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Das geplante Widerrufsrecht im E-Commerce nach OR

  • Authors: Flavio Delli Colli / Leo Rusterholz
  • Category: Articles
  • Region: Switzerland
  • Field of law: E-Commerce
  • Citation: Flavio Delli Colli / Leo Rusterholz, Das geplante Widerrufsrecht im E-Commerce nach OR, in: Jusletter IT 11 December 2014
In March 2014 the Federal Council released that it welcomes the introduction of a 14-day right of withdrawal in telephone and distance sales. On 18 June 2014 the Council of States approved the relevant draft for the modification of the Code of Obligations. On the other hand, the National Council declined the introduction of a right of withdrawal in online trading on 17 September 2014, but agreed with an introduction of such a right for trading via telephone. The submission now returns to the Council of States. Out of this current occasion, the article critically argues with the concept of the right of withdrawal. Specially focused is the non-consolidated draft with minority and majority views on the planned modifications on the Code of Obligations, which is debated in parliament. (ah)

Inhaltsverzeichnis

  • I. Heutiges Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften nach Art. 40a ff. OR
  • II. Was die parlamentarische Initiative Bonhôte ins Rollen brachte
  • A. Erläuterungen zur Initiative Bonhôte
  • B. Was seither geschah
  • C. Der autonome Nachvollzug des EU-Rechts und die neue EU-Verbraucherrechte-Richtlinie
  • III. Das geplante Widerrufsrecht im E-Commerce nach OR
  • A. Sachlicher Anwendungsbereich
  • B. Persönlicher Anwendungsbereich
  • C. Ausübung des Widerrufsrechts und Widerrufsfrist
  • D. Rechtsfolgen des Widerrufs
  • E. Ausnahmen vom Widerrufsrecht
  • IV. Unterschiede zur EU-Richtlinie
  • V. Argumente der Befürworter und Gegner des geplanten Widerrufsrechts
  • A. Das freiwillige Widerrufsrecht in der heutigen Praxis
  • 1. Friede im Vertragsrecht durch gesetzliches Widerrufsrecht?
  • 2. Die Mehrkostentragung
  • 3. Missbrauchsgefahr durch «Gratisnutzung»
  • B. Die Informationsasymmetrie im Internet
  • VI. Handlungsbedarf für Online-Versandhäuser
  • VII. Fazit

I.

Heutiges Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften nach Art. 40a ff. OR ^

[1]

Das siebentägige Widerrufsrecht des Kunden beim Abschluss von Haustür- und ähnlichen Geschäften ist in seiner heutigen Form seit über 20 Jahren gesetzlich in Art. 40a–40f des Obligationenrechts (OR) verankert. Mit der Einführung desselben versuchte der Gesetzgeber, Konsumenten in deren rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit vor gewissen Geschäftsabschlüssen zu schützen, welche eine erhöhte Gefahr der «Überrumpelung» aufweisen. Begründet wurde dieser besondere Schutz mit dem situationsbedingten, allenfalls erhöht auftretendem psychischen Druck. Dabei wurden missbilligte Formen des Direktvertriebes ins Auge gefasst, namentlich Haustürgeschäfte, Passantenwerbung, «Kaffeefahrten» und ähnliche Verkaufsmachenschaften, welche den Konsumenten aufgrund des persönlichen Kontakts in Zwangslagen versetzen können.1 Auf das anfängliche Kriterium der «Unüblichkeit» wurde im Vernehmlassungsentwurf von 1984 jedoch verzichtet.2 Gemäss der Botschaft von 1986 sollte das Widerrufsrecht denn auch nur dort gelten, «wo die Gefahr eines unüberlegten Vertragsschlusses besonders gross ist.»3 Dabei wurde klargestellt, dass es nicht reicht, wenn die eine Vertragspartei geschäftlich erfahrener ist als die andere. Vielmehr ist eine starke Beeinflussung oder ein Überraschungseffekt nötig. Besonders erwähnt wurden Hausbesuche mit Überreichung eines Geschenks oder die direkte Ansprache auf der Strasse.4

[2]

Das sich heute im OR wiederfindende Widerrufsrecht schränkt die Bindung des Antragsstellers an den Antrag ein und relativiert den Grundsatz pacta sunt servanda – dem Prinzip, dass Verträge einzuhalten sind – auf eine ähnliche Art und Weise wie gesetzliche Formvorschriften.5 Durch einen solchen Eingriff in die Bindungswirkung von Verträgen wird versucht, unterschiedliche Stärkepositionen bei Vertragspartnern auszugleichen.6

[3]

Vor diesem Hintergrund stellt sich daher die Frage, ob eine Übernahme dieses Widerrufsrechts bei Fernabsatzgeschäften7 der ursprünglichen ratio legis gerecht wird, namentlich, ob die «Überrumpelungssituation» bei den modernen Fernabsatzgeschäften überhaupt gegeben ist bzw. ob ein gesetzlich verankertes Widerrufsrecht für Fernabsatzgeschäfte notwendig und zeitgemäss ist. Bereits heute bieten nämlich viele Händler ein freiwilliges Widerrufsrecht an, welches in einem freien Wettbewerb zum Vorteil sämtlicher Beteiligten eingesetzt werden kann.8

II.

Was die parlamentarische Initiative Bonhôte ins Rollen brachte ^

[4]
Seit der Einführung des Widerrufsrechts gab es in der Schweiz immer wieder gesetzgeberische Bestrebungen mit ähnlichen Zielsetzungen. Der Entwurf zum Bundesgesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr9 wurde jedoch nach dem Vernehmlassungsverfahren wieder zurückgezogen und die Erweiterung des OR durch Art. 40g ff. (Teilnutzungsrechte an Immobilien) scheiterte im Parlament.10 Auch der Initiative Sommaruga zur Verbesserung des Konsumentenschutzes, welche unter anderem ein Widerrufsrecht für Fernabsatzgeschäfte vorsah, leistete schliesslich der Nationalrat keine Folge.11 Somit bleibt vorläufig die parlamentarische Initiative Bonhôte von 2006 seit der Einführung des Widerrufrechts für Haustürgeschäfte der einzige – in Bezug auf eine Ausdehnung des Widerrufsrechts – erfolgreiche Vorstoss.12 Auf dieser Initiative basiert auch der heute vorliegende Entwurf zur geplanten Revision des Widerrufsrechts im OR.

A.

