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Von Kreisen, Brücken und anderen Bildern – Assoziationen zu Friedrich Lachmayer

  • Author: Günther Schefbeck
  • Category: Preface
  • Region: Austria
  • Citation: Günther Schefbeck, Von Kreisen, Brücken und anderen Bildern – Assoziationen zu Friedrich Lachmayer, in: Jusletter IT 11 September 2014
Friedrich Lachmayer verkörpert in seinem die Grenzen wissenschaftlicher Disziplinen ebenso wie soziokultureller Milieus überschreitenden Wirken einen ganzheitlichen Zugang zu Wissenschaft (soweit sie es ist, die Wissen schafft) und Wissenskritik. Seine Fähigkeit, Menschen zu aktivieren, macht ihn zum Anstoßgeber in so vielen verschiedenen Bereichen wie Rechtstheorie, Rechtsinformatik, Rechtsvisualisierung oder Semiotik.
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Zum Protokoll zwischenmenschlicher Interaktion in Österreich zählt nach wie vor die korrekte Anrede, immerhin auszuwählen aus einer Palette von an die 900 Titeln1. Und so hat Friedrich Lachmayer – als Kenner der österreichischen Seele und als aufmerksamer und zur Reflexion neigender Beobachter von Zeichen – einmal amüsiert bemerkt, es sei doch merkwürdig, wie die Anredekonventionen, denen er selbst ausgesetzt sei, im organisatorischen Kontext divergierten: «Im Bundeskanzleramt sagen sie «Herr Professor» zu mir, und an der Universität sagen sie zu mir «Herr Ministerialrat».»
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Friedrich Lachmayer steht im Zentrum vieler Kreise, und er verbindet sie wie ein gemeinsames Zentrum – aber es sind (wie auch immer das geometrisch zu deuten sein mag) dennoch keine konzentrischen Kreise, sondern sie überlappen einander, und oft ist die Schnittfläche eben Friedrich Lachmayer. Verwaltung und Universität, Legistik und Rechtsinformatik, Rechtstheorie und Semiotik, Wien und Innsbruck, Österreich und die Welt – Friedrich Lachmayer ist in all diesen Kontexten zu Hause, er gehört ihnen allen an, aber er gehört keinem von ihnen allein, er steht im Zentrum, weil er als genialer «Netzwerker» den jeweiligen Kreis nicht nur inspiriert, sondern auch organisiert, aber er steht auch am Rand, nämlich am Übergang zu den anderen Kreisen, denen er angehört, er ist den Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, vertraut, sie wissen, was sie an ihm haben und was von ihm kommt, aber er ist ihnen auch fremd, weil sie wissen, weil sie spüren, dass er nicht nur ihrer jeweiligen Welt angehört, sondern auch anderen Welten.
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Friedrich Lachmayer schlägt Brücken, und er über-brückt damit in einer geistigen Kultur, in der fachliche Spezialisierung allzu oft den Blick auf das Ganze verstellt, die Klüfte zwischen den Disziplinen, und in einer Gesellschaft, der eine Tendenz zur «Fragmentierung» zugeschrieben wird, die Klüfte zwischen gesellschaftlichen Gruppen wie Beamtenschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Das wesentlich auch von ihm – wie so viele andere Veranstaltungsreihen – initiierte Internationale Salzburger Rechtsinformatiksymposium (IRIS) mag als Beispiel dienen: Das Programm, das sich über die Jahre hin immer breiter aufgefächert hat, reicht von den nüchternen Themen juristischer Alltagspraxis wie den Anwendungen der Rechtsinformatik bis zu visionären Perspektiven der Rechtsvisualisierung, von der durch logische Stringenz bestimmten Rechtstheorie bis zu den Spielfeldern der Phantasie in der Science Fiction. Und ebenso vielfältig und bunt ist der Teilnehmerkreis: in den Vortragssessionen und Workshops des Symposiums sitzt der Informatiker neben der Juristin, der Universitätsprofessor neben der Anwältin, der Verwaltungsbeamte neben der Studentin, und sie alle sitzen nicht nur neben einander, sondern sie diskutieren mit einander – ihre Lebens- und Wirkungskreise überschneiden sich, zumindest für jene zweieinhalb Tage, ehe sie am Samstagnachmittag wieder zurückkehren in ihren Alltag, inspiriert und bereichert.
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Während manch einer Veranstaltung – für IRIS trifft das insbesondere auf die ersten Jahre zu, ehe die Zahl der Parallelsessionen und eigenständige Tradition entwickelnden seriellen Workshops zugenommen hat – hat Friedrich Lachmayer nicht nur Vorträge gehalten und diskursive Anregungen gegeben, sondern er hat auch seine eigenen Kreise gezogen – er ist unermüdlich unterwegs gewesen, um Aufträge auszugeben. Sie klingen zwar nicht so, aber sie sind es: am Ende einer Veranstaltung hat Friedrich Lachmayer die jeweilige Folgeveranstaltung bereits größtenteils geplant, Vortragsthemen vergeben, Workshops arrangiert, und die Menschen, die er angesprochen hat, fühlen sich dennoch nicht vergewaltigt, sondern ermutigt – als wäre, was er ihnen vorgeschlagen hat zu tun, immer schon in ihnen angelegt gewesen, und als hätten sie nur auf die richtige Gelegenheit dafür gewartet. Friedrich Lachmayer hat seine ganz persönliche «Hebammenkunst» entwickelt – er fördert zutage, was hervor will, aber sich ansonsten vielleicht gegen die Verpflichtungen des Alltags nicht durchsetzen könnte. Er fördert, und er fordert, aber könnte das eine ohne das andere bestehen?
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Um Menschen so fördern und fordern zu können, muss man sie kennen. Friedrich Lachmayer kennt sie, er erkennt ihr Potential und sucht es zu aktivieren, und liebevoll schmunzelnd analysiert er ihre Schwächen. Ebenso wie seine eigenen, nur dass er sich ihnen kritischer nähert: seine Selbstreflexion ist eine bemerkenswerte Selbstanalyse. Wer je eines Aspekts dieses Prozesses teilhaftig geworden ist, der hat daraus zumindest Methodisches gelernt: wie Zeichen zu deuten sind, wie hinter Oberflächen zu blicken ist, wie Tiefendimensionen ausgelotet werden können. Diese analytische Methode vermag Friedrich Lachmayer aber nicht nur am eigenen Unbewussten anzuwenden: seine Deutungen antiker Mythen, volkstümlicher Märchen oder von Liedern der Romantik eröffnen Perspektiven, die sich dem oberflächlichen Textkonsