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Neues von Aarhus

  • Author: Alexander Balthasar
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Democracy
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2012
  • Citation: Alexander Balthasar, Neues von Aarhus, in: Jusletter IT 29 February 2012
Das “Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten” (Aarhus-Konvention) bindet mittlerweile sämtliche Mitgliedsstaaten der EU sowie diese selbst. Im folgenden Beitrag werden zwei einschlägige, im letzten Jahr ergangene Urteile des EuGH näher behandelt.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Die Aarhus-Konvention
  • 2. Die Europäische Union und Aarhus
  • 2.1. EuGH vom 18. Oktober 2011, C-128/09 et al (Boxus)
  • 2.1.1. Sachverhalt
  • 2.1.2. Würdigung
  • 2.2. EuGH vom 12. Mai 2011, C-115/09 (BUND)
  • 2.2.1. Art 10a Abs 1-3 der RL 85/337/EWG
  • 2.2.2. Art. 1 Abs. 2 der RL 85/337/EWG
  • 2.2.3. Würdigung
  • 2.2.4. Ergänzung
  • 3. Literatur

1.

Die Aarhus-Konvention ^

[1]
Das “Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten” – unterzeichnet am 25. Juni 1998 in Aarhus (Dänemark), international in Kraft getreten am 30. Oktober 20011 , für Österreich am 17. April 20052 , für die Europäische Union am 18. Mai 20053 – steht primär den Mitgliedsstaaten der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE), Staaten, die bei dieser Kommission beratenden Status haben und aus solchen Staaten gebildeten “Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration” offen4 ; andere Mitglieder der VN bedürfen der “Genehmigung der Tagung der Vertragsparteien”.5 Die Aarhus-Konvention ist also ihrem Partizipantenkreis – und damit wohl auch ihrem Inhalt – nach ein primär auf die Region Europa zugeschnittener völkerrechtlicher Vertrag, dem mittlerweile 45 Parteien (44 Staaten und die EU) angehören, darunter nunmehr nicht nur alle gegenwärtigen Mitgliedsstaaten der EU, sondern auch der Kandidat Kroatien, die EWR-Mitglieder Island, Liechtenstein und Norwegen, die Schweiz sowie die Balkanländer Albanien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Serbien.6
[2]
Gleichwohl lässt sich nicht übersehen, dass sich unter den ersten, für das Inkrafttreten erforderlichen 16 Parteien7 lediglich zwei damalige EU-Mitgliedsstaaten – neben Dänemark auch Italien – befanden, wenngleich von den westeuropäischen Staaten offenbar auch Belgien und die Niederlande sowie Norwegen im Verhandlungsprozess eine aktivere Rolle übernahmen.8 Neben der EU-Kommission hatte aber insbesondere auch Deutschland Probleme mit den Zielsetzungen dieser Konvention, in denen sich nicht zuletzt Forderungen insbesondere von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) – denen eine Beteiligung an den Verhandlungen zugestanden worden war – widerspiegeln.9
[3]

Bereits ein Blick in die Präambel zeigt denn auch mehrere Elemente, die auch aus traditioneller österreichischer Perspektive zumindest ungewohnt10 anmuten:

