1.
Einleitung ^
Ziehen wir übliche Informationsquellen der Informationsgesellschaft1 heran, auf die sich die akademische «Community» nicht gerne bezieht, dann können wir nachlesen, dass der Begriff Risiko dem griechischen Wort für «Klippe» entstammt. Es ist also ratsam, diese zu umschiffen. Wie die Gefahr, die von einer Klippe ausgeht, noch nicht in ihrer Gesamtheit eingetreten sein muss, ist Risiko in diesem vereinfachten Sinn als eine mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintretende Gefahr zu verstehen. Gefahr wird als Bezeichnung für negative Auswirkungen verwendet.
In dem Kontext der Risiken, die im Zusammenhang mit Geschehnissen des Straßenverkehrs stehen, ist eine wissenschaftliche Diskussion hauptsächlich im Bereich der Schadensvermeidung oder Verhaltensanleitung zu finden.2 Diese Schadensereignisse sind aus Verletzungsmustern, ökonomischen Überlegungen zur Kostenstreuung bei Unfällen aufgrund von Regelübertretungen und Häufungen aufgrund von gleichzeitig auftretenden schadensrelevanten Umständen abgeleitet.
Wir können daher den Großteil der wissenschaftlichen Werke im Zusammenhang mit dem möglichen Eintreten von Schadensereignissen bei Übertretungen von Regeln, die dem Verwaltungsrecht zuzurechnen sind, als ökonomische Betrachtungen darstellen. Diese allfällig auftretenden Schäden sind im Sinne eines Geldwertes zu bewerten und gleichsam im Sinne eines Versicherungsprinzips auf potentielle Schadensverursacher zur Kostentragung zu verteilen.
Im Unterschied dazu sollen unsere Studien dazu dienen, Risiken im Zusammenhang mit der Vollziehung von Recht, das bei der öffentlich-rechtlichen «Behandlung» eines der oben aufgezeigten Schadensereignisse anzuwenden ist, aufzuzeigen und in deren Auswirkungen zu untersuchen. Als Ausgangspunkt ziehen wir einige – auch höchstgerichtliche – Beispiele der Rechtsprechung5 heran.
Abbildung 1 versucht nun, die «Risikosichtweisen» zu veranschaulichen: die «klassische Risikoforschung» bezieht sich auf den in «rot (durchgezogenen)» dargestellten Risikozusammenhang zwischen verpönter Handlung und möglicher negativer Auswirkungen durch diese; das Ziel unserer Arbeit ist durch den «grünen (punktiert)» Risikozusammenhang dargestellt. Das Handeln des Staats – in der Gestalt der Organe – kann in Bezug auf Bewertung und / oder Prozess risikobehaftet sein.
2.
Risiko und Philosophie ^
Cranor entwickelt zwei generelle Ideen als Richtschnur zur Risikobewertung.10
- Der Prozess der Risikoidentifikation, -analyse und -bewertung ist dem «Schauplatz» der konkreten Fragestellung anzupassen.11
- Die Ausgestaltung des Regulativs zum Management des betrachteten Risikos ist derart vorzunehmen, dass nicht massive Anstrengungen zur Vermeidung von Fehlern unternommen werden. Vielmehr soll danach getrachtet werden, die gewichtete Summe aller Fehler zu minimieren.12
In diesem Sinne sind auch Schriften bedeutender Gerechtigkeitstheoretiker17 zu verstehen, die Ethik18 mit der Frage der Begründung von Grundrechten, zu deren Inhalt ja auch verschiedenste Rechte in Bezug auf die staatliche Gerichtsbarkeit im weitesten Sinn zu zählen sind, verknüpfen. Dass die Wirkung einer Rechtsordnung in erheblichem Maße von der Art der Aufgabenerfüllung durch das jeweilige Organ abhängt, ist eine derart grundsätzliche Vorbedingung, dass der Gesetzgeber in Dienstrechtsgesetzen Dienstpflichten normiert hat.19 Noch den unscharfen Begriff des Risikos verwendend, sehen wir ein derartiges in einer nicht optimalen Aufgabenerfüllung des Organs, die unter anderem in einer fehlerhaften Rechtsanwendung und -interpretation bestehen kann.
Obschon Automatisierung zur Rechtsgestaltung oftmals als problematisch angesehen wird25, sind bereits im Rahmen der dargestellten Überlegungen folgende Punkte als relevant zu bezeichnen:
- Es ist evident, dass automatisierte Verfahren allfällig risikobehaftetes juristisches Modellieren26 vervielfachen. Angesichts dessen ist daher die Sicherstellung der Legitimität des Prozesses und daraus folgend ein wirksamer Rechtsschutz zu überprüfen.
- Entspricht die Einrichtung von Massenverfahren durch den Gesetzgeber einem legitimen Einsatz staatlicher Zwangsmittel, dann ist dies einer Überprüfung im Einzelfall auf «Schädlichkeit» zugänglich.
- Es die Frage zu stellen, ob eine Moralität der beschriebenen Rechtsfindungsalgorithmen, wobei diese sich sicherlich auf die Fragen der ersten beiden Punkte bezieht, durch Methoden der Risikoanalyse gewährleistbar ist.
2.1.
Der Begriff des Risikos ^
- Die dem Staat zugeordnete Monopolstellung zur Rechtsfindung macht erforderlich, dass für die Handlungsfähigkeit des abstrakten Gebildes «Staat» natürliche Personen als Organe eingesetzt sind. Ihre Aufgabenerfüllung hat nach ethischen Grundsätzen zu erfolgen. («Prozessuales Risiko – risikobehaftete Rechtsanwendung»)
- Der durch den Staat gesetzte Rechtsakt übt auf die «Lebenssituation» des Normunterworfenen unbestrittenermaßen eine Wirkung aus. Im rechtlichen Sinne wird die Qualität benannter Lebenssituation durch einzuräumende Rechte, deren Sicherstellung dem Staat obliegt, beschrieben. Ein Risiko ist dann gegeben, wenn besagte Wirkung im Falle des Eintretens die Lebenssituation negativ beeinflusst. («Risikobewertung»)
3.
Versuch einer Abstraktion ^
Die vorangehenden Überlegungen möchten wir nun zusammenfassen und auf unsere Problemstellung anwenden. Diese sind in ihrer Grundsätzlichkeit sowohl auf den Aspekt des «prozessualen Risikos» als auch der «Risikobewertung» anwendbar.
- Der Aspekt der Ungewissheit wird durch Anwendung von Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnung abgebildet.
- Das ungewisse Ereignis wird bewertet; dabei ist vorauszusetzen, dass eine geeignet definierte Maßfunktion vorliegt.
- Sowohl der Charakter der Ereignisse als auch der anzuwendenden Maßfunktionen ist im Sinne des betrachteten «Systems» zu untersuchen.
- Den Aspekt ethischer Überlegungen wird insoweit Rechnung getragen, als dass dem «System» zugehörige Individuen geeignete Einflußmöglichkeiten auf Parameter der Maßfunktion eröffnet sind.
Ein Versuch einer allgemeinen Definition kann folgendermaßen formuliert werden:
«Ein Risiko ist ein mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintretendes Ereignis, von dem eine Beeinträchtigung für grundrechtlichen Schutz erfahrende Rechtsgüter ausgeht. Der Gesetzgeber ist gefordert, entsprechende Bestimmungen zu deren Vermeidung innerhalb eines bestimmten Kontextes – eines Systems – zu erlassen.»
4.
Der Analyseprozess ^
Der Analyse von Risiko hat eine umfassende Betrachtung des Systems31 voranzugehen. Die «Risikobewertung» im Bereich der automatisierten Verwaltungsstrafverfahren wird durch eine umfassende Datenbasis entsprechender IT—Systeme unterstützt.
Abbildung 2 zeigt einen Plot einer «logistischen Regression»33 bezüglich des festgestellten Übertretungsverhältnisses und der verwendeten Messgeräte. Das Ergebnis kann als Unterstützung der «Risikobewertung» herangezogen werden; hier erkennen wir, dass entsprechenden Verteilungen signifikant unterschiedlich sind. Nach Sartor 34 kann dies folgendermaßen beschrieben werden:
G = Wahl eines Geräts [zB.: A, B, C, D, E] (bool - factor)
\( \gamma^{A \vee ...\vee E}\)= «Eintreten der Tatsache G»
R = Übertretungsverhältnis («gefahrene zu gemessener Geschwindigkeit») (kontinuierlich - dimension)
Wir möchten nun folgende Theorie (Sartor verwendet folgenden Formalismus: «\(\uparrow^{\varphi }\)» ... «fördert», «verstärkt» Ergebnis \(\varphi\)) untersuchen.
B = Abfertigung Berufungsbescheid (bool – factor)
\(\beta\) = «Eintreten der Tatsache B»
S = Automatischer Strafbescheid (bool – factor)
\(\sigma\) = «Eintreten der Tatsache S»
G = Höhe Geldbuße (kontinuierlich – dimension)
Wir möchten nun folgende Theorien untersuchen, wobei Abbildung 2 das Ergebnis für die erste Theorie darstellt.
Theorie 1: \(G\uparrow^{\beta}\) = «Beeinflusst die Höhe der Geldbuße, dass eine Berufung eingebracht wird?»
