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Die Entwicklung eines Risikobegriffs zur Anwendung auf den Einsatz automatisierter Systeme im Sinne des §49a VSTG

  • Author: Thomas Preiß
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Legal Informatics
  • Citation: Thomas Preiß, Die Entwicklung eines Risikobegriffs zur Anwendung auf den Einsatz automatisierter Systeme im Sinne des §49a VSTG, in: Jusletter IT 15 May 2013
The scope of this paper is to develop an abstract standard to assess risks of administrative procdures. As an introduction we identify the difference to «others» fields of risk research (eg effective fines, risk of accidents, risks of driver behaviour). We analyze the risk concept developed by Cranor to establish a legal risk analysis, then we formulate some ethical principles about the acting of authorities based on work of Böckenförde and Reeves. Finally, we present some results using Sartor's theory of factors and dimensions. These are used to define the aim of analysis performed by statistical software.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Risiko und Philosophie
  • 2.1. Der Begriff des Risikos
  • 3. Versuch einer Abstraktion
  • 4. Der Analyseprozess
  • 5. Zusammenfassung und weiteres Vorgehen
  • 6. Literaturverzeichnis

1.

Einleitung ^

[1]

Ziehen wir übliche Informationsquellen der Informationsgesellschaft1 heran, auf die sich die akademische «Community» nicht gerne bezieht, dann können wir nachlesen, dass der Begriff Risiko dem griechischen Wort für «Klippe» entstammt. Es ist also ratsam, diese zu umschiffen. Wie die Gefahr, die von einer Klippe ausgeht, noch nicht in ihrer Gesamtheit eingetreten sein muss, ist Risiko in diesem vereinfachten Sinn als eine mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintretende Gefahr zu verstehen. Gefahr wird als Bezeichnung für negative Auswirkungen verwendet.

[2]

In dem Kontext der Risiken, die im Zusammenhang mit Geschehnissen des Straßenverkehrs stehen, ist eine wissenschaftliche Diskussion hauptsächlich im Bereich der Schadensvermeidung oder Verhaltensanleitung zu finden.2 Diese Schadensereignisse sind aus Verletzungsmustern, ökonomischen Überlegungen zur Kostenstreuung bei Unfällen aufgrund von Regelübertretungen und Häufungen aufgrund von gleichzeitig auftretenden schadensrelevanten Umständen abgeleitet.

[3]

Automatische Überwachungsmethoden sind unter dieser allgemein gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen3 Betrachtungsweise als grundsätzlich begrüßenswert eingeschätzt. Eine Auswertung einer Neueinführung derartiger Systeme hat einen signifikanten Rückgang von Regelübertretungen aufgezeigt.4

[4]

Wir können daher den Großteil der wissenschaftlichen Werke im Zusammenhang mit dem möglichen Eintreten von Schadensereignissen bei Übertretungen von Regeln, die dem Verwaltungsrecht zuzurechnen sind, als ökonomische Betrachtungen darstellen. Diese allfällig auftretenden Schäden sind im Sinne eines Geldwertes zu bewerten und gleichsam im Sinne eines Versicherungsprinzips auf potentielle Schadensverursacher zur Kostentragung zu verteilen.

[5]

Im Unterschied dazu sollen unsere Studien dazu dienen, Risiken im Zusammenhang mit der Vollziehung von Recht, das bei der öffentlich-rechtlichen «Behandlung» eines der oben aufgezeigten Schadensereignisse anzuwenden ist, aufzuzeigen und in deren Auswirkungen zu untersuchen. Als Ausgangspunkt ziehen wir einige – auch höchstgerichtliche – Beispiele der Rechtsprechung5 heran.

