Jusletter IT

Der ohnmächtige Leviathan im Internet

  • Authors: Robert Müller-Török / Werner Faßrainer
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Internet-Governance
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2012
  • Citation: Robert Müller-Török / Werner Faßrainer, Der ohnmächtige Leviathan im Internet, in: Jusletter IT 29 February 2012
Der Beitrag wird mit einer mediengeschichtlichen Begriffsklärung eröffnet. Hierbei werden die Begriffe„ privat“ und „öffentlich“ aufgegriffen und sowohl mediengeschichtlich als auch hinsichtlich ihrer philosophischen Fundierung erörtert. Die Betrachtung des Begriffes „öffentlich“ spielt dabei eine besondere Rolle, insofern er in seinem Bezug zum technologischen Wandel einer Bedeutungsüberprüfung unterzogen wird. Nach der Darstellung dieses Problembezirks wird der Staat als Garant des Privaten und die Substitution der privaten Rechtsdurchsetzung im Spannungsfeld der Hoheitsaufgaben des Staates und der Freiheit der Bürger untersucht. Inwiefern der Schutz des „Privatlebens“ durch den Staat noch gewährleistet werden kann und welche Eingriffe im scheinbaren Widerspruch dazu in das „Privatleben“ erforderlich erscheinen, wird eine zentrale Fragestellung sein. Hier stehen wir in der Gegenwart. Wir stellen die Frage, ob der Staat in Anbetracht der modernen Technik die Garantie des "Privaten" überhaupt noch zu leisten vermag. Der medial induzierte Bedeutungswandel der „Idee von Öffentlichkeit", der „Medial Turn“ betrifft uns alle, vor allem aber den Staat, an dessen Substanz, ja Existenz(berechtigung) er geht. Unsere These ist: „Das klassische Staatskonzept, das auch dem Völkerrecht zu Grunde liegt, wonach ein Staat über ein von einem Staatsvolk bewohntes Staatsgebiet die Staatsgewalt ausübt, ist durch insbesondere das Internet vollkommen in Frage gestellt“. Einige praktische Beispiele werden diese These unterstützen und darlegen, dass wesentliche Teile der Rechtsordnung faktisch nicht mehr durchsetzbar sind, z. B. das Vereins- und Versammlungsrecht des 19. Jahrhunderts ist auf Facebook, Skype etc. nicht effektiv anwendbar. Dabei spielt der Globalisierungsgedanke eine besondere Rolle: Die Grenzen der Nationalstaaten sind in der Wirklichkeit der „medialen Welt“ sozusagen aufgehoben und daher ist auch der Begriff des Staates, wie wir ihn kennen, in seinem Begriff fragwürdig geworden. Aus den genannten Argumenten resultieren staatsphilosophische Schlussfolgerungen, mit denen unser Beitrag schließt.
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Eine philosophische Abhandlung zeichnet sich seit jeher dadurch aus, dass sie ihre Voraussetzungen benennt und ihre Begriffe sorgsam entfaltet. Beides ist notwendig zur Vermeidung einer isolierten Auslegung herausgegriffener Phänomene.
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Das Internet ist einerseits ein weltweites Rechennetzwerk und andererseits eine „Medienplattform“, die sozusagen viele einzelne Medien in sich vereint. Was ist nun ein Medium? In seinem Buch „Philosophie nach dem Medial Turn“ führt Stefan Münker eine umfassende Aufzählung an, die er umsichtig mit Verweisen auf andere Autoren absichert: die grundlegendste Definition des Mediums ist die des „Dazwischen“1 und: wo es Medien gibt, muss es Distanz gegeben haben2 .
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Hinsichtlich der Mediengeschichte ist zu sagen, dass in der abendländischen Geschichte verschiedene Phasen zu beobachten sind, die sich aus hier nicht näher auszuführenden Gründen ereignet haben. Die erste Phase ist die Versammlungskommunikation: Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die Kommunikationspartner am gleichen Ort physisch anwesend sein müssen, dass der kommunikative Austausch gleichzeitig stattfindet und dass die an der Kommunikation Beteiligten über die gleichen Medien (Sprache, Gestik, Mimik) verfügen, derer sie sich selbst bedienen3 . Als bekanntes Beispiel kann die Versammlungskommunikation des antiken Athen (Volksversammlung, Ekklesia) genannt werden. Gleichzeitig beobachtete man in der gesamten Geschichte zufällige Kommunikation. Batinic und Appel sprechen in diesem Zusammenhang von der „okkasionalen Öffentlichkeit“4 . Die nächste Phase bedarf einer „Fernkommunikation“, einer Lösung von der physischen Versammlungskommunikation, diese zeichnet sich durch eine evolutionäre Medienent-wicklung aus5 .