Erläuterungen zur Initiative Bonhôte ^

[5]

Die Initiative Bonhôte möchte den Telefonverkauf den Haustürgeschäften gleichstellen, womit das heutige Widerrufsrecht unter den gegebenen Voraussetzungen auf telefonisch abgeschlossene Verträge ausgeweitet würde. Zur Begründung führt der eingereichte Text auf, dass Konsumentenschutzorganisationen täglich Beschwerden erhalten, welche das hartnäckige und teilweise aggressive Vorgehen von Telefonverkaufspersonal zum Inhalt haben. Oftmals würden die kontaktierten Konsumenten erst nach einer Weile erkennen, dass sie in den Augen der Verkäufer einem Vertrag zugestimmt haben, obwohl sie nur einer Einladung zur Offertenstellung einwilligten oder aber überhaupt kein Einverständnis gegeben haben.13 Solche pathologischen Verkaufspraktiken sind schon nach heutigem Recht unter Anrufung der Willensmängel (Art. 23 ff. OR) anfechtbar und die Gewährleistungsrechte (siehe insb. Art. 197 ff. OR) gelten ebenso. Es ist allerdings aus Praktikabilitätsüberlegungen und Beweisgründen einfacher, diese Fälle über ein gesetzlich verankertes Widerrufsrecht zu lösen,14 wobei jedoch die Rechtfertigung der generellen Ungleichbehandlung von herkömmlichen Verträgen und Online-Verträgen durch die Verfasser in Frage gestellt wird. Was schliesslich aus juristischer Sicht einfacher sein mag, generiert für die betroffenen Unternehmen einen enormen administrativen und logistischen Mehraufwand.

[6]

Interessanterweise schliesst der eingereichte Text der Initiative Bonhôte damit, dass beim Telefonverkauf eine «völlig andere Situation» vorliege als bei den über das Internet abgeschlossenen Verträgen, zumal bei letzteren der Konsument nicht direkt bedrängt wird. Ein notwendiges Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen könne daher «durchaus angezweifelt werden».15 Schliesslich würde beim Telefonverkauf, anders als beim Online-Kauf, auch kein schriftliches Einverständnis gegeben.16 Dennoch enthält der heute vorliegende Entwurf17 auch ein Widerrufsrecht für Fernabsatzverträge und nicht bloss für Telefonverkäufe.

B.

Was seither geschah ^

[7]

Bei der Initiative Sommaruga, welcher im Unterschied zur Initiative Bonhôte keine Folge durch den Nationalrat geleistet wurde, war das Widerrufsrecht für Fernabsatzverträge ein Hauptkritikpunkt. So hatte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates in ihren Erwägungen festgehalten, dass das Widerrufsrecht eine Form der Bevormundung der Konsumenten darstelle. Die Gleichstellung der Fernabsatzgeschäfte mit Haustürgeschäften sei falsch, da der Druck eines persönlich anwesenden Anbieters fehle (was zumindest in physischer Hinsicht wohl auch auf Telefonverkäufe zutrifft) und ein Widerrufsrecht bei gewissen Internet-Verträgen gar nicht praktikabel wäre. Die Unsicherheit beim Vertragsabschluss würde zu höheren Kosten und Preisen führen und die Schweiz habe sich nicht dazu verpflichtet, Bestimmungen des EU-Rechts zu übernehmen, welche einen gegenüber der Schweiz stärkeren Konsumentenschutz im elektronischen Geschäftsverkehr vorschreiben. Die EU-Regelung sei kompliziert, tendenziell kasuistisch und entspreche nicht den Grundsätzen der schweizerischen Gesetzgebung.18 Durch diese Mehrheitsmeinung innerhalb der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates wurde bei beiden Initiativen (Sommaruga und Bonhôte) zur Ablehnung geraten. Bei der Argumentation wurde jedoch nur auf Internet-Verträge Bezug genommen und Telefonverkäufe in den Erwägungen mit keinem Wort erwähnt. Dies erklärt wohl, warum bei der entscheidenden Abstimmung des zweitbehandelnden Rates die Initiative Sommaruga zwar abgelehnt, die Initiative Bonhôte jedoch unterstützt wurde (auch wenn bloss dank des Stichentscheids der Präsidentin).19

[8]

Nachdem beide Räte der Initiative Bonhôte Folge gegeben hatten, beschäftigte sich die Kommission für Rechtsfragen des Ständerats damit. Das Ergebnis war der Vorentwurf zu einer Änderung des OR,20 welcher zusammen mit dem Bericht der Kommission für Rechtsfragen21 veröffentlicht wurde. Der Vorentwurf basiert klar auf der Initiative Bonhôte, dennoch hat die Rechtskommission des Ständerates das Widerrufsrecht auf Fernabsatzgeschäfte ausgedehnt, obwohl die eingereichte Initiative ein solches klar nicht beabsichtigte (siehe Kapitel II.A.). Dabei war, wie bereits erwähnt, gerade diese Ausdehnung wohl wesentlich dafür, dass die Initiative Sommaruga scheiterte und der Entwurf zum Bundesgesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr zurückgezogen wurde. Klar ist zumindest, dass gerade das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen politisch sehr umstritten ist. Insbesondere deshalb ist nicht ersichtlich, weshalb die Rechtskommission des Ständerats Fernabsatzgeschäfte durch die Hintertür wieder miteinzuschliessen versucht. Dies war auch einer der Hauptkritikpunkte im Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf,22 trotzdem wurde daran unverändert festgehalten.23 Vielmehr lehnt die Kommission eine Beschränkung auf den Telefonverkauf nach wie vor kategorisch ab mit dem Verweis auf die nachfolgenden Argumente, welche weitgehend unverändert blieben.24

[9]

Gemäss Kapitel 2.2 des Berichts der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates bestehe bei Fernabsatzverträgen – angeblich gleich wie beim Telefonverkauf – eine qualifizierte Gefahr, dass Verträge übereilt abgeschlossen würden. Deshalb bestehe sowohl beim Telefonverkauf als auch beim Online-Shopping ein erhebliches Bedürfnis nach einer zeitlich beschränkten Cooling-off Periode für die Konsumenten. Ausgangspunkt dafür sei, dass man die Waren nicht sehen könne, bevor man die Verträge abschliesst. Weiter werden sieben zu beachtende Aspekte aufgeführt: (i) Beide Vertriebsarten würden ein grosses Wachstum verzeichnen; (ii) am Telefon würde man häufig bedrängt, Verträge abzuschliessen, welche man bei ausreichender Überlegungszeit wohl nicht geschlossen hätte; (iii) Online-Verträge würden rasch geschlossen mit der Gefahr, schnell Partei eines ungewünschten Vertrages zu werden; (iv) heute würden vermehrt auch teure Konsumgüter über das Internet vertrieben; (v) der Konsum von digitalen Inhalten sei zur Selbstverständlichkeit geworden; (vi) Telefonverkauf und Online-Shopping liessen sich immer weniger voneinander unterscheiden, weshalb eine technologieneutrale Regelung angebracht sei; und schliesslich (vii) es sei nicht einzusehen, weshalb Konsumenten in der Schweiz schlechter gestellt werden sollen als Konsumenten im europäischen Ausland, welchen seit Juni 2014 ein allgemeines Widerrufsrecht von 14 Tagen zusteht.25 Wie nachfolgend gezeigt wird, überzeugen diese sieben vorgebrachten Gründe allesamt nicht.

