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EBI vor dem Start: Legistische Massnahmen zur Implementierung der Europäischen Bürgerinitiative in Österreich

  • Authors: Gregor Wenda / Robert Stein
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Democracy
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2012
  • Citation: Gregor Wenda / Robert Stein, EBI vor dem Start: Legistische Massnahmen zur Implementierung der Europäischen Bürgerinitiative in Österreich, in: Jusletter IT 29 February 2012
Das Jahr 2010 stand im Zeichen der Ausverhandlung einer Verordnung über die Europäische Bürgerinitiative (EBI), eines neuen direkt-demokratischen Instruments der Europäischen Union (EU), das im Vertrag von Lissabon seinen Ursprung findet. Ein Jahr nach dem formellen Inkrafttreten der Verordnung wird diese ab 1. April 2012 überall in der Union ihre Geltung entfalten; bis dahin müssen in den einzelnen Mitgliedstaaten alle legistischen, technischen und infrastrukturellen Vorkehrungen getroffen worden sein. Da Unterstützungsbekundungen für eine Bürgerinitiative auch auf elektronischen Weg gesammelt werden können, wird erstmals auf EU-Ebene eine neuartige Form von „E-Participation“ stattfinden. Der Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Einführung der Europäischen Bürgerinitiative in der österreichischen Rechtsordnung verankert werden soll, passierte am 2. Februar 2012 den Verfassungsausschuss des Nationalrates.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Grundsätzliches
  • 2. Vorbereitungsarbeiten in Österreich
  • 3. Gesetzesentwurf
  • 4. Behörden
  • 5. Zertifizierung von Online-Sammelsystemen
  • 6. Überprüfung von Unterstützungsbekundungen
  • 7. Sanktionen
  • 8. Ausblick
  • 9. Literatur

1.

Grundsätzliches ^

[1]
Mit dem Vertrag von Lissabon wurde erstmals die Grundlage für ein Instrument der direkten Demokratie in der Europäischen Union verankert1 . Bei der Europäischen Bürgerinitiative können, so der entsprechende Wortlaut im Vertrag, Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, „deren Anzahl mindestens eine Million beträgt“ und bei denen es sich um Staatsangehörige einer „erheblichen Anzahl von Mitgliedsstaaten“ handeln muss, „die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen“. Im Zuge von Expertentreffen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten, Verhandlungen auf Ratsebene (in der sog „Antici-Gruppe“) und der Behandlung der Materie durch das Europäische Parlament wurde im Verlauf des Jahres 2010 eine Verordnung ausgearbeitet2 , die am 16. Februar 2011 erlassen wurde und am 1. April 2011 – mit einem Geltungsvorbehalt von einem Jahr – in Kraft trat. In dieser Verordnung3 wurde bestimmt, dass ein Viertel der Staaten4 eine „erhebliche Anzahl“ im Sinn des Vertrags von Lissabon darstellt. In Österreich werden mindestens 14.250 Unterstützungsbekundungen benötigt. Diese Zahl wurde erst jüngst von der Kommission gemäß Art. 7 Abs. 3 der Verordnung mit delegiertem Rechtsakt angepasst, um Änderungen der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments Rechnung zu tragen.5 In den anderen Mitgliedsstaaten sind – je nach Bevölkerungsgröße – mehr oder weniger Unterstützungsbekundungen erforderlich. Errechnet wird die erforderliche Zahl an Unterstützungsbekundungen, indem die aktuelle Zahl der von einem Mitgliedstaat gestellten Mandate des europäischen Parlaments mit 750 multipliziert wird. Bemerkenswert ist, dass es sich bei der Europäischen Bürgerinitiative nicht nur um das erste europaweit geltende Instrument der direkten Demokratie handelt, sondern dass zum ersten Mal auf Grund der Verordnung auch eine unionsweite Form der „E-Participation“ stattfinden wird, da Unterstützungsbekundungen nicht nur auf Papier, sondern auch elektronisch gesammelt werden können.6

2.

