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Regelung der Vorratsdatenspeicherung in Österreich

  • Author: Egmar Wolfeil
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Data Protection
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2012
  • Citation: Egmar Wolfeil, Regelung der Vorratsdatenspeicherung in Österreich, in: Jusletter IT 29 February 2012
Am 28.04.2011 hat der Nationalrat zwei Gesetze beschlossen, mit denen die EU-Richtlinie 2006/24/EG nun auch in Österreich umgesetzt wird, die Änderungsgesetze zum Telekommunikationsgesetz sowie Sicherheitspolizeigesetz und Strafprozessord-nung.
Unabhängig von der Frage, ob die genannte europäische Richtlinie selbst bereits gegen Europäische Grundrechte verstößt, soll geprüft werden, ob die Bestimmungen zu deren Umsetzung in Österreich mit nationalem und europäischem Recht in Ein-klang stehen.
Dabei geht es einmal um die ausreichende Bestimmtheit der Eingriffsnormen im Sin-ne der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK. Es ist vorgesehen (§ 102a TKG neu), dass eine Speicherung von sog. Vorratsdaten zur Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten erfolgt, deren Schwere eine Anordnung nach § 135 Abs. 2a StPO rechtfertigt, also eine vorsätzliche Straftat, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist. Von dieser Regelung werden nicht nur schwerwiegende Delikte erfasst, wie dies im Sinne der EU-Richtlinie angestrebt gewesen ist, also or-ganisierte Kriminalität und Terrorismus, sondern auch zahlreiche mittelschwere Straftaten wie z.B. schwere Sachbeschädigung und viele Vermögensdelikte.
Aufgrund des Umfangs der möglichen Eingriffe bei einer großen Zahl von Delikten erscheint fraglich, ob die die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, d.h. ob die neuen Vor-schriften zur Vorratsdatenspeicherung in einer demokratischen Gesellschaft im Sin-ne von § 1 Abs. 2 DSG 2000 und Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig sind.
Mit der Vorratsdatenspeicherung ist auch eine Erfassung der Verkehrsdaten der zur Verschwiegenheit verpflichteten Berufsgruppen verbunden. Maßnahmen, diese Da-ten vor einer Auswertung durch Ermittlungsbehörden herauszufiltern, sind nicht vorgesehen. Damit wird das Umgehungsverbot des § 144 StPO praktisch aufgeho-ben.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Erwägungen des Gesetzgebers
  • 3. Grundzüge der gesetzlichen Regelung
  • 4. Kritische Würdigung der neuen Regelung
  • 4.1. Ausreichende Bestimmtheit des Gesetzes
  • 4.2. Verhältnismäßigkeit
  • 4.3. Amtsverschwiegenheit und Vorratsdaten
  • 5. 5. Zusammenfassung

1.

Einleitung ^

[1]
Wenn man einmal davon ausgeht, dass nicht schon die Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsdatenspeicherung europäischen Grundrechten widerspricht, bleibt die Frage, ob die Umsetzung der Richtlinie in Österreich mit nationalem Recht in Einklang steht.
[2]

Mit zwei am 28.04.2011 vom Nationalrat beschlossenen Gesetzen, dem Änderungsgesetz zum Telekommunikationsgesetz 20031 und dem Änderungsgesetz zur Strafprozessordnung und zum Sicherheitspolizeigesetz2, wird auch in Österreich die Richtlinie 2006/24/EG umgesetzt. Die Gesetze werden allerdings erst zum 01.04.2012 in Kraft treten, § 136 a Abs. 4 TKG -neu-, § 514 Abs. 15 StPO -neu-, § 94 Abs. 30 SPG -neu-.

2.