[10]
Ohne das erste Argument des grossen Wachstums empirisch nachzuprüfen, kann dem nicht gefolgt werden. Nur weil bei zwei verschiedenen Verkaufstechniken ein Wachstum verzeichnet wird, müssen diese nicht gleich reguliert werden. Es ist weiter nicht ersichtlich, weshalb sich elektronisch abgeschlossene Verträge – welche sich meistens durch die herkömmlichen Kriterien einem Vertragstypus zuordnen lassen – nicht mit den bereits vorhandenen Mitteln des OR handhaben lassen.
[11]

Der im zweiten Argument genannte Bedrängnisfaktor mag bei Telefonverkäufen eine Rolle spielen, dass dieser Punkt jedoch auch bei online abgeschlossenen Geschäften gelten soll, mutet seltsam an. Vielmehr besteht eine solche Bedrängnissituation bei Online-Käufen eben gerade nicht, denn während bei Telefonverkäufen ein aktives Zugehen auf potentielle Käufer vom Anrufer ausgeht, findet diese Art der unmittelbaren Interaktion beim Online-Geschäft nicht statt. Zudem wiederfindet sich die Persistenz und die Frequenz – typische Elemente der Telefonverkäufe, welche einen gewissen Überrumpelungseffekt zeitigen können – beim Online-Kauf nicht.

[12]
Ob ein Online-Vertrag rasch geschlossen wird oder nicht, liegt vollständig im Ermessen des Kunden. Dieses dritte Argument schlägt umso mehr fehl, wenn man bedenkt, in welcher Schnelle ständig Verträge auf klassische Art «im Laden» geschlossen werden. Zudem findet sich im E-OR eine Ausnahme vom Widerrufsrecht für «öffentliche Versteigerungen» (Art. 40e lit. d E-OR), worunter auch Online-Plattformen wie eBay oder ricardo fallen könnten.26 Dann würde das Widerrufsrecht gerade auf Situationen keine Anwendung finden, in welchen der Konsument ausnahmsweise im Internet einem Zeitdruck ausgesetzt ist.
[13]
Auch das vierte Argument, wonach immer teurere Güter über das Internet gehandelt werden, sollte mit der Situation des klassischen Kaufgeschäfts «im Laden» oder bspw. bei Auktionen27 verglichen werden. Konsumenten von Luxusgütern gehen in den Laden, gerade weil sie das Objekt selbst begutachten wollen. Wer sich hingegen bei der Luxusgüterbestellung auf das Internet verlässt, sollte auch die entsprechenden Konsequenzen tragen, falls das Produkt nicht ganz den Wunschvorstellungen entspricht. Dies gilt umso mehr, als bei online vertriebenen Gütern häufig ein gewisser Preisnachlass gewährt wird, welcher diesen Überraschungseffekt zumindest monetär zu kompensieren vermag. Es ist zudem nicht der Auftrag des Gesetzgebers dafür zu sorgen, dass «teure Konsumgüter» zur Begutachtung frei Haus geliefert werden.
[14]
Auch ist nicht verständlich, weshalb die Tatsache, dass der Konsum von digitalen Inhalten zur Selbstverständlichkeit geworden sei, ein Rückgaberecht rechtfertigt, wie im fünften Argument aufgeführt.
[15]
Inwiefern sich Online-Shopping und Telefonverkauf immer weniger voneinander unterscheiden lassen sollen (sechstes Argument), ist nicht nachvollziehbar, geht es doch bei diesen Vertragsabschlüssen um elementar unterschiedliche Vorgänge.
[16]

Im Übrigen gilt es festzuhalten, dass auch bei Online-Käufen sämtliche Mängelrechte des OR gelten und nicht automatisch ein Ausschluss der Gewährleistung stattfindet.

[17]

Mit dem siebten und letzten Argument der Schlechterstellung der Konsumenten in der Schweiz wird schliesslich auf die EU-Verbraucherrechte-Richtlinie Bezug genommen (siehe Kapitel II.C. und IV.).

C.

Der autonome Nachvollzug des EU-Rechts und die neue EU-Verbraucherrechte-Richtlinie ^

[18]

Bereits bei der Einführung des heute geltenden Widerrufsrechts war ein Angleichungsbestreben des Schweizer Rechts an das EU-Recht ursächlich.28 Damals galt es, das Schweizer Recht vorsorglich der zu diesem Zeitpunkt noch im Entwurf befindlichen Richtlinie betreffend den Verbraucherschutz bei Haustürgeschäften29 anzupassen. Dieser Entwurf sah ein mindestens siebentägiges, unverzichtbares Widerrufsrecht für Verträge über bewegliche Güter vor, welche ausserhalb von Geschäftsräumen verhandelt wurden. Kein Widerrufsrecht konnte geltend gemacht werden, wenn die Vertragsverhandlungen auf Initiative des Verbrauchers aufgenommen wurden. Zudem wurde eine Widerrufsbelehrung für alle Haustürgeschäfte vorgeschrieben, dessen Nichteinhalten Nichtigkeit zur Folge hatte.30 Der Entwurf wurde schliesslich als EU-Haustürgeschäfte-RL31 umgesetzt und insoweit verschärft, als die Richtlinie selbst für Fälle, wo die Vertragsverhandlungen auf Wunsch des Verbrauchers aufgenommen wurden, anwendbar blieb (Art. 1 Abs. 2–4 EU-Haustürgeschäfte-RL). Eine Abweichung davon wurde allerdings in die Kompetenz der Mitgliedstaaten gelegt (Art. 3 Abs. 3 EU-Haustürgeschäfte-RL). Gleichzeitig wurde die Richtlinie aber auch etwas abgeschwächt: So lag es in der Kompetenz der Mitgliedstaaten, die Rechtsfolgen für eine fehlende Widerrufsbelehrung festzulegen (Art. 4 EU-Haustürgeschäfte-RL). Das mindestens siebentägige Widerrufsrecht blieb aber unverzichtbar (Art. 5 i.V.m. Art. 6 EU-Haustürgeschäfte-RL).