  • Zunächst einmal wird, im 6. Erwägungsgrund der Präambel, “ein angemessener Schutz der Umwelt” als “unabdingbar” für u.a. “die Ausübung grundlegender Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Leben”, bewertet, was auf nicht weniger als auf eine letztliche Überordnung des (im folgenden Erwägungsgrund auch – u.a. – so bezeichneten) “Rechts” auf “Umwelt” sogar über das “Recht auf Leben” hinausläuft. Demgegenüber hat etwa der EGMR ausgeführt, das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK) “is an inalienable attribute of human beings and forms the supreme value in the hierarchy of human rights11, während individuelle Umweltinteressen unter das – niedriger rangierende12 – Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) subsumiert werden.13 Und auch nach der EU-Grundrechtecharta (EUGRC) ist der in ihrem Art. 37 verankerte Umweltschutz sichtlich nur als – nur unter dem Vorbehalt sekundärrechtlicher Umsetzung anwendbares – “Prinzip” im Sinne des Art. 52 Abs. 5 ch. Cit., und damit gerade nicht als echtes (Grund-)“Recht”, klassifiziert.14
  • Sodann spricht der 8. Erwägungsgrund nicht etwa nur von einer “Pflicht” “jedes” einzelnen “Menschen”, in der Rechtssphäre anderer spürbare Umweltbeeinträchtigungen zu unterlassen – was immerhin auch schon einer immer noch nicht ganz selbstverständlichen15 Anerkennung horizontaler Wirkung von Grundrechten (also einer unmittelbaren Drittwirkung) gleichkäme –, sondern geht darüber noch weit hinaus, indem er postuliert, dass “jeder Mensch”, “sowohl als Einzelperson als auch in Gemeinschaft mit anderen die Pflicht” habe, “die Umwelt zum Wohle gegenwärtiger und künftiger Generationen zu schützen und zu verbessern”.16
  • Der 13. Erwägungsgrund hebt die “wichtige Rolle, die einzelne Bürger, Nichtregierungsorganisationen und der private Sektor im Umweltschutz spielen können”, hervor, wobei der Kerngehalt dieser Aussage jenseits der Verfolgung eigener subjektiver Rechte, sondern vielmehr in der Durchsetzung des objektiven Rechts liegt (wovon denn auch der 18. Erwägungsgrund handelt). Hier kommt evidentermaßen eine gehörige Portion Misstrauen gegenüber der “Regierung” des betreffenden Staates zum Ausdruck.17
  • In – zumal bezogen auf den Zeitpunkt der Finalisierung des Textes beachtlich progressiver Weise – betont sodann der 15. Erwägungsgrund die “Wichtigkeit” des Gebrauchs u.a. “von elektronischen … Kommunikationsformen”.18
  • Schließlich gibt der 21. Erwägungsgrund der “Überzeugung” Ausdruck, dass “die Durchführung dieses” – sichtlich dem verwaltungsrechtlichen, einschließlich des verwaltungsgerichtlichen, Bereich zugehörigen – Übereinkommens “zur Stärkung der Demokratie … beitragen” werde, was auf eine Vermengung der Kategorien der verfahrensrechtlichen mit jener der politischen Partizipation hindeutet.
     

 

2.

Die Europäische Union und Aarhus ^

[4]

Die Aarhus-Konvention wurde mit Beschluss des Rates vom 17. Februar 200519 genehmigt und, mit Blick auf die Organe der Mitgliedsstaaten20 , hinsichtlich des Teilbereiches “Zugang zu Informationen” mit Richtlinie 2003/4/EG vom 28. Januar 200321 , hinsichtlich des Teilbereiches “Öffentlichkeitsbeteiligung” aber mit Richtlinie 2003/35/EG vom 26. Mai 200322 – womit auch die RL 85/337/EWG (UVP-RL) und 96/61/EG geändert wurden – umgesetzt.23

 

[5]
Im Jahre 201124 hatte der EuGH zweimal Gelegenheit, über die Auslegung von Bestimmungen der Aarhus-Konvention bzw. des mit dieser in Zusammenhang stehenden Unionsrechts zu entscheiden25 ; beide Judikate behandeln staatsrechtliche Fragen von allgemeinem Interesse mit besonderem Bezug zum Themenkreis “Partizipation” und seien daher im Folgenden näher dargestellt:

2.1.

EuGH vom 18. Oktober 2011, C-128/09 et al (Boxus) ^

2.1.1.