Erwägungen des Gesetzgebers ^

[3]
Aus den Erläuterungen3 zu den Gesetzen ist zu erkennen, dass sich der Gesetzgeber mit Rücksicht auf die fortdauernde Kritik an der Vorratsdatenspeicherung Mühe gegeben hat, den verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung zu tragen und insbesondere beim Datenschutz auch die in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Anforderungen zu erfüllen.
[4]
So ist eine 80%-ige Erstattung der Investitionskosten vorgesehen (§94 Abs. 1 TKG -neu-), die die Anbieter von Kommunikationseinrichtungen aufbringen müssen, um die notwendige Infrastruktur für die Vorratsdatenspeicherung aufzubauen. Der dafür erforderliche Aufwand wird mit 15 Mio. € veranschlagt. Die Erstattung der laufenden Kosten für den Unterhalt der Systeme und die Erteilung der Auskünfte soll nach der Überwachungskostenverordnung aus Mitteln des Bundesministers für Justiz erfolgen. Damit soll den Vorgaben des VfGH-Erkenntnisses vom 27.02.2003 (VfSlg 16.808)4 Rechnung getragen werden. Ferner soll damit offenbar dem möglichen Vorhalt eines Eingriffs in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit (Art. 15 und 16 GRCh) entgegengewirkt werden. Weiter strebt der Gesetzgeber an,
  • die mit der Vorratsdatenspeicherung verbundenen Grundrechtseingriffe so gering wie möglich – und damit verhältnismäßig zum verfolgten Zweck auszugestalten,
  • die Datensicherheit bestmöglich zu gewährleisten,
  • Vorsorge für datenschutzrechtliche Informationspflichten zu treffen,
  • Rechtsmittel für die grundrechtlichen Interessen vorzusehen,
  • datenschutzrechtliche Kontrollen vorzusehen und
  • die Auswirkungen auf die TK-Betreiber grundrechtskonform zu gestalten.5

 

 

[5]

Hinsichtlich der Dauer der Speicherung ist die in Art. 6 der Richtlinie 2006/24EG (Vorratsdatenrichtlinie) vorgegebene Mindestdauer von sechs Monaten vorgesehen, § 102 a Abs. 1 TKG -neu-, weil die überwiegende Anzahl der polizeilichen Anfragen in den ersten drei Monaten der Speicherfrist eingehen würden.6

 

[6]
Im Interesse der Datensicherheit ist der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie ermächtigt, im Verordnungswege unter Berücksichtigung des Standes der Technik nähere Vorschriften für die Gestaltung technischer Einrichtungen zur Überwachung von Nachrichten nach den Bestimmungen der StPO und zum Schutz der zu übermittelnden Daten gegen eine Kenntnisnahme oder Verwendung durch Dritte zu erlassen, § 94 Abs. 3 TKG -neu-. Für die Übermittlung der Vorratsdaten ist eine Übertragungstechnologie zu verwenden, die die Identifizierung und Authentifizierung von Sender und Empfänger sicherstellt, ferner eine technisch anspruchsvolle Verschlüsselungstechnologie, § 94 Abs. 4 TKG -neu-.

3.

Grundzüge der gesetzlichen Regelung ^

[7]
Es ist vorgesehen, dass die Speicherung der Vorratsdaten ab dem Zeitpunkt der Erzeugung oder Verarbeitung bis sechs Monate nach Beendigung der Kommunikation ausschließlich zum Zweck der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten erfolgt, deren Schwere eine Anordnung nach § 135 Abs. 2a StPO -neu- rechtfertigt, § 102 a Abs. 1 TKG-neu-:
  1. Förderung der Aufklärung und Verfolgung einer vorsätzlich begangenen Straftat, die mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedroht ist und der Anschlussinhaber zustimmt,
  2. Förderung der Aufklärung und Verfolgung einer vorsätzlich begangenen Straftat, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist und aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass dadurch Daten des Beschuldigten ermittelt werden können,
  3. wenn aufgrund bestimmter Tatsachen zu erwarten ist, dass dadurch der Aufenthalt eines flüchtigen abwesenden Beschuldigten, der einer vorsätzlich begangenen, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung dringend verdächtig ist, ermittelt werden kann.
[8]
Welche Daten als Vorratsdaten gelten, ergibt sich aus den Absätzen 2 bis 4 des§ 102 a TKG -neu-.

(2) Anbietern von Internet-Zugangsdiensten obliegt die Speicherung folgender Daten:

1. Name, Anschrift und Teilnehmerkennung des Teilnehmers, dem eine öffentliche IP-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone zugewiesen war;

2. Datum und Uhrzeit der Zuteilung und des Entzugs einer öffentlichen IP-Adresse bei einem Internet-Zugangsdienst unter Angabe der zugrundeliegenden Zeitzone;

3. die Rufnummer des anrufenden Anschlusses für den Zugang über Wählanschluss;

4. die eindeutige Kennung des Anschlusses, über den der Internet-Zugang erfolgt ist.

