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Hab ich jetzt einen Porsche? Ein praktischer Blick auf rechtliche Implikationen elektronischer Kommunikation

  • Author: Christina Hofmann
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Commerce
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2012
  • Citation: Christina Hofmann, Hab ich jetzt einen Porsche? Ein praktischer Blick auf rechtliche Implikationen elektronischer Kommunikation, in: Jusletter IT 29 February 2012
Ausgehend von einem realen Fallbeispiel zu einer Internet-Auktion wird mit diesem Beitrag die unberechtigte Nutzung eines fremden eBay-Accounts rechtlich beleuchtet und die gegenüber herkömmlicher Kommunikation speziell aufgeworfenen Fragen im Lichte der vom deutschen BGH dazu ergangenen Entscheidungen „Halzband“ und „eBay-Account II“ beleuchtet.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Fallbeispiel
  • 3. Lösungsansatz
  • 3.1. Rechtsrahmen
  • 3.2. Rechtsprechung des BGH
  • 3.3. Bedeutung für das beschriebene Fallbeispiel
  • 4. Ergebnis
  • 5. Literatur

1.

Einleitung ^

[1]
Elektronische Kommunikationsformen sind Teil des gesellschaftlichen Zusammenlebens; die Nutzung des Internets ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Entpersonifizierung des geschäftlichen Verkehrs im Onlinebereich stellt die Rechtsanwendung vor ständig neue Herausforderungen, weil die Realität vom Normverlauf abweichende Fallsituationen mit sich bringt. Nachstehendes plakatives Beispiel beäugt anhand eines Kaufgeschäftes bei einer Internet-Auktion Tücken des anonymisierten Agierens.

2.

Fallbeispiel ^

[2]
Auf einer Onlineplattform (eBay) wird ein Gebrauchtwagen der Marke Porsche als Auktionsgegenstand angeboten. Ein registrierter Kaufinteressent verfolgt die Auktion und hält sein Angebot parat, gibt dieses aber nicht ab und entscheidet sich gegen den Kauf. Kurz vor Ende der Auktion verlässt er kurz den Raum. Daraufhin setzt sich sein minderjähriger Sohn zum Rechner und gibt mit dem Account seines Vaters ein Gebot ab. Dieses Gebot erhält nach Zeitablauf dann auch den Zuschlag.
[3]
Dieser Sachverhalt entstammt der Anwendungspraxis. Eine andere Person als der Inhaber eines Accounts bedient einen Rechner und gibt mit fremdem Zugang Erklärungen ab. Zentrale Fragestellung soll hier die Rechtsverbindlichkeit der elektronischen Zuschlagserklärung sein:1 Hat der registrierte Kaufinteressent einen Porsche ersteigert? Wurde bei der beschriebenen Internet-Auktion ein Kaufvertrag abgeschlossen, der die Vertragsparteien zu ihren vertraglichen Leistungen und Abwicklung des Rechtsgeschäfts oder Schadenersatz wegen Nichterfüllung verpflichtet?

3.

Lösungsansatz ^

3.1.

Rechtsrahmen ^

[4]
Nach allgemeinem Vertragsrecht ist das ausschlaggebende Kriterium für das Zustandekommen eines Vertrages das Vorliegen mindestens zweier, in den wesentlichen Elementen übereinstimmender Willenserklärungen.2 Verträge kommen durch Übereinstimmung eines Anbotes und dessen Annahme zustande und entfalten daraus ihre rechtsverbindliche Wirkung. Willenserklärungen können auch bei Internet-Auktionen wirksam abgegeben werden. Ein wirksames Verkaufsanbot wird ebenso durch Freigabe der Daten eines Auktionsgegenstandes über eine Bildschirmmaske gelegt, zu dessen Inhalt dann auch gehört, dass der während der Auktionslaufzeit Höchstbietende den Zuschlag bekommt. Eine wirksame Kaufannahme erfolgt auch durch Abgabe eines Höchstgebotes innerhalb der Auktionslaufzeit. Mit Ablauf des Bietzeitraums wird in diesem Fall die Annahme endgültig wirksam. Dementsprechend wird (auch) bei einer Internet-Auktion regelmäßig ein rechtswirksamer Kaufvertrag zwischen dem Einlieferer bzw. Anbotssteller und dem Höchstbieter abgeschlossen.3
[5]
Vor diesem Hintergrund spräche daher nichts gegen das wirksame Zustandekommen eines rechtsgültigen Vertrages über den Auktionsgegenstand „Porsche“ im Rahmen der beschriebenen eBay-Auktion. Fraglich ist allerdings, wie der Umstand zu bewerten ist, dass nicht der Kaufinteressent selbst das Zuschlagsangebot abgegeben hat, sondern sein minderjähriger Sohn. Zwar steht außer Streit, dass das Höchstgebot vom Rechner des Kaufinteressenten stammt und über seine Registrierung eingegeben worden ist. Der Eingabebefehl und der Kaufpreis als zentraler Inhalt des Höchstgebotes stammen aber gerade nicht von dieser Person.