[19]

Im Vergleich zur Schweiz war die EU seit Statuierung des Widerrufsrechts für Haustürgeschäfte sehr aktiv mit der Einräumung weiterer Widerrufsrechte in verschiedenen Bereichen: Die Richtlinie über Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz32 führte ein mindestens siebentägiges Widerrufsrecht (mit Tragung der Rücksendekosten durch den Konsumenten) im Fernabsatzhandel ein. Beim Fernabsatz von Finanzdienstleistungen führte die entsprechende Richtlinie33 eine Widerrufsfrist von 14 Tagen ein.34

[20]

Auch heute geschieht die Einführung des Widerrufsrechts im E-Commerce über die Angleichung an das EU-Recht, nämlich der EU-Verbraucherrechte-Richtlinie.35 Diese Richtlinie mussten die Mitgliedsstaaten bis am 13. Juni 2014 im eigenen nationalen Recht umsetzen.36 Die EU-Verbraucherrechte-RL harmonisierte die bestehenden Richtlinien, welche jeweils eigene Widerrufsrechte und -fristen für bestimmte Formen von Verträgen vorsahen und hob die EU-Haustürgeschäfte-RL und die EU-Fernabsatz-RL auf, während die EU-Klausel-RL37 und die EU-Verbrauchergüter-RL38 abgeändert wurden (siehe Kapitel IV. für die wichtigsten Unterschiede zwischen der EU-Verbraucherrechte-RL und dem E-OR).

III.

Das geplante Widerrufsrecht im E-Commerce nach OR ^

[21]
Der Entwurf der Rechtskommission des Ständerates sieht in Bezug auf E-Commerce Verträge vor, dass ein Konsument seinen Antrag zum Vertragsabschluss oder seine Annahmeerklärung widerrufen kann, falls es sich beim Vertrag um ein Fernabsatzgeschäft über bewegliche Sachen oder über Dienstleistungen handelt. Zudem dürfen die Parteien gemäss Art. 40a E-OR nicht zum Nachteil des Konsumenten dieses Widerrufsrecht abändern. Es handelt sich folglich um einseitig zwingendes Recht zu Gunsten des Konsumenten.

A.

Sachlicher Anwendungsbereich ^

[22]
Neben dem bisher bereits gesetzlich geregelten Widerrufsrecht bezüglich Haustürgeschäfte wird im E-OR der sachliche Anwendungsbereich auf Fernabsatzgeschäfte ausgeweitet. Ein Vertrag gilt als Fernabsatzgeschäft, wenn er ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien oder ihrer Vertreter abgeschlossen wird und bei dessen Abschluss der Anbieter im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet. Liegt ein solches Geschäft vor, so besteht – vorbehältlich des persönlichen Geltungsbereichs und einiger Ausnahmen – ein Widerrufsrecht (siehe Art. 40c E-OR).

B.

Persönlicher Anwendungsbereich ^

[23]
In persönlicher Hinsicht findet das geplante Widerrufsrecht Anwendung, wenn sich ein Konsument und ein Anbieter gegenüberstehen. Als Konsument gilt – wie bereits in den Art. 40a ff. OR – jede natürliche Person, die einen Vertrag für ihre persönlichen oder familiären Bedürfnisse abschliesst. Als Anbieter gelten natürliche oder juristische Personen, die einen Vertrag zu einem Zweck abschliessen, der ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (Art. 40d Abs. 2 E-OR).
[24]

Daher sind – wie unter bisherigem Recht – beidseitige Privatgeschäfte vom Anwendungsbereich der Novelle ausgenommen. Privatgeschäfte vom Anwendungsbereich auszunehmen stellt jedoch einen Widerspruch zur Argumentation der Befürworter dar, ist doch bspw. die Informationsasymmetrie beim Internet-Kauf unabhängig von der beruflichen Qualifikation des Anbieters zu beurteilen.39 Vielmehr müsste bei stringenter Argumentation das Widerrufsrecht – wenn überhaupt – für alle Käufer resp. Konsumenten gelten ohne Rücksicht auf die Eigenschaften des Anbieters.

C.

Ausübung des Widerrufsrechts und Widerrufsfrist ^

[25]
Der Widerruf selbst ist an keine Form gebunden, hat jedoch innert der gesetzlich vorgeschriebenen Widerrufsfrist zu erfolgen.
[26]
Die Ausübung des Widerrufsrechts muss innerhalb der 14-tägigen Widerrufsfrist geschehen. Diese Frist beginnt mit Empfang der Sache oder mit Abschluss des Vertrags bei Dienstleistungen und digitalen Inhalten, die nicht auf einem festen Datenträger zur Verfügung gestellt werden. Die Widerrufsfrist beginnt jedoch in keinem Fall bevor der Anbieter den Konsumenten in der vorgeschriebenen Form über das Widerrufsrecht und die Widerrufsfrist sowie die Firma und die Adresse, an die der Widerruf zu richten ist, informiert hat. Wurde der Konsument nicht gesetzeskonform informiert, so endet die Widerrufsfrist spätestens nach drei Monaten und 14 Tagen nach Empfang der Sache oder Abschluss des Dienstleistungsvertrages (Art. 40j Abs. 3 E-OR).
[27]
Die Beweislast für die Einhaltung der Widerrufsfrist liegt gemäss Art. 40k E-OR beim Konsumenten.

D.

Rechtsfolgen des Widerrufs ^

[28]
Durch die Ausübung des Widerrufsrechts werden die Willenserklärungen widerrufen, wodurch der Widerruf zu einer Vertragsauflösung ex tunc führt.40
[29]
Nach ausgeübtem Widerruf ist der Konsument zur Rückgabe der Sachen verpflichtet und bereits erbrachte Leistungen müssen entschädigt werden. Eine weitergehende Entschädigung (ab Widerruf) ist nicht geschuldet. Der Anbieter ist seinerseits zur Rückzahlung der vom Konsumenten empfangenen Geldleistung verpflichtet (Art. 40m E-OR).
[30]

Die Rücksendekosten sind nur dann vom Konsumenten zu übernehmen, falls der Konsument beim Vertragsabschluss diesbezüglich informiert wurde (Art. 40n Abs. 2 E-OR). Um die Kostenübernahme durch den Konsumenten sicherzustellen, kann der Verkäufer bspw. in seinen AGB vorsehen, dass der Käufer die Rücksendekosten zu tragen hat.

E.

Ausnahmen vom Widerrufsrecht ^

[31]

Das geplante Widerrufsrecht wird in diversen Bereichen eingeschränkt. Es findet insbesondere keine Anwendung bei Geschäften, welche den Betrag von CHF 100 nicht übersteigen, bei Verträgen, die im Rahmen einer öffentlichen Versteigerung geschlossen werden sowie bei Verträgen über bewegliche Sachen, die nach Vorgabe des Konsumenten angefertigt wurden (Art. 40e bis 40h E-OR). Bezüglich einiger spezialgesetzlich normierter Verträge findet das geplante Widerrufsrecht zudem ebenfalls keine Anwendung.41 Mit Bezug auf Finanzdienstleistungen wird das geplante Finanzdienstleistungsgesetz wohl eigene Konsumentenschutzbestimmungen enthalten.42

IV.

