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«Unter Strom» Ontologiebasierte Wissensbasis für Agenten innerhalb einer Marktplattform für den Handel von dezentral erzeugtem Strom

  • Author: Antje Dietrich
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Commerce
  • Collection: Tagungsband-IRIS-2013
  • Citation: Antje Dietrich, «Unter Strom» Ontologiebasierte Wissensbasis für Agenten innerhalb einer Marktplattform für den Handel von dezentral erzeugtem Strom, in: Jusletter IT 20 February 2013
Im vorliegenden Beitrag werden Konzepte vorgestellt, die die Markteilnehmer innerhalb eines Marktmodelles für einen sich selbstorganisierten Strommarkt für dezentral erzeugte elektrischer Energie unterstützen können. Schwerpunktmäßig soll zum einen auf den spontanen Vertragsabschluss in einem Spotmarkt für Strom und zum anderen auf die juristische Unterstützung eines rechtlichen Laien beim Abschluss eines Stromvertrages eingegangen werden. Den Teilnehmern werden am Marktplatz zwei Softwareagenten zur Seite gestellt, ein Experte für den spontanen Vertragsschluss, der Vertragsagent, der gegeben falls auch über verschiedene Kriterien verhandelt kann und ein Rechtsagent, ein Experte für Vertragsrecht.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Motivation
  • 2. Strom-Handelsplattform
  • 3. Vertragsagent
  • 4. Rechtsagent
  • 5. Ontologie basierte Wissensbasis der Agenten
  • 6. Ausblick

1.

Motivation ^

[1]
Spot-Märkten, die verderbliche Güter oder nicht bzw. schwer lagerbare Güter zum Gegenstand haben, ist es derzeit, für nicht professionelle Käufer und Verkäufer, schwer beizutreten. Auf Grund der aktuellen politischen Diskussionen über den Atomausstieg und dem darauf resultierenden großen Interesses der Bevölkerung an dezentraler Energieerzeugung, liegt der Focus des vorliegenden Beitrags, auf dem Verkauf und Kauf von dezentral erzeugtem Strom. Auch massiv ansteigende Kosten, sowie Stromausfälle, die schwerwiegenden Einfluss auf das öffentliche und private Leben nehmen, sind ein Ansporn, die alternative Stromerzeugung und deren Vermarktung zu forcieren. Dezentral erzeugter Strom muss, da er nicht ausreichend gespeichert werden kann, möglichst zeitnah und räumlich begrenzt verkauft bzw. gekauft werden können. Durch die vorliegende Arbeit sollen, privaten Käufern und Verkäufern in einem Spot-Markt für dezentral erzeugten Strom, verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Wünschenswert ist eine höhere Teilnahme privater Käufer und Verkäufer durch eine individuelle Gestaltung eines Marktplatzes für den Kauf und Verkauf von dezentral erzeugtem Strom. Ein vielversprechender Ansatz, wie dies verwirklicht werden kann, ist die Vermarktung über das Medium Internet.
[2]
Da der ökonomische Wert von Spotmärkten gerade in der Reduktion des Koordinationsaufwandes liegt und es durch die Schaffung einer hohen Markttransparenz zu entsprechend transparent ermittelten Marktpreisen kommt, wird eine kundenindividuelle Leistungserbringung ausgeschlossen. Die Anbieter haben leider keine Möglichkeit zu ihren Kunden eine Beziehung aufzubauen, Marketing zu betreiben oder am Nutzungsprozess der Kunden mitzuwirken. Allerdings ist der Preis nur vorrangig das entscheidende Kaufkriterium. Gerade private Kunden haben nicht nur ein kommerzielles Interesse an einem Spot-Markt für dezentral erzeugten Strom teilzunehmen, sondern auch den Wunsch einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten.
[3]
Die Erzeugung von erneuerbaren Energien ist, gerade für Hausbesitzer, eine Möglichkeit Kosten zu senken. Diese können einerseits den selbst erzeugten Strom selbst verbrauchen oder andererseits diesen auch gewinnbringend verkaufen. Dabei bietet es sich an, den dezentral erzeugten Strom auch dezentral zu verbrauchen. Das bedeutet, dass der dezentral erzeugte Strom sinnvollerweise nicht über lange Wege zum Verbraucher durch das Stromnetz geleitet werden sollte.
[4]
Zu den typischen Konsumenten dieses dezentral erzeugten Stromes zählen allerdings Verbraucher, die Laien in Bezug auf betriebswirtschaftliche und rechtliche Zusammenhänge sind. Es sind beispielsweise private Haushalte, kleine Firmen oder Handwerksbetriebe. Daher müssen die Marktteilnehmer unterstützt werden. Diese Unterstützung soll zum einen im Bereich des spontanen Vertragsschluss in einem Spotmarkt liegen und zum anderen soll eine juristische Unterstützung beim Vertragsschluss erfolgen.