(3) Anbietern öffentlicher Telefondienste einschließlich Internet-Telefondiensten obliegt die Speicherung folgender Daten:

1. Teilnehmernummer oder andere Kennung des anrufenden und des angerufenen Anschlusses;

2. bei Zusatzdiensten wie Rufweiterleitung oder Rufumleitung die Teilnehmernummer, an die der Anruf geleitet wird;

3. Name und Anschrift des anrufenden und des angerufenen Teilnehmers;

4. Datum, Uhrzeit des Beginns und Dauer eines Kommunikationsvorganges unter Angabe der zugrundeliegenden Zeitzone;

5. die Art des in Anspruch genommenen Dienstes (Anrufe, Zusatzdienste und Mitteilungs- und Multimediadienste).

6. Bei Mobilfunknetzen zudem

a) der internationalen Mobilteilnehmerkennung (IMSI) des anrufenden und des angerufenen Anschlusses;

b) der internationalen Mobilfunkgerätekennung (IMEI) des anrufenden und des angerufenen Anschlusses;

c) Datum und Uhrzeit der ersten Aktivierung des Dienstes und die Standortkennung (Cell-ID), an dem der Dienst aktiviert wurde, wenn es sich um vorbezahlte anonyme Dienste handelt;

d) der Standortkennung (Cell-ID) bei Beginn einer Verbindung.

(4) Anbietern von E-Mail-Diensten obliegt die Speicherung folgender Daten:

1. die einem Teilnehmer zugewiesene Teilnehmerkennung;

2. Name und Anschrift des Teilnehmers, dem eine E-Mail-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war;

3. bei Versenden einer E-Mail die E-Mail-Adresse und die öffentliche IP-Adresse des Absenders sowie die E-Mail-Adresse jedes Empfängers der E-Mail;

4. beim Empfang einer E-Mail und deren Zustellung in ein elektronisches Postfach die E-Mail-Adresse des Absenders und des Empfängers der Nachricht sowie die öffentliche IP-Adresse der letztübermittelnden Kommunikationsnetzeinrichtung;

5. bei An- und Abmeldung beim E-Mail-Dienst Datum, Uhrzeit, Teilnehmerkennung und öffentliche IP-Adresse des Teilnehmers unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone.

[9]
Der Katalog verdeutlicht, dass Vorratsdaten zum Teil Stammdaten, zum Teil Verkehrsdaten und auch Standortdaten umfassen.
[10]
Es wird klar geregelt, dass ausschließlich die Strafverfolgungsbehörden Zugang zu den Vorratsdaten haben, weil die Auskunftserteilung eine gerichtlich bewilligte Anordnung der Staatsanwaltschaft zur Aufklärung und Verfolgung von Straftaten erfordert, deren Schwere eine Anordnung nach § 135 Abs. 2 a StPO -neu- rechtfertigt, § 102 b Abs. 1 TKG -neu-.

4.

Kritische Würdigung der neuen Regelung ^

[11]
Dabei fällt auf, dass die Zahl der Straftaten, wegen derer eine Übermittlung der Verkehrsdaten verlangt werden kann, recht hoch ist und nicht nur schwere Straftaten gegen Leib und Leben wie Mord, § 75 StGB, Totschlag, § 76 oder die Sicherheit des Staates wie Hochverrat, § 242 StGB, Staatsfeindliche Verbindungen, § 246 StGB und Verrat von Staatsgeheimnissen erfasst werden, sondern auch sehr viele mittelschwere Straftaten. Dazu zählen z.B. schwere Sachbeschädigung, § 126 Abs. 3 StGB, Einbruchsdiebstahl, § 129 StGB, zahlreiche Vermögensdelikte bei Werten über 50.000 € wie Veruntreuung, § 133 Abs. 2 StGB, Unterschlagung, 134 Abs. 3 StGB, Sachentziehung, § 135 Abs. 2 StGB, Betrügerischer Datenverarbeitungsmissbrauch, § 148a Abs. 2 StGB, Untreue, § 153 Abs. StGB, Förderungsmissbrauch, § 153b Abs. 4 StGB und Hehlerei § 164 Abs. 4 StGB. Weiter sind erfasst Raub, § 142 Abs. 1 StGB, Erpressung, § 144 Abs. 1 StGB, gewerbsmäßiger Betrug, § 148 StGB, gewerbsmäßiger Geldwucher, § 154 Abs. 3 StGB, Betrügerische Krida, § 156 StGB, Schädigung fremder Gläubiger, § 157 StGB, Brandstiftung, § 169 StGB, Vergewaltigung, § 201 StGB, Geschlechtliche Nötigung, § 202 StGB und sexueller Missbrauch von Unmündigen, 207 StGB. Der Umfang der Straftaten, die eine Nutzung der Verkehrsdaten rechtfertigen können, erscheint groß. Die Einbeziehung der Sexualdelikte ist dabei unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit noch eher akzeptabel als die Erstreckung auf viele Vermögensdelikte.