Vorbereitungsarbeiten in Österreich ^

[2]

Ab dem 1. April 2012 wird es möglich sein, dass Personengruppen bei der Europäischen Kommission eine Europäische Bürgerinitiative registrieren lassen, nach Genehmigung durch die Kommission innerhalb von maximal zwölf Monaten europaweit Unterstützungsbekundungen sammeln, die Bürgerinitiative – bei Vorhandensein einer ausreichenden Zahl an Unterstützungsbekundungen aus ausreichend vielen Mitgliedstaaten – der Kommission vorlegen und in einer öffentlichen Anhörung vorstellen können. Die Regeln für das Sammeln von Unterstützungsbekundungen sowie für das damit im Zusammenhang stehende Procedere sind in der oben erwähnten Verordnung verankert; bei dieser Verordnung handelt es sich grundsätzlich um unmittelbar anzuwendendes Sekundärrecht der Europäischen Union.7 Dessen ungeachtet definiert die Verordnung selbst verschiedene Bereiche, in denen es den Mitgliedstaaten obliegt, nähere Regelungen und somit – wo erforderlich – auch gesetzliche Vorkehrungen zu treffen. Während mehrere Mitgliedstaaten im Zuge eines Expertentreffens der Europäischen Kommission am 17. Jänner 20128 angemerkt haben, voraussichtlich keine eigenständigen Gesetzesänderungen vorzunehmen9, stand in Österreich von Anbeginn außer Zweifel, dass – nicht zuletzt durch das rechtsstaatliche Prinzip der österreichischen Bundesverfassung – nur im Wege einer Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes und der Erlassung neuer einfachgesetzlicher Normen das staatliche Handeln und die Rechte und Pflichten der Initiatorinnen und Initiatoren ausreichend determiniert sein könnten. Nachdem die innerstaatlichen rechtlichen Rahmenbedingungen rechtzeitig, also bis zum 1. April 2012, in Geltung stehen müssen, wurde schon knapp nach Inkrafttreten der Verordnung in der ersten Jahreshälfte 2011 auf Ebene der zuständigen Fachressorts unter Federführung des Bundesministeriums für Inneres10 mit den Vorbereitungshandlungen begonnen. Schnell war klar, dass man sich bei der Erarbeitung eines Gesetzesentwurfes von der Vorgabe der Kommission leiten lassen würde, nur jene Belange zu normieren, die tatsächlich einer innerstaatlichen Regelung bedürfen. Somit sollte einerseits vermieden werden, in österreichischen Gesetzen klare und deutliche Vorgaben der – ohnedies unmittelbar anwendbaren – Verordnung zu duplizieren, andererseits Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwendern den (trügerischen) Eindruck zu vermitteln, ein Heranziehen des zukünftigen „Europäische-Bürgerinitiative-Gesetzes“ könnte zur Vorbereitung und Durchführung einer Bürgerinitiative ausreichen. Vielmehr steht außer Zweifel, dass jegliches innerstaatliche Regelwerk nur in Zusammenschau mit dem einschlägigen Sekundärrecht der Europäischen Union11 betrachtet werden kann.

3.

Gesetzesentwurf ^

[3]

Bis zum Frühherbst 2011 wurde vom Bundesministerium für Inneres in enger Abstimmung mit Expertinnen und Experten des Bundeskanzleramts, des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten und des Bundesministeriums für Justiz der Entwurf eines Bundesgesetzes erarbeitet. Dabei wurde offensichtlich, dass neben der Schaffung eines eigenständigen Bundesgesetzes über die Durchführung von Europäischen Bürgerinitiativen eine Änderung der Bundesverfassung und mehrerer einfacher Gesetze, darunter des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 (EGVG), des Bundesministeriengesetzes 1986, des Strafgesetzbuches und der einschlägigen Wahlgesetze, erforderlich sein würde. Erst nachdem auf Ebene der Kommission – als Resultat eines langwierigen Abstimmungsprozesses – mit 25. Oktober 2011 die technischen Spezifikationen für die Umsetzung von Art. 6 Abs. 4 der Verordnung in einer eigenen Durchführungsverordnung12 festgelegt werden konnten, war es aber möglich, die Arbeiten am Gesetzesentwurf in zentralen Punkten voranzutreiben. Am 25. November 2011 teilte die Bundesministerin für Inneres dem Ministerrat mit13, dass der Entwurf im Innenressort „in den letzten Tagen weitestgehend“ abgeschlossen und den „schon bislang eingebunden Stellen zu einer abschließenden Überprüfung“ übermittelt worden sei. Bald danach, am 6. Dezember 2011, wurde der Gesetzesentwurf von Abgeordneten der Regierungsparteien in Form eines Initiativantrages im Nationalrat eingebracht und dem Verfassungsausschuss zur weiteren Behandlung zugeleitet.14 Der Verfassungsausschuss initiierte in der Folge ein parlamentarisches Begutachtungsverfahren, im Zuge dessen bis zum 12. Jänner 2012 Stellungnahmen zum Initiativantrag eingebracht werden konnten. An der Begutachtung beteiligten sich neben öffentlichen Stellen diverse Vereine, Plattformen und Organisationen, aber auch einzelne Bürgerinnen und Bürger. Im Verfassungsausschuss des Nationalrates wurde der Entwurf am 2. Februar 2012 bei einem Expertenhearing diskutiert; auf Basis der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens wurde der Entwurf in einzelnen Punkten im Wege eines Abänderungsantrages abgeändert und an das Plenum des Nationalrates weitergeleitet.