Sachverhalt ^

[6]
Diesem Urteil lag in sachverhaltsmäßiger Hinsicht ein Beschluss des Parlaments des belgischen Gliedstaates Wallonien zugrunde, mit dem eine Reihe von Arbeiten bzw. der Betrieb von Anlagen in Zusammenhang mit einem Flughafen und einer Eisenbahnlinie, deren Genehmigung zuvor Gegenstand verwaltungsbehördlicher Verfahren gewesen war, aus “zwingenden Gründen des Allgemeininteresses” genehmigt wurden, wobei, aufgrund der angewandten nationalen Rechtslage, diesem Beschluss der Charakter eines legislativen – und damit der verwaltungsgerichtlichen Kognition entzogenen – Aktes zukam.
[7]

In unionsrechtlicher Hinsicht war, aufgrund Vorlage des von mehreren Nachbarn angerufenen belgischen Verwaltungsgerichts, zu beurteilen die Reichweit

  • des letzten Satzes des Art 2 Abs 2 der Aarhus-Konvention (wonach der Begriff “Behörde” “keine Gremien oder Einrichtungen, die in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln”, “umfasst”) bzw
  • des (von RL 2003/35/EG bereits vorgefundenen) Artikels 1 Abs 5 der RL 85/337/EWG (wonach “diese Richtlinie … nicht [gilt] für Projekte, die im Einzelnen durch einen besonderen einzelstaatlichen Gesetzgebungsakt genehmigt werden, da die mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele einschließlich des Ziels der Bereitstellung von Informationen im Wege des Gesetzgebungsverfahrens erreicht werden”),

und zwar

  • vor dem Hintergrund des Gebotes effektiven Rechtsschutzes (Art. 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention; Art. 10a der RL 85/337/EWG idF. der RL 2003/35/EG).26

 

 

2.1.2.

Würdigung ^

[8]
27 Der EuGH zog nun nicht etwa direkt die Berechtigung der Figur, eine verwaltungsrechtliche Genehmigung durch (ein sogenanntes Maßnahmen-)Gesetz zu erteilen, in Zweifel; dies wäre wohl, vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips28 , gerade von dem – vom EuGH in casu freilich ignorierten – Gesichtspunkt der Partizipation der Betroffenen29 aus nicht chancenlos gewesen30 , hätte aber einen offenen Bruch mit seiner – im gegenständlichen Urteil berufenen – Vorjudikatur31 erfordert.
[9]
Er erreichte aber eben dieses Ergebnis (in Übereinstimmung mit seiner Vorjudikatur) indirekt durch eine extrem wörtliche (an den Spruch der Porzia im “Kaufmann von Venedig32 erinnernde, weil in ähnlicher Weise die “Natur der Sache” außer Acht lassende, und damit die Norm überspannende) Auslegung des Art. 1 Abs. 5 der RL 85/337/EWG:
[10]
Nur ein legislativer Akt nämlich, der seinem normativen Inhalt33 und seinen informativen Entscheidungsgrundlagen34 nach einem Verwaltungsakt vollständig gleiche, sei nach Art. 1 Abs. 5 der RL 85/337/EWG von deren Geltungsbereich ausgenommen35 ; ob aber dies der Fall sei, habe gerichtlicher Kontrolle zu unterliegen36 , entweder in einem eigens dafür vorgesehenen Verfahren37 , oder aber eben inzidenter, letzterenfalls mit der Konsequenz, dass jedes angerufene Gericht gegebenenfalls den legislativen, jedoch den genannten Anforderungen nicht entsprechenden Akt unangewendet zu lassen habe.38
[11]
Der EuGH hat hier also, im Prinzip erfreulicherweise, der – in der Aarhus-Konvention in noch stärkerer Weise als in der unionsrechtlichen Umsetzung angelegten – Kategorienvermengung zwischen rechtsstaatlichen und demokratischen Erfordernissen bzw., anders gewendet, der Umgehung rechtsstaatlicher Partizipationsrechte durch demokratische Dezision39 , zumindest in praxi (neuerlich40 ) Einhalt geboten. Es wäre zu wünschen, dass diese “Kritik” (im Wortsinne: “Scheidung”) in der Zukunft noch vertieft werde.