4.1.

Ausreichende Bestimmtheit des Gesetzes ^

[12]
Die Richtlinie 2006/24/EG7 geht von Vorratsdaten für die Verfolgung schwerer Straftaten aus, Nr. 21 der Erwägungsgründe, ohne allerdings eine Definition zu geben, was darunter zu verstehen ist. Aus den weiteren Erwägungsgründen ergibt sich, dass in erster Linie an organisierte Kriminalität und Terrorismus gedacht war, Nr. 8 bis 10 der Erwägungsgründe. In Österreich soll die Vorratsdatenspeicherung offensichtlich breit zur Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität eingesetzt werden. Letztendlich überlässt die Richtlinie die Festlegung der erfassten Straftaten den Mitgliedsländern, Art. 4 der Richtlinie 2006/24/EG, so dass man nicht von einem Verstoß gegen die Richtlinie sprechen kann.
[13]
Es stellt sich in diesem Zusammenhang jedoch die Frage, ob die gesetzliche Grundlage für den Eingriff ausreichend bestimmt ist. In den Materialien zu den Änderungen des Telekommunikationsgesetzes wird die Grundrechtskonformität in den Vordergrund gestellt und die Anforderung des EGMR an die Bestimmtheit der Eingriffsnorm ausdrücklich erwähnt.8 Danach muss ein solches Gesetz klar formuliert sein, um den Betroffenen adäquate Anhaltspunkte zu den Bedingungen und Umständen zu geben, unter denen Behörden ermächtigt sind, in das Recht auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz im Sinne von Art. 8 EMRK einzugreifen. § 102a TKG neu verweist auf § 135 Abs. 2a StPO neu. Um die Eingriffsvoraussetzungen feststellen zu können, ist es dann erforderlich, das gesamte StGB nach Tatbeständen zu durchsuchen, die eine Strafandrohung von mehr einem Jahr enthalten. Für Nichtjuristen erscheint dies kaum zumutbar. Klar und bestimmt ist diese Regelung nicht.

4.2.