[6]
Unterziehen wir diese einer Analyse, die in den folgenden Abschnitten noch genauer erläutert wird, erkennen wir, dass dem «Staat» mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintretende Ereignisse zuzurechnen sind, die mit negativen Auswirkungen behaftet sind.
[7]
Die Judikate, die wir der «Risikobewertung» zuordnen, zeigen, dass technisch festgestellte Eigenschaften im Zuge einer rechtlichen Bewertung durch den Staat nicht in Frage gestellt werden. Einem in diesem Sinne Beschuldigten stehen in der Regel dann kaum Möglichkeiten zur Verfügung, die in dieser Form ermittelten Daten rechtswirksam zu hinterfragen. Da der Staat als juristische Person durch Organ handelt, die Wertungen und Entscheidungen in dessen Namen vornehmen, ist deren Handlungsmaxime als in diesem Sinne risikobegründend besonders zu hinterfragen.
[8]
In den Bereich des «prozessualen Risikos» rechnen wir die Judikate ein, aus denen sich unterschiedliche Auslegungsarten von Verfahrensvorschriften ableiten lassen. Diese sind wohl aus dem durch den Gesetzgeber offengelassenen und durch die Lehre unterschiedlich aufgefassten Rechtscharakter mancher Verfahren6 erklärbar.
[9]

Abbildung 1 versucht nun, die «Risikosichtweisen» zu veranschaulichen: die «klassische Risikoforschung» bezieht sich auf den in «rot (durchgezogenen)» dargestellten Risikozusammenhang zwischen verpönter Handlung und möglicher negativer Auswirkungen durch diese; das Ziel unserer Arbeit ist durch den «grünen (punktiert)» Risikozusammenhang dargestellt. Das Handeln des Staats – in der Gestalt der Organe – kann in Bezug auf Bewertung und / oder Prozess risikobehaftet sein.

2.

Risiko und Philosophie ^

[10]
Dem wissenschaftlichen Diskurs wollen wir Grundsätze entnehmen, die auf risikobehaftete Handlungen der Organe des Staates anzuwenden sind.
[11]
Cranors7 vorrangiges Arbeitsgebiet ist die Untersuchung der ethischen Grundprinzipien, die vor allem bei einem risikoreichen Umgang mit toxischen Substanzen zu beachten sind. In diesem Sinne werden durch das Eintreten eines Risikos Eigenschaften eines Systems8 verändert. Die nun veränderten Eigenschaften des Systems werden im Allgemeinen als «geschädigt» bewertet.9
[12]

Cranor entwickelt zwei generelle Ideen als Richtschnur zur Risikobewertung.10

  • Der Prozess der Risikoidentifikation, -analyse und -bewertung ist dem «Schauplatz» der konkreten Fragestellung anzupassen.11
  • Die Ausgestaltung des Regulativs zum Management des betrachteten Risikos ist derart vorzunehmen, dass nicht massive Anstrengungen zur Vermeidung von Fehlern unternommen werden. Vielmehr soll danach getrachtet werden, die gewichtete Summe aller Fehler zu minimieren.12
[13]
Zur konkreten rechtsetzenden Handlung bedarf der Staat eines Organs, das dem mitunter abstrakten Auftrag des Gesetzes folgend diese Aufgaben erfüllt. Das Tun des Organs sich von einer bloßen, gleichsam «seelenlosen», Anwendung von geschriebenen Normen abhebt13 bedarf es der Konzeptionierung eines ethischen Vorgehens.
[14]
Sobald der Staat über eine Handlung einer der Hoheitsgewalt des Staates unterworfenen Person ein Unwerteurteil, das mit der Zufügung eines Übels14 behaftet ist, aussprechen möchte, kann dies nur durch Organe ausgeführt werden. Böckenförde15 spricht davon, dass der Kern der Berufsausübung der gesetzgebundenen Organe aus der kunstgerechten Interpretation und Anwendung der Gesetze besteht. Diese Interpretation und Anwendung hat einerseits Rechtsgüteüberlegungen im Sinne der Sicherstellung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens anzustellen. Andererseits die Bewahrung und Gewährleistung einer Verfassung entspringender Rechte, die wohl in ihrer Qualität ethisch-sittlicher und naturrechtlicher Fundamente bedürfen, als Maßstab zu berücksichtigen.16
[15]