Theorie 2: \(G\uparrow^{\sigma}\) = «Beeinflusst die Höhe der Geldbuße, dass eine automatischer Strafbescheid erstellt wird?»
5.
Zusammenfassung und weiteres Vorgehen ^
In diesem Sinne ist interessant, dass ein Beschuldigter sehr schwer gegen «Methoden» der automatischen Überwachung, wie diese im §49a VStG vorgesehen sind, im Rahmen der Anwendung eines Rechtsmittels vorgehen kann. In der Judikatur der Unabhängigen Verwaltungssenate39 wird diesem die Beweislast auferlegt, die Fehlerhaftigkeit derartiger Überwachungseinrichtungen nachzuweisen.
Da dies schwer ist, muss unsere Modellierung des prozessualen Risikos in diesem Sinne erfolgen. Dies ist wiederum durch Anwendung statistischer Verfahren möglich, da nach den Bestimmungen des Mess- und Eichgesetzes (MEG) entsprechende Dokumentation zu erfolgen hat. In diesem Sinne wäre auch für den Gesetzgeber eine Orientierung an der durch den «Deutschen Verkehrsgerichtstag» beschlossenen Empfehlung40, die eine für den Beschuldigten bessere Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse einer automatischen Überwachung vorsieht.
6.
Literaturverzeichnis ^
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Thomas Preiß, Dissertant an der Universität Wien, Arbeitsgruppe Rechtsinformatik.
- 1 Hierzu suchen wir unter www.wikipedia.at den Begriff «Risiko».
- 2 Vgl. [Chen, Wilson, Meckle, Cooper], [Goerke], [Hössinger, Berger], [Kononen, Flannagan, Wang].
- 3 Vgl. [Goerke], 78: Hier wird die Effizienz von Strafen unter Beachtung des ökonomischen Aspekts der Regelübertretung gesehen. Interessant ist, dass Goerke die Unstrukturiertheit des österreichischen Systems als keiner wissenschaftlichen Betrachtung zugänglich einschätzt. («For these countries, a conformity of actual monetary sanctions with the requirements of efficient fines cannot be diagnosed»).
- 4 Vgl. [Chen, Wilson, Meckle, Cooper], 525: «The […] radar program appears to have been successful […]».
- 5 Aus der Judikatur des VwGH zur «Risikobewertung»: 2008/02/0334: «[...] das verwendete Radar-Geschwindigkeitsmessgerät vorschriftsmäßig geeicht war [...]»92/02/0097: «Gründen sich die Einwendungen des Beschuldigten auf bloße Vermutungen [...], so ist die Berufungsbehörde nicht gehalten [...]»Aus der Judikatur der UVS zum «prozessualen Risiko»:05/K/34/4637/2003: «[...] sind der Behörde anhand dieser ihr bekannten Daten amtswegige Erhebungen über Eingang und Zuordnung (Verwendung) der betreffenden Summe zumutbar.»Senat-WU-03-0338: «Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem §71 AVG ist auch bei Versäumung der Frist gem § 49a Abs 6 VStG zulässig.»20/3765/2-97br: «Dem Einzelnen steht kein durchsetzbarer Anspruch auf Erlassung einer Anonymverfügung zu. [...]» Aus der Judikatur des VwGH zum «prozessualen Risiko»: 91/03/0043: «Eine zusätzlich zur Radarmessung [...] erfolgte Schätzung der Fahrgeschwindigkeit, die mit dem Ergebnis der Radarmessung übereinstimmt, macht weitere Ermittlungen entbehrlich [...]»
- 6 [Fischerlehner], 93: Lehre und Rechtsprechung sind beispielsweise uneins bezüglich des Rechtscharakters der Anonymverfügung gem § 49a VStG. Manche Rechtsinstitute (zB Wiedereinsetzung) sind nur einer als Bescheid ergangenen Erledigung zugänglich.
- 7 Vgl. Verweise in [Cranor], 158f
- 8 Wir verwenden hier den Begriff eines Systems undefiniert; vorerst wollen wir hier darunter eine Menge von interagierenden Dingen verstehen.
- 9 Vgl. [Oberdiek], 369. «A risk is a probability of harm. »
- 10 Vgl. [Cranor], 153f
- 11 In diesem Sinne vergleicht Cranor die Beweislast, die im Straf- und Zivilprozess unterschiedlich gesehen wird. Im ersten Fall hat der Staat den Wahrheitsbeweis zu erbringen, im zweiten der, der das Vorliegen eines ihm zustehenden Rechts behauptet.
- 12 Hier sieht Cranor mitunter darin ein philosophisches Problem, dass der Utilitaritätsgedanken zu sehr in den Vordergrund tritt und der Aspekt des Systems in Sinne einer Gesamtheit auch im moralischen Sinne scheinbar an Bedeutung verliert.