2.

Strom-Handelsplattform ^

[5]
Um den Anteil an dezentral erzeugtem Strom weiterhin erhöhen zu können, soll das grundlegende Szenario eine Handelsplattform für dezentral erzeugten Strom sein. Das Szenario ist an das Szenario des Forschungsprojektes SESAM1 angelehnt, an dem die Verfasserin mitgearbeitet hat.
[6]
Zu Beginn der Teilnahme an der Marktplattform für den Kauf und Verkauf von dezentral erzeugtem Strom müssen die Nachfrager und Anbieter der Marktplattform beitreten. Erst nach Beitritt und Zustimmung zu den AGBs kann ein Angebot auf der Marktplattform angeboten werden oder es kann nach einem Angebot gesucht werden. Nachdem der Benutzer sich innerhalb der Marktplattform authentifiziert hat, stellt er eine Suchanfrage an das System. Der Benutzer wird dann im sich anschließenden Prozess durch den Vertragsagenten vertreten.
[7]
Die Suchanfrage umfasst das Produkt (Strom) und den Preis, der dafür höchstens gezahlt werden sollte und die Lieferbedingungen. Des Weiteren können noch zusätzliche Bedingungen, wie z.B. dass nur Ökostrom eingekauft werden sollte, angegeben werden. Wichtig ist auch die Auswahl des zeitlichen Bezugszeitraumes, ob es sich um einen spontanen oder um einen längerfristigen Vertrag handelt. Die am Marktplatz beteiligten privaten Energieanbieter, haben ihrerseits die entsprechenden Produktbeschreibungen, für den von ihnen angebotenem Stromtarif ins Netz gestellt. Nun ist es Aufgabe des elektronischen Marktplatzsystems, das passende Produkt für die Suchanfrage zu finden. Die Auswahl erfolgt zunächst nach dem «Deal», der den Anforderungen in Bezug auf Preis und Lieferbedingungen am nächsten kommt. Die Produktbeschreibung des gewählten Deals wird im Anschluss daran an den Vertragsagenten übergeben. Da der Marktteilnehmer in der Regel ein juristischer Laie ist, übernimmt ein Rechtsagent die rechtliche Bewertung. Der Rechtsagent überprüft im nächsten Teilprozessschritt das Angebot auf juristische, den Vertragsschluss betreffende, Kriterien. Bei Bedarf kann, in einem nächsten Teilprozessschritt, über weitere nicht monetäre Kriterien verhandelt werden. Nach abschließender juristischer Prüfung durch den Rechtsagenten, kann der Vertrag geschlossen werden und die Rechnungstellung bzw. Bezahlung erfolgen. Zum Abschluss erfolgen die Lieferung und die Bezahlung des Stroms. (Abbildung 1)

Abbildung 1 Gesamt-Auftragsabwicklungsprozess

[8]
Während dieses Auftragsabwicklungsprozesses ist es wichtig, dass sich die Anbieter und die Nachfrager bei Bedarf bei «ihren» Agenten über den Stand des Kaufs bzw. Verkaufs informieren können. Für den Nachfrager sind möglichst frühzeitige präzise Angaben zur Verfügbarkeit und zu Lieferfristen relevant. Es ist selbstverständlich, dass die Bestell- und Zahlungsprozesse transparent gestaltet sein sollten.

3.

Vertragsagent ^

[9]
Der eine Agent, Vertragsagent genannt, vertritt den menschlichen Benutzer während des Auftragsabwicklungsprozesses des Kaufs bzw. Verkaufs von Strom. Dieser Vertragsagent agiert als Stellvertreter des Benutzers innerhalb des Marktes und erledigt für diesen die Aushandlung der für einen Stromkauf bzw. Stromverkauf relevanten Verträge anhand verschiedener benutzerspezifischer Kriterien. Diese Kriterien können vielfältig und sehr individuell sein, so dass dem Agenten eine Begriffsontologie als Wissensbasis mit auf dem Weg gegeben wird. In dieser Ontologie sind ökonomische und auch vertragsrechtlich relevante Begriffe modelliert. Die Ontologie dient als Wissensspeicher für den Agenten als Stellvertreter für den menschlichen Besitzer. Auf Grundlage der verschiedenen Ausprägungen der Ontologie bzw. der unterschiedlichen Relevanz bestimmter Kriterien für den menschlichen Besitzer und somit den Agenten können gleiche Kriterien für verschiedene Agenten beim Stromeinkauf bzw. Verkauf eine unterschiedliche Priorität haben. Daher können, bei Bedarf, vor Abschluss eines Stromkaufvertrages, noch Verhandlungen über diese benutzerspezifischen Kriterien durchgeführt werden.