4.

Behörden ^

[4]

Um österreichische Behörden bei den bereits geschilderten Belangen tätig werden zu lassen, musste die österreichische Bundesverfassung – ganz im Sinne des Legalitätsprinzips – entsprechend geändert werden. Vor allem wegen der Vorgabe der Verordnung, für einen innerstaatlichen Rechtsschutz zu sorgen, war eine Anpassung des B-VG zwingend erforderlich. In Entsprechung der bisherigen Federführung in den Vorbereitungsarbeiten wurde die Zuständigkeit der Bundesministerin für Inneres für die Durchführung der Europäischen Bürgerinitiative – analog zu allen anderen wahlrechtlichen Materien auf Bundesebene – mit einer Erweiterung des Bundesministeriengesetzes 1986 festgeschrieben.15 Um eine verordnungskonforme innerstaatliche Administrierung der Europäischen Bürgerinitiative sicherzustellen, wurde auch das EGVG erweitert: Analog zu sämtlichen, innerstaatliche Wahlen regelnden Gesetzeskodifikationen soll zukünftig auch das Europäische-Bürgerinitiative-Gesetz (EBIG) bei seiner Vollziehung vom AVG ausgenommen sein. Das Verfahren soll ausschließlich im EBIG geregelt werden; um allfällige Rechtsschutzlücken zu schließen, wurde dafür bei allen behördlichen Akten16 eine Anrufung an den Verfassungsgerichtshof vorgesehen.

[5]

In zwei Kernbestimmungen des geplanten EBIG wurden die zentralen Verpflichtungen Österreichs als Mitgliedstaat niedergeschrieben: Es ist für die Zertifizierung von Online-Sammelsystemen und die Überprüfung (Verifizierung) von Unterstützungsbekundungen Sorge zu tragen. Für beide Vorgänge soll die Verantwortung nach dem am 2. Februar 2012 vom Verfassungsausschuss beschlossenen Gesetzesentwurf der österreichischen Bundeswahlbehörde übertragen werden. Hierbei handelt es sich um ein unabhängiges Kollegialorgan, in das neben Vertreterinnen und Vertretern der im Parlament vertretenen Parteien auch Richterinnen und Richter entsendet werden.17 Bei der Überprüfung von Online-Sammelsystemen soll die Bundeswahlbehörde allerdings kraft Gesetzes auf externen Sachverstand zurückgreifen können. Der Entwurf bestimmt, dass sich die Bundeswahlbehörde einer Bestätigungsstelle gemäß § 19 des Signaturgesetzes18 zu bedienen hat. Diese Bestätigungsstelle prüft die technischen Voraussetzungen im Sinne des Art. 6 Abs. 4 der Verordnung und die Einhaltung der relevanten Normen gemäß der Durchführungsverordnung. Zur Bündelung von Ressourcen und zur Nutzung von Synergien erscheint es sinnvoll, die derzeit gemäß § 19 des Signaturgesetzes tätige Bestätigungsstelle (den Verein „Zentrum für sichere Informationstechnologie - SIT“) heranzuziehen; dieses Zentrum ist auch in den internationalen Zertifizierungsprozess (u.a. „Common Criteria“) eingebunden und vertritt dort die österreichischen Interessen. Nur durch diese Festlegung erscheint gewährleistet, dass der Bundeswahlbehörde bei Vorlage eines Online-Sammelsystems ein sofortiges Handeln innerhalb des äußerst engen Zeitrahmens von nur einem Monat19 möglich ist. Letztlich soll aber auch eine Verdoppelung von Zuständigkeiten hintangehalten werden. Vom Ministerrat wurde demgemäß bereits 1999 beschossen, „… die Bundesregierung wolle die vorgetragene Gründung des Vereins ‚Zentrum für sichere Informationstechnologie (SIT)‘20 zur Kenntnis nehmen und den Beschluss fassen, in einschlägigen Fragen sowie bei allfälligen Forschungsaufträgen den Verein ‚Zentrum für sichere Informationstechnologie (SIT)‘ in Anspruch zu nehmen.“21

5.

Zertifizierung von Online-Sammelsystemen ^

[6]
Ehe die Bundeswahlbehörde ein Online-Sammelsystem für eine Zertifizierung inhaltlich begutachten lässt, wird sie nach dem Entwurf festzustellen haben, ob die dem Online-Sammelsystem zugrundeliegende Bürgerinitiative bei der Kommission bereits angemeldet ist und dem Online-System nicht schon in einem anderen Mitgliedstaat die Ausstellung der Bescheinigung gemäß Art. 6 Abs. 3 der Verordnung versagt worden ist. Wenngleich die Verordnung sich zu einer genauen Vorgangsweise bei Ablehnung der Zertifizierung durch einen der Mitgliedstaaten verschweigt, muss e contrario aus Art. 6 Abs. 3 abgeleitet werden, dass es im Fall einer Versagung durch einen Mitgliedstaat auch in den anderen Staaten keine Basis für eine Bescheinigung gibt – denn es erscheint nicht ersichtlich, warum die Bescheinigung aus einem Mitgliedstaat in allen anderen anerkannt werden sollte, nicht jedoch deren Nichtausstellung. Diese Rechtsansicht wird auch von der Kommission vertreten, die am 17. Jänner 2012 angekündigt hat, zum erleichterten Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten eine eigene Plattform einzurichten.
[7]
Die erwähnte Bestätigungsstelle gemäß § 19 des Signaturgesetzes wird die Vorgaben der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1179/2011 zur Festlegung der technischen Spezifikationen für Online-Sammelsysteme gemäß der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 über die Bürgerinitiative zu beachten haben. Im Einklang mit dieser Durchführungsverordnung soll ein Organisator, der ein Online-Sammelsystem vorlegt, die entsprechenden Nachweise, insbesondere Spezifikationen sowie Betriebs- und Sicherheitskonzepte, beibringen. Verfügen Organisatoren nicht selbst über eine entsprechende Zertifizierung, so werden sie Unterlagen vorzulegen haben, aus denen hervorgeht, dass sie die Anforderungen der Norm ISO/IEC 27001 erfüllen. In welcher Form die Organisatoren die Unterlagen vorzulegen haben, ist in der Durchführungsverordnung detailliert geregelt. Die Unterlagen sollen sich u.a. auf eine Risikobewertung, auf Datenschutzmaßnahmen, auf die physische und umgebungsbezogene Sicherheit, auf die Personalsicherheit, auf das Betriebs- und Kommunikationsmanagement und auf die Netzwerksicherheit beziehen. Im Fall einer Stattgebung ist vorgesehen, dass die Bundeswahlbehörde die nach der Verordnung vorgesehene Bescheinigung (Anhang IV zur Verordnung) ausstellt; im Fall der Versagung der Bescheinigung soll sie nicht nur die anderen Mitgliedstaaten verständigen, sondern auch den Antragsteller davon „schriftlich verständigen.“ Diese schriftliche Verständigung kann beim Verfassungsgerichtshof bekämpft werden.

6.

Überprüfung von Unterstützungsbekundungen ^

[8]
Auch vor der Verifizierung von Unterstützungsbekundungen – noch ehe sie mit der eigentlichen Überprüfungstätigkeit beginnt – soll die Bundeswahlbehörde gemäß dem vorliegenden Gesetzesentwurf eine Vorprüfung vorzunehmen haben. Sie wird von der eigentlichen Überprüfung von Unterstützungsbekundungen Abstand nehmen, wenn22
  • die Kommission die Registrierung der Bürgerinitiative nicht veröffentlicht hat,
  • die Unterstützungsbekundungen nicht rechtzeitig vorgelegt worden sind,
  • die Unterstützungsbekundungen auf anderen als den nach Anhang III zur Verordnung vorgesehenen Formularen vorgenommen worden sind,
  • den Unterstützungsbekundungen nicht das Formular gemäß Anhang V zur Verordnung beigefügt worden ist,
  • elektronisch gesammelte Unterstützungsbekundungen offenkundig nicht mit dem Online-Sammelsystem gesammelt worden sind oder
  • die Unterstützungsbekundungen mit einem Online-Sammelsystem gesammelt worden sind, für das keine Bescheinigung gemäß § 2 Abs. 4 ausgestellt worden ist.
[9]
Auch das Versagen einer Überprüfung von Unterstützungsbekundungen soll innerstaatlich beim Verfassungsgerichtshof anfechtbar sein. Nimmt die Bundeswahlbehörde eine Überprüfungshandlung vor, so ist vorgesehen, die Daten sämtlicher Unterstützungsbekundungen anhand des österreichischen „Identitätsdokumentenregisters“23 zu überprüfen. In diesem zentralen Register sind alle Reisepässe und Personalausweise erfasst – und nur diese Dokumente geben Aufschluss über die österreichische Staatsbürgerschaft.24 Nach dem Gesetzesentwurf soll die Bundeswahlbehörde die Namen der unterstützenden Personen zum Zweck der Vermeidung von Doppelbekundungen in einer Datenbank zu erfassen. Hierbei sollen Unterstützungsbekundungen dann als ungültig zu werten sein, wenn25
  • die Nummer des Reisepasses oder des Personalausweises anhand der zentralen Evidenz gemäß § 22b des Paßgesetzes 1992 nicht verifiziert werden konnte und auch nicht auf andere Weise die Richtigkeit der Dokumentennummer festgestellt werden konnte,
  • Daten, die laut Verordnung für die Unterstützungsbekundung vorgesehen sind, abgesehen von offenkundigen Schreibfehlern nicht oder nicht korrekt eingegeben waren,
  • die Unterstützungsbekundungen nicht in Entsprechung der Fristen des Art. 5 Abs. 5 der Verordnung gesammelt worden sind,
  • im Fall einer in Papierform vorgenommenen Unterstützungsbekundung die Unterschrift nicht eingetragen worden ist oder die Unterschrift einer anderen Person eingetragen worden ist,
  • sich im Fall einer elektronisch signierten Unterstützungsbekundung die elektronische Signatur als ungültig erweist oder
  • der Datensatz einer Person bereits erfasst worden ist und dieser die Voraussetzungen für eine gültige Unterstützungsbekundung erfüllt hat.
[10]
Im Fall der Überprüfung von elektronisch abgegebenen Unterstützungsbekundungen ist beabsichtigt, die Überprüfung auf elektronischem Weg durchzuführen, sofern die Daten über eine XML-Schnittstelle importiert werden konnten. Für den Fall, dass die Daten als grafische Dateien oder als Computer-Ausdrucke vorgelegt werden, ist eine OCR-Erkennung der Datensätze angedacht. Wie schon erwähnt, ist für die Bekämpfung aller Entscheidungen der Bundeswahlbehörde ein Anrufen des Verfassungsgerichtshofes vorgesehen. Dieser ist in Österreich gemäß Art 141 des Bundes-Verfassungsgesetzes exklusiv für alle Wahlangelegenheiten zuständig26 , so auch für alle Instrumente der direkten Demokratie.

7.

Sanktionen ^

[11]

Gemäß Art. 14 der Verordnung haben die Mitgliedstaaten „sicherzustellen“, dass Verstöße gegen die Verordnung von Seiten der Organisatoren „geeignet sanktioniert“ werden. Insbesondere „falsche Erklärungen“ und Datenmissbrauch sind zu ahnden. Die „Sanktionen“ müssen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein.27 Aus diesem Grund sollen in Österreich die Strafbestimmungen der §§ 262 bis 267 StGB, die schon jetzt für innerstaatliche Volksbegehren anwendbar sind, auch auf die Europäische Bürgerinitiative anwendbar gemacht werden. Damit sind auch Handlungen erfassbar, deren Strafbarkeit bei Bürgerinitiativen dringend geboten erscheint (etwa die Annahme eines Vorteils für die Leistung einer Unterstützungsbekundung). Art. 14 der Verordnung verlangt auch die Sanktionierung „falscher Erklärungen“ durch die Organisatoren. Der Systematik anderer Gesetze folgend wurde im Gesetzesentwurf – sofern das Verhalten der Organisatoren nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet – für falsche Erklärung die Androhung einer Verwaltungsstrafe normiert.28 Unter „falschen Erklärungen“ soll subsumiert werden, dass der Organisator möglicherweise

  • beim Sammeln von Unterstützungsbekundungen in Österreich die Formulare gemäß Anhang III zur Verordnung nicht entsprechend Art. 5 Abs. 1 letzter Satz der Verordnung ausfüllt,
  • bei Vorlage der Nachweise zum Online-Sammelsystem falsche Angaben zu den von der Kommission gemäß Art. 6 Abs. 5 der Verordnung mit der Durchführungsverordnung verabschiedeten technischen Spezifikationen für die Umsetzung von Art. 6 Abs. 4 der Verordnung macht oder
  • bei Vorlage von Unterstützungsbekundungen auf dem Formular gemäß Anhang V zur Verordnung falsche Angaben macht.

 

8.