In diesem Sinne sind auch Schriften bedeutender Gerechtigkeitstheoretiker17 zu verstehen, die Ethik18 mit der Frage der Begründung von Grundrechten, zu deren Inhalt ja auch verschiedenste Rechte in Bezug auf die staatliche Gerichtsbarkeit im weitesten Sinn zu zählen sind, verknüpfen. Dass die Wirkung einer Rechtsordnung in erheblichem Maße von der Art der Aufgabenerfüllung durch das jeweilige Organ abhängt, ist eine derart grundsätzliche Vorbedingung, dass der Gesetzgeber in Dienstrechtsgesetzen Dienstpflichten normiert hat.19 Noch den unscharfen Begriff des Risikos verwendend, sehen wir ein derartiges in einer nicht optimalen Aufgabenerfüllung des Organs, die unter anderem in einer fehlerhaften Rechtsanwendung und -interpretation bestehen kann.

[16]
In unserem Ansatz werden wir die ex ante und ex post Sichtweise eines Risikomanagementprozesses beschreiben. Vor allem die ex post Sichtweise zielt darauf ab20, nach Eintritt eines mit einem gewissen Risiko behafteten Ereignisses dessen Auswirkungen möglichst gering zu halten. Vor allem für zivilrechtliche Entscheidungen ist in diesem Sinne21 durch das recht setzende Organ des Staates22 zu bedenken, ob das allfällige Haftungsrisiko in gleichsam realistischer Weise auf einen Versicherer überwälzt werden kann; dazu kann auf die entsprechenden Bestimmungen etwa23 im Produkthaftpflicht-, Ärztehaftpflicht- und Umweltrecht verwiesen werden. Mit einem gewissen Risiko behaftet und ebenfalls in den Bereich einer ex post Sichtweise sind Änderungen der Rechtsprechung zugehörig. Ein Berücksichtigen von derartigen Änderungen ist im Rahmen eines Rechtsstreits wohl anzudenken.
[17]
Wohl vergleichbar mit der Ansicht Böckenfördes ist jene von Reeves, wobei er das Ethos des Juristen bereits auf eine moralische Ebene ausdehnt und aus dieser einen Begriff der Legitimität ableitet, der im Sinne einer Rechtfertigung des Einsatzes staatlicher Gewalt zu verstehen ist.24 Ist dieser Einsatz moralisch gerechtfertigt, ist dieser legitim. Handelt nun ein Organ des Staates derart, dann wird das Risiko einer ungerechtfertigten Anwendung von staatlicher Gewalt verringert oder gar minimiert.
[18]

Obschon Automatisierung zur Rechtsgestaltung oftmals als problematisch angesehen wird25, sind bereits im Rahmen der dargestellten Überlegungen folgende Punkte als relevant zu bezeichnen:

  • Es ist evident, dass automatisierte Verfahren allfällig risikobehaftetes juristisches Modellieren26 vervielfachen. Angesichts dessen ist daher die Sicherstellung der Legitimität des Prozesses und daraus folgend ein wirksamer Rechtsschutz zu überprüfen.
  • Entspricht die Einrichtung von Massenverfahren durch den Gesetzgeber einem legitimen Einsatz staatlicher Zwangsmittel, dann ist dies einer Überprüfung im Einzelfall auf «Schädlichkeit» zugänglich.
  • Es die Frage zu stellen, ob eine Moralität der beschriebenen Rechtsfindungsalgorithmen, wobei diese sich sicherlich auf die Fragen der ersten beiden Punkte bezieht, durch Methoden der Risikoanalyse gewährleistbar ist.
[19]
Wollen wir diese Fragen einer eingehenden Beleuchtung zuführen, dann werden wir mit der aktuell verfügbaren Begriffswelt, vor allem um das Risiko, scheitern. Es bedarf – in diesem Sinne sei auf den Gedanken Cranors verwiesen, der meint, dass juristische Risikoanalyse auf die konkrete Situation zugeschnitten sein muss27 – eines scharf abgegrenzten Risikobegriffs, der dann schließlich einer Analyse zum Aufbau von entsprechenden Vermeidungstrategien zugänglich ist.

2.1.