4.

Rechtsagent ^

[10]
Der andere Agent, der Rechtsagent, greift bei seinen Entscheidungen auf eine Ontologie der Rechtsbegriffe des Vertragsrechtes zurück. Diese Ontologie ist Teil der Wissensbasis des rechtsspezifischen Softwareagenten. Dies ist notwendig, da Rechtssysteme verschiedener Staaten und auch die verwendeten Begrifflichkeiten sehr verschieden sein können. Der Rechtsagent unterstützt den Vertragsagenten in drei verschiedenen Prüfschritten, in der Vorprüfung des Angebotes, in der Vorprüfung der Annahme des Angebotes und in der Schlussprüfung vor Abschluss des Vertrages (Abbildung 2). Der Vertragsagent kann auf den Rechtsagenten zugreifen, wenn er in den Prozessschritten Angebot, Annahme und Abschluss des Vertrages die Vertragsbestandteile noch juristisch überprüft haben möchte. Außerdem kann der Marktmechanismus der Verhandlung auf den Rechtsagenten zugreifen, wenn rechtliche Kriterien bei der Verhandlung verhandelt werden.

Abbildung 2 Prüfschritte des Rechtsagenten

5.

Ontologie basierte Wissensbasis der Agenten ^

[11]
Als Wissensbasis für die beiden Agenten, den Vertragsagenten und den Rechtsagenten, werden Ontologien benötigt. Da die beiden Agenten unterschiedliche Aufgaben haben, die auch voneinander unabhängig abgearbeitet werden können, sollen die beiden verschiedenen Agententypen auch unterschiedliche domänenspezifische Wissensbasen zur Verfügung gestellt bekommen. Zum einen eine Ontologie, in der die Benutzerpräferenzen aufgenommen sind und zum anderen eine Ontologie, in der die rechtlich relevanten Begriffe integriert sind. Diese beiden Ontologien werden bei einer Vertragsverhandlung als Wissensbasis des entsprechenden Agenten verwendet. In der Ontologie des Vertragsagenten, sind grundlegende Begriffe wie die Benutzerpräferenzen, Fristen, Produktinformationen und der «Vertragscontainer», der Datenspeicher für die vertragsrelevanten Daten, modelliert. Somit ist die Bedeutung elementarer Begriffe, für diesen aus juristischer Sicht eingeschränkten Bereich, definiert. In der Ontologie der Wissensbasis des Rechtsagenten werden vertragsrechtlich relevante juristische Begriffe modelliert. Beispielsweise umfasst diese Ontologie die Konzepte natürliche Person und juristische Person, Willenserklärung, Stellvertreter und Vertragsbedingungen.

6.

Ausblick ^

[12]
Langfristig gesehen kann, durch den Einsatz einer Marktplattform für den Kauf und Verkauf von dezentral erzeugtem Strom, ein nachhaltiger Beitrag geleistet werden. Durch erleichterte Teilnahme, auf Grund technischer Unterstützung privater Käufer und Verkäufer und durch eine individuelle Gestaltung des Marktplatzes für den Kauf und Verkauf von dezentral erzeugtem Strom, kann zusätzlich ein Beitrag geleistet werden, den CO2-Ausstoß zu verringern. Die Zielsetzung ist es, innerhalb des Marktplatzes, durch die technische Möglichkeit der Modellierung benutzerspezifischer Kriterien, den Kauf bzw. Verkauf von Strom möglichst individuell zu gestalten, so dass für einen privaten Käufer bzw. Verkäufer nicht nur der Preis, sondern auch weitere persönliche Kriterien und die Rechtssicherheit entscheidend sind. Somit kann dem Gedanken eines fairen Stromhandels vor Ort entsprochen werden.

 


 

Antje Dietrich, Dozentin, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, Verwaltungsinformatik

 


 

  1. 1 Selbstorganisation und Spontaneität in liberalisierten und harmonisierten Märkten; KIT Karlsruhe