Verhältnismäßigkeit ^

[14]
Eine weitere Frage ist, ob die neuen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung im Sinne von Art. 1 Abs. 2 DSG 2000, Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind. Notwendig bedeutet in diesem Zusammenhang, dass für die Maßnahme ein dringendes soziales Bedürfnis bestehen und diese in Bezug auf das rechtmäßig verfolgte Ziel verhältnismäßig sein muss9 , z.B. ohne sie die Sicherheit des Staates gefährdet oder die Strafverfolgung vereitelt werden würde. Soweit bekannt, hat der EGMR bisher noch keine Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung getroffen. Die Auswertung von Verkehrsdaten und Geo-Daten mit der Möglichkeit der Bildung von Bewegungsprofilen bedeutet aber nicht unbedingt eine geringere Eingriffsqualität als unmittelbare Abhörmaßnahmen.10 In einer Entscheidung, in der es um das Abhören von Telefongesprächen ging, hat der EGMR zu Art. 8 Abs. 2 EMRK ausgeführt, dass die Bestimmung, da sie eine Ausnahme zu einem von der Konvention geschützten Recht enthält, eng ausgelegt werden müsse. Befugnisse zur geheimen Überwachung von Bürgern, wie sie für den Polizeistaat typisch sind, könnten nach der Konvention nur insoweit hingenommen werden, als sie zur Erhaltung der demokratischen Einrichtungen unbedingt notwendig seien.11
[15]
Andererseits hat der Gerichtshof in derselben Entscheidung dem Gesetzgeber in Fragen der öffentlichen Sicherheit und der Gefahrenabwehr einen Ermessensspielraum eingeräumt. Grundsätzlich sei die geheime Überwachung des Post- und Telefonverkehrs angesichts des Fortschritts bei Spionageaktivitäten und der Entwicklung des Terrorismus zum Schutz der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig. Ungeachtet des gewährten Ermessensspielraums seien die Staaten jedoch mit Rücksicht auf die in derartigen Maßnahmen innewohnenden Gefahren für die Demokratie nicht ermächtigt, zur Abwehr von Spionage und Terrorismus jede beliebige Maßnahme zu ergreifen, die Ihnen geeignet erscheint. Außerdem müssten geeignete und ausreichende Garantien gegen Missbrauch vorhanden sein.12 Wenngleich jede Entscheidung in erster Linie für den jeweils beurteilten Sachverhalt relevant ist, erscheint doch die Schlussfolgerung erlaubt, dass die Überwachung der Kommunikation aller Bürger mittels Erfassung der Verkehrs- und Standortdaten nur ausnahmsweise zur Abwehr der schwersten Kriminalität und des Terrorismus gerechtfertigt wäre. Die österreichische Regelung in § 102 Abs. 1 TKG -neu- mit dem Verweis auf § 135 Abs. 2a StPO -neu- erfasst jedoch ein breites Spektrum von Straftaten und beschränkt sich nicht auf die wirklich schwere Kriminalität. Für die Beschränkung auf wirklich schwere Kriminalität spricht auch das Urteil des deutschen BVerfG, das entsprechende deutsche TKG-Bestimmungen für unwirksam erklärt und die Auswertung von Verkehrsdaten auf die Bekämpfung des durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdachts einer schweren Straftat beschränkt hatte.13 Die Beschränkung der gesetzlichen Regelung auf eine katalogmäßige Darstellung hat er abgelehnt und die Bezeichnung der zu schützenden Rechtsgüter gefordert. Die Abwägung zwischen dem Gewicht des in der Datenspeicherung und Datenverwendung liegenden Eingriffs und der Bedeutung einer wirksamen Gefahrenabwehr führe dazu, dass ein Abruf der vorsorglich gespeicherten Telekommunikationsverkehrsdaten nur zur Abwehr von Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr zugelassen werden dürfe.14
[16]
Die Verfasser der neuen österreichischen Bestimmungen berufen sich u.a. darauf, dass die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden schon nach bestehenden gesetzlichen Vorschriften, § 53 Abs. 3a SPG (Name, Anschrift und Teilnehmernummer eines bestimmten Anschlusses, IP-Adressse zu einer bestimmten Nachricht einschließlich Name und Anschrift des Benutzers), § 53 Abs. 3b (Standortdaten bei Gefahr für Leib und Leben einer Person), ganz allgemein für jede Art von Kriminalität auf die Abrechnungsdaten der Provider zurückgreifen können, die diese regelmäßig etwa drei Monate vorhalten.15 Wenn man berücksichtigt, dass nach Angaben der Gesetzesverfasser die Verwendung von Verkehrsdaten für Strafverfolgungsbehörden nur in den ersten drei Monaten von Nutzen ist16 , so spricht dieser Umstand eher gegen die Erforderlichkeit einer Vorratsdatenspeicherung.

4.3.

