1.
Einleitung ^
Für den Juristen hat der Rechtstext als Erkenntnisquelle überragende Bedeutung. Im Allgemeinen gilt für ihn: «Auszugehen ist vom Text. Der Text ist die sprachliche Grundlage.»1 Der Text repräsentiert die Norm und ist der Träger des juristischen Sinns2. Norm und Darstellung werden als untrennbare Einheit3 wahrgenommen.
Friedrich Lachmayer hat jedoch gezeigt4, dass jeder juristische Text als Konstrukt aus mehreren Schichten unterschiedlicher Inhalte und Bedeutungen anzusehen ist. Im Folgenden werden zwei solcher Schichten, nämlich
- die Sprachschicht und
- die Modellschicht
2.
Sprachebene ^
Ausgangspunkt ist dabei die dogmatisch nicht zutreffende5, aber auf Grund ähnlicher Rechtskultur und -tradition nicht denkunmögliche Annahme, dass sich die strafrechtichen Regelungen für Mord im österreichischen (§ 75 öStGB) und im deutschen (§ 211 dStGB) Strafrecht inhaltlich stark überlappen und die Unterschiede im Allgemeinen vernachlässigt werden können. Für das Gedankenexperiment wird also angenommen, dass unter «Mord» in Österreich und Deutschland dasselbe verstanden wird und in beiden Rechtsvorschriften derselbe Tatbestand beschrieben wird.
- § 211 dStGB: (1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.
- § 75 öStGB: Wer einen anderen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.
2.1.
Sprachvorlagen ^
- § 75 öStGB: Wer einen anderen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.
- § 83 (1) öStGB: Wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
- § 125 öStGB: Wer eine fremde Sache zerstört, beschädigt, verunstaltet oder unbrauchbar macht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
Es kann folgende Sprachvorlage abgeleitet werden:
Wer < opfer_ziel/ > < aktive_tathandlung/ >
Bei einfachen Sprachvorlagen kann ein Ersetzen von variablen Textteilen in der Sprachvorlage ausreichen. Für die Sprachvorlage zum öStGB können so problemlos folgende Varianten von Normtexten erzeugt werden:
2.2.
Der Prozess der Normtexterzeugung ^
P(Normmodell, Sprachvorlage1) ⇒ Normtext1
P(Normmodell, Sprachvorlage1) ⇒ Normtext2
Abhängig von der verwendeten Vorlage kann aus einem Normmodell nicht nur ein Text, sondern auch eine andere Form der Darstellung, z.B. eine Grafik7, erzeugt werden.
2.3.
Automatisierte Normtexterzeugung ^
Aus der Sicht der Rechtsinformatik ist der logisch folgende Schritt aus der vorangegangenen Definition des Prozesses der Normtexterzeugung die Untersuchung, ob und in welchem Ausmaß der Prozess der Normtexterzeugung automatisierbar ist. Es wurde daher das beschriebene theoretische Modell in einem Prototypen8 unter Verwendung des Frameworks GF9, das der Programmierung multilingualer Grammatiken dient, umgesetzt.
- Norm1 : Tat -> TaeterBezeichnung -> Strafrahmen -> TatMotiv -> NormText;
- Norm2 : Tat -> TaeterBezeichnung -> Strafrahmen -> NormText;
Norm2 tat taeter strafe = mkText (
mkPhr (mkS if_then_Conj (mkS (mkCl (mkNP wer_N)
tatausfuehren_V2 (mkNP someSg_Det anderen_N)))
(mkS (mkCl (mkNP er_N) (passiveVP bestrafen_V strafe))))
);
- Modell:Norm2 TatName Taeter (Strafe (StrafeVonBis StrafeJahr10 StrafeJahr20) StrafeLebenslang) wenn jemand tötet einen Anderen dann er wird durch Freiheitsstrafe von zehn Jahren und Freiheitsstrafe bis zu zwanzig Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe bestraft .Ergebnis:wenn jemand tötet einen Anderen dann er wird durch Freiheitsstrafe von zehn Jahren und Freiheitsstrafe bis zu zwanzig Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe bestraft .
- Modell (§ 75 öStGB mit der Vorlage § 211 dStGB): Norm1 TatName Taeter (Strafe (StrafeVonBis StrafeJahr10 StrafeJahr20) StrafeLebenslang) ohne Motiv Ergebnis: der Mörder wird durch Freiheitsstrafe von zehn Jahren und Freiheitsstrafe bis zu zwanzig Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe bestraft . es ist der Mörder der einen Menschen tötet .
- Modell:Norm1 TatName Taeter (Strafe (StrafeVonBis StrafeJahr10 StrafeJahr20) StrafeLebenslang) (TatMotive MotivHabgier (TatMotive MotivGemeingefaehrlicheMittel MotivGrausam)) Ergebnis: der Mörder wird durch Freiheitsstrafe von zehn Jahren und Freiheitsstrafe bis zu zwanzig Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe bestraft. es ist der Mörder der einen Menschen aus Habgier oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder grausam tötet
3.
Das Normative Modell ^
Auf Details zu semantischen Technologien, insbesondere Ontologien, an dieser Stelle einzugehen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.10 Hervorzuheben ist jedoch, dass es möglich ist, eine Verbindung zwischen dem normativen Modell und der Grammatik der Sprachvorlage herzustellen, da die Definition abstrakter Grammatiken als Ontologie für diese Grammatik interpretiert werden kann.11
4.
Ikonische Logik in der Legistik ^
Da das Verhältnis von Juristen zur Logik als «Hassliebe»12 beschrieben werden kann, ist zu befürchten, dass bei einer Arbeit am normativen Modell der Hass die Liebe übertreffen wird und in der Folge modell-getriebene Methoden in der Legistik kaum etabliert werden können.
Als ein Ansatz dazu kann die ikonische Logik der Peirceschen Graphen13 dienen. Dabei werden logische Formeln in einer Kombination aus Buchstaben und Kurven bzw. Linien dargestellt. So ist eine Darstellung des logischen Ausdrucks ¬(¬A ∧ ¬B).
5.
Zusammenfassung ^
6.
Literatur ^
Angelov, Krasimir, The Abstract Syntax as Ontology (Folien zu einem Referat auf der GF Summer School 2009), aufgerufen 5. Januar 2013, http://www.grammaticalframework.org/gfss/gfss/gfss/ontologies.pdf, 2009
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Felix Gantner, infolex – Rechtsinformatik, Österreich.
- 1 Lachmayer, Friedrich / Reisinger, Leo, Legistische Analyse der Struktur von Gesetzen, Seite 18 (Hervorhebung im Original).
- 2 Müller, Friedrich / Christensen, Ralph / Sokolowski Michael, Rechtstext und Textarbeit, Seite 19f.
- 3 Vgl. dazu Gantner, Felix, Abstrakte Normbeschreibung und automatisierte Textgenerierung, Seite f.
- 4 Lachmayer, Friedrich, Schichten juristischer Probleme.
- 5 Rengier, Rudolf, Ausgrenzung des Mordes aus der vorsätzlichen Tötung? Eine rechtsvergleichende Darstellung für das österreichische, schweizerische und deutsche Recht.
- 6 Vgl.die Ähnlichkeit der Formulierungen «aus ... oder anderen besonders verwerflichen Beweggründen gehandelt hat» bzw. «heimtückisch, grausam oder in einer für das Opfer qualvollen Weise gehandelt hat» zu § 211 dStGB.
- 7 Vgl. Haapio, Helena, Designing Readable Contracts: Goodbye to Legal Writing – Welcome to Information Design and Visualization.
- 8 Der Schwerpunkt bei der Implementierung des Modells in dem Prototypen lag bei dem Nachweis, dass eine Normtexterzeugung über abstrakte und konkrete Grammatiken möglich ist. Da die juristische Sprache Besonderheiten in der Formulierung und Satzstellung aufweist, entsprechen die Ergebnisse der Texterzeugung nicht genau den Formulierungen der Normtexte des StGB. Durch entsprechende Programmierung wären diese stilistischen Probleme jedoch behebbar.
- 9 http://www.grammaticalframework.org
- 10 Vgl. einführend für den juristischen Bereich Benjamins, Richard / Casanovas, Pompeu / Breuker, Joost / Gangemi Aldo, Law and the Semantic Web, an Introduction.
- 11 Angelov, Krasimir, The Abstract Syntax as Ontology.
- 12 Joerden, Jan, Logik im Recht, 1.
- 13 Vgl. Barwise, Jon / Hammer, Eric, Diagrams and the Concept of Logical System; Hammer, Eric, Peircean Graphs for Propositional Logic; Shin, Sun-Joo, The Iconic Logic of Peirce´s Graphs.