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Das Mittelalter ist noch stark von den Formen der Versammlungskommunikation geprägt, jedoch ist ein differenzierter Nachrichtenaustausch über Distanzen zu beobachten. So wurden Nachrichten zugänglich durch Reisende, Pilger, Händler, fahrende Sänger und Spielleute, Herolde, später durch Briefwechsel und ein beginnendes Postsystem6 . Mit diesen und weiteren zunehmenden Differenzierungen kommt es zu einer zweiten Phase der Kommunikationsgeschichte, die bis Ende des 19. Jahrhunderts andauert. Ihre Kennzeichen sind die Trennung von Mitteilung und Vermittlung, die rationellere Ausgestaltung der Kommunikation über Distanzen und die zunehmende Konzentration der Kommunikationsvermittlung7 . Deutlichstes Beispiel ist die Entstehung der Zeitung als erstes Massenmedium aus den handgeschriebenen Vorläufern, so die erste periodische Zeitung, die so genannte „Relation“, die vermutlich seit 1605 wöchentlich von Johann Carolus in Straßburg in deutscher Sprache herausgegeben wurde8 .
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Mit der Nutzung der Elektrizität beginnt die dritte Phase. Diese kann mit der Schlagzeile „Vom Telegraphen zum Internet“ beschrieben werden. Hier ist im Gegensatz zu den vorigen Phasen ein Dialog mit elektronischen Medien möglich9 . Clark and Brennon10 fordern für diese Kommunikation eine gemeinsame Wissensbasis („common ground“). Diese kann durch folgende Merkmale erreicht werden:
  • Kopräsenz (A und B teilen dieselbe physische Umgebung)
  • Sichtbarkeit (A und B sehen einander)
  • Hörbarkeit (A und B kommunizieren durch Sprechen)
  • Synchronizität (B empfängt die Botschaft zum Zeitpunkt, zu dem A sendet)
  • Simultaneität (A und B können jeweils gleichzeitig senden und empfangen
  • Sequenzialität (Die Reihenfolge der Beiträge bleibt erhalten)
  • Wiederverwendbarkeit (Botschaften sind speicherbar und damit wiederverwendbar)
  • Überarbeitbarkeit (Botschaften können vor dem Senden editiert werden).
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Aus diesen historischen Betrachtungen ergibt sich, dass sich das Medium, als das „Dazwischen“ in der Geschichte grundlegend gewandelt hat. Folgende These scheint möglich: Je mehr „Technik“, im neuzeitlichen Sinn, desto weniger „Gleichzeitigkeit“ in der Übertragung. Was bedeutet das? Es bedeutet zunächst, dass die Frage nach der Technik wenigstens angedeutet werden sollte, um dem „ohnmächtigen Leviathan“ im Internet auf die Spur zu kommen.
[7]
Das deutsche Wort „Technik“ geht zurück auf das griechische Wort téchne. Téchne bedeutet für Aristoteles eine besondere Weise des wissenden Verhaltens des Menschen und wird von der empeiria (Erfahrung) unterschieden. Die téchne ist damit ein Wissen zum Zweck eines bestimmten Bewirkens im Sinne eines Hervorbringens und Herstellens. Deswegen kann téchne auch mit „Kunst“ übersetzt werden, den griechischen Technik-Begriff finden wir heute noch unmittelbar, wenn wir von der „Technik des Malers“ sprechen11 .