Ausblick ^

[12]
Es besteht kein Zweifel daran, dass bei Erstellung des Entwurfs für die eingebundenen Ressorts, aber auch für die Abgeordneten des Nationalrates, wiederholt erkennbar wurde, dass die Verordnung über die Bürgerinitiative deutliche Unklarheiten und Inkohärenzen, aber auch Regelungslücken aufweist. Hervorzuheben sind hier einerseits die Interpretation des für das Sammeln festgelegten Zeitraums von zwölf Monaten29 , andererseits die Bestimmungen zur Vernichtung der Unterstützungsbekundungen. Die Verordnung lässt den exakten Startpunkt für die Sammlung von Unterstützungsbekundungen im Dunkeln, ebenso den Zeitpunkt, zu dem die Unterstützungen der zuständigen Behörde des Mitgliedstaates bzw. in der Folge die Bescheinigungen der Kommission vorzulegen sind.30 Auch der schon literarisch aufbereitete Umstand31 , dass es Unionsbürgerinnen und Unionsbürger gibt, die – unüberprüfbar – in zwei Mitgliedstaaten eine Unterstützungsbekundung abgeben können, und andere, denen diese Möglichkeit aufgrund ihres Wohnsitzes (in einem anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsmitgliedstaat) gänzlich genommen ist, soll nicht unerwähnt bleiben. Der Initiativantrag vom 6. Dezember 2011, der in der Fassung des Abänderungsantrages vom 2. Februar 2012 vom Verfassungsausschuss angenommen wurde, stellt eine solide Basis dar, mit der Österreich für den Start der Europäische Bürgerinitiative und deren professionell Abwicklung gerüstet ist. Auch der Verfassungsausschuss stellte am 2. Februar 2012 in einem Entschließungsantrag fest, dass die im Entwurf verankerten Lösungen „unter den gegebenen Rahmenbedingungen“ (…) „den oben dargestellten Zielen am ehesten nahezukommen.“ Nichtsdestotrotz wurde die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Inneres, mit dem Entschließungsantrag dazu aufgefordert, „sich auf Ebene der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass die Verordnung betreffend die Europäische Bürgerinitiative so bald wie möglich jedoch spätestens anlässlich der Evaluierung in drei Jahren“ geändert werde. Von den Abgeordneten wurde betont, dass
  • für die Abgabe von Unterstützungsbekundungen einheitliche Regelungen verankert werden sollten, mit denen unter Wahrung eines größten Maßes an Datensicherheit und eines dennoch einfachen Zugangs zu einer Europäischen Bürgerinitiative in sämtlichen Mitgliedstaaten einheitliche Bedingungen für die Unterfertigung von Unterstützungsbekundungen durch Unionsbürgerinnen und Unionsbürger aller Mitgliedstaaten gewährleistet sind,
  • alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger einheitliche Bedingungen zur Unterstützung einer EBI vorfinden sollten und
  • Organisatorinnen und Organisatoren europaweit einheitlichen Anspruch auf Kostenersatz erhalten sollten.
[13]
Zudem solle die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Inneres, prüfen, unter welchen Voraussetzungen die Liste der persönlichen Ausweispapiere (derzeit, wie oben ausgeführt, nur Reisepass und Personalausweis) erweitert werden könnte, „um möglichst vielen Personen eine Unterstützung zu erleichtern und gegebenenfalls auf Grund des Ergebnisses dieser Überprüfung gegenüber der Europäischen Kommission für eine entsprechende Änderung einzutreten.“ Nach Inkrafttreten des EBIG-Einführungsgesetzes32 wird es daher nicht nur darum gehen, einen reibungslosen Vollzug auf Grundlage der beschlossenen Normen zu garantieren, sondern weitere Verbesserungsmöglichkeiten im Blick zu behalten.

9.

Literatur ^

Obwexer/Villotti, Die Europäische Bürgerinitiative. Grundlagen, Bedingungen und Verfahren, JRP 18, 108 ff. (2010)

Stein, Europäische Bürgerinitiative – Rückblick und Ausblick aus österreichischer Position, in: Schweighofer/Kummer (Hg.), Europäische Projektkultur als Beitrag zur Rationalisierung des Rechts, Tagungsband zum IRIS 2011 (2011)

Wenda, Europaweite „Bürgerbegehren“, Öffentliche Sicherheit 5-6/2011

Müller-Török/Stein, The assignment of European citizens to member states in the regulation on the European citizens' initiative – data modelling issues for organisers and authorities, in: Prosser/Golob/Leitner/ Šimić (Eds.), Easter European eGov Days 2011 (2011)