Der Begriff des Risikos ^

[20]
Die oben allgemeinen Überlegungen, die einerseits die Existenz einer risikobehafteten Rechtsanwendung nicht leugnen und andererseits ein Vorgehensmodell zur Hintanhaltung von aus dem jeweiligen Risiko entstehenden schädlichen Ereignissen bereitstellen wollen, vermeiden es, den Begriff des Risikos einer Definition zuzuführen. Dies wird vor allem damit begründet, dass dieser durch eine abstrakte Begrifflichkeit nicht fassbar sei und im Sinne des Prozessgedankens der jeweiligen zugrunde liegenden Rechtsmaterie zu entnehmen sei. Wohl die dazu führenden elementaren Gedanken28 sind auch für unserem Bereich der Rechtsmaterie zutreffend; aus der ebenfalls mitspielenden mathematischen Ecke ist dieser Umstand nicht zufriedenstellend. Noch einmal die Ausgestaltung eines Risikobegriffs in aktuell gültigen Normen untersuchend, wollen wir den Begriff des Risikos, der von einer fundamentalen Bedeutung der weiteren Ableitungen ist und daher dem erweiterten Feld europäischer und österreichischer Rechtsvorschriften entnommen ist, Struktur verleihen. Wir haben nun zwei grundsätzliche Erkenntnisse gewonnen, die für unsere weiteren Überlegungen des Risikobegriffs, über die der allgemeinen Lebenserfahrung herausgehenden Begrifflichkeit, heranzuziehen sind.
  • Die dem Staat zugeordnete Monopolstellung zur Rechtsfindung macht erforderlich, dass für die Handlungsfähigkeit des abstrakten Gebildes «Staat» natürliche Personen als Organe eingesetzt sind. Ihre Aufgabenerfüllung hat nach ethischen Grundsätzen zu erfolgen. («Prozessuales Risiko – risikobehaftete Rechtsanwendung»)
  • Der durch den Staat gesetzte Rechtsakt übt auf die «Lebenssituation» des Normunterworfenen unbestrittenermaßen eine Wirkung aus. Im rechtlichen Sinne wird die Qualität benannter Lebenssituation durch einzuräumende Rechte, deren Sicherstellung dem Staat obliegt, beschrieben. Ein Risiko ist dann gegeben, wenn besagte Wirkung im Falle des Eintretens die Lebenssituation negativ beeinflusst. («Risikobewertung»)

3.

Versuch einer Abstraktion ^

[21]

Die vorangehenden Überlegungen möchten wir nun zusammenfassen und auf unsere Problemstellung anwenden. Diese sind in ihrer Grundsätzlichkeit sowohl auf den Aspekt des «prozessualen Risikos» als auch der «Risikobewertung» anwendbar.

  • Der Aspekt der Ungewissheit wird durch Anwendung von Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnung abgebildet.
  • Das ungewisse Ereignis wird bewertet; dabei ist vorauszusetzen, dass eine geeignet definierte Maßfunktion vorliegt.
  • Sowohl der Charakter der Ereignisse als auch der anzuwendenden Maßfunktionen ist im Sinne des betrachteten «Systems» zu untersuchen.
  • Den Aspekt ethischer Überlegungen wird insoweit Rechnung getragen, als dass dem «System» zugehörige Individuen geeignete Einflußmöglichkeiten auf Parameter der Maßfunktion eröffnet sind.
[22]

Ein Versuch einer allgemeinen Definition kann folgendermaßen formuliert werden:

 

«Ein Risiko ist ein mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintretendes Ereignis, von dem eine Beeinträchtigung für grundrechtlichen Schutz erfahrende Rechtsgüter ausgeht. Der Gesetzgeber ist gefordert, entsprechende Bestimmungen zu deren Vermeidung innerhalb eines bestimmten Kontextes – eines Systems – zu erlassen.»