- 13 Wir werden zeigen, dass diese einem vorerst abstrakten Guten verpflichtete Amtsauffassung auch in einem automatischen Rechtssetzungsverfahren möglich ist, wenn darauf folgende Rechtsakte und -möglichkeiten in entsprechender Art und Weise vorgesehen sind.
- 14 Vgl. [Walter,Mayer], Rz 704; ähnliches ist im Bereich des justiziellen Strafrechts zu finden, Vgl. [Kienapfel,Höpfel] Rz 2; üblicherweise hat der Strafrechtsgesetzgeber normiert, dass besagte, schuldhaft gesetzte Handlung verboten sei.
- 15 Vgl. [Böckenförde], 35.
- 16 [Böckenförde], 44 f.
- 17 Vgl. [Rawls, Sen]
- 18 Da der Begriff des Ethos bereits eingeführt wurde, wollen wir die Unterschiedlichkeit von Ethos und Ethik im Sinne Böckenfördes beleuchten: Ethik ist im Sinne des normativ Gesollten, Ethos im Sinne des faktisch Gelebten zu verstehen. Vgl. [Böckenförde], 9.
- 19 Diese sind in die Bedeutung des Ethosbegriffs Böckenfördes einzuordnen; der österreichische Gesetzgeber hat diese im § 43 BDG normiert. Durch deren teleologische Reduktion erkennen wir, dass als Subsidiärbestimmungen Aufgabenerfüllung und Vertrauenswahrung hervorzuheben sind. Die entsprechende Judikatur ist beispielsweise VwGH 15. September 1994, Zl 94/09/0111; VwGH 21. März 1991, Zl 91/09/0002; 18. November 1998, 96/09/0363; 21. Juni 2000, 97/09/0143; Vgl. auch DOK: 27. April 1999, 14/6-DOK/99.
- 20 Die folgenden Anmerkungen verwenden noch den Risikobegriff, der uns aus der allgemeinen Lebenserfahrung zugänglich ist.
- 21 Vgl. [Kramer], 239.
- 22 Hier sind Richter darunter zu verstehen.
- 23 Vgl. [Kramer], 255, 279.
- 24 Vgl. [Reeves], 321.
- 25 Vgl. [Schmied], worin eine dogmatische Kritik zur Abwicklung von verkürzten Verwaltungsstrafverfahren ausgesprochen wird. Weitere Anmerkungen in [Walter,Mayer].
- 26 Durch die Programmierung eines automatisierten Verfahrens werden die im Rahmen einer Analyse festgelegten Regeln technisch realisiert. Obwohl eine «goldene Regel» der Softwaretechnik besagt, dass es unmöglich ist, mit vertretbarem Aufwand eine Fehlerfreiheit zu garantieren ist wohl ein größeres Risiko darin zu sehen, dass die Regeln zur Rechtsgestaltung im Rahmen eines fehlerhaften Prozesses definiert wurden und so nach der Entsprechung eines juristischen Ethos im Sinne Böckenfördes, [Böckenförde], berechtigt gefragt werden kann.
- 27 [Cranor], 151.
- 28 Hier ist wiederum auf die genannte Arbeit Cranors zu verweisen.
- 29 Hier handelt es sich um die Einrichtung von Rechtsmittelinstanzen, Einsichts- und Überprüfungsrechte, Sicherstellungen in Bezug auf technische Systeme, etc.
- 30 Dieser ist in Abbildung 1 veranschaulicht.
- 31 Vgl. die einzelnen Systembegriffe nach [Cellier], 4—6.
- 32 Vgl. [SAS], Dokumentation zur Prozedur «PROC MCMC».
- 33 Vgl. [SAS], Dokumentation zur Prozedur «PROC LOGISTIC».
- 34 Vgl. [Sartor].
- 35 Dem allgemeinen Verständnis erscheint dies zu wiedersprechen. Eine weitere Analyse baut darauf auf, bestimmte Kriterien zur Klassifizierung heranzuziehen. Dies können zB Fahrzeugtyp, erlaubte Höchstgeschwindigkeit sein.
- 36 Vgl. wiederum [Sartor].
- 37 Vgl. [SAS], Dokumentation zur Prozedur «PROC LOGISTIC».
- 38 Diese wären dem «prozessualen Risiko» zuzuordnen.
- 39 Vgl. UVS Wien, 03/P/34/9120/2002.
- 40 Hierzu sei auf die Empfehlungen des Deutschen Verkehrsgerichtstages http://www.deutscher-verkerhrsgerichtstag.de/images/stories/ pdf/empfehlungen51vgt.pdf, Seite 4, abgerufen am 02. Februar 2013, verwiesen.