Unterschiede zur EU-Richtlinie ^

[32]
Im europäischen Recht besteht heute mit der EU-Verbraucherrechte-RL eine gesamteuropäische Regelung des Widerrufsrechts für Konsumenten bei Fernabsatzverträgen oder bei ausserhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen. Gemäss dieser Richtlinie steht den Konsumenten ein kostenloses Widerrufsrecht von 14 Tagen zu. Der Entwurf der Rechtskommission des Ständerates unterscheidet sich jedoch in einigen Punkten von der EU-Verbraucherrechte-RL.
[33]
Als wichtiger Unterschied gilt es hervorzuheben, dass das Widerrufsrecht nach der EU-Verbraucherrechte-RL ausdrücklich auszuüben ist (siehe Art. 11 Abs. 1 EU-Verbraucherrechte-RL, wonach für einen wirksamen Widerruf entweder das Muster-Widerrufsformular verwendet werden muss oder eine entsprechende Erklärung abgegeben werden muss, aus der der Entschluss zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgeht). Die EU-Verbraucherrechte-RL versucht daher eine klare Rechtslage herbeizuführen, wonach gewisse Anforderungen an die Konsumenten bei der Ausübung des Widerrufsrechts gestellt werden. Die geplante Regelung im E-OR hingegen (Art. 40k Abs. 1 E-OR) erlaubt es den Konsumenten formfrei – also auch konkludent – vom Widerrufsrecht Gebrauch zu machen. Durch die Zulassung eines formfreien Widerrufs verhindert man die (erstrebenswerte) Schaffung einer klaren Sach- und Rechtslage. Die Ausübung des Widerrufsrechts im E-OR bietet sich folglich hervorragend an, zum Streitpunkt zwischen Konsument und Anbieter zu werden. Dies nicht zuletzt deshalb, weil – wie unter III.C erwähnt – die Beweislast für die Einhaltung der Widerrufsfrist beim Konsumenten liegt.
[34]

Ein weiterer Unterschied zeigt sich bei der absoluten Verjährungsfrist. Diese beträgt in der EU-Richtlinie 12 Monate und 14 Tage während nach dem geplanten Widerrufsrecht im E-OR drei Monate und 14 Tage vorgesehen sind.43 Diese unterschiedliche Regelung ist nicht sachgerecht, wird doch von den Befürwortern des Widerrufsrechts als eines der Hauptargumente ins Feld geführt, «möglichst gleichwertige Regelungen» in der EU und der Schweiz seien aufgrund der «zunehmenden Verflechtungen und der Internationalität» im Interesse sämtlicher Betroffener.44 Eine solch fundamental unterschiedliche Ausgestaltung der absoluten Verjährungsfrist führt nämlich – insbesondere mit zunehmender Verflechtung und Internationalität – zur Verunsicherung der Konsumenten, was sich im Endeffekt zu deren Ungunsten auswirkt. Insbesondere birgt diese unterschiedliche Frist die Gefahr, dass sich die Schweizer Konsumenten aufgrund der Regelung in der EU in falscher Sicherheit wiegen, weil sie irrtümlicherweise auch für das im Schweizer Recht geregelte Widerrufsrecht von einer rund 12-monatigen Frist ausgehen.

[35]

Es finden sich noch zahlreiche weitere Unterscheidungen zwischen der EU-Verbraucherrechte-RL und dem E-OR, auf welche im Rahmen dieses Beitrags nicht eingegangen wird. Insgesamt kann jedoch festgehalten werden, dass mit dem geplanten E-OR dem Streben nach einer Harmonisierung des internationalen Konsumentenschutzrechts nicht gedient ist.

[36]

Der Schweizer Gesetzgeber ist nach wie vor frei, von EU-Richtlinien oder Verordnungen abzuweichen oder gewisse Regelungsbereiche überhaupt nicht zu übernehmen. Es ist insbesondere im Bereich des Konsumentenschutzes nicht ersichtlich, weshalb der durchschnittlich über wesentlich mehr Kaufkraft verfügende Schweizer Konsument einem EU-Konsumenten gleichgestellt werden muss. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass ein bewusstes Abweichen vom EU-rechtlichen Widerrufsrecht für Fernabsatzverträge den Geschäftsverkehr mit der EU beinträchtigen würde. Der autonome Nachvollzug sollte nicht das einzige Argument für eine Gesetzesänderung sein, zumal Abweichungen bei Regulierungen auch einen Standortvorteil bedeuten können. 

V.

Argumente der Befürworter und Gegner des geplanten Widerrufsrechts ^

A.

Das freiwillige Widerrufsrecht in der heutigen Praxis ^

1.

Friede im Vertragsrecht durch gesetzliches Widerrufsrecht? ^

[37]
Allenfalls wäre denkbar, dass durch ein gesetzlich statuiertes Widerrufsrecht der Friede im Vertragsrecht gewahrt wird, ohne dass die Konsumenten exzessiv Gebrauch vom Rückgaberecht machen würden. Dies könnte nach Einführung des Widerrufsrechts tatsächlich der Fall sein, deckt sich aber nicht mit der Erfahrung von bspw. Zalando. Dieser reine Online-Versandhändler ist einer der wenigen grösseren Marktteilnehmer, welcher nicht nur ein fakultatives Widerrufsrecht von 30 Tagen anbietet, sondern sogar die Versandkosten und Rücksendekosten übernimmt, ohne dabei einen Mindestbestellwert zu verlangen. Voraussetzung für die Ausübung des Rückgaberechts ist jedoch, dass «die Ware lediglich zur Anprobe, wie in einem Ladengeschäft, getragen» wurde und «vollständig und unversehrt» zurückgesandt wird. Selbstverständlich wurde das Rücksenderecht ausbedungen für Waren, welche aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht für eine Rücksendung geeignet sind, bspw. geöffnete Kosmetikprodukte.45
[38]

Die Kehrseite dieses freiwilligen Rückgaberechts, welches durchaus einen gewissen Wettbewerbsvorteil zeitigt, ist die extrem hohe Rücksendequote: Obwohl genaue Prozentzahlen schwierig herauszufinden sind, wird sie bei Zalando auf ca. 50% aller versandten Waren geschätzt und ist somit signifikant höher als bei allen anderen bekannten Versandhandel Anbietern.46 Eine gesetzliche Statuierung des Widerrufsrechts würde deshalb wohl effektiv dazu führen, dass die Kunden auch vermehrt davon Gebrauch machen (auch ohne Übernahme der Rücksendekosten wie bei Zalando). Dies ist auch im Hinblick auf die Vertragsfreiheit kein wünschenswertes Ergebnis.

2.

Die Mehrkostentragung ^

[39]

Wenn nun ein Widerrufsrecht gesetzlich für alle Versandhäuser gelten würde, wäre auch der relevante Marktvorteil für Anbieter, welche ein Rückgaberecht freiwillig vorsehen, dahin. «Schrei vor Glück oder schicks zurück»47 könnte sich nicht mehr abheben und zusätzlich würden alle Anbieter unter den steigenden Kosten leiden. Die Mehrkosten (welche im Endeffekt wohl durch die Konsumenten getragen werden in Form eines höheren Preises der Waren) bestehen nicht nur in der logistischen Aufrüstung zur Abfertigung der Rücksendungen. Auch die Amortisation der ursprünglichen Versandkosten, welche bei einer Rücksendung nicht über die Margen am Produkt selbst abgegolten werden können, fällt weg. Zudem kommt es beim Verkauf zurückgesandter Waren i.d.R. zu einer Beeinträchtigung des Wiederverkaufswerts (Wiederverkauf als «generalüberholt», «neuwertig», «refurbished» etc.).48

[40]

Die gesetzliche Verankerung des Rückgaberechts würde zudem zu Mehrkosten aller Konsumenten führen, wobei Normalkonsumenten die Kosten mittragen, welche die «Retournierer» verursachen. Nach heutigem Recht bestünde nämlich die Möglichkeit, Konsequenzen nur gegen diejenigen Konsumenten zu ziehen, welche nachweislich über eine erhöhte Retourquote verfügen (sog. «Einkaufsbulimie»49) und permanent alles retournieren, indem solche Kunden gesperrt werden (was heutzutage beispielsweise Amazon tut).50

[41]

Die Stiftung für Konsumentenschutz ist gegenteiliger Meinung: Die konsumentenfreundliche Regelung mit dem Widerrufsrecht habe in den Nachbarländern gezeigt, dass diese umsetzbar sei, die Anbieter nicht ins Verderben stürze und auch nicht zu höheren Verkaufspreisen führe. Es sei vergessen worden, dass heute diverse Online-Shops auf freiwilliger Basis ein Widerrufsrecht gewähren würden und ohne gesetzliche Regelung würden die schwarzen Schafe der Branche «seelenruhig weitergrasen» können.51

[42]

Die Aussage, wonach keine höheren Kosten anfallen, ist aus obengenannten Gründen der Preisbildung nicht nachvollziehbar. Würde ein solch starkes Bedürfnis nach einem Widerrufsrecht bestehen, so wären die «schwarzen Schafe» schon lange durch Anbieter verdrängt worden, welche sich mit der Einräumung eines freiwilligen Widerrufrechts im Markt positioniert haben. Zuletzt ist es sehr pauschal, alle Anbieter als «schwarze Schafe» zu bezeichnen, welche kein Widerrufsrecht, dafür aber u.U. niedrigere Preise anbieten.

[43]
Auch der Verband des Schweizerischen Versandhandels macht darauf aufmerksam, dass der Ausschluss des Rückgaberechts bei bestimmten Produkten gerade der Grund für eine Preisdifferenzierung ist. Unsichere Konsumenten könnten dasselbe Produkt immer noch für einen höheren Preis bei einem Anbieter kaufen, welcher das Rücksenderecht gewährt.52 Dieses System der Differenzierung im Markt erfolgt im Übrigen beim klassischen Verkaufshandel «im Laden» nicht anders. Bspw. schliessen einige Geschäfte, welche einen Sommerausverkauf durchführen, das Rückgaberecht auf sämtliche reduzierte Waren aus.

3.

Missbrauchsgefahr durch «Gratisnutzung» ^

[44]
Obwohl klar ist, dass ein Widerrufsrecht nur für Fälle gilt, in welchen die Waren nur «anprobiert» wurden, gibt es Konsumenten, welche die Waren effektiv nutzen und danach wieder retournieren und sich somit einen unrechtmässigen Vorteil verschaffen. Man denke an das Phänomen des Champions League Finale (oder in den USA der Superbowl). In der Woche davor wird ein grosser HD-Fernseher angeschafft, nur um nach dem Wochenende denselben wieder zurückzugeben. Rolf Wölfle, Vorstandsmitglied des Verbands der Internetwirtschaft (Simsa) bezeichnet dieses Vorkommnis als «Zalando-Party». Unechte Bestellungen, ausgelöst durch das Widerrufsrecht, seien in der EU ein grosses Problem und die Schweiz sollte von solchen Erfahrungen «profitieren».53

B.

Die Informationsasymmetrie im Internet ^

[45]

Das Argument der vertriebsbedingten Informationsasymmetrie wird häufig im Rahmen der Diskussionen um das geplante Widerrufsrecht ins Feld geführt.54 Dieses Argument ist heute aber kaum mehr vertretbar. Die grosse Mehrzahl heutiger Durchschnittskonsumenten verfügt über genügend Kenntnisse, um im Internet Erfahrungsberichte zum gewünschten Produkt von unabhängigen Quellen abzurufen. Die meisten Online-Versandhäuser bieten zudem für ihre eigenen Artikel einen Bereich für Kommentare durch Nutzer an, inklusive der Option zur Bewertung der Produkte. Diese Transparenz ist selbstverständlich auch im Interesse des Versandhändlers selbst, erhält er doch so umgehend und einfach Rückmeldungen zu seinen Produkten. Zudem steht es bei den meisten Produkten den Konsumenten frei, vor der Internet-Bestellung das gewünschte Produkt im Laden zu begutachten. Wenn man diesen Zustand immer noch als «Informationsasymmetrie» bezeichnet, so bestünde auch «im Laden» eine massive Informationsasymmetrie, wobei im Laden – wie oben gezeigt – meist noch der psychologische Verkaufsdruck dazu kommt.

VI.

Handlungsbedarf für Online-Versandhäuser ^

[46]

Da die Rücksendekosten nur dann vom Konsumenten zu übernehmen sind, falls dieser beim Vertragsabschluss rechtsgenügend über die Rücksende- und Kostentragungspflicht informiert wurde, besteht diesbezüglich Handlungsbedarf seitens der Anbieter im Online-Verkauf. Zur Verankerung dieser Rücksende- und Kostentragungspflicht bieten sich bspw. die AGB des Anbieters an. Eine solche Bestimmung in den AGB dürfte sich – vorbehältlich der konsensmässigen Übernahme derselben und der unmissverständlichen Formulierung – durchsetzen lassen und ist auch vor dem Hintergrund der Ungewöhnlichkeitsregel unproblematisch. Dies nicht zuletzt, weil eine solche Kostenverteilung sogar gesetzlich vorgesehen ist.