Amtsverschwiegenheit und Vorratsdaten ^

[17]
Ein weiteres Problem stellt die Behandlung der Verkehrsdaten der zur Verschwiegenheit verpflichteten Berufsgruppen dar. Zwar wird in § 93 Abs. 5 TKG -neu- nochmals auf das Umgehungsverbot in den §§ 144 und 157 Abs. 2 StPO hingewiesen. Mag die Erfassung durch die Provider noch toleriert werden, so ist eine Auswertung der Verkehrsdaten in jedem Falle zu vermeiden. Die Verfasser des Gesetzes argumentieren, dass die Beurteilung, ob eine Umgehung vorliege, nicht den Anbietern von Kommunikationsdienstleistungen obliege. Die Entscheidung müsse vielmehr dem Richter bzw. Rechtsschutzbeauftragten überlassen bleiben, zumal auch gegen diese Personen Ermittlungsmaßnahmen nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind, wenn sie selbst einer entsprechenden Straftat verdächtigt werden. Man sieht sich insoweit in Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung des EGMR und verweist die Betroffenen im Übrigen auf Rechtsmittelverfahren im späteren Prozess.17 Letzten Endes wird aus praktischen Gründen und wegen der Probleme, die betroffenen Anschlüsse herauszufiltern, auf eine wirksame Verhinderung der Speicherung und Auswertung der Daten dieser Personengruppen verzichtet. Wenn eine Behörde beispielsweise die Anschlussdaten der zu einem bestimmten Zeitpunkt im Bereich einer Funkzelle befindlichen Personen verlangt, ist es nicht auszuschließen, dass die Daten von zur Amtsverschwiegenheit verpflichteten Personen mit erfasst werden. Dasselbe gilt, wenn die IP-Adresse und Benutzer zu einer bestimmten Nachricht angefordert werden. Die Rechtsverletzung ist damit praktischen schon geschehen und kann auch nicht durch die Möglichkeit von Rechtsmitteln geheilt werden. § 93 Abs. 5 TKG hat in erster Linie postulatorische Wirkung und die Vorschriften zur Erfassung und Auswertung von Verkehrsdaten bedeuten im Ergebnis eine Umgehung des Umgehungsverbotes des § 144 StPO. Zu Unrecht berufen sich die Verfasser auf eine Entscheidung des EGMR.18 In dieser Entscheidung ging es um das Abhören der Telefonanschlüsse eines Anwaltes. Das Gericht stellte klar, dass es sich dabei um einen Eingriff in die Privatsphäre handelte, der nur unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt werden könne. Er stellte besondere Anforderungen für das Merkmal „gesetzlich vorgesehen“ auf. Im Zusammenhang mit geheimen Überwachungsmaßnahmen oder der Abhörung von Gesprächen durch staatliche Behörden muss wegen des Fehlens einer öffentlichen Kontrolle und der Gefahr eines Machtmissbrauchs das innerstaatliche Recht dem Einzelnen einen Schutz gegen willkürliche Eingriffe in die Rechte des Art 8 Abs. 1 EMRK bieten. Das innerstaatliche Recht müsse in seinen Begriffen hinreichend klar sein, um den Bürgern einen angemessenen Hinweis zu geben, unter welchen Bedingungen staatliche Behörden ermächtigt sind, zu derartigen geheimen Maßnahmen zu greifen. Das Gericht stellte einen Widerspruch zwischen dem Wortlaut des Gesetzes, das das Berufsgeheimnis des Anwalts schütze, und der von den Behörden geübten Praxis fest. Insbesondere kläre das Gesetz nicht, wer wie und unter welchen Bedingungen die Auswahl treffen solle, welche Aufnahmen dem anwaltlichen Berufsgeheimnis unterfielen und welche keinen Bezug hierzu hätten.19 An derartigen detaillierten und klaren Vorschriften fehlt es auch bei der Regelung der Vorratsdatenspeicherung in Österreich. Es gibt praktisch keine Bestimmung, die eine Auswertung derartiger Daten im ersten Zugriff verhindert.

5.

