strukturen der einzelnen Schutzrechtsgebiete wiedergeben. Eine Kenntnis der einzelnen Spezialregelungen wäre insoweit nicht mehr erforderlich. Das ohnehin schon abstrakte Recht27 der dem Immaterialgüterrecht zuzuordnenden Teilrechtsgebiete würde also weiter abstrahiert.
[15]
Abstrahierendes Denken erfolgt, indem etwas Sprachgegenständliches, beispielsweise ein Gegenstand oder Rechtsbegriff/Regelsatz, nicht in seiner konkreten Gestalt bzw. Ausgestaltung erfasst wird, sondern in seinen Eigenschaften und Merkmalen. Anhand der identifizierten Merkmale wird sodann ein Begriff gebildet, der es ermöglicht, unter ihn all jenes zu fassen, das dieselben Merkmale aufweist. Dabei gilt, dass der Abstraktionsgrad umso höher ist, je weniger Merkmale bei der Abstraktion berücksichtigt werden. In der Konsequenz bedeutet dies, dass der abstrakteste Begriff den geringsten Inhalt, aber weitesten Anwendungsbereich hat.28 Eine formale Vereinfachung des Rechts im Wege der Abstraktion geht folglich mit einem Informationsverlust einher, der spätestens bei der Rechtsanwendung wieder kompensiert werden muss. Das Mittel der Wahl ist hierbei erneut die Interpretation, wobei jedoch sichergestellt sein muss, dass die Anwendung des formal vereinfachten Rechts zu denselben Ergebnissen gelangt wie die Anwendung des kodifizierten Rechts. Um dies zu gewährleisten, bedarf es ebenfalls einer juristischen Methode.

3.

Lösungsansätze ^

[16]
Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass der Erstellung juristischer Ontologien die Erarbeitung diesbezüglicher juristischer Methoden vorauszugehen hat, sollen die Ontologien in der Praxis eingesetzt, d. h. im und auf den Einzelfall angewendet werden. Wie gleichfalls dargelegt wurde, gilt dies unabhängig davon, inwieweit die Informatik Methoden und Konzepte für die Erstellung von Ontologien bietet. Allerdings muss das Rad nicht gänzlich neu erfunden werden. Denn es spricht einiges dafür, dass sich im Fundus der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre bereits Methoden finden, die sich auch für die Erstellung von Rechtsontologien nutzbar machen lassen.

3.1.

Bestehende methodische Konzepte ^

[17]
So bietet beispielsweise die Begriffsjurisprudenz, ungeachtet ihrer zweifelhaften Einschätzung des Stellenwerts von Rechtsbegriffen in der juristischen Methodik, Ausarbeitungen zu den Möglichkeiten, abstrakte Rechtsbegriffe zu bilden und das Recht durch eine Normenreduktion zu rationalisieren.29 Ungeachtet dessen bleibt jedoch das Problem, dass die konkret zu verwendenden Begriffe erst nach einer Analyse und Interpretation des Rechts geformt werden können. Um insoweit Bedenken eines hermeneutischen Zirkels zu begegnen, der droht, wenn man die Begriffsbildung nicht an der Rechtsordnung orientiert, sondern die Auslegung der Rechtsordnung an den Rechtsbegriffen, führt kein Weg daran vorbei, die geplante Vorgehensweise zur Begriffsbildung vorab transparent darzustellen.30
[18]
Konkret für den Fall der ontologischen Beschreibung einer abstrakten Rechtsordnung „geistigen Eigentums“, bei der die einzelnen Rechtsordnungen des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberechts miteinander verglichen werden sollen, bietet es sich darüber hinaus an, sich den Methoden der rechtsvergleichenden Analyse31 für eine funktionale Betrachtung der jeweiligen Teildisziplinen zuzuwenden. Diese erlaubt, die Eigenarten der jeweiligen Rechtsordnungen angemessen zu berücksichtigen und in einen vergleichenden und damit vereinheitlichenden Kontext zu stellen.
[19]
Letztlich können auch die in der Jurisprudenz reichlich zu findenden Systemdiskussionen32 wertvolle Hinweise zur planmäßigen Strukturierung einer Rechtsordnung im Rahmen einer Ontologie der Informatik liefern.

3.2.