[23]
Diese Abstraktion berücksichtigt, dass der Verfassungs- und Grundrechtsgesetzgeber dafür Sorge getragen hat, dass ein durch den Staat durchgeführtes (Straf-)Verfahren immer diese Rechtsgüter zu berücksichtigen hat. Da der Staat durch Organe (oder durch diese zu vertretende technischen Systeme) handelt, ist eine Möglichkeit eines Falschhandelns gegeben. Die Forderung an die im letzten Satz angeführten Bestimmungen ergeben sich aus dem Gedanken, dass für den Betroffenen bestimmte Risiken dann akzeptabel sind, wenn auf deren Auswirkungen zumindest indirekt Einfluss genommen werden kann.29 Wo innerhalb des «Risikoprozesses»30 der Ansatzpunkt einer jeweiligen Maßnahme ist, macht deren Zuordnung im Rahmen der «ex ante» und «ex post» Sichtweise möglich. Wir bezeichnen diese Definition als die «grundrechtsbezogene Definition des Risikos».

4.

Der Analyseprozess ^

[24]

Der Analyse von Risiko hat eine umfassende Betrachtung des Systems31 voranzugehen. Die «Risikobewertung» im Bereich der automatisierten Verwaltungsstrafverfahren wird durch eine umfassende Datenbasis entsprechender IT—Systeme unterstützt.

[25]
Zur Illustration wird im Folgenden eine Datenbasis, die aus Zufallsdaten aufgrund der vorliegenden Grunddatenverteilung («Monte Carlo Methoden»32) erzeugt wurde, herangezogen.
[26]

Abbildung 2 zeigt einen Plot einer «logistischen Regression»33 bezüglich des festgestellten Übertretungsverhältnisses und der verwendeten Messgeräte. Das Ergebnis kann als Unterstützung der «Risikobewertung» herangezogen werden; hier erkennen wir, dass entsprechenden Verteilungen signifikant unterschiedlich sind. Nach Sartor 34 kann dies folgendermaßen beschrieben werden:

G = Wahl eines Geräts [zB.: A, B, C, D, E] (bool - factor)

\( \gamma^{A \vee ...\vee E}\)= «Eintreten der Tatsache G»

R = Übertretungsverhältnis («gefahrene zu gemessener Geschwindigkeit») (kontinuierlich - dimension)

Wir möchten nun folgende Theorie (Sartor verwendet folgenden Formalismus: «\(\uparrow^{\varphi }\)» ... «fördert», «verstärkt» Ergebnis \(\varphi\)) untersuchen.

Theorie: \( \gamma^{A \vee ...\vee E} \uparrow ^{R} \) ? = «Ist ein Zusammenhang zwischen gewähltem Gerät und dem gemessenen Übertretungsverhältnis feststellbar?»
Ergebnis: Die Analyse zeigt einen Zusammenhang auf, der durch detaillierte Untersuchungen in weiterer Folge zu prüfen ist.35
[27]
Eine Analyse des «prozessualen Risikos» kann durch eine Anwendung der Theorie von Faktoren und Dimensionen36 erfolgen. Zur Identifikation von Faktoren (factors – «bool’sche» oder zweiwertige Systemvariablen) und Dimensionen (dimensions – «kontinuierliche» Systemvariablen) verwenden wir die logistische Regression.37
[28]
Schlussfolgerungen auf Vorliegen eines «prozessualen Risikos» lassen sich im folgenden Beispiel durch das Vorliegen eines Berufungsbescheids erstellen. Gemäß der von Sartor definierten Beschreibung seien nun:

B = Abfertigung Berufungsbescheid (bool – factor)

\(\beta\) = «Eintreten der Tatsache B»

S = Automatischer Strafbescheid (bool – factor)

\(\sigma\) = «Eintreten der Tatsache S»

G = Höhe Geldbuße (kontinuierlich – dimension)

Wir möchten nun folgende Theorien untersuchen, wobei Abbildung 2 das Ergebnis für die erste Theorie darstellt.

Theorie 1: \(G\uparrow^{\beta}\) = «Beeinflusst die Höhe der Geldbuße, dass eine Berufung eingebracht wird?»

Theorie 2: \(G\uparrow^{\sigma}\) = «Beeinflusst die Höhe der Geldbuße, dass eine automatischer Strafbescheid erstellt wird?»