[47]
Weiter ist mit Bezug auf die Dauer der Ausübbarkeit des Widerrufsrechts darauf zu achten, dass die Konsumenten unmittelbar bei Vertragsabschluss rechtsgenügend über ihre Rechte aufgeklärt werden. Auch für die Anbringung dieser Informationen eignen sich die AGB des Verkäufers wohl am besten.
[48]
Aufgrund der international-privatrechtlichen Konsumentenschutzbestimmungen ist zudem der Handlungsspielraum bezüglich Gerichtsstand und anwendbarem Recht massiv eingeschränkt (siehe Art. 15 ff. des Lugano-Übereinkommens [LugÜ] bzw. Art. 114 und 120 des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht [IPRG]).
[49]
Die heutigen Bestimmungen über das Widerrufsrecht werden zudem als zwingend verstanden, obwohl dies im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt wird. Dies ergibt sich aus dem Schutzcharakter der Bestimmungen.55 Das neue Recht sieht in Art. 40a Abs. 3 E-OR nun ausdrücklich vor, dass die Parteien nicht zum Nachteil des Konsumenten die Bestimmungen zum Widerrufsrecht ausschliessen, davon abweichen oder deren Wirkung abändern können. Diese Schaffung einer klaren Rechtslage ist zu begrüssen und erlaubt es insbesondere, dass Versandhäuser den Konsumenten freiwillig weitere Rechte einräumen können (und sich so Wettbewerbsvorteile verschaffen).

VII.

Fazit ^

[50]
Die Tatsache, dass schon heute viele Online-Versandhäuser (vertraglich) ein Widerrufsrecht anbieten, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass enorme Kosten damit zusammenhängen. Während heute diese Kosten zumindest teilweise über gewisse Marktvorteile amortisiert werden können, würde der Wettbewerbsvorteil bei gesetzlicher Verankerung vollends wegfallen und es wäre den Online-Versandhäusern nicht mehr möglich, sich – auf diese Weise – von der Konkurrenz abzuheben. Die Mehrkosten für ein gesetzliches Widerrufsrecht würden daher über kurz oder lang auf die Konsumenten überwälzt.
[51]

Eine am E-OR besonders störende Erscheinung ist die Kombination von Telefonverkäufen und Fernabsatzverträgen. Es handelt sich hierbei um diametral unterschiedliche Verkaufsmethoden, welche eine undifferenzierte Gleichbehandlung der beiden Geschäftsabschlüsse nicht zu rechtfertigen vermag. Es sollte dem ursprünglichen Geiste der Initiative Bonhôte gefolgt und das Widerrufsrecht nur auf Telefonverkäufe ausgeweitet werden, da dort zumindest die Überrumpelungssituation zutrifft und somit ein Widerrufsrecht angemessen erscheint. Der Legislative ist im weiteren parlamentarischen Verfahren zu empfehlen, das Widerrufsrecht für Fernabsatzgeschäfte wieder herauszustreichen. Diese Ansicht scheint der Nationalrat erfreulicherweise zu teilen. Die Konsequenzen einer Ausweitung des Widerrufsrechts auf sämtliche Fernabsatzverträge droht nicht nur die Entwicklung des Online-Handels zu bremsen, sondern führt auch zu einer fortlaufenden Abkehr von etablierten Grundsätzen des schweizerischen Vertragsrechts wie bspw. pacta sunt servanda


 

MLaw Flavio Delli Colli, LL.M.

MA MLaw Leo H. Rusterholz, LL.M.

 

Der Beitrag wurde bereits in Jusletter publiziert (vgl. Flavio Delli Colli / Leo Rusterholz, Das geplante Widerrufsrecht im E-Commerce nach OR, in: Jusletter 8. September 2014).