Legitimation des transformierten Rechts ^

[20]
Wie erwähnt, leistet eine transparente juristische Methode einen Beitrag zur Gewaltenteilung. Sie dient des Weiteren der Rechtssicherheit und der Rechtsstaatlichkeit, befördert die eigene Erkenntnis und ermöglicht Kritik.33 Ob und inwieweit sie dazu geeignet ist, „transformiertes Recht“ zu legitimieren, ist jedoch offen.
[21]
Wie bereits oben dargelegt wurde, spiegelt eine juristische Ontologie lediglich die Sichtweise der sie erarbeitenden Expertengruppe wider. Unter der Annahme, dass Recht und Sprache untrennbar miteinander verbunden sind,34 ließe sich also argumentieren, dass jede Repräsentation des Rechts, die nicht mit dem vom Gesetzgeber erlassenen Gesetz übereinstimmt, keine Rechtsgeltung beanspruchen kann. Da vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an das positive Recht gebunden sind, würde dies dem Einsatz der Ontologie im Rahmen von Expertensystem zur Entscheidungsvorbereitung und/oder -findung bei Gerichten oder Behörden widersprechen.35
[22]
Sofern man diese Bedenken teilt, fragt sich, wie man ihnen begegnen kann. Eine naheliegende Option wäre, juristische Ontologien in den Gesetzgebungsprozess einzubinden, sei es, dass sie unmittelbar vom Gesetzgeber verabschiedet oder zumindest auf Ermächtigung des Gesetzgebers hin, beispielsweise als Verordnung, erlassen würden. Beides erscheint wenig praktikabel. Daher fragt sich, ob es bereits als hinreichende Legitimation betrachtet werden kann, wenn eine Ontologie (nachweislich) methodisch korrekt erarbeitet wurde. Dafür könnte sprechen, dass der juristischen Methodik immanent ist, „die strenge Bindung der Rechtsanwender an vorhandene verbindliche Rechtssätze zu beachten“36 . Gegen etwa vorhandene Fehlinterpretationen des Rechts innerhalb der Ontologie könnten sich betroffene Bürger wehren, indem sie gegen die auf eine „Entscheidung“ oder „Empfehlung“ eines ontologiebasierten Expertensystems zurückgehende staatliche Maßnahme den Rechtsweg beschreiten. Allerdings muss man sehen, dass nicht jeder Bürger gleichermaßen gewillt ist, gegen rechtswidrige Hoheitsakte vorzugehen. Die Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips würde damit zu einem nicht unbedeutenden Teil in die Verantwortung der Bürger gelegt.37
[23]
Aus diesem Grund scheint es erforderlich zu sein, dass der Gesetzgeber den Einsatz juristischer Ontologien im Rahmen von Expertensystemen jeweils zuvor gebilligt hat. Wie das konkret zu geschehen hat, wird letztlich auf den jeweils zu betrachtenden Einzelfall ankommen.38 Wenn beispielsweise ein Kassenautomat in einer Parkgarage in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft automatisch anhand der per Magnetkarte registrierten Ein- und Ausfahrzeit eines Bürgers sowie der einprogrammierten Gebührentabelle der anzuwendenden Satzung einen Gebührenbescheid erstellt, mag es ausreichend sein, wenn die Satzung allgemein den Einsatz eines Kassenautomats vorsieht. Anders liegt freilich der Fall, wenn ein Gericht aufgrund der „Empfehlung“ eines ontologiebasierten Expertensystems ein Urteil erlässt. Unabhängig davon, dass bereits der Anspruch auf den gesetzlichen Richter einer automatisierten Urteilsfällung entgegensteht, also der Richter die „Empfehlung“ des Expertensystems nicht blindlings zum Inhalt seiner Entscheidung machen dürfte, scheint es in diesem Fall geboten zu sein, dass die dem Expertensystem zugrundeliegende „juristische“ Ordnung zuvor durch den Gesetzgeber abgesegnet wurde.

4.