[29]
Abbildung 3 zeigt das Ergebnis der logistischen Regression für die erste Theorie. Damit ist (unter Berücksichtigung des 95% Konfidenzintervalls nachgewiesen, dass je höher die Geldbuße, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit der Berufung.
[30]
Ein analoges Ergebnis konnte auch bezüglich der zweiten Theorie erhalten werden.

5.

Zusammenfassung und weiteres Vorgehen ^

[31]
Ein nicht regelkonformes Verhalten von Mitgliedern einer Gemeinschaft führt zweifellos dazu, dass dieses für andere negative Auswirkungen hat. Vor allem in durch Verwaltungsrecht geregelte Bereiche des täglichen Lebens (wie der Straßenverkehr) sind diese ökonomischen Auswirkungen, die unmittelbar durch Einwirkungen dieses «risikobehafteten» Verhaltens entstehen.
[32]
Durch den Exkurs in die Rechtsphilosophie konnten wir zwei grundsätzliche Risikobereiche, die im automatischen Verwaltungsstrafverfahren anwendbar sind, die «Risikobewertung» und das «prozessuale Risiko» identifizieren. Aufgrund der in IT-Systemen vorliegenden Datenbasis konnten wir nachweisen, dass diese einer Analyse mit geeigneten Softwaresystemen zugänglich sind.
[33]
Die durch unsere in den vorigen Abschnitten hergeleitete «grundrechtsbezogenen Definition des Risikos» fordert eine mögliche Einflussnahme des Risikobetroffenen auf dessen Auswirkungen. Ergebnisse dieser Einflussnahme lassen sich exemplarisch durch eine Analyse eines «Berufungsverhaltens» gewinnen.38
[34]

In diesem Sinne ist interessant, dass ein Beschuldigter sehr schwer gegen «Methoden» der automatischen Überwachung, wie diese im §49a VStG vorgesehen sind, im Rahmen der Anwendung eines Rechtsmittels vorgehen kann. In der Judikatur der Unabhängigen Verwaltungssenate39 wird diesem die Beweislast auferlegt, die Fehlerhaftigkeit derartiger Überwachungseinrichtungen nachzuweisen.

[35]

Da dies schwer ist, muss unsere Modellierung des prozessualen Risikos in diesem Sinne erfolgen. Dies ist wiederum durch Anwendung statistischer Verfahren möglich, da nach den Bestimmungen des Mess- und Eichgesetzes (MEG) entsprechende Dokumentation zu erfolgen hat. In diesem Sinne wäre auch für den Gesetzgeber eine Orientierung an der durch den «Deutschen Verkehrsgerichtstag» beschlossenen Empfehlung40, die eine für den Beschuldigten bessere Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse einer automatischen Überwachung vorsieht.

[36]
Es ist zu betonen, dass der «Schädlichkeitsbegriff» in diesem Zusammenhang im Vergleich mit Risikoanalysen im Versicherungs-, Banken- oder Unfallforschungsbereich wesentlich abstrakter ist, da dieser auf Auswirkungen des rechtsetzenden Tuns von Organen des Staates aufsetzt. Dessen Analyse ist durch elektronische Hilfsmittel in indirekter Form unterstützt.
[37]
Vor allem der Aspekt der «Risikobewertung» ist mittels eines Softwaresystems gut analysierbar. Wie schon am obigen Ergebnis ersichtlich ist, können die Beziehungen der Systemvariablen zueinander auf deren Signifikanz untersucht und, auch in Hinblick auf deren Bedeutung für eine Analyse eines prozessualen Risikos, detailliert dargestellt werden.

6.

Literaturverzeichnis ^

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[Walter,Mayer] Walter, Robert, Mayer, Heinz, Verwaltungsverfahrensrecht, Manz, Wien (2003).

 

Thomas Preiß, Dissertant an der Universität Wien, Arbeitsgruppe Rechtsinformatik.

 


  1. 1 Hierzu suchen wir unter www.wikipedia.at den Begriff «Risiko».
  2. 2 Vgl. [Chen, Wilson, Meckle, Cooper], [Goerke], [Hössinger, Berger], [Kononen, Flannagan, Wang].
  3. 3 Vgl. [Goerke], 78: Hier wird die Effizienz von Strafen unter Beachtung des ökonomischen Aspekts der Regelübertretung gesehen. Interessant ist, dass Goerke die Unstrukturiertheit des österreichischen Systems als keiner wissenschaftlichen Betrachtung zugänglich einschätzt. («For these countries, a conformity of actual monetary sanctions with the requirements of efficient fines cannot be diagnosed»).
  4. 4 Vgl. [Chen, Wilson, Meckle, Cooper], 525: «The […] radar program appears to have been successful […]».
  5. 5 Aus der Judikatur des VwGH zur «Risikobewertung»: 2008/02/0334: «[...] das verwendete Radar-Geschwindigkeitsmessgerät vorschriftsmäßig geeicht war [...]»92/02/0097: «Gründen sich die Einwendungen des Beschuldigten auf bloße Vermutungen [...], so ist die Berufungsbehörde nicht gehalten [...]»Aus der Judikatur der UVS zum «prozessualen Risiko»:05/K/34/4637/2003: «[...] sind der Behörde anhand dieser ihr bekannten Daten amtswegige Erhebungen über Eingang und Zuordnung (Verwendung) der betreffenden Summe zumutbar.»Senat-WU-03-0338: «Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem §71 AVG ist auch bei Versäumung der Frist gem § 49a Abs 6 VStG zulässig.»20/3765/2-97br: «Dem Einzelnen steht kein durchsetzbarer Anspruch auf Erlassung einer Anonymverfügung zu. [...]» Aus der Judikatur des VwGH zum «prozessualen Risiko»: 91/03/0043: «Eine zusätzlich zur Radarmessung [...] erfolgte Schätzung der Fahrgeschwindigkeit, die mit dem Ergebnis der Radarmessung übereinstimmt, macht weitere Ermittlungen entbehrlich [...]»
  6. 6 [Fischerlehner], 93: Lehre und Rechtsprechung sind beispielsweise uneins bezüglich des Rechtscharakters der Anonymverfügung gem § 49a VStG. Manche Rechtsinstitute (zB Wiedereinsetzung) sind nur einer als Bescheid ergangenen Erledigung zugänglich.
  7. 7 Vgl. Verweise in [Cranor], 158f
  8. 8 Wir verwenden hier den Begriff eines Systems undefiniert; vorerst wollen wir hier darunter eine Menge von interagierenden Dingen verstehen.
  9. 9 Vgl. [Oberdiek], 369. «A risk is a probability of harm. »
  10. 10 Vgl. [Cranor], 153f
  11. 11 In diesem Sinne vergleicht Cranor die Beweislast, die im Straf- und Zivilprozess unterschiedlich gesehen wird. Im ersten Fall hat der Staat den Wahrheitsbeweis zu erbringen, im zweiten der, der das Vorliegen eines ihm zustehenden Rechts behauptet.
  12. 12 Hier sieht Cranor mitunter darin ein philosophisches Problem, dass der Utilitaritätsgedanken zu sehr in den Vordergrund tritt und der Aspekt des Systems in Sinne einer Gesamtheit auch im moralischen Sinne scheinbar an Bedeutung verliert.
  13. 13 Wir werden zeigen, dass diese einem vorerst abstrakten Guten verpflichtete Amtsauffassung auch in einem automatischen Rechtssetzungsverfahren möglich ist, wenn darauf folgende Rechtsakte und -möglichkeiten in entsprechender Art und Weise vorgesehen sind.