3.2.

Rechtsprechung des BGH ^

[6]
Während die Fragestellung in Österreich noch nicht Gegenstand der höchstgerichtlichen Rechtsprechung war, hat sich der deutsche BGH in der jüngeren Vergangenheit mehrfach mit rechtlichen Implikationen der Nutzung eines fremden eBay-Accounts auseinandergesetzt:
[7]
In der „Halzband“-Entscheidung im Jahr 20094 war der BGH mit der Frage befasst, ob und inwieweit der Inhaber eines eBay-Accounts für urheber-, marken-, bzw. wettbewerbswidrige Handlungen zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn seine eBay-Zugangsdaten ohne sein Wissen von einer dritten Person (nämlich der Ehegattin) missbräuchlich verwendet worden sind. In dieser Entscheidung folgt der BGH dem Grundsatz, dass auch unter Berücksichtigung der neuen technischen Entwicklungen derjenige, dem ein rechtlich geschützter Bereich zur Nutzung und gegebenenfalls auch zur Gewinnerzielung zugewiesen ist, im Rahmen seiner Verantwortung für diesen Bereich für Rechtsverletzungen haftet, wenn er pflichtwidrig im Interesse Dritter oder der Allgemeinheit liegende Sicherungen unterlässt.
[8]
Der BGH spricht sich in „Halzband“ für eine Zurechnung der Schutzrechtsverletzungen auf den Ehemann aus, wenn dieser seine eBay-Zugangsdaten nicht hinreichend vor dem Zugriff Dritter gesichert, sondern sorglos aufbewahrt hat und damit eine selbstständige Pflichtverletzung setzt. Das begründet er mit der besonderen Identifikationsfunktion der eBay-Zugangsdaten sowohl im vertraglichen als auch im vorvertraglichen Bereich. Diese Identifikationsfunktion gehe weit über die Verwendung eines Briefpapiers, eines Namens oder einer Adresse hinaus, bei welchen der Verkehr wisse, dass diese gegebenenfalls unberechtigterweise verwendet werden könnten. Dahingehend bestehe eine besondere Verpflichtung zur sorgsamen Verwahrung von eBay-Zugangsdaten im Hinblick auf eine potentielle Gefährdung des (Rechts-)Verkehrs durch Unklarheiten darüber, welche Person unter einem Mitgliedskonto bei eBay handelt. Auch für eine Abwägung mit den berechtigten Interessen des Geschäftsgegners sei somit bei der Frage einer (deliktischen) Haftung für Verletzung von Immaterialgüter- und Leistungsschutzrechten von vorne herein kein Raum. Die auf der unzureichenden Sicherung der Kontaktdaten beruhende Rechtsverletzung durch einen Dritten ist dem BGH zufolge dem Kontoinhaber als eigenes täterschaftliches Handeln zuzurechnen; das für Schadenersatzansprüche erforderliche Verschulden sei zu bejahen, sobald mit einer missbräuchlichen Verwendung zumindest gerechnet werden kann.
[9]
In der Entscheidung „eBay-Account II“aus dem Jahr 20115 hatte der BGH dann in weiterer Folge zu klären, ob und inwieweit auf eBay ein wirksamer Kaufvertrag zustande kommen kann, wenn der Auktionsgegenstand, für den das Zuschlagsgebot abgegeben worden ist, ohne Beteiligung und Wissen des Kontoinhabers von dessen Ehegatten auf eBay eingestellt und zum Verkauf angeboten worden ist:
[10]
Der BGH hält in „eBay-Account II“ fest, dass auch der Abschluss eines Kaufvertrages über eine Internetplattform die Annahme eines vom Kontoinhaber abgegebenen oder eines ihm jedenfalls zuzurechnenden Verkaufsanbots voraussetzt. Der Umstand, dass nicht der Kontoinhaber selbst sondern dessen Ehegatte das Kaufangebot auf eBay platziert hat, bewirke ein Fremdgeschäft, bei welchem kein gültiger Kaufvertrag zustande kommt. Der BGH verneint nach den allgemeinen Regeln über die Stellvertretung trotz unzureichender Sicherung der Zugangsdaten die Zurechenbarkeit auf den Ehegatten. Unter Verweis darauf, dass eine rechtsgeschäftliche Erklärung in fremdem Namen den Namensträger nur dann verpflichten kann, wenn ausreichende Vertretungsmacht oder nachträgliche Genehmigung des Namensträgers vorhanden sind oder die Grundsätze über Anscheins- oder Duldungsvollmacht greifen, stellt der BGH fest, dass die Verwendung der eBay-Zugangsdaten durch den Ehegatten ohne Wissen und Einverständnis des Kontoinhabers diesen vertraglich nicht verpflichten kann. Auch wenn eBay-Zugangsdaten eine Identifikationsfunktion im Rechtsverkehr zukommt und im deliktischen Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes schon die sorglose Verwahrung von Zugangsdaten einen eigenständigen Zurechnungsgrund bewirke, würde im Vertragsrecht das Risiko der fehlenden Vertretungsmacht des Handelnden grundsätzlich beim Geschäftsgegner liegen und nicht beim Namensträger. Ohne die zusätzlichen Voraussetzungen für eine Anscheins- oder Duldungsvollmacht genieße der Geschäftsgegner demnach auch im Online-Rechtsverkehr keinen besonderen Schutz; daran kann nach Ansicht des BGH auch die besondere Identifikationsfunktion der Zugangsdaten eines eBay Accounts nichts ändern.
[11]
Wie der BGH schließlich auch noch festhält, kann mangels ihrer unmittelbaren Geltung inter partes auch aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay, wonach Mitglieder grundsätzlich für sämtliche Aktivitäten unter ihrem Account haften, keine vertragliche Haftung des Namensträger gegenüber dem Geschäftsgegner abgeleitet werden.

3.3.

Bedeutung für das beschriebene Fallbeispiel ^

[12]
Die Ansätzen des deutschen BGH sind gut auf das beschriebene Fallbeispiel umzulegen: Nicht der Kaufinteressent selbst hat das Zuschlagsangebot über seine Registrierung abgegeben, sondern sein Sohn hat den Preis bestimmt und den Eingabebefehl erteilt. Das Auseinanderfallen des im geschäftlichen Verkehr nach außen hin auftretenden eBay-Accountinhabers von demjenigen, der mit seinem Handeln das Geschäft abschließt und dessen Inhalt bestimmt, impliziert ein Fremdgeschäft. Die Sorgfalt des Kontoinhabers mit seinen Zugangsdaten und die damit verbundene Zurechnung spielt im Lichte der dahingehend doch voneinander abweichenden BGH-Entscheidungen eine interessante Rolle:
[13]
In der Entscheidung „Halzband“ im Jahr 2009 misst der BGH der „besonderen“ Identifikationsfunktion von eBay-Zugangsdaten noch eine derart „besondere“ Bedeutung für den vertraglichen und vorvertraglichen Bereich bei, dass bereits deren „unsorgfältige Verwahrung“ per se einen eigenen Zurechnungs- bzw. Haftungsgrund darstellt. Diesen besonderen Haftungsmaßstab begründet er damit, dass bei Briefpapier, Namen oder Adresse im Unterschied zu eBay-Zugangsdaten die unberechtigte Verwendung im Geschäftsverkehr bekannt(er) sei. Das mag daran liegen, dass es in der Entscheidung „Halzband“ um ein Einstehenmüssen für die unberechtigte Verwendung von Zugangsdaten im deliktischen Bereich gegangen ist. In „eBay-Account II“ weicht der BGH im Jahr 2011 jedoch zumindest für den vertraglichen Bereich davon ab, an die einen Missbrauch zulassende Verwahrung von eBay-Zugangsdaten per se einen speziellen Haftungsmaßstab zu knüpfen. Nach der in „eBay-Account II“ vertretenen Rechtsansicht genießt der Geschäftsgegner im Online-Rechtsverkehr unter Verwendung von eBay-Zugangsdaten keinen besonderen Schutz. Zwischenzeitig ist nach Auffassung des Gerichts auch im Onlinebereich das Bewusstsein um Missbrauchsmöglichkeiten gestiegen; damit wird es auch im geschäftlichen Verkehr als bekannt angesehen, dass unter einem (auf eBay) registrierten Mitgliedsnamen nicht ausschließlich dessen tatsächlicher Inhaber auftreten kann:6 Die Identifikation durch unberechtigt verwendete eBay-Zugangsdaten wird vom BGH dem allgemeinen Stellvertretungsrecht unterstellt; die Zurechnung für unberechtigte Verwendung eines Accounts den Kriterien über die Anscheins- und Duldungsvollmacht zugeordnet. Unter Verweis darauf, dass zwar im Deliktsrecht der Schutz absoluter Rechte Vorrang vor den Interessen des Schädigers genieße, spricht der BGH klar aus, dass bei der Abgabe von auf den Abschluss eines Vertrages gerichteten Erklärungen eine Einstandspflicht desjenigen, der eine unberechtigte Nutzung seines passwortgeschützten Mitgliedskontos ermöglicht hat, nur dann gerechtfertigt ist, wenn die berechtigten Interessen des Geschäftspartner schutzwürdiger sind als seine eigenen Belange. Zusätzliche Voraussetzung für eine Zurechnung ist daher ein vom Vertretenen schuldhaft verursachter Rechtsschein, dass er die unberechtigte Verwendung seiner Daten kenne bzw. billige.7
[14]
