Jusletter IT

Von der Endlichkeit der Rechtsbegriffe in die unendlichen Räume

Erinnerungen an Lothar Philipps, einen außergewöhnlich kreativen Rechtstheoretiker und wohlwollenden Menschen

  • Authors: Rainhard Z. Bengez / Georg Jakob / Friedrich Lachmayer
  • Region: Germany, Austria
  • Citation: Rainhard Z. Bengez / Georg Jakob / Friedrich Lachmayer, Von der Endlichkeit der Rechtsbegriffe in die unendlichen Räume, in: Jusletter IT 11 December 2014
In 2012, Editions Weblaw, Bern published the late Lothar Philipp's last book on legal logic and legal philosophy. «Endliche Rechtsbegriffe mit unendlichen Grenzen» (Unlimited Finite Juridical Concepts) is a compact and nice to read selection of various papers originated within the scope of IRIS (International Conference on Legal Informatics, Salzburg) and Münchener Rechtstheorie-Gespräche (Munich Talks on Legal Theory).
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Aus Anlass seines 80. Geburtstages fanden am 12. und 13. September 2014 an der Universität München Rechtstheorie-Gespräche zur Dynamik und Statik des Rechts statt, an denen er in zeitloser gedanklicher Frische teilnahm.

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Lothar Philipps war ein außergewöhnlich kreativer Rechtstheoretiker und ein wohlwollender Mensch. Er beteiligte sich nicht an den zeitgemäßen Streitigkeiten, ob es eine eigene Rechtslogik gäbe, er wandte sich auch nicht aggressiver Weise gegen die Reine Rechtslehre von Hans Kelsen, sondern zog unbeirrt seinen Weg, indem er formale Modelle, insbesondere der Logik und der Mathematik auf das Recht anwandte.
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Irgendwie entstand der Eindruck, dass er diese Themenstellungen wie Rätsel, wie Kriminalromane auffasste, die es zu lösen gilt. Zum Teil waren die formalen Modelle ein Rätsel, zum Teil das Recht, zum Teil beides.

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Man könnte ihn als einen Aristoteliker bezeichnen, der in kundiger Neugier die Universalia in den Sachen sucht und auch findet. Es war immer Neues, was den Zuhörern und Lesern in seinen Vorträgen und Aufsätzen begegnete und diese und auch ihn faszinierte.
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Seine Vorträge waren zumeist auch Werkstattgespräche, die er mit einer immensen Offenheit anging, mit einer jungenhaften Begeisterung, die der Schönheit der formalen Modelle und den Strukturen des Rechtes galt, stets bereit zu lernen.
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Andererseits bereitete es ihm ein sichtliches Vergnügen, sich skurrile virtuelle Fälle auszudenken, an denen er die Anwendung logischer Modelle demonstrieren konnte. Vielleicht eine Auswirkung seiner strafrechtlichen Lehrtätigkeit an der Universität..
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Ein für ihn zentrales Forum war durch Jahrzehnte das Donnerstagsseminar am Rechtsphilosophieinstitut in München, doch war er mit seinen Ideen und den Diskussion darüber keineswegs an einen Ort gebunden. Für einen Künstler, für einen Schachspieler, und auch für einen Logiker ist es nicht relevant, ob er sich in Europa, in den USA, oder in Japan befindet. Als Theoretiker befand sich Lothar Philipps stets am rechten Ort, in seiner Zeit, in seiner Gegenwart.

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In seiner Zeit, in tempore suo, kamen die neuronalen Netze auf, zu denen die meisten Juristen aufgrund ihrer textuellen Gebundenheit keinen rechten Zugang hatten. Lothar Philipps konnte jedoch mit ihnen umgehen. An Kasuistik vom Strafrecht her gewöhnt und mit dem entsprechenden theoretischen Scharfblick ist es ihm gelungen, die neuronalen Netze in die Rechtsinformatik zu integrieren und sie mit der ihm eigenen kreativen und experimentellen Weise zu trainieren und dadurch neue Aspekte aufzuzeigen. Niemand konnte das so gut wie Lothar Philipps, der damit in die Top Ten der Rechtstheorie aufstieg. Dieser Rang und diese Würde sind ihm zeitlebens auch geblieben und wirken jetzt noch nach.
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Lothar, ein lieber Freund, Mentor, Lehrer und einer der wenigen Personen, die zum Lachen brachten, immer intellektuell forderte, ein feiner, ein lieber Mensch; einer jener Menschen, die einem durch ihr bloßes Dasein die Last des Alltags nahmen, ist von uns gegangen. Er war nicht nur ein Pionier der Rechtslogik & Rechtsinformatik, sondern auch ein begnadeter Lehrer und ein Denker der Rechtsphilosophie. Sein zentrales Thema war die Suche nach den (strukturellen) Invarianten, was ihn über die Intuitionistische Logik, die Symmetrie und über die Schönheit der Dinge und des Rechts letztlich auch zu der Einsicht führte, dass das Ganze auf wenigen Prinzipien ruht und die Summe der Lösungen der Rechtsprobleme wesentlich umfangreicher ist, als die kleine Summe der Rechtsprobleme an sich. Er sah die Welt als verbunden an und folgte somit einem ontologischen Ansatz von Spinoza und Leibniz. Das Wesentliche ist verwebt, verbunden. So auch wir mit dir, lieber Lothar.


 

Rainhard Z. Bengez, Mathematiker, Mediziner, Wissenschaftstheoretiker und Rabbiner. Gegenwärtig lehrt er Mathematik und Philosophie an der Nationalen Universität Taipei und an der TU München, wo er u.a. an der computable legal theory arbeitet.

 

Georg Jakob, Geschäftsführer, patalyst.com, Milano, Italien, München, Deutschland.

 

Universitätsprofessor Dr. Friedrich Lachmayer, pensionierter Ministerialrat des Bundeskanzleramts in Wien, Verwaltungsjurist im Rechtsdienst der österreichischen Staatskanzlei, Betreiber und Förderer von wissenschaftlichen Plattformen, wie des Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS.