1.
Einleitung ^
2.
Zielsetzungen und Kernelemente ^
«Die in Wien lebenden Menschen sind zu Recht auf die hohe Lebensqualität in unserer Stadt stolz. Gerade in einer Zeit, die uns alle vor neue Herausforderungen stellt, ist ein Klima des sozialen Zusammenhalts und des gegenseitigen Respekts immens wichtig. Wie wir im Alltag miteinander umgehen, spielt dabei eine zentrale Rolle. Das ist aber nicht per Gesetz zu verordnen. Es braucht einen gemeinsamen Nenner, auf den sich die Menschen, die in Wien leben, miteinander verständigen. Dafür bietet die Wiener Charta nicht nur den Rahmen, sie forciert den BürgerInnendialog offensiv und schafft damit Bewusstsein für Solidarität. (...) Ziel der Wiener Charta ist es, gemeinsam mit allen in Wien lebenden Menschen die Weichen für ein respektvolles und dauerhaft gutes Klima in unserem Wien zu stellen.»
In diesen Sätzen werden zentrale Elemente und Zielsetzungen deutlich:
- Zusammenleben kann und soll nicht vollständig durch Gesetze geregelt werden. Für das Klima im Alltag entscheidende Dimensionen entziehen sich ja überhaupt jeglicher rechtlicher Normierung (Respekt, Rücksicht, Hilfsbereitschaft ...). Die Charta sollte kein Diktat von oben sein, kein neues Regelwerk, dessen Einhaltung sanktioniert wird.
- Es sollten Menschen aus unterschiedlichen Generationen und mit unterschiedlichen Lebenseinstellungen, Hautfarben, Berufen und Meinungen zusammenkommen, diskutieren und die Charta erarbeiten. Es sollte und durfte kontrovers diskutiert werden, davon lebt die Charta. Es ging also um alle Stadtteile Wiens, um Unternehmerinnen/Unternehmer, um Angestellte, Arbeiterinnen/Arbeiter wie um Menschen, die nicht im Erwerbsleben stehen. Es ging um Kinder wie um ältere Menschen, um Personen mit besonderen Bedürfnissen, um hier Geborene und Zugewanderte, um Menschen aller Religionen und Weltanschauungen – kurz: Es ging um alle, denn Zusammenleben geht alle an.
- Das Besondere an diesem Projekt: Die Wienerinnen und Wiener bestimmten die Themen selbst und gestalteten die Charta in Diskussionen aktiv. Die Wiener Charta sollte eine Übereinkunft der Bürgerinnen und Bürger sein, die sie gemeinsam und aus persönlicher Überzeugung treffen. Sie wird das Leben in Wien in dem Maße verändern und prägen, in dem sich Menschen aus freier Überzeugung dazu entschließen und darin mit anderen übereinkommen. Das Herzstück der Entwicklung der Charta waren daher möglichst breite und durchaus kontroversielle Kommunikations-, Gesprächs- und Verständigungsprozesse.
- Es wurde nichts verordnet – die Stadt Wien ermöglichte diesen Prozess und bot lediglich den Rahmen dafür.
- Zukunftsorientierung: Es ging darum, Weichen für die gemeinsame Zukunft in dieser Stadt zu stellen. Im Charta-Prozess sollte erarbeitet werden, wie sich die Wienerinnen und Wiener in Zukunft das Zusammenleben in unserer Stadt vorstellen und wie sie ihr Zusammenleben in Zukunft gestalten wollen. Dabei sollte es nicht um Wünsche an die Politik und/oder die Verwaltung gehen, sondern darum, was jedeR selbst beitragen kann, um das Zusammenleben zu verbessern.
3.
Konzept und Vorbereitung ^
3.1.
Online und offline ^
Es ergab sich folgender Ablauf:
- Projektvorstellung und Startpressekonferenz: 12. März 2012
- Themensammlung: 19. März bis 1. April 2012
- Präsentation der Themen durch den Beirat: 13. April 2012
- Charta-Gespräche: 13. April bis 14. Oktober 2012
- zweite Online-Phase: 28. September bis 14. Oktober 2012
- Präsentation der «Wiener Charta»: 27. November 2012
3.2.
Das Basis-Dokument ^
3.3.
Der Beirat ^
3.4.
Partnerorganisationen ^
Eine Liste aller Partnerorganisationen ist unter https://charta.wien.gv.at/start/charta /partnerorganisationen/liste/ online.
4.1.
Themensammlung – 19. März bis 1. April 2012 ^
Auf der Homepage wurden von allem Anfang an klar die folgenden Grundregeln kommuniziert:
- Das Basis-Dokument beschreibt die unverzichtbaren Grundlagen des Zusammenlebens, die sich aus der Rechtsordnung ergeben. Beiträge, die diese Grundlagen in Frage stellen, werden nicht online gestellt.
- Moderatorinnen und Moderatoren sorgen dafür, dass die Netiquette eingehalten wird.
- In der Wiener Charta geht es darum, wie die Wienerinnen und Wiener ihr Zusammenleben in Wien gestalten wollen. Beiträge zu anderen Themen werden nicht online gestellt.
- Beiträge mit Wünschen und Anregungen an Politik oder Verwaltung sind nicht Thema der Wiener Charta. Sollten solche gepostet werden (beispielsweise Wünsche nach gesetzlichen Änderungen oder nach mehr Parkbänken), werden diese an die jeweils Zuständigen weitergeleitet.
- Insgesamt wurden 2.649 Themen bzw. Beiträge eingebracht, 1.848 Themenwünsche gingen online. 765 Postings wurden nicht publiziert. Der Großteil von ihnen betraf Wünsche an Politik oder Verwaltung und wurde an die zuständigen Stellen weitergeleitet. 36 Beiträge bezogen sich auf die Wiener Charta insgesamt und betrafen «Lob und Kritik». 45.633 mal wurden Beiträge durch «likes» bewertet.
4.2.
Auswertung und Themenpräsentation durch den Beirat – 13. April 2012 ^
Auf Grundlage des Materials, das sind die eingereichten Anliegen der Wienerinnen und Wiener, identifizierte der Beirat drei Aspekte, die jeweils angesprochen werden:
- Verhalten = «miteinander auskommen»
- Haltung = «nicht immer dasselbe»
- Raum = «aufgeräumt wohlfühlen»
Auf dieser Folie einigte sich der Beirat auf drei Themenblöcke mit Unterthemen und ordnete die Postings diesen Themen zu:
- miteinander auskommen: 717 Postings
- Verhalten im Straßenverkehr und in den öffentlichen Verkehrsmitteln (294 Postings)
- Umgangsformen im Alltag – Rücksicht im Zusammenleben (423 Postings)
- nicht immer dasselbe: 761 Postings
- Jung und Alt (162 Postings)
- Deutsch sprechen – andere Sprachen sprechen (95 Postings)
- Ich und die, die anders sind als ich (504 Postings)
- aufgeräumt wohlfühlen: 624 Postings
- Sauberkeit in der Stadt (174 Postings)
- Öffentlicher Raum – Lebensraum für uns alle (450 Postings)
4.3.
Charta-Gespräche – 13. April bis 14. Oktober 2012 ^
Welches Thema auch diskutiert wurde, immer ging es im Gespräch darum, die folgenden Fragen zu klären:
- Was ist wichtig für ein gutes Zusammenleben in Wien?
- Was erwarten die GesprächsteilnehmerInnen von anderen?
- Was sind sie selbst bereit zu tun?
- Was soll in die Wiener Charta aufgenommen werden?
4.4.
Online-Diskussion – 28. September bis 14. Oktober 2012 ^
4.5.
Abschluss und Präsentation der Wiener Charta ^
5.
Der Text der Wiener Charta ^
«MITEINANDER AUSKOMMEN»
Umgangsformen im Alltag, Rücksicht im Zusammenleben
Verhalten im Straßenverkehr und in den öffentlichen Verkehrsmitteln
«NICHT IMMER DASSELBE»
Ich und die, die anders sind als ich
Deutsch sprechen – andere Sprachen sprechen
Jung und alt
«AUFGERÄUMT WOHLFÜHLEN»
Sauberkeit in der Stadt
Öffentlicher Raum – Lebensraum für uns alle
6.
Gespräche mit Wirkung in die Zukunft ^
Einige Beispiele für Gesprächsgruppenergebnisse, die in die Zukunft weiterwirken werden:
- Erwachsene stört der Lärm, Jugendliche die Beschimpfungen vom Balkon herunter: Erwachsene und Jugendliche haben sich zusammengesetzt. Konkret wurde vereinbart: Die Jugendlichen sind ab 20 Uhr leiser und sagen es auch den anderen Jugendlichen weiter. Die Erwachsenen schreien nicht mehr vom Balkon herunter, sondern gehen hinunter, wenn sie mit den Jugendlichen reden wollen – und organisieren ein Hoffest.
- In einer Hausgemeinschaft kommt es zwischen BewohnerInnen einer Wohngemeinschaft von behinderten Menschen und den Nachbarn immer wieder zu Problemen. Man hat vereinbart, einander besser kennenzulernen.
- Buben wollen in Zukunft auch Mädchen im Käfig spielen lassen – auch wenn das schwer ist.
- Zukünftige TaxilenkerInnen werden während ihrer Ausbildung mit Straßenbahn- oder BusfahrerInnen unterwegs sein, um das Verkehrsgeschehen einmal aus der Perspektive der anderen zu erleben.
- Eine Gruppe von Mieterbeirätinnen und islamischen Frauen aus der Türkei und arabischen Ländern haben erstmals miteinander geredet: Was sie an einander stört, wie sie leben, wie sie denken. Nach dem Charta-Gespräch sind sie noch Tee trinkend zusammengesessen – und haben mittlerweile weitere konkrete gemeinsame Initiativen gesetzt. Das Charta-Gespräch hat den Graben überbrückt, der bisher zwischen ihnen bestanden hat.
- MieterInnen aus einem Gemeindebau vereinbarten einen regelmäßigen MieterInnenstammtisch, um die Kommunikation im Haus zu stärken.
- AnrainerInnen einer Moschee und Verantwortliche der Moschee haben im Charta-Gespräch ihre Probleme miteinander besprochen. Konkret wurde vereinbart, regelmäßige Gespräche zwischen benannten AnsprechpartnerInnen zu führen und ein gemeinsames Fest zu organisieren.
- Im Jugendzentrum, im PensionistInnenwohnhaus, im Gemeindebau: In vielen Gesprächen wurde übereinstimmend festgestellt, dass ein einfaches Grüßen die Atmosphäre verbessert. Und man hat sich vorgekommen, einander in Zukunft zu grüßen.
Christian Loibnegger, Projektkoordinator, Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 17, Integration und Diversität.