  14. 14 Vgl. [Walter,Mayer], Rz 704; ähnliches ist im Bereich des justiziellen Strafrechts zu finden, Vgl. [Kienapfel,Höpfel] Rz 2; üblicherweise hat der Strafrechtsgesetzgeber normiert, dass besagte, schuldhaft gesetzte Handlung verboten sei.
  15. 15 Vgl. [Böckenförde], 35.
  16. 16 [Böckenförde], 44 f.
  17. 17 Vgl. [Rawls, Sen]
  18. 18 Da der Begriff des Ethos bereits eingeführt wurde, wollen wir die Unterschiedlichkeit von Ethos und Ethik im Sinne Böckenfördes beleuchten: Ethik ist im Sinne des normativ Gesollten, Ethos im Sinne des faktisch Gelebten zu verstehen. Vgl. [Böckenförde], 9.
  19. 19 Diese sind in die Bedeutung des Ethosbegriffs Böckenfördes einzuordnen; der österreichische Gesetzgeber hat diese im § 43 BDG normiert. Durch deren teleologische Reduktion erkennen wir, dass als Subsidiärbestimmungen Aufgabenerfüllung und Vertrauenswahrung hervorzuheben sind. Die entsprechende Judikatur ist beispielsweise VwGH 15. September 1994, Zl 94/09/0111; VwGH 21. März 1991, Zl 91/09/0002; 18. November 1998, 96/09/0363; 21. Juni 2000, 97/09/0143; Vgl. auch DOK: 27. April 1999, 14/6-DOK/99.
  20. 20 Die folgenden Anmerkungen verwenden noch den Risikobegriff, der uns aus der allgemeinen Lebenserfahrung zugänglich ist.
  21. 21 Vgl. [Kramer], 239.
  22. 22 Hier sind Richter darunter zu verstehen.
  23. 23 Vgl. [Kramer], 255, 279.
  24. 24 Vgl. [Reeves], 321.
  25. 25 Vgl. [Schmied], worin eine dogmatische Kritik zur Abwicklung von verkürzten Verwaltungsstrafverfahren ausgesprochen wird. Weitere Anmerkungen in [Walter,Mayer].
  26. 26 Durch die Programmierung eines automatisierten Verfahrens werden die im Rahmen einer Analyse festgelegten Regeln technisch realisiert. Obwohl eine «goldene Regel» der Softwaretechnik besagt, dass es unmöglich ist, mit vertretbarem Aufwand eine Fehlerfreiheit zu garantieren ist wohl ein größeres Risiko darin zu sehen, dass die Regeln zur Rechtsgestaltung im Rahmen eines fehlerhaften Prozesses definiert wurden und so nach der Entsprechung eines juristischen Ethos im Sinne Böckenfördes, [Böckenförde], berechtigt gefragt werden kann.
  27. 27 [Cranor], 151.
  28. 28 Hier ist wiederum auf die genannte Arbeit Cranors zu verweisen.
  29. 29 Hier handelt es sich um die Einrichtung von Rechtsmittelinstanzen, Einsichts- und Überprüfungsrechte, Sicherstellungen in Bezug auf technische Systeme, etc.
  30. 30 Dieser ist in Abbildung 1 veranschaulicht.
  31. 31 Vgl. die einzelnen Systembegriffe nach [Cellier], 4—6.
  32. 32 Vgl. [SAS], Dokumentation zur Prozedur «PROC MCMC».
  33. 33 Vgl. [SAS], Dokumentation zur Prozedur «PROC LOGISTIC».
  34. 34 Vgl. [Sartor].
  35. 35 Dem allgemeinen Verständnis erscheint dies zu wiedersprechen. Eine weitere Analyse baut darauf auf, bestimmte Kriterien zur Klassifizierung heranzuziehen. Dies können zB Fahrzeugtyp, erlaubte Höchstgeschwindigkeit sein.
  36. 36 Vgl. wiederum [Sartor].
  37. 37 Vgl. [SAS], Dokumentation zur Prozedur «PROC LOGISTIC».
  38. 38 Diese wären dem «prozessualen Risiko» zuzuordnen.
  39. 39 Vgl. UVS Wien, 03/P/34/9120/2002.
  40. 40 Hierzu sei auf die Empfehlungen des Deutschen Verkehrsgerichtstages http://www.deutscher-verkerhrsgerichtstag.de/images/stories/ pdf/empfehlungen51vgt.pdf, Seite 4, abgerufen am 02. Februar 2013, verwiesen.