2.2.

EuGH vom 12. Mai 2011, C-115/09 (BUND) ^

[12]
In diesem Verfahren ging es um die Berechtigung einer NGO (in casu: einer Gliederung des “Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland” bzw. der “Friends of the Earth International”), unmittelbar gestützt auf Art. 10a Abs. 3 iVm. Art. 1 Abs. 2, 5. Definition, 2. Halbsatz, der RL 85/337/EWG idF. der RL 2003/35/EG, sich an einem umweltrelevanten Verwaltungsverfahren41 zu beteiligen. Die beiden relevanten Passus des unionsrechtlichen Sekundärrechts lauten:

2.2.1.

Art 10a Abs 1-3 der RL 85/337/EWG ^

[13]

“Die Mitgliedstaaten stellen im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die

a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ
b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert,
 

[14]
Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten.
[15]
Die Mitgliedstaaten legen fest, in welchem Verfahrensstadium die Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden können.
[16]
Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation, welche die in Artikel 1 Absatz 2 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a) dieses Artikels. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne von Absatz 1 Buchstabe b) dieses Artikels verletzt werden können.
[17]
Der zuletzt zitierte Satz entspricht dabei, abgesehen von der numerischen Bezeichnung der verwiesenen Vorschrift, wörtlich dem zweiten Satz des dritten Unterabsatzes des Art. 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention.

2.2.2.

Art. 1 Abs. 2 der RL 85/337/EWG ^

“Im Sinne dieser Richtlinie sind:

Betroffene Öffentlichkeit:

Die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse.”

2.2.3.

Würdigung ^

[18]
Angesichts des eindeutigen Wortlautes sowohl der gerade zitierten und hervorgehobenen Bestimmungen der RL 85/337/EWG wie der Aarhus-Konvention selbst verwundert es nicht42 , dass der EuGH den Ansatz des deutschen Verwaltungsgerichtsverfahrensrechts, auch anerkannten Umweltorganisationen lediglich die Verfolgung konkreter subjektiver öffentlicher Rechte, nicht aber die Wahrung des objektiven (Umwelt-)Rechts als solchen, zuzugestehen, klar verwarf.43
[19]
In gewisser Weise handelt es sich bei BUND um das notwendige Korrelat zu Boxus:
[20]
Denn nur wenn das rechtsstaatliche System keine Partizipationslücken aufweist, also letztlich jede Rechtsverletzung, auch eine solche, die von “allgemeinem” Interesse ist, dh. in ähnlicher Weise die Interessen sehr vieler Einzelner tangiert44 , innerhalb eines rechtsstaatlichen Verfahrens behandelt werden kann, ist es glaubwürdig, wenn einer Verlagerung der Entscheidung hierüber in die demokratische Sphäre entgegengetreten wird.

2.2.4.

Ergänzung ^

[21]
Zum Schluss noch eine Anmerkung zur unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts:
[22]
In der gegenständlichen Konstellation können sich die NGOs, als Private, gerade auch gegenüber nicht richtlinienkonform interpretierbarem nationalen Recht45 auf die gefestigte Rechtsprechung des EuGH zur direkten Anwendbarkeit von nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien berufen46 , selbst zwecks Verfolgung anderer als eigener subjektiver Rechte. Diese Möglichkeit bestünde freilich, nach gegenwärtigem Stand der Rechtsprechung, nicht auch zugunsten öffentlicher bzw staatlicher Stellen (wie etwa einem “Umweltanwalt” iSd. Art. 2 Abs. 4 UVP-G 2000), selbst wenn diese zur Überwachung derselben Bestimmungen eingerichtet wurden. Hier scheint – im Ergebnis – eine gewisse Inkonsistenz des Unionsrechts sichtbar geworden zu sein, die vielleicht zu einer Überprüfung der Prämissen einlädt.47

3.