Stein/Wenda, ECI Ready to Roll? – On the Challenge to implement the Citizens' Initiative in Member States, in: Prosser/Golob/Leitner/Šimić (Eds.), Easter European eGov Days 2011 (2011)

Stein/Wenda, Implementing the ECI: Challenges for the Member States, in: Prosser (Ed.), EDEM 2011, Proceedings of the 5th International Conference on E-Democracy (2011)

Stein/Wenda, ECI and the Member States: The Austrian Perspective, in: Pichler/Kaufmann (Ed.), Modern Transnational Democracy – How the 2012 launch of the European Citizens’ Initiative can change the world, Schriften zur Rechtspolitik 33 (2011)

  1. 1 Art. 11 Abs. 4 des Vertrages über die Europäische Union.
  2. 2 Zum Verlauf der Verhandlungen, zur Weiterentwicklung einzelner Diskussionspunkte und den Positionen Österreichs auf Ebene des Rates vgl. u.a. Stein/Wenda, Implementing the ECI: Challenges for the Member States, in: Prosser (Ed.), EDEM 2011, Proceedings of the 5th International Conference on E-Democracy (2011) 45.
  3. 3 Die Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Bürgerinitiative, ABl. Nr. L 65 vom 11.3.2011 S. 1, trat am 1. April 2011 in Kraft. Gleichzeitig bestimmte Art. 23 leg. cit. jedoch eine Legisvakanz von einem Jahr, die den Mitgliedstaaten ausreichend Zeit zum Setzen der notwendigen Implementierungsmaßnahmen geben sollte.
  4. 4 Derzeit sind das sieben Mitgliedstaaten.
  5. 5 Die ursprünglich in Anhang I der Verordnung vorgesehen Zahl von 12.750 Unterstützungsbekundungen für Österreich wurde mit 25. Jänner 2012 in Form einer delegierten Verordnung der Kommission auf 14.250 abgeändert. Auf Grund des am 1. Dezember 2011 in Kraft getretenen Protokolls zur Änderung des Protokolls über die Übergangsbestimmungen, das dem Vertrag über die Europäische Union, dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft beigefügt ist, werden den bestehenden 736 Sitzen im Europäischen Parlament vorübergehend 18 Sitze bis zum Ende der Legislaturperiode 2009–2014 hinzugefügt. Österreich erhielt dadurch zwei zusätzliche Sitze.
  6. 6 Zu Fragestellungen hinsichtlich des „Online-Sammelsystems“ vgl. u.a. Stein/Wenda, Implementing the ECI: Challenges for the Member States, in: Prosser (Ed.), EDEM 2011, Proceedings of the 5th International Conference on E-Democracy (2011) 47ff.
  7. 7 Vgl. dazu grundsätzlich insb. Obwexer/Villotti, Die Europäische Bürgerinitiative. Grundlagen, Bedingungen und Verfahren, JRP 18, 108ff (2010).
  8. 8 Die Erhebung auf Basis standardisierter „Questionnaires“ wurde im Rahmen des Expertentreffens der Europäischen Kommission am 17. Jänner 2012 in Brüssel durchgeführt. Dabei wurde ersichtlich, dass sich zahlreiche Mitgliedstaaten in Bezug auf legistische Maßnahmen noch in Mitten der Vorbereitungsarbeit befinden.
  9. 9 In diese Richtung deutete auch eine Anfang 2012 vom Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten im Wege der Vertretungsbehörden durchgeführte Befragung in den einzelnen Mitgliedstaaten.
  10. 10 Die Anknüpfung an das Bundesministerium für Inneres fußt auf dessen innerstaatlicher Zuständigkeit für Volksbegehren und andere Instrumente der direkten Demokratie.
  11. 11 Insbesondere die Verordnung (EU) Nr. 211/2011 über die Bürgerinitiative, ABl. Nr. L 65 vom 11.3.2011 S. 1 und die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1179/2011 zur Festlegung der technischen Spezifikationen für Online-Sammelsysteme gemäß der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 über die Bürgerinitiative, ABl. Nr. L 301 vom 18.11.2011, S. 3.
  12. 12 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1179/2011 zur Festlegung der technischen Spezifikationen für Online-Sammelsysteme gemäß der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 über die Bürgerinitiative, ABl. Nr. L 301 vom 18.11.2011, S. 3.