  1. 1 Botschaft 86.030 zu einem Bundesgesetz über die Förderung der Konsumenteninformation und zu einem Bundesgesetz über die Änderung des Obligationenrechts (Die Entstehung der Obligationen) vom 7. Mai 1986, BBl 1986 II 354 ff., 386; Honsell, Heinrich/Vogt, Nedim Peter/Wiegand Wolfgang (Hrsg.): Schweizerisches Obligationenrecht I: Basler Kommentar zu Art. 1–529 OR, 5. A. 2011, Gonzenbach/Koller-Tumler, Vor Art. 40a–40f , N 1.
  2. 2 BBl 1986 II 354 ff. (FN 1), 365.
  3. 3 BBl 1986 II 354 ff. (FN 1), 386.
  4. 4 BBl 1986 II 354 ff. (FN 1), 387.
  5. 5 BBl 1986 II 354 ff. (FN 1), 386; Werden nämlich Formerfordernisse bei bestimmten Verträgen nicht eingehalten, so ist man nicht an diese gebunden. Bspw. ist ein Schenkungsversprechen nur gültig, wenn es schriftlich gegeben wird (Art. 242 Abs. 1 OR).
  6. 6 BSK OR I-Gonzenbach/Koller-Tumler (FN 1), Vor Art. 40a–40f , N 2.
  7. 7 Mit «Fernabsatzgeschäften» sind Verträge gemeint, bei denen sich die Vertragsparteien bei Anbahnung und Abschluss des Vertrags physisch nicht am gleichen Ort befinden, aber sich eines oder mehrerer Fernkommunikationsmittel bedienen (zu 06.441 Parlamentarische Initiative: Mehr Konsumentenschutz und weniger Missbräuche beim Telefonverkauf – Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats vom 14. November 2013, Stellungnahme des Bundesrates vom 14. März 2014, BBl 2014 2993 ff., 2998). Diese Definition für Fernabsatzverträge wird durch den Bundesrat verwendet, welcher zwischen Telefonverkauf und Fernabsatzgeschäft differenziert. Die Kommission des Ständerates verwendet jedoch Fernabsatzgeschäft als Oberbegriff für Telefonverkäufe und Online-Handel (06.441 Parlamentarische Initiative: Mehr Konsumentenschutz und weniger Missbräuche beim Telefonverkauf – Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 14. November 2013, BBl 2014 921 ff., 925). Zur Definition, welche das E-OR verwendet, siehe Kapitel III.A.
  8. 8 Das wohl prominenteste Beispiel: Zalando AGB, Ziffer 4.2, http://www.zalando.ch/agb/ (alle Internetquellen wurden zuletzt abgerufen am 19. August 2014).
  9. 9 Entwurf Bundesgesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr (Teilrevision des Obligationenrechts und des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb) vom … [sic].
  10. 10 BSK OR I-Gonzenbach/Koller-Tumler (FN 1), Vor Art. 40a–40f, N 2.
  11. 11 Parlamentarische Initiative 05.458 – Verbesserung des Konsumentenschutzes. Fernabsatz und Gewährleistung, eingereicht im Ständerat am 15. Dezember 2005 durch Simonetta Sommaruga (zit. Initiative Sommaruga).
  12. 12 Parlamentarische Initiative 06.441 – Mehr Konsumentenschutz und weniger Missbräuche beim Telefonverkauf, eingereicht im Ständerat am 21. Juni 2006 durch Pierre Bonhôte (zit. Initiative Bonhôte).
  13. 13 Initiative Bonhôte, Begründung.
  14. 14 So auch der Bundesrat, welcher darauf hinweist, dass Mängel- , Gewährleistung- und Leistungsstörungsrecht nur unter qualifizierten, vom Konsumenten zu beweisenden Voraussetzungen zu einer Vertragsauflösung oder auch nur -anpassung führen (BBl 2014 2993 ff., (FN 7) 2995).
  15. 15 Damit nahm die Initiative Bezug auf den eingangs zu diesem Kapitel erwähnten gescheiterten Entwurf zum Bundesgesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr.
  16. 16 Initiative Bonhôte, Begründung.
  17. 17 Entwurf Obligationenrecht (Revision des Widerrufsrechts Änderung vom … [sic] (zit. E-OR).
  18. 18 Nationalrat: Bericht der Kommission für Rechtsfragen vom 26. Juni 2009, Ziffer 3, abrufbar unter: http://www.parlament.ch/sites/kb/2008/Kommissionsbericht_RK-N_08.510_2009-06-26.pdf.
  19. 19 05.458 Parlamentarische Initiative Sommaruga Simonetta. Verbesserung des Konsumentenschutzes. Fernabsatz und Gewährleistung, 06.441 Parlamentarische Initiative Bonhôte Pierre. Mehr Konsumentenschutz und weniger Missbräuche beim Telefonverkauf, AB NR 2009 N 1645.
  20. 20 Vorentwurf Obligationenrecht (Revision des Widerrufrechts), Änderung vom … [sic] (zit. VE-OR).
  21. 21 Ständerat: 06.441 Parlamentarische Initiative. Mehr Konsumentenschutz und weniger Missbräuche beim Telefonverkauf – Bericht der Kommission für Rechtsfragen vom 23. August 2012.
  22. 22 BBl 2014 921 ff. (FN 7), 927.
  23. 23 Diesen Kritikpunkten wurde nur durch die Einführung von Ausnahmeregelungen Rechnung getragen, nämlich für Fälle, in welchen ein Widerrufsrecht nicht sachgerecht oder praktikabel erscheint (bspw. de minimis Regelung von CHF 100.–; öffentliche Versteigerungen etc.) BBl 2014 921 ff. (FN 7), 928.
  24. 24 BBl 2014 921 ff. (FN 7), 928.
  25. 25 Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 23. August 2012 (FN 21), S. 6, 7.
  26. 26 Es ist jedoch nicht restlos geklärt, ob solche Online-Auktionen unter die Ausnahme für öffentliche Auktionen fallen (siehe BBl 2014 921 ff. (FN 7), 936).
  27. 27 Auktionen sind denn auch vom Anwendungsbereich des geplanten Widerrufsrechts ausgenommen gemäss Art. 40e lit. d E-OR.
  28. 28 BSK OR I-Gonzenbach/Koller-Tumler (FN 1), Vor Art. 40a–40f, N 2.
  29. 29 Vorschlag einer Richtlinie des Rates betreffend den Verbraucherschutz im Fall von ausserhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen, ABl. Nr. C22/6 ff. vom 29. Januar 1977.
  30. 30 BBl 1986 II 354 ff. (FN 1), 389/390.
  31. 31 Richtlinie 85/577 EWG vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von ausserhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. L 372/31 vom 31. Dezember 1985 (zit. EU-Haustürgeschäfte-RL).
  32. 32 Richtlinie 97/7/EG vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. L 144/19 vom 4. Juni 1997 (zit. EU-Fernabsatz-RL).
  33. 33 Richtlinie 2002/65/EG vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, ABl. L 271/16 vom 9. Oktober 2002.
  34. 34 Für weitere Richtlinien vgl. BSK OR I-Gonzenbach/Koller-Tumler (FN1), Vor Art. 40a–40f, N 2.
  35. 35 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 304/64 vom 22. November 2011 (zit. EU-Verbraucherrechte-RL).
  36. 36 Art. 28 EU-Verbraucherrechte-RL.
  37. 37 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. L 95/29 vom 21. April 1993.
  38. 38 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. L 171/12 vom 7. Juli 1999.
  39. 39 Siehe auch BSK OR I-Gonzenbach/Koller-Tumler (FN 1), Vor Art. 40a–40f, N 5.
  40. 40 Siehe Art. 40l Abs. 1 E-OR.
  41. 41 So z.B. die Konsumentenrechte bei Pauschalreisen aufgrund Art. 10 des Bundesgesetzes über Pauschalreisen (SR 944.3).
  42. 42 Diskutiert wird etwa die Einrichtung einer Informations- und Beratungsstelle für geschädigte Kunden, siehe Hearingbericht «Finanzdienstleistungsgesetz» des EFD vom 18. Februar 2013, S. 26, abrufbar unter: http://www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/31589.pdf.
  43. 43 Art. 10 EU-Verbraucherrechte-RL und Art. 40j Abs. 3 E-OR.
  44. 44 BBl 2014 2993 ff. (FN 7), 3000.
  45. 45 Zalando AGB, Teil B Ziffer 2 und 4.2, abrufbar unter http://www.zalando.ch/zalando-agb/.
  46. 46 Auswahl von Medienberichten: http://www.nzz.ch/wirtschaft/newsticker/zalando-steigert-umsatz-um-50-prozent---ipo-keine-prioritaet-1.18243369; http://www.newsroomschweiz.ch/news/detail/813084/schnell_und_leiser_wachsen_-_zalando_hlt_erfolgsspur; http://www.bernerzeitung.ch/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/Bei-Zalando-kommt-rund-die-Haelfte-zurueck/30757342/print.html?comments=1.
  47. 47 Der ursprüngliche Werbeslogan von Zalando, welcher auf «Schrei vor Glück» reduziert wurde.
  48. 48 Siehe beispielsweise den «Apple Refurbished Store» http://store.apple.com/ch-de/browse/home/specialdeals/mac/macbook_air.
  49. 49 http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/renditekiller-retouren-amazon-sperrt-kunden-mit-kaufbulimie/8572908.html.
  50. 50 http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/renditekiller-retouren-amazon-sperrt-kunden-mit-kaufbulimie/8572908.html.
  51. 51 http://www.konsumentenschutz.ch/themen/internet/widerruf-bundesrat-staerkt-den-konsumentenschutz-auch-im-onlinehandel/.
  52. 52 http://www.vsv-versandhandel.ch/medienarchiv_de.cfm?mod_News_detail=427.
  53. 53 http://www.nzz.ch/aktuell/schweiz/mehr-konsumentenschutz-im-online-handel-1.18263409.
  54. 54 Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 23. August 2012 (FN 21), S. 8.
  55. 55 BBl 1986 II 354 ff. (FN 1), 389; siehe diesbezüglich auch BSK OR I-Gonzenbach/Koller-Tumler (FN 1), Vor Art. 40a–40f OR, N 10.