Literatur ^

Thomas Alge, Der Aarhus Convention Compliance Mechanismus. Aufgaben, Funktionen und Bedeutung für das nationale Recht, RdU 2011, 80ff.

Alexander Balthasar, EU-Grundrechte: Menschenrechte oder Grundrechte?, sowie Ist eine “Nationale Menschenrechtsinstitution” für Österreich sinnvoll?, beide in: Ders, Grenzen und Gefahren des Schutzes der Grundrechte. Fünf Studien (2009), 31ff bzw 215ff.

Alexander Balthasar, Die Beteiligung im Verwaltungsverfahren (2009).

Alexander Balthasar, Robert Müller-Török, Alexander Prosser, eParticipation in the Field of Administrative Law: An Austrian Initiative to Meet European Challenges, in: Wolfgang Benedek, Florence Benoît-Rohmer/Wolfram Karl/Manfred Nowak (Hrsg), European Yearbook on Human Rights 2011 (2011), 335ff.

Martin Borowsky, Glossen zu Art 2 und Art 52 EUGRC, in: Jürgen Meyer (Hrsg), Charta der Grundrechte der Europäischen Union3 (2011).

Jochen Frowein/Wolfgang Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention. EMRK-Kommentar3 (2009).

Christoph Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 (2009).

Stefan Keupp/Michael Zschiesche, Die Aarhus-Konvention – Bürgerbeteiligung in neuer Qualität, UFU-Paper (des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen) Juni 2010.

Siegfried Magiera, Glosse zu Art 41 EUGRC, in: Jürgen Meyer, (Hrsg), Charta der Grundrechte der Europäischen Union3 (2011).

Claudia Mayer/Teresa Weber, Sind die verwaltungsrechtlichen Präklusionsvorschriften im UVP-Verfahren unionsrechtskonform?, RdU 2011, 102ff..

Thomas Neger, 10 Jahre Aarhus-Konvention. Defizite bei der Umsetzung in das österreichische Recht, RdU 2009, 64ff.

Eva Schulev-Steindl, Subjektive Rechte im öffentlichen Interesse? Anmerkungen zur Aarhus-Konvention, JRP 2004, 128ff.