  13. 13 Vortrag an den Ministerrat vom 25. November 2011, GZ: BMI-WA1800/0010-III/6/2011.
  14. 14 Antrag 1780/A, 24. GP – Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert, ein Bundesgesetz über die Durchführung von Europäischen Bürgerinitiativen (Europäische-Bürgerinitiative-Gesetz – EBIG) erlassen und das Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008, das Bundesministeriengesetz 1986, das Strafgesetzbuch, die Nationalrats-Wahlordnung 1992, das Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, die Europawahlordnung, das Volksbegehrengesetz 1973, das Volksabstimmungsgesetz 1972, das Volksbefragungsgesetz 1989, das Wählerevidenzgesetz 1973 und das Europa-Wählerevidenzgesetz geändert werden (EBIG-Einführungsgesetz).
  15. 15 Gemäß § 9 des Entwurfes eines Europäische-Bürgerinitiative-Gesetzes (EBIG) soll mit der Vollziehung des Bundesgesetzes „der Bundesminister für Inneres betraut“ werden.
  16. 16 Auch wenn der Entwurf eines EBIG bei derartigen Akten nicht von „Bescheiden“ spricht, wird schriftlichen Mitteilungen oder Entscheidungen, sofern sie individuell-hoheitliche Rechtswirkungen entfalten, im Wahlrecht vom Verfassungsgerichtshof regelmäßig eine Art „Bescheidcharakter“ zugemessen – dies insbesondere auch deshalb, da in wahlrechtlichen Verfahren nicht das AVG anwendbar ist. Dessen ungeachtet wurde im Entwurf eines EBIG der Rechtsschutz durch den Verfassungsgerichtshof in allen relevanten Phasen explizit normiert.
  17. 17 Zur Bundeswahlbehörde siehe z.B. Stein/Vogl/Wenda, NRWO3 (2010) § 12 Anm. 2 und 3.
  18. 18 BGBl. I Nr. 190/1999.
  19. 19 Vgl. Art. 6 Abs. 3 der Verordnung.
  20. 20 Heute „A-SIT“ (http://www.a-sit.at/).
  21. 21 Ministerrat vom 19. Juli 1999, Beschl.Prot. Nr. 104/1999.
  22. 22 Vgl. § 3 Abs. 3 des Entwurfes eines EBIG. Zur Bundeswahlbehörde siehe zB Stein/Vogl/Wenda, NRWO3 (2010) § 12 Anm. 2 und 3.
  23. 23 Evidenz gemäß § 22b des Paßgesetzes 1992, BGBl. Nr. 839/1992.
  24. 24 Vgl. dazu etwa Stein/Wenda, ECI and the Member States: The Austrian Perspective, in: Pichler/Kaufmann (Ed.), Modern Transnational Democracy – How the 2012 launch of the European Citizens’ Initiative can change the world, Schriften zur Rechtspolitik 33 (2011) 93.
  25. 25 Vgl. § 3 Abs. 5 des Entwurfes eines EBIG.
  26. 26 Vgl. Stein/Wenda, Verfassungsgerichtshof und Wahlangelegenheiten, SIAK-Journal 2008 H 4, 53.
  27. 27 Vgl. Art. 14 Abs. 2 der Verordnung.
  28. 28 Vgl. § 5 des Entwurfes eines EBIG.
  29. 29 Art. 5. Abs. 5 der Verordnung.
  30. 30 Lediglich aus der 18-Monats-Frist in Art. 12 Abs. 3 der Verordnung lässt sich indirekt ablesen, dass jene zeitliche Grenze, die den Organisatoren zur Vernichtung aller im Zusammenhang mit der Bürgerinitiative erhaltenen Unterstützungsbekundungen sowie etwaigen Kopien gesetzt wird, auch den letzten theoretisch möglichen Schlusspunkt zum Einreichen einer EBI an die Kommission darstellt. Wohl ist diese Bestimmung eigentlich für jene Fälle gedacht, wo Unterstützungsbekundungen gesammelt, aber nie Bescheinigungen zur Kommission gebracht wurden. Im Extremfall könnte man die Bestimmung aber auch so lesen, dass die Organisatoren erst exakt an dem Tag, an dem sie der Kommission das Ergebnis ihrer Sammelbemühungen vorlegen, alle Unterlagen vernichten. 
  31. 31 Vgl. etwa Müller-Török/Stein, The assignment of European citizens to member states in the regulation on the European citizens' initiative - data modelling issues for organisers and authorities, in: Prosser/Golob/Leitner/Šimić (Eds.), Easter European eGov Days 2011 (2011) 54 ff.
  32. 32 Das Plenum des Nationalrates wird den Antrag voraussichtlich am 29. Februar 2012 behandeln. Die Sitzungen des Bundesrates sind für März 2012 vorgesehen.