Fazit ^

[24]
Der vorliegende Beitrag hat die Notwendigkeit aufgezeigt, sich bei der Erstellung von Rechtsontologien Klarheit über die anzuwendenden juristischen Methoden zu verschaffen. Zwar kann hierbei zum Teil auf bestehende Konzepte der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre zurückgegriffen werden. Es fehlt allerdings noch, soweit ersichtlich, an einem einheitlichen methodischen Ansatz, in dem die Methoden der Informatik mit denen der Rechtswissenschaft zusammengeführt werden.
[25]
Darüber hinaus wurde dargelegt, dass die Erstellung einer Ontologie im Bereich des Rechts Legitimationsfragen aufwirft, die sich bei der Ontologieerstellung in anderen Wissensdomänen nicht stellen. Als Grund hierfür wurde genannt, dass das positive Recht untrennbar an die Sprache gebunden ist. Diese Sichtweise zugrundegelegt, bedarf das in einer neuen Form repräsentierte Recht, sofern es in dieser Form Geltung beansprucht, grundsätzlich einer (erneuten) Legitimation durch den Gesetzgeber.
  1. 1 Wiebe, A., Immaterialgüterrecht und Wettbewerbsordnung. In: Wiebe, A. (Hg.), Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht, Facultas, Wien, S. 1 (22) (2010).
  2. 2 So für das deutsche Recht Ahrens, H.-J., Brauchen wir einen Allgemeinen Teil der Rechte des Geistigen Eigentums?, GRUR, S. 617 (618) (2006).
  3. 3 Darauf verweist Ohly, A., Geistiges Eigentum?, JZ, S. 545 (550) (2003).
  4. 4 Rüthers, B., Fischer, C., Rechtstheorie5, C.H. Beck, München, S. 96 ff. (2010).
  5. 5 Allgemein zu dieser Art der Systembildung Engisch, K., Sinn und Tragweite juristischer Systematik. In: Bockelmann, P., Kaufmann, A., Klug, U. (Hg.), Beiträge zur Rechtstheorie, Klostermann, Frankfurt am Main, S. 88 (109 ff.) (1984).
  6. 6 Siehe Gantner, F., Juristische Ontologien in der Praxis. In: Jakob, R., Philipps, L., Schweighofer, E., Csaba, V. (Hg.), Auf dem Weg zur Idee der Gerechtigkeit, Lit, Wien, S. 200 (201) (2009).
  7. 7 So z. B. für das österreichische Recht Schweighofer, E., Liebwald, D., Konzeption einer Ontologie der österreichischen Rechtsordnung. In: Schweighofer, E., Liebwald, D., Kreuzbauer, G., Menzel, T. (Hg.), Informationstechnik in der juristischen Realität: Aktuelle Fragen zur Rechtsinformatik 2004, Verlag Österreich, Wien, S. 39 ff. (2004).
  8. 8 Gantner, F., Juristische Ontologien, S. 200.
  9. 9 Larenz, K., Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, Springer, Berlin, S. 243 (1991).
  10. 10 Rüthers, B., Fischer, C., Rechtstheorie, S. 444 f.
  11. 11 Nach Liebwald, D., Auf dem Weg zum Begriff. http://www.liebwald.com/papers/LieHeidelbg.pdf, aufgerufen: 14.01.2012, S. 1 (2009), lassen sich grob zwei Anwendungsbereiche unterscheiden: jener der Aufbereitung von Rechtsinformation, um Fachkreisen und Bürgern besseren Zugang zur Rechtsmaterie zu bieten, sowie jener der maschinenausführbaren Repräsentation von Rechtsnormen zur Schaffung von Systemen, die Rechtsnormen unmittelbar anwenden oder den Menschen in der Rechtsanwendung unterstützen.
  12. 12 Allgemein zum Aufbau ontologiebasierter Expertensysteme Hartmann, J., Ontologiebasierte Gestaltung und Umsetzung von Wissensmanagementsystemen, Dissertation, Universität Karlsruhe (2007).
  13. 13 Dieses Mindesterfordernis nennt Neumann, U., Theorie der juristischen Argumentation. In: Kaufmann, A., Hassemer, W., Neumann, U. (Hg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart8, C.F. Müller, Heidelberg, S. 333 (341) (2011).
  14. 14 Wieacker, F., Rechtsgewinnung durch elektronische Datenverarbeitung?. In: Ficker, H. C., König, D., Kreuzer, K. F., Leser, H. G., von Bieberstein, W., Schlechtriem, P. (Hg.), Festschrift für Ernst von Caemmerer, Mohr Siebeck, Tübingen, S. 45 (50) (1978).
  15. 15 Neumann, U., Theorie der juristischen Argumentation, S. 342.