  1. 1 Nach seinem Art 20 Abs 1 trat dieses “Übereinkommen … am neunzigsten Tag nach dem Tag der Hinterlegung der sechzehnten Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde in Kraft”. Dieses Erfordernis war mit der Hinterlegung durch Armenien am 2. August 2001 erfüllt.
  2. 2 BGBl III 88/2005.
  3. 3 Nach Art 20 Abs 3 conv cit tritt das Übereinkommen für alle späteren Parteien am neunzigsten Tag nach dem Tag der Hinterlegung der Urkunde in Kraft; die EU hat ihre Urkunde am 17. Februar 2005 hinterlegt.
  4. 4 Art 17 conv cit.
  5. 5 Art 19 Abs 2 conv cit. Die “Tagung” selbst ist in Art 15 conv cit geregelt.
  6. 6 Siehe http://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXVII-13&chapter=27&lang=en.
  7. 7 Vor Armenien (siehe FN 1) bereits Albanien, Aserbeidschan, Dänemark (ohne Färöer und Grönland), Georgien, Italien, Kasachstan, Kirgistan, (die frühere jugoslawische Republik) Mazedonien, Moldawien, Rumänien, Tadschikistan, Turkmenistan, die Ukraine, Ungarn und Weißrussland. Einen Tag nach Armenien folgte Estland.
  8. 8 Siehe Keupp/Zschiesche, UFU-Paper, 5.
  9. 9 Siehe Keupp/Zschiesche, UFU-Paper, 4f. Neger (RdU 2009, 112, do FN 3) meint, der geringere Kodifizierungsgrad des Verwaltungsverfahrensrechts der osteuropäischen Staaten habe deren rascheren Beitritt erleichtert.
  10. 10 Schulev-Steindl hat beispielsweise die im nachfolgenden dritten Markierungspunkt angesprochene Beteiligung Privater im öffentlichen Interesse als “Systembruch” gewertet (JRP 2004, 133). Allerdings gewährte auch etwa § 66 Abs 4 AVG (jedenfalls bis zu VwSlg 10317 A/1980) der Berufungsbehörde ein Stück objektiver Rechtmäßigkeitskontrolle, aus Anlass einer Berufung, aber die subjektive Rechtssphäre des Berufungswerbers übersteigend (der insoweit daher die Stellung einer Formalpartei einnahm; siehe Balthasar, Beteiligung, 75, in do FN 362 auf id, ZÖR 2003, 302, verweisend).
  11. 11 Urteil vom 22. März 2001, Nrn 34044/96, 35532/97 and 44801/98 (Streletz et al/D), Rz 94; vgl auch die Bewertung von Borowsky, Art 2 EUGRC, Rz 27.
  12. 12 Ein formales Argument ist die vollständige Suspendierbarkeit des Art 8, nicht aber des Art 2, EMRK nach deren Artikel 15 Abs 2, ein weiteres die wesentlich flexiblere Beschränkbarkeit des betreffenden Rechts nach Art 8 Abs 2, verglichen mit Art 2 Abs 2 conv cit.
  13. 13 Siehe Frowein/Peukert, EMRK, Art 8 EMRK, Rz 44.
  14. 14 Vgl Borowsky, Art 52 EUGRC, Rz 45d.
  15. 15 Vgl Grabenwarter, EMRK, § 19, Rz 14: “Ansatzpunkte für eine unmittelbare Drittwirkung sind in keiner Garantie der EMRK zu finden …”.
  16. 16 Gerade solche, auch kollektive, “Grundpflichten” waren für den “deutschen Sonderweg”, sowohl auf moralphilosophischem wie auf genuin verfassungsrechtlichem Gebiet, kennzeichnend gewesen, zuletzt fand sich der Begriff “Grundpflichten” in der Überschrift zu Abschnitt II der Verfassung der DDR 1968/1974; siehe näher Balthasar, EU-Grundrechte, 43ff, insbes 48ff. Nachdem das dGG, aus begreiflichem Motiven, diesen “deutschen Sonderweg” zumindest deutlich gemäßigt hat (siehe id, ib), erklärt sich vielleicht aus dieser gesteigerten Sensibilität heraus die oben erwähnte reservierte deutsche Position zu Aarhus?!