Das im geschäftlichen Verkehr zwischenzeitig vorhandene Bewusstsein über die Möglichkeiten einer missbräuchlichen Verwendung von Zugangsdaten beeinflusst demnach die Zurechenbarkeit der elektronischen Willenserklärung;8 es verlangt die schuldhafte Verursachung eines Rechtsscheins, die bloße Identifikationsfunktion eines Zugangsaccounts alleine begründet dem BGH folgend kein hinreichendes Zurechnungsprinzip auf den eBay-Kontoinhaber.9 Der Schutzanspruch des Geschäftspartners auf wirksamen Vertragsschluss wird durch die – als bekannt vorauszusetzenden – Missbrauchsmöglichkeiten von Onlinezugängen relativiert. Die (vertragliche) Haftung des Accountinhabers für missbräuchliches Handeln unter seinem Namen ist an seinem gesamten Verhalten im geschäftlichen Verkehr zu messen. Dabei begründet auch ein geringer(er) Sorgfaltsmaßstab bei Verwahrung der Zugangsdaten per se keine vertraglichen Verpflichtungen.
[15]
Beurteilt man nunmehr für das vorliegende Fallbeispiel die Rechtsverbindlichkeit des Kaufvertrages nach den Kriterien des Stellvertretungsrechts, könnte der Sohn mit seiner zumindest beschränkten Geschäftsfähigkeit nach allgemeiner Ansicht wirksam vertreten;10 seine Erklärung kann – sofern die Regelung der Rechtsscheinhaftung Anwendung finden – dem scheinbar vertretenen Vater zurechenbar sein. Mit Blick auf die Grundsätze der Anscheinsvollmacht, wonach das Vertrauen des Dritten auf einen äußeren Tatbestand durch Rechtsschein vorhanden sein muss, der durch den Vollmachtgeber verursacht worden ist,11 werfen die Ansätze des BGH aber doch mehrere Fragen auf, die in der Rechtsanwendung künftig noch zu beantworten sein werden: Inwieweit kann beim anonymisierten Kontrahieren auf eBay beim Geschäftsgegner ein dem Vater zurechenbarer „äußerer Anschein“ ausgelöst werden? Kann das (kurze) Verlassen des Raumes und die dadurch dem Sohn faktisch eröffnete Möglichkeit zur unberechtigten Verwendung des eBay-Accounts die Kriterien eines schuldhaft verursachten Rechtsscheins erfüllen, der die Heranziehung der Kriterien für eine Rechtsscheinvollmacht zum Schutz des Vertrauens auf einen äußeren Tatbestand rechtfertigen kann. Wurde dadurch, dass ein minderjähriger Jugendlicher (einmalig?) für kurze Zeit unbeaufsichtigten Zugang zu einem eBay-Account hat, vom Vater ein „äußerer Tatbestand“ geschaffen, dass er die fremde Nutzung seines Accounts zumindest fahrlässig kenne bzw. billige?
[16]
Nach dem Verschuldensprinzip soll es für eine Zurechnung durch veranlassten Rechtsschein darauf ankommen, ob bei ausreichender Sorgfalt der Anschein der Willenserklärung hätte verhindert werden können. Ab wann von einer solchen Sorgfaltswidrigkeit eines eBay-Accountinhabers ausgegangen werden kann, dass ihm eine Fremderklärung zuzurechnen ist, bleibt offen. Die sorglose Verwahrung der Zugangsdaten per se – so der BGH – soll dafür nicht ausreichen. Ob im vorliegenden Fall dem Vater die Schaffung einer besonderen Gefahrensituation anzulasten ist, durch welche er beim Geschäftsgegner den Anschein seines Zuschlaggebotes adäquat verursacht hat, wird wohl im Rahmen einer Beweiswürdigung im Einzelfall zu klären sein. Bei der Beurteilung wäre es wünschenswert, auch auf das Verhalten des durchschnittlichen Internetbenutzers und den Umgang mit Passwörtern im Alltag abzustellen und die Sorgfaltsmaßstäbe trotz oder wegen der zwischenzeitig gebotenen Sensibilität um Fremdeinwirkungen nicht zu überspannen.

4.

Ergebnis ^

[17]
Das beschriebene Fallbeispiel zeigt im Lichte der dazu in Deutschland bereits ergangenen Rechtsprechung Probleme auf, die im alltäglichen Umgang mit dem Internet auftreten und in der Rechtsanwendung zu lösen sind. Es lassen sich dabei die allgemeinen Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre und die vorhandenen Rechtsinstrumente heranziehen; allerdings müssen Wege gefunden werden, diese auf die neue(n) Situation(en) anzuwenden.
[18]
Die Nutzung der elektronischen Kommunikation bewirkt eine Anonymisierung der kontrahierenden Personen; die Entpersonifizierung bedeutet ein zusätzliches Maß an Intransparenz und löst besondere Risiken aus. Im vorliegenden Fall das erhöhte Risiko des auf eBay registrierten Kaufinteressenten, dass durch einen Dritten für ihn ein Vertrag geschlossen wird, der ihn zur Zahlung eines Kaufpreises verpflichtet und gleichzeitig aber das Risiko für den Geschäftsgegner, dass gar nicht derjenige handelt, der ihm gegenüber auftritt und gar kein wirksamer Vertrag geschlossen wird. In dieser Risikosphäre ist der Schutzanspruch des geschäftlichen Verkehrs um das mittlerweile als vorhanden vorauszusetzende Bewusstsein von unberechtigter und missbräuchlicher Verwendung zu erweitern und die Bedeutung der Identifikation durch Zugangsaccounts zu relativieren.
[19]
Die Gesetzgebung reagiert umfassend auf die neuen Herausforderungen und Risiken durch zahlreiche besondere Regelungen über den elektronischen Verkehr; sei es durch Informationspflichten in den Vorgaben des E-Commerce-Gesetz und besondere Regelungen des Verbraucherschutzes im Fernabsatz genauso wie durch spezielle Regelungen des Signaturgesetzes zur gesicherten und identifizierbaren Verwendung digitaler Unterschriften. Den hier behandelten Missbrauchsfällen kann angesichts der mit digitalisierter Kommunikation untrennbar verbundenen Anonymisierung und Entpersonifizierung aber nicht vollständig begegnet werden. Hier liegt es an der Rechtsanwendung, vor allem durch die Gerichte, auf den Wandel der Zeit und die Veränderungen zu reagieren. Die Gefahren des elektronischen Verkehrs müssen in ihren spezifischen Formen erkannt werden und sind dann mit den vorhandenen Rechtsinstrumenten zu lösen. In die Beurteilung soll dabei aber gerade die mittlerweile alltäglich gewordene Nutzung der elektronischen Kommunikation in nahezu allen gesellschaftlichen Teilbereichen genauso einfließen wie das Wissen um die damit einhergehende missbräuchliche Verwendung.

5.

Literatur ^

Borges, Georg, Rechtsfragen des Phishing - Ein Überblick, NJW 2005, S. 3313.

Gurmann, Stefan, Internet-Auktionen, Springer, Wien (2005).

Janisch, Sonja, Mader, Peter, E-Business4, Lexis Nexis, Wien (2011).

Kletečka, Andreas, Schauer, Martin (Hrsg.), ABGB-ON 1.00, Manz, Wien (2010).

Koziol, Helmut, Bydlinski, Peter, Bollenberger, Raimund (Hrsg.), Kommentar zum ABGB3, Springer, Wien (2010).

Staudegger, Elisabeth, BGH: Haftung für eBay-Account, jusIT 2009/71.

Staudegger, Elisabeth, BGH: Haftung für über eBay-Account abgegebene rechtsgeschäftliche Erklärungen, JusIT 2011/68.

Zib, Christian, Electronic Commerce und Risikozurechnung im rechtsgeschäftlichen Bereich, ecolex 1999, S. 230.

Zib, Christian, Haftung bei missbräuchlicher Inanspruchnahme von Telefondienstleistungen durch Dritte, MR 2005, S. 396.

  1. 1 Im Folgenden wird die Rechtsverbindlichkeit der in dieser Konstellation abgegebenen elektronischen Zuschlagserklärung beleuchtet. Die in der Rechtsanwendung gleichermaßen interessanten Fragestellungen bei Internet-Auktionen hinsichtlich nachträglicher Korrektive durch Rücktrittsrecht im Verbraucherbereich, Irrtumsanfechtung oder Anwendbarkeit der laesio enormis bleiben außer Betracht; dazu wird zum aktuellen Stand auf Janisch, S., Mader, P., E-Business4 (2011), S. 82ff. und die darin enthaltenen Literatur- und Rechtsprechungsnachweise verwiesen.
  2. 2 § 861 ABGB.
  3. 3 OGH vom 7.8.2007, 4 Ob 135/07t m.w.N.; OGH vom 16.04.2009, 2 Ob 137/08y; Gurmann, S., Internet-Auktionen (2005), S. 80; Wiebe, A. in Kletečka, A., Schauer, M. (Hrsg.), ABGB-ON 1.00, § 861, Rz. 22 m.w.N.; Janisch, S., Mader, P., E-Business4, S. 82 ff.
  4. 4 BGH vom 22.4.2009, I ZR 114/06 („Halzband“); Staudegger, E., BGH: Haftung für eBay-Account, jusIT 2009/71.
  5. 5 BGH vom 11.5.2011, VIII ZR 289/09 („eBay-Account II“); Staudegger, E., BGH: Haftung für über eBay-Account abgegebene rechtsgeschäftliche Erklärungen, JusIT 2011/68.
  6. 6 BGH „eBay-Account II“, Rz. 18: Unter Verweis auf Borges, G., Rechtsfragen des Phishing - Ein Überblick, NJW 2005, S. 3313 ff. und den darin angeführten vielfältigen Möglichkeiten des Ausspähens und „Diebstahls“ von Zugangsdaten spricht der BGH aus, dass nicht zuverlässig darauf geschlossen werden könne, dass unter einem registrierten Mitglied ausschließlich dessen tatsächlicher Inhaber auftritt.
  7. 7 BGH „eBay-Account II“, Rz. 19.
  8. 8 Zu den Besonderheiten der elektronischen Willenserklärung und Zurechnung Wiebe, A. in Kletečka, A., Schauer, M., ABGB-ON 1.00, § 863, Rz. 28 ff. m.w.N.
  9. 9 So auch Zib, Ch., Electronic Commerce und Risikozurechnung im rechtsgeschäftlichen Bereich, ecolex 1999, S. 230 (233); Zib, Ch., Haftung bei missbräuchlicher Inanspruchnahme von Telefondienstleistungen durch Dritte, MR 2005, S. 396 (400 f.) zu OGH 1 Ob 244/02t.
  10. 10 Perner, S. in Kletečka, A., Schauer, M., ABGB-ON 1.00, § 1018, Rz. 1 m.w.N.
  11. 11 Zu den Voraussetzungen der Anscheinsvollmacht Bydlinski, P. in Koziol, H., Bydlinski, P., Bollenberger, R., Kommentar zum ABGB3 (2010), § 1029, Rz. 6 ff.; Perner, S. in Kletečka, A., Schauer, M., ABGB-ON 1.00, § 1029, Rz. 7 ff. m.w.N.