  16. 16 Erneut Neumann, U., Theorie der juristischen Argumentation, S. 341 f., der darauf hinweist, dass die Richtigkeit einer naturwissenschaftlichen Hypothese von der angeführten Begründung unabhängig ist.
  17. 17 Röhl, K. F., Röhl H. C., Allgemeine Rechtslehre, Carl Heymanns, Köln, S. 19 (2008).
  18. 18 Röhl, K. F., Röhl H. C., Allgemeine Rechtslehre, S. 19.
  19. 19 Röhl, K. F., Röhl H. C., Allgemeine Rechtslehre, S. 19.
  20. 20 Vgl. Liebwald, D., Auf dem Weg zum Begriff, S. 1.
  21. 21 Selbst wenn dem so wäre, würden sich die gestellten Legitimationsfragen nicht erübrigen, sondern nur auf die Ebene der Programmierung verlagern.
  22. 22 Zu alledem Stuckenschmidt, H., Ontologien: Konzepte, Technologien und Anwendungen, Springer, Berlin, S. 157 f. (2010).
  23. 23 Voltmer, L., Computerlinguistik für die Terminografie im Recht, Gunter Narr, Tübingen, S. 181 (2006).
  24. 24 Rüthers, B., Fischer, C., Rechtstheorie, S. 106 f.
  25. 25 Voltmer, L., Computerlinguistik, S. 186.
  26. 26 Böhme-Neßler, V., BilderRecht, Springer, Berlin, S. 144 (2010), sieht in der Abstraktion ein Mittel zur Rationalisierung des Rechts.
  27. 27 Larenz, K., Methodenlehre, S. 441.
  28. 28 Zu alledem Larenz, K., Methodenlehre, S. 440.
  29. 29 So z.B. Bydlinski, F., Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2, Springer, Wien, S. 111 (1991); allgemein zur juristischen Begriffsbildung Heck, P., Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, Mohr Siebeck, Tübingen (1932); Klüver, J., Begriffsbildung in den Sozialwissenschaften und in der Rechtswissenschaft. In: Jahr, G., Maihofer, W. (Hg.), Rechtstheorie, Klostermann, Frankfurt am Main, S. 315–383 (1971); ferner Wank, R., Die juristische Begriffsbildung, C.H. Beck, München (1985) sowie der bereits zitierte Larenz, K., Methodenlehre, S. 437 ff.
  30. 30 Peukert, A., Güterzuordnung als Rechtsprinzip, Mohr Siebeck, Tübingen, S. 33 f. (2008).
  31. 31 Zur diesbezüglichen Methodik vgl. Beier, F.-K., Fikentscher, W., Krasser, R., Schricker, G. (Hg.), Rechtsvergleichung, Interessenausgleich und Rechtsfortbildung, Verlag Chemie, Weinheim (1973); Constantinesco, L.-J., Rechtsvergleichung, Carl Heymanns, Köln (1971); Großfeld, B., Kernfragen der Rechtsvergleichung, Mohr Siebeck, Tübingen (1996); von Sachsen Gessaphe, K., Rechtsvergleichung, C.H. Beck, München (2010); Sandrock, O., Großfeld, B., Luttermann, C., Schulze, R., Saenger, I. (Hg.), Rechtsvergleichung als zukunftsträchtige Aufgabe, Lit, Münster (2004).
  32. 32 Statt vieler Bydlinski, F., System und Prinzipien des Privatrechts, Springer, Wien (1996); Canaris, C.-W., Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz2, Duncker & Humblot, Berlin (1983) sowie die bereits zitierten Engisch, K., Juristische Systematik, und Larenz, K., Methodenlehre, S. 474 ff.
  33. 33 Rüthers, B., Fischer, C., Rechtstheorie, S. 414 ff.
  34. 34 Rüthers, B., Fischer, C., Rechtstheorie, S. 106 f.
  35. 35 So weist Polomski, R.-M., Der automatisierte Verwaltungsakt, Duncker & Humblot, Berlin, S. 94 (1993), darauf hin, dass der Vorrang des Gesetzes bedinge, dass das jeweils konkret zum Einsatz kommende Programm die gesetzlichen Grundlagen exakt wiedergeben müsse. Da dies bei Ermessenentscheidungen nicht möglich sei, bestünde ein Verbot der „Totalexaktifizierung“ von Ermessensnormen zum Zwecke einer automatisierten Anwendung. Dagegen sind für Maurer, H., Allgemeines Verwaltungsrecht18, C.H. Beck, München, S. 480 (2011), auch bei Ermessensentscheidungen automatisierte Bescheide zulässig. Die Entscheidungsprogramme der elektronischen Datenverarbeitung werden hier mit Ermessensrichtlinien verglichen und rechtlich als Verwaltungsvorschriften eingestuft.
  36. 36 Rüthers, B., Fischer, C., Rechtstheorie, S. 417.
  37. 37 Vgl. Polomski, R.-M., Der automatisierte Verwaltungsakt, S. 99.
  38. 38 Darauf, dass sich dies nicht zuletzt aus dem Wesentlichkeitsgrundsatz ergibt, verweist Polomski, R.-M., Der automatisierte Verwaltungsakt, S. 97.