  17. 17 So bereits Schulev-Steindl, JRP 2004, 129f . Dieses Misstrauen teilt die Aarhus-Konvention mit der Konzeption unabhängiger Datenschutzbehörden (vgl prägnant die Haltung des EuGH in seinem Urteil vom 9. März 2010, C-518/07, Kommission/Deutschland, insbes Rz 34f) und allgemein mit jener Nationaler Menschenrechtsorganisationen (siehe Balthasar, NMRI, 225ff). Im Unterschied zu dieser (in den “Pariser Prinzipien” fundierten) Konzeption setzt aber “Aarhus” konsequent auf private Organisationen, nicht auf “unabhängige”, jedoch gleichwohl staatliche Behörden (wie es etwa auch die österreichischen Umweltanwaltschaften [siehe zu diesen am Ende dieses Beitrages] sind).
  18. 18 Vgl, dass noch über eine Dekade später ein solcher Einsatz so wenig selbstverständlich ist, dass hierüber Machbarkeitsstudien erstellt werden (vgl etwa Balthasar/Müller-Török/Prosser, eParticipation).
  19. 19 ABl L 124, 1.
  20. 20 Für die Organe der Union gilt, hinsichtlich aller drei Teilbereiche, die VO (EG) Nr. 1367/2006.
  21. 21 ABl L 41, 26. Deren Art 6 enthält auch Bestimmungen über den – freilich auf den primären Gegenstand der RL, den Zugang zu Informationen, beschränkten – verwaltungsbehördlichen wie (verwaltungs-)gerichtlichen Rechtsschutz.
  22. 22 ABl L 165, 17.
  23. 23 Hinsichtlich des dritten Teilbereiches (“Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten”) liegt – abgesehen von dem bereits erwähnten Art 6 der RL 2003/4/EG (siehe vorvorige FN) – gegenwärtig erst ein Vorschlag der Kommission (COM [2003]624 vom 24. Oktober 2003, vgl ABl 2004, C 96, 22) vor.
  24. 24 Zu einem älteren Urteil (EuGH vom 15. Oktober 2009, C-263/08 [Djurgården-Lilla]) mit verwandter Thematik siehe Mayer/Weber, RdU 2011, 102ff.
  25. 25 Dazu kommt das Urteil des EuGH vom 8. März 2011, C-240/09 (VLK), wo die unmittelbare Anwendbarkeit des Art 9 Abs 3 der Aarhus-Konvention verneint wurde.
  26. 26 Interessanterweise erfolgte keine Bezugnahme auf Art 47 EUGRC.
  27. 27 Interessanterweise erfolgte keine Bezugnahme auf Art 47 EUGRC.
  28. 28 Siehe Art 2 EUV.
  29. 29 Vgl nunmehr Art 41 Abs 2 lit a EUGRC (Bestandteil des “Rechts auf gute Verwaltung”, und damit anzuwenden bereits im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren): “… Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird”). Ungeachtet der Beschränkung des Anwendungsbereiches des gesamten Artikels in seinem Abs 1 lediglich auf Unionsorgane dürfte sein normativer Inhalt, als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts iSd Art 6 Abs 3 EUV, auch die Mitgliedsstaaten im gesamten Anwendungsbereich des Unionsrechts binden (vgl Schlussanträge zu EuGH vom 30. April 2009, C-75/08 [Mellor], Rz 33; Magiera, Art 41, Rz 11). Dass aber dieses Recht auf Gehör sich nur deshalb auf einen seiner Wirkung nach unmittelbar in die individuelle Rechtssphäre eingreifenden staatlichen Akt nicht beziehe, weil dieser als Akt der Legislative konstruiert ist, ist jedoch gerade auf dem Boden der vom EuGH selbst in Boxus angestellten Erwägungen (siehe unten FN 38) nicht anzunehmen.
  30. 30 Die in Artikel 1 Abs 5 der RL 85/337/EWG angegebene Erwartung, die Ziele des Individualverfahrens könnten in äquivalenter Weise durch ein parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren erreicht werden (vgl in diesem Sinne auch die Schlussanträge zu C-128/09, Rz 79: “Wenn das Gesetzgebungsverfahren normal und korrekt funktioniert, bietet es – aufgrund der Funktionsweise der repräsentativen Demokratiedieselben Garantien, die auch unter Geltung der UVP-Richtlinie verlangt würden”), ist in einem Rechtsstaat schon deshalb evidentermaßen irrig, da ja die demokratische Repräsentation egalitär, jene in einem rechtsstaatlichen Verfahren jedoch primär nach der Qualität der betroffenen Interessen erfolgt, was impliziert, dass jedenfalls von der Warte eines jeden in seiner subjektiven Rechtssphäre mehr als nur marginal Betroffenen der Verweis auf die Partizipation nach demokratischen Prinzipien einen erheblichen Verlust an Ingerenz, also eine Schlechterstellung, bedeutet. Siehe zur Problematik (mit Blick auf die vergleichbare Abgrenzung der Rechtsquellenformen “Verordnung” und “Bescheid”) näher Balthasar, Beteiligung, 215ff, 262ff, 267ff.