5. Zusammenfassung ^

[18]
Die anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten ist ein sehr schwerer Eingriff in die Grundrechte der Bürger, der, wenn überhaupt, nur zur Bekämpfung von sehr schwerer Kriminalität und von Straftaten gegen den Staat zu rechtfertigen wäre. Das Auskunftsrecht der Sicherheitsbehörden müsste auf die Bekämpfung von ausdrücklich zu benennenden Tatbeständen beschränkt werden.
[19]
Bei der Speicherung von Daten der Anschlüsse von zur beruflichen Verschwiegenheit verpflichteten Personen bestehen sicher praktische Schwierigkeiten, diese Daten in geeigneter Weise herauszufiltern. Allerdings sind im Vorfeld der Umsetzung der EU-Richtlinie entsprechende Möglichkeiten diskutiert worden, z. B. die Anmeldung und Eintragung dieser Personen in einer entsprechenden Datei. Mit dem Verweis auf die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln macht es sich der Gesetzgeber aber zu einfach.
  1. 1 BGBl. Teil I Nr. 27 vom 18.05.2011, S. 1–7.
  2. 2 BGBl. Teil I Nr. 33 vom 20.05.2011, S. 1–4.
  3. 3 Vorblatt zur Novelle des Telekommunikationsgesetzes, Vorblatt zur Änderung der Strafprozessordnung und des Sicherheitspolizeigesetzes, http://www.ispa.at/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=uploads/media/20110328_TKG-VORBLATT_01.pdf&t=1323775959&hash=8f673b7698a4534f1a8c80f97ab3490a, http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/I/I_01075/fname_206859.pdf, Abfrage 12.12.2011.
  4. 4 http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFR_09969773_02G00037_01/JFR_09969773_02G00037_01.pdf, Abruf 13.07.2011.
  5. 5 Vorblatt zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes, Abschnitt D, 2.
  6. 6 Vorblatt zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes, Abschnitt D, 2.; siehe auch Bericht der Kommission vom 18. April 2011 an den Rat und das Europäische Parlament – Bewertungsbericht zur Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung (Richtlinie 2006/24/EG) (KOM(2011) 225 endg.) S. 18, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/ LexUriServ.do?uri=COM:2011:0225:FIN:DE:PDF, Abruf 12.12.2011.
  7. 7 Richtlinie 2006/24 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG, ABl. L 105 S. 54 ff. vom 13.04.2006.
  8. 8 Vorblatt zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes, Abschnitt D, 1.
  9. 9 Urteil des EGMR vom 28. April 2005, Buck gegen Deutschland, Ziffer 44, http://www.jurathek.de/showdocument_print.php?session=0&ID=7613, Abfrage 30.06.2011.
  10. 10 Siehe dazu auch Urteil des deutschen BVerfG vom 02.03.2010, 1 BVR 256/08 -, Rd.-Nr. 211: „Die Aussagekraft dieser Daten ist weitreichend. Je nach Nutzung von Telekommunikationsdiensten seitens der Betroffenen lassen sich schon aus den Daten selbst – und erst recht, wenn diese als Anknüpfungspunkte für weitere Ermittlungen dienen – tiefe Einblicke in das soziale Umfeld und die individuellen Aktivitäten eines jeden Bürgers gewinnen. Zwar werden mit einer Telekommunikationsverkehrsdatenspeicherung, wie in § 113a TKG vorgesehen, nur die Verbindungsdaten (Zeitpunkt, Dauer, beteiligte Anschlüsse sowie – bei der Mobiltelefonie – der Standort) festgehalten, nicht aber auch der Inhalt der Kommunikation. Auch aus diesen Daten lassen sich jedoch bei umfassender und automatisierter Auswertung bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen. Adressaten (deren Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsgruppen, Institutionen oder Interessenverbänden oder die von ihnen angebotenen Leistungen), Daten, Uhrzeit und Ort von Telefongesprächen erlauben, wenn sie über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen derjenigen, deren Verbindungsdaten ausgewertet werden. Einen Vertraulichkeitsschutz gibt es insoweit nicht. Je nach Nutzung der Telekommunikation und künftig in zunehmender Dichte kann eine solche Speicherung die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch jeden Bürgers ermöglichen. Bezogen auf Gruppen und Verbände erlauben die Daten überdies unter Umständen die Aufdeckung von internen Einflussstrukturen und Entscheidungsabläufen.“http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html, Abfrage 30.06.2011.
  11. 11 Urteil vom 06.09.1978, Klass gegen Deutschland, Ziffer 42, http://www.eugrz.info/pdf/EGMR31.pdf, Abfrage 30.06.2011.
  12. 12 Siehe vorstehendes Zitat, Ziffer 71, ebenso Urteil vom 04.12.2008, Malone gegen Großbritannien, Ziffer 103, EuGRZ 2009, S. 299 ff. (311).
  13. 13 Urteil des deutschen BVerfG vom 02.03.2010, 1 BvR 256/08 -, Rd.-Nr. 211, Leitsätze Nr. 5 und, http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html, Abfrage 30.06.2011.
  14. 14 BVerfG aaO., Rd.-Nr. 231.
  15. 15 Vorblatt zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes, Abschnitt D, 1.
  16. 16 Vorblatt zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes, Zu § 102 a Abs. 1.
  17. 17 Vorblatt zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes, Zu § 93 Abs. 5.
  18. 18 Urteil des EGMR vom 23.03.1998, Kopp gg. Schweiz, ÖJZ 1999, S. 115 ff.
  19. 19 Spielmann, Das anwaltliche Berufsgeheimnis in der Rechtsprechung des EGMR, Österr. Anwaltsblatt 2010, S. 346 ff. (352).