1.
Etablierte Begriffe ^
2.
Die Würde des Menschen als Sinnweltentität ^
3.
Kontextgrenzen im Falle des Datenschutzes ^
4.
Das Prinzip der Menschenwürde und ihr Schutz ^
Der Begriff der «Menschenwürde» (human dignity) hat Eingang in internationale Abkommen, den supranationalen Reformvertrag von Lissabon, in nationale Verfassungen und einfachgesetzliche Regelungen gefunden. Mit der Feststellung, dass sich aus dem Prinzip der Menschenwürde (vgl. etwa Art. 1 Abs. 1 GG) ein absoluter Schutz höchstpersönlicher Rückzugsgebiete ergibt, die zum Kernbereich privater Lebensgestaltung gehören, hat das deutsche Bundesverfassungsgericht1 dem verfassungsrechtlichen Bezug zwischen Menschenwürdesatz und dem Schutz von Privatheit und Datenschutz eine klare Kontur gegeben. Die Verletzung des Kernbereichs kann demnach weder durch presserechtliche noch durch kriminalpolitische oder andere Gründe gerechtfertigt werden. Was ist von dieser These zu halten? Wird die Wirkkraft der Achtung vor der Menschenwürde nicht überschätzt?
5.
Die Menschenwürde als ^
Der Begriff der Menschenwürde gehört seit der Gründung der Vereinten Nationen 1945 zum Bestand des humanitären Völkerrechts. Er taucht zum ersten Mal in der Gründungsurkunde (Charta) der Vereinten Nationen auf.2 In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR), der Magna Charta des Völkerrechts von 1948, wird die Menschenwürde als ein vorrechtlicher universaler Wert verstanden. Sie wird allen Menschen zuerkannt. Heute steht der Schutz der Menschenwürde als oberster Wert an der Spitze von Menschen- und Grundrechtserklärungen,3 die im späten achtzehnten Jahrhundert erstmals formuliert wurden.
6.
Achtungsbereich der Menschenwürde ^
Hier soll das rechtliche Konzept zugrunde gelegt werden, dass die Menschenrechte aus der dem Menschen innewohnenden Würde und nicht aus einem Recht auf Menschenwürde folgen. Diese Erkenntnis macht deutlich, dass es sich um ein Recht aus Würde, nicht aber um ein Recht auf Würde handelt.4 Danach ist die Menschenwürde Gegenstand der Menschenrechte und zugleich deren kritischer Maßstab. Um seiner Würde willen müsse dem Menschen eine möglichst weitgehende Entfaltung seiner Persönlichkeit gesichert werden.5 Mit dieser Formulierung wird der Achtungsbereich der Menschenwürde angesprochen.
Dieter Suhr bestimmt wohl als erster den Inhalt der Menschenwürde im Sinne des Begriffs «Entfaltung der Persönlichkeit» (Art. 2 I GG).6 Die Menschen seien zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit aufeinander angewiesen. «Wer seine Persönlichkeit entfaltet, trifft im anderen nicht erst auf die Grenzen und Schranken, sondern zunächst und vor allem einmal auf die Vorrausetzungen seiner Entfaltung (Freiheit auf Gegenseitigkeit). Menschenwürde meint also jenes Maß an Freiheit, dass sich die Menschen, vermittelt über das Recht, gegenseitig zubilligen. Adalbert Podlech interpretiert die Menschenwürde als Inbegriff jener rechtlichen Bedingungen, die in einer Gesellschaftsordnung erfüllt sein müssen, damit man den Zusammenhang der Menschen zu dieser Ordnung unterstellen könne.7
Eine besondere Bedeutung kommt heute dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung/Datenschutz zu, das das Bundesverfassungsgericht8 1983 aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschöpft hat. Damit wird auch jenes Minimum an selbstbestimmter Freiheit angesprochen, das Werner Maihofer mit der Menschenwürde identifiziert: das Recht auf private Lebensgestaltung.9 Sofern dagegen Selbstbestimmung im Sinne eines Maximums von Entfaltungsfreiheit gemeint ist, spricht das Bundesverfassungsgericht von allgemeiner Handlungsfreiheit.10
7.
Verletzung der Menschenwürde ^
Zu den unantastbaren Tabuzonen gehört immer der Kernbereich privater Lebensgestaltung. Dazu zählt nicht zwangsläufig und in jedem Fall der Bereich der Sexualität.11 Eine Berichterstattung darüber kann unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz durchaus zu den Aufgaben der Presse gehören.12 Die Presse als «public watchdog» hat die Aufgabe, über das Leben von Politikern, anderen Personen des öffentlichen Lebens und Privatpersonen zu berichten, wenn ein berechtigtes Interesse der Bürger gegeben ist.13
8.
Würdig – für etwas ^
Der französische Moralist La Rochefoucauld fand in seinen Maximen zunächst eine subtile Formulierung «Wer selbst nicht zu großen Verbrechen fähig ist, vermutet nicht leicht solche bei anderen». Vielleicht hat er den König gemeint. Auf jeden Fall wurde diese Maxime in den späteren Auflagen gestrichen.15 Und das wohl nicht ohne Grund.
9.
Frevel als Grenze der Macht ^
Marie-Theres Tinnefeld, Professorin für Datenschutz an der HM München.
Friedrich Lachmayer, Universität Innsbruck.
- 1 BVerfGE 120, 274 (325-339).
- 2 http://www.documentarchiv.de/in/1945/un-charta.html abgerufen 18.1.2013.
- 3 Vgl. auch BVerfGE 6, 36.
- 4 Brieskorn, Menschenrechte, Eine historisch philosophische Grundlegung, 1996, 151.
- 5 BVerfGE 5, 85.
- 6 Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, 1976, 88.
- 7 Podlech, Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz, in R. Wassermann (Hrsg.), Alternativkommentar zum Grundgesetz, 1984, 280 f.
- 8 BVerfGE 65, 1.
- 9 Maihofer, Naturrecht als Existenzrecht, 1968.
- 10 Vgl. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, 2007.
- 11 Vgl. BGH, NJW 2012, S. 767 Rn. 12.
- 12 So Hassemer, Rechtsgutachten zum Gegenstand «Strafbarkeit von Journalisten und Pressefreiheit», Frankfurt/Main 15.11.2012, S. 49.
- 13 EGMR, NJW 2012, 1053 (1056 Rn. 10; s.a. Tinnefeld/Buchner/Petri, Einführung in das Datenschutzrecht. Datenschutz und Informationsfreiheit in europäischer Sicht, 5. Aufl. 2012, 43 ff.
- 14 Tinnefeld/Buchner/Petri, ebd., S. 106 ff. m.w.N.
- 15 La Rochefoucauld 37 der Maximes supprimèes, Reclam 18877, Seite 183.