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Das direkte Ausnützen der Winde, das Bauen von Schiffen und Windmühlen können wir nachvollziehen und beobachten. Wir sehen quasi die unmittelbaren (handwerklichen) Kräfte, die beispielsweise beim Schiffsbau wirken. Bei der „modernen Maschinentechnik“ kommt es zu einer wesentlichen Veränderung: Die direkte Beobachtung der Arbeitsvorgänge eines Computers ist dem Menschen nicht mehr möglich. Die Implikationen, die sich hieraus ergeben, sind insbesondere von Martin Heidegger in seinem Aufsatz „Die Frage nach der Technik“12 sowie in den „Leitgedanken zur Entstehung der Metaphysik, der neuzeitlichen Wissenschaft und der modernen Technik“13 niedergelegt und vertieft worden. Wir brechen hier ab und kommen zur Begriffsbestimmung der Privatheit und Öffentlichkeit. Hinsichtlich der Begriffe „privat“ und „öffentlich“ ist festzuhalten:
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privat Adj std. (16. Jh.). Entlehnt aus l. privatus, eigentlich „abgesondert (vom Staat)“, dem PPP. Vom l. privare (privatum) „berauben, absondern“, zu l. privus „eigentümlich, eigen, einer Sache beraubt, für sich bestehend“. Verb: privatisieren.14
[10]
In Analogie zum Begriff des „Man“ nach Martin Heidegger gilt für das Öffentliche, dass es nicht „existiert“, sondern sich als Existenzial konstituiert: „Abständigkeit, Durchschnittlichkeit, Einebnung konstituieren als Seinsweisen des Man das, was wir als „die Öffentlichkeit“ kennen. Sie regelt zunächst alle Welt- und Daseinsauslegung und behält in allem Recht. Und das nicht auf Grund eines ausgezeichneten und primären Seinsverhältnisses zu den „Dingen“, nicht weil sie über eine ausdrücklich zugeeignete Durchsichtigkeit des Daseins verfügt, sondern auf Grund des Nichteingehens „auf die Sachen“, weil sie unempfindlich ist gegen alle Unterschiede des Niveaus und der Echtheit. Die Öffentlichkeit verdunkelt alles und gibt das so Verdeckte als das Bekannte und jedem Zugängliche aus.“15 . Somit ergibt sich, vereinfacht gesagt, dass die Öffentlichkeit sich aus dem Zusammenwirken und -spiel vieler Privater „entsteht“ und notwendigerweise ohne Private nicht sein kann.
[11]
In Bezug auf die von Clark und Brennon aufgestellten Begriffe wie Kopräsenz, Hörbarkeit, Synchonizität etc. wird deutlich, wie die Technik den Öffentlichkeitsbegriff gewandelt hat: War die Öffentlichkeit bisher geographisch beschränkt, weil das konstituierende Zusammenwirken und spiel vieler Privater räumliche Nähe, sprachliche Gemeinsamkeiten, Augen-Schein udgl. erforderten, so ist nun eine vielfach größere Öffentlichkeit herstellbar: Die attische Ekklesia, die auf das Fassungsvermögen der Agora und somit auf ein paar tausend Menschen beschränkt war, kann nun heute problemlos mit Millionen Weltbürgern durchgeführt werden, wobei Übersetzungsprogramme auch Sprachbarrieren überwinden können.
[12]
Der Staat kann das Öffentliche nur garantieren, wenn er auch das Private, i.e. das Eigentümliche, das Geraubte garantieren kann. Aus diesem Grunde bedarf er, wie nachstehend erläutert werden wird, eines Monopols auf Recht und Gewalt. Diese Staatsgewalt, die monopolartig innerhalb eines definierten Staatsgebietes und auf ein rechtsunterworfenes Staatsvolk ausgeübt wird, stellt nach dem Völkerrecht gemeinsam mit besagtem Staatsvolk und -gebiet das konstituierende Merkmal eines Staates dar. Die Monopolartigkeit der Ausübung ist deshalb so wichtig, weil sonst die Rechtsprechung und Rechtsdurchsetzung ebenfalls vom Staat getrennt, also privatisiert würde16 . Natürlich muss der Staat die Rechtsprechung und -durchsetzung gegenüber der gesamten, also gegenüber der durch den technologischen Wandel erheblich vergrößerten und differenzierten Öffentlichkeit leisten – die über die Grenzen seines Staatsgebietes offensichtlich hinausgeht.