  31. 31 Urteil vom 16. September 1999, C-435/97 (WWF), Rz 55-63; vom 19. September 2000, C-287/98 (Linster), Rz 49-58.
  32. 32 IV/1, 335-343.
  33. 33 Urteil, Rz 37f.
  34. 34 Urteil, Rz 43f.
  35. 35 Urteil, Rz 46.
  36. 36 Urteil, Rz 54.
  37. 37 Urteil, Rz 54. Dies könnte, dem legislativen Rang der betreffenden Maßnahme entsprechend, im Prinzip auch ein (das betreffende nationale) Verfassungsgericht sein, vorausgesetzt, es verfüge über die entsprechende Kognitionsbefugnis (in casu war dies bei der belgischen Cour constitutionnelle offenbar nicht der Fall, vgl das in Rz 18 des Urteils referierte Vorlagevorbringen).
  38. 38 Urteil, Rz 56.
  39. 39 Vgl Urteil, Rz 53: “Art. 9 des Aarhus-Übereinkommens und Art. 10a der Richtlinie 85/337 würden jedoch jegliche praktische Wirksamkeit verlieren, wenn der bloße Umstand, dass ein Projekt durch einen Gesetzgebungsakt genehmigt wurde, der nicht die in Randnr. 37 des vorliegenden Urteils aufgeführten Voraussetzungen erfüllt, dazu führen würde, dass Rechtsbehelfe im Sinne dieser Bestimmungen, mit denen die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit des Projekts angefochten werden könnte, ausgeschlossen wären”.
  40. 40 Siehe bereits oben FN 30.
  41. 41 Genehmigung eines der UVP unterliegenden Kohlekraftwerkes, mit sachlichem Bezug zur RL 92/43/EG (Habitat-RL).
  42. 42 Tatsächlich wurde bereits vor dem Erlass des gegenständlichen Urteils gegen die im deutschen Recht enthaltenen Beschränkungen der Partizipationsbefugnis von Umwelt-NGOs sowohl bei der EU-Kommission wie beim “Komitee der Aarhus-Konvention” (eingerichtet nach Art 15 conv cit: dieses lässt, anders als das “Schiedsverfahren” nach Art 16 Abs 2 lit b iVm Annex II conv cit, auch “Mitteilungen” von Seiten Privater zu, siehe näher Alge, RdU 2011, 80ff) Beschwerde erhoben, siehe Keupp/Zschiesche, UFU-Paper, 60.
  43. 43 Urteil, Rz 46 (dort ist von Vorschriften zum Schutze des “allgemeinen Interesses” bzw des“public interest”) bzw Rz  50 (hier heißt es, semantisch um eine Nuance verschieden, “Interessen der Allgemeinheit” bzw “interests of the general public”). Was allerdings hier bereits in der (zumal englischen) Formulierung sichtbar wird, ist die Erkenntnis, dass das objektive Recht letztlich nicht unbedingt stets eine von subjektiven Rechtssphären vollständig losgelöste Kategorie (im Sinne einer abstrakten “Staatsraison”) bildet, sondern oftmals viel eher solche Vorschriften umfasst, die die Interessen einer Vielzahl von Individuen, in extremis aller Angehörigen einer bestimmten, allenfalls noch regional abgrenzbaren Öffentlichkeit, berühren. Daher halte ich auch – von diesem “nominalistischen” Standpunkt aus – die einander ausschließende Gegenüberstellung von “subjektiven Rechten” und “Interesse der Allgemeinheit”, wie von Schulev-Steindl (JRP 2004, 129) vorgenommen, für überspitzt.
  44. 44 Siehe gerade vorige FN.
  45. 45 Vgl Urteil, Rz 52.
  46. 46 Siehe Urteil, Rz 54ff.
  47. 47 Vgl bereits, mutatis mutandis, die Schlussanträge zum Urteil des EuGH vom 19. Jänner 2010, C-555/07 (Kücükdeveci), Rz 70-90.