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Folgt man Max Weber, so gilt: „Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines Gebietes – dies: das „Gebiet“ gehört zum Merkmal – das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht.17 . Bereits früher in diesem Hauptwerk postulierte Max Weber „Politischer Verband soll ein Herrschaftsverband dann und insoweit heißen, als sein Bestand und die Geltung seiner Ordnungen innerhalb eines angebbaren geographischen Gebiets kontinuierlich durch Anwendung und Androhung physischen Zwangs seitens des Verwaltungsstabes garantiert werden.“ sowie „Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges für die Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt“18 .
[14]
Daraus lässt sich ableiten, dass der Staat bzw. der politische Verband sein konstituierendes Merkmal verliert, wenn:

Innerhalb des Staatsgebietes sich jemand erfolgreich, nachhaltig und auf Dauer dem physischen Zwang des Verwaltungsstabes entziehen kann.

Die Ordnung auf einem Teil des Staatsgebietes nicht gilt bzw. nicht nachhaltig durchgesetzt werden kann.

Den anderen Rechtsunterworfenen die Inanspruchnahme des Gewaltmonopols somit keinen Nutzen stiftet und sie sich andere, effektive Autoritäten suchen, welche ihnen erfolgreich auf diesem (Teil-)Gebiet mit Gewalt erfolgreich zum Recht verhelfen können.

[15]
Die Parallelität zu Ereignissen der jüngsten Vergangenheit Europas, z. B. beim Zerfall der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien ist offensichtlich. Sobald es der jugoslawischen Bundesregierung nicht mehr möglich war, die Geltung der Ordnung in z. B. der Teilrepublik Slowenien durchzusetzen, fiel das Gebiet faktisch und später auch staatsrechtlich aus dem jugoslawischen Staatsverband heraus. Inwieweit es z. B. die Bundesrepublik Deutschland verkraftet, wenn sich die Facebookgruppe XYZ aus der (Rechts-)Ordnung herauslöst, bleibt offen.
[16]
Um nun systematisch zu untersuchen, inwieweit ein solcher Gewaltverlust im Internet zutrifft, sind folgende Beobachtungen, Eigenheiten des Internets von Interesse:
[17]
Der Ort, an dem Daten physisch gespeichert werden, ist im Internet irrelevant, jedenfalls problemlos binnen Sekundenbruchteilen aus dem Staatsgebiet und damit dem Einflussbereich des Verwaltungsstabes entzieh- bzw. verschiebbar. Die Definition einer Cloud beinhaltet, dass die Daten zwischen den einzelnen Bestandteilen, Servern, Datenbanken etc. hin- und hergeschoben werden und es nur mit Aufwand nachvollziehbar ist, wo sich die Daten gerade physisch befinden – und regelmäßig befinden sich die Daten nicht auf dem Gebiet eines einzelnen Staates, weshalb die Praxis empfiehlt „Cloud-Services vertragen sich nur schwer mit den Vorgaben des deutschen Datenschutzes. Eine rechtskonforme Nutzung erfordert aufwendige vertragliche Regelungen, die eigentlich nur von großen Unternehmen erwirkt werden können.“19 . Es ist, insbesondere bei Netzen multinationaler Unternehmen wie Microsoft, Google, Facebook, Deutsche Telekom AG uvm. zweifelhaft, ob den Unternehmen im Einzelfall stets bewusst / bekannt ist, in welchem Hoheitsgebiet auf welchem Rechner sich bestimmte Daten gerade befinden – gerade bei redundanter Architektur mit Spiegelservern, Load-Balancing-Servern etc.
[18]
Die Ordnung auf einem Teil des Staatsgebietes nicht gilt bzw. nicht nachhaltig durchgesetzt werden kann. Hierzu gibt es noch verhältnismäßig wenig Judikatur, es scheint, als ob die Judikative ebenso wie die Legislative und Exekutive mit dem Phänomen vollkommen überfordert ist. Beispielhaft sei hier zitiert „As stated in the introduction, the Danish Data Protection Agency sees problems in a number of areas in relation to the requirements of the Act on Processing of Personal Data and the Executive Order on Security. Thus, the Danish Data Protection Agency does not concur with Odense Municipality's assessment that confidential and sensitive data about students and parents can be processed in Google Apps.“20
[19]
Da es Akteure gibt, die infolge ihrer rechtlichen Konstruktion nicht oder nur sehr, sehr eingeschränkt einem einzelnen Staat oder einem Supranationalstaat unterworfen sind. Unternehmen wie Google, Facebook etc. sind für einen einzelnen Staat faktisch kaum greifbar. Besonders innerhalb der Europäischen Union zeigt sich, dass auch die einzelnen Auffassungen der Mitgliedsstaaten unterschiedlich sind. So fand der Bericht der irischen Datenschutzbehörde zu Facebook vor kurzem nicht die ungeteilte Zustimmung der deutschen Datenschützer, Zitat „Der schleswig-holsteinische Landesdatenschützer Thilo Weichert wurde deutlicher: Er könne "nicht ganz die Schlussfolgerungen des Berichts verstehen, der eine Vielzahl von Datenschutzmängeln benennt, ohne deren Rechtswidrigkeit festzustellen". [...] Weichert stört auch, dass zu löschende Daten nicht umgehend und unwiederbringlich gelöscht würden. Die Schlussfolgerung der Iren, darin keine Rechtsverstöße zu sehen, zeige "ein erstaunliches Verständnis für angebliche Zwänge, die Facebook geltend macht".“21 .
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Ohne hier ins Anekdotische abgleiten zu wollen, sei anhand dieser nachvollziehbaren Beispiele festgehalten, dass die Realität des Internets dem einzelnen, klassisch-geographisch geprägten und mit einem territorial definiertem Gewaltmonopol bewehrten Staat nicht entspricht. Dieser betroffene Staat hat in dieser Situation nur drei mögliche Handlungsoptionen:
[21]
Kapitulation: Der Staat akzeptiert, dass es innerhalb seines Staatsgebietes einen Raum gibt, auf dem das Gewaltmonopol entweder gar nicht bzw. im Einzelfall nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand durchsetzbar ist (Option 1).
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Durchsetzung des Gewaltmonopols auch im Internet durch entweder Abschottung (Option 2), d.h. Reduzierung des Internet(gebrauchs) innerhalb des Staatsgebietes bzw. Zensur, Filterung von Inhalten etc.22 oder aber durch Kooperation mit anderen Staaten (Option 3).
[23]
Die Option 1 ist faktisch bereits auf Teilgebieten zur Anwendung gelangt: Dass z. B. eine Gruppe in einem sozialen Netzwerk wie Facebook einen Verein i.S.d. § 1 Vereinsgesetz 2002 - „Ein Verein im Sinn dieses Bundesgesetzes ist ein freiwilliger, auf Dauer angelegter, auf Grund von Statuten organisierter Zusammenschluss mindestens zweier Personen zur Verfolgung eines bestimmten, gemeinsamen, ideellen Zwecks.“ - darstellt, ist anzunehmen. Eine Bestimmung wie § 13 (1) leg. cit. „Ergeht binnen vier, im Fall einer Verlängerung gemäß § 12 Abs. 3 binnen längstens sechs Wochen nach Einlangen der Errichtungsanzeige keine Erklärung gemäß § 12 Abs. 1, so gilt das Schweigen der Vereinsbehörde als Einladung zur Aufnahme der Vereinstätigkeit.“ hingegen ist im Lichte der Technik irrelevant – ebenso wie die meisten anderen Bestimmungen des leg. cit. Es ist nicht anzunehmen, dass auch nur eine einzige solche Gruppe im österreichischen zentralen Vereinsregister registriert ist – oder gar, dass gegen alle nicht gesetzmäßig registrierten Gruppen seitens der österreichischen Vereinsbehörden vorgegangen würde.
[24]
Aus Sicht eines einzelnen Staates innerhalb der Europäischen Union ist wohl faktisch nur die Option 3 gangbar. Eine derartige Kooperation mit anderen Staaten wollen wir an dieser Stelle nicht bewerten, auch wenn einige Indizien aus der Praxis dazu verleiten würden, sondern einfach die wesentlichsten Kriterien anführen, welche eine solche Kooperation erfüllen muss, um die gewünschte Wirkung zu haben:
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Weltumfassung: Sämtliche Staaten, welche das Internet bilden, d.h. auf deren Staatsgebiet Daten gespeichert und verarbeitet und aus anderen Staaten adressiert werden können, müssen Teil dieser Kooperation sein.
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Effektivität: Wird auf Basis der Kooperationsvereinbarung ein bestimmter Rechtsakt gesetzt, z. B. die Löschung eines bestimmten Inhaltes verlangt, so muss dies schnell, d.h. binnen weniger Minuten, allenfalls Stunden exekutierbar sein23 . Im konkreten Fall hieße das, eine entsprechende Verfügung eines z. B. bayerischen Amtsgerichts, wonach ein bestimmtes Bild eines bestimmten Facebookbenutzers zu löschen sei, muss binnen kurzer Zeit auf dem gesamten Facebook – weltweit - umgesetzt sein. Die heute üblichen Verfahren der Amtshilfe bzw. der internationalen Vollstreckbarkeit solcher Titel sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht hinreichend, man denke hierbei an die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen24 oder den Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen.
[27]
Kostengünstigkeit: Die Erreichung einer derartigen Verfügung, d.h. der Zugang zum Recht, muss für den einzelnen Rechtsunterworfenen möglich sein. Wird z. B. die Löschung eines bestimmten, unvorteilhaften und unrechtmäßig aufgenommenen und „ins Netz gestellten“ Bildes verlangt und erwirkt, so dürfen keine prohibitiven Gebühren, Anwaltszwänge etc. anfallen. Sogar eine verhältnismäßig geringe Gebühr von pauschal 100 Euro ist für so manchen EU-Bürger zu hoch, da sie z. B. über 25 % des monatlichen ALG II-Regelsatzes (umgangssprachlich Hartz IV-Satz genannt) darstellt. Dazu kommt, dass diese Gebühr ja pro Einzelfall zu bezahlen wäre, also wenn z. B. fünf Bilder innerhalb eines Monats zeitversetzt publiziert würden, wären fünf Mal 100 Euro oder insgesamt 500 Euro fällig.
[28]
Schutz vor Missbrauch: Das gleiche Regelwerk, welches die zuvor aufgezählten Kriterien Weltumfassung, Effektivität und Kostengünstigkeit ermöglicht, muss zugleich effektiven Schutz vor Missbrauch bieten. Die Meinungsfreiheit und andere Grundfreiheiten müssen sichergestellt sein. Hier liegt, v.a. im Hinblick auf die höchst unterschiedlichen Rechtssysteme allein in der EU (bzw. dem Gültigkeitsbereich der EMRK), den USA und der Volksrepublik China die größte Herausforderung bei der Umsetzung. Es darf in extremo nicht möglich sein, dass ein Beschluss z. B. eines vatikanischen Gerichtshofes dazu führt, dass ein nach Ansicht der Gerichtsbarkeit des Vatikanstaates (= der katholischen Kirche) illegales (lies: ketzerisches) Buch binnen Stunden aus dem Internet gelöscht wird, weil der Kooperationsstaat Vatikan das für gut befindet, um anhand eines eher praktisch irrelevanten Beispiels25 zu demonstrieren, was für Fälle von Missbrauch hier auftreten könnten.

Schlussfolgerungen

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Wie gezeigt wurde, unterliegen die Medien einer Phasenentwicklung, bei der wir nun in der dritten Phase, den elektronischen Medien angekommen sind. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur im Zusammenhang mit einer philosophischen Frage nach der Technik gedacht werden können. Das Private als einerseits Gegensatz und andererseits konstituierender Bestandteil des Öffentlichen bedarf der Abgrenzung – sowohl gegenüber dem Öffentlichen als auch gegenüber den anderen Privaten. „Hüter dieser Grenze“, also Bewahrer der Rechtsordnung, Schiedsrichter etc. ist der Staat. Dieser übt innerhalb eines geographisch definierten Staatsgebietes auf ein Staatsvolk das Monopol physischer Gewalt, die sog. Staatsgewalt aus.
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Im Internet hingegen entsteht, bedingt durch die Technik, eine Wirklichkeit, in der Handlungen gesetzt werden, die dem staatlichen Gewaltmonopol entzogen sind bzw. sich einfach diesem entziehen können. Der einzelne Staat ist dagegen faktisch machtlos und hat nur drei mögliche Strategien, von denen die einzig gangbare, die Kooperation mit allen anderen Staaten nur äußerst schwierig umzusetzen scheint. Erschwerend kommt hinzu, dass die Rechtsordnung auf einem Stand der Technik basiert, der durch die technische Entwicklung insbesondere der letzten 15 Jahre wesentlich überholt wurde. Letztendlich steht der Staat z. B. mit einem im Kern der Mitte des 19. Jahrhunderts entstammendem Vereinsrecht der Realität von staatsgrenzenübergreifenden Gruppen in sozialen Netzwerken ähnlich hilflos gegenüber wie mittelalterliche Feudalherren mobilen Söldnerheeren, finanziert von Fernkaufleuten mit Wechseln und Schecks.
  1. 1 Münker, Stefan, Philosophie nach dem Medial Turn, transcript Verlag Bielefeld, 2009, S. 40
  2. 2 Ibid., S. 40.
  3. 3 Batinic, Bernad und Appel, Markus (Hrsg.), Medienpsychologie, Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2008, S. 48
  4. 4 Ibid., S. 47
  5. 5 Ibid., S. 49 und 73
  6. 6 Ibid., S. 51
  7. 7 Ibid., S. 73 f.
  8. 8 Ibid., S. 57
  9. 9 Ein Chat zweier Personen im heutigen Sinne wäre auch mit Morsetelegraphen technisch möglich, wenngleich weniger komfortabel, gewesen.
  10. 10 Costs of Grounding Approach, zitiert in Batinic, Bernad und Appel, Markus (Hrsg.), Medienpsychologie, Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2008, S. 209 f.
  11. 11 Biemel, Walter, Fortschritt der Technik – Fortschritt der Menschheit? in: Der Fortschrittsglaube – Sinn und Gefahren – Festschrift für Kardinal Dr. Franz König, herausgegeben von Ulrich Schöndorfer, Styria Verlag Graz/Wien/Köln (1965), S. 53 ff.
  12. 12 Heidegger, Martin, Die Frage nach der Technik, in: Vorträge und Aufsätze, Verlag Günther Neskie, Stuttgart 1997
  13. 13 Heidegger, Martin, Gesamtausgabe Band 76,Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt/Main 2009
  14. 14 Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Verlag Walter de Gruyter, Berlin/New York 2002, S. 721
  15. 15 Heidegger, Martin, Sein und Zeit, Max Niemeyer Verlag Tübingen 2001, S. 127
  16. 16 Es würde den Beitrag sprengen, hier auf die historische Entwicklung des staatlichen Gewaltmonopols aus der Sippenhaftung, Blutrache, genossenschaftlicher Gerichtsbarkeit der Germanen etc. herzuleiten. Die Autoren erlauben sich, dies gerade bei einem juristischen Publikum als bekannt vorauszusetzen.
  17. 17 Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft, Zweitausendeins, Frankfurt/Main 2005, S. 1043
  18. 18 Ibid., S. 39.
  19. 19 Heidrich, Jörg, Datenschutz in der Wolke, Spiegel vom 3.9.2011, http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,783446,00.html (per 9.1.2012)
  20. 20 Datatilsynet (Danish Data Protection Agency), Processing of sensitive personal data in cloud solution, 3.2.2011, http://www.datatilsynet.dk/english/processing-of-sensitive-personal-data-in-a-cloud-solution/ (per 9.1.2012)
  21. 21 Schulzki-Haddouti, Christiane: Deutsche Datenschützer kritisieren irischen Bericht zu Facebook, ZEIT ONLINE vom 23.12.2011, http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2011-12/facebook-irland-reaktionen (per 9.1.2012)
  22. 22 Chinas Internet-Zensur, Spiegel Online Netzwelt, Themenseite http://www.spiegel.de/thema/zensur_im_internet/ (per 9.1.2012)
  23. 23 Jede Sekunde, die dieses Bild auf dem beispielhaften Facebookprofil abrufbar ist, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es kopiert und auf anderen Rechnern erneut zur Verfügung gestellt würde.
  24. 24 Bei dem nach Artikel 1 (3) Dänemark explizit von der Anwendung ausgeschlossen ist.
  25. 25 Man erinnere an die Auseinandersetzung zwischen der Internetplattform Wikileaks und diversen US-Regierungsstellen betreffend die Veröffentlichung der Depeschen des State Departments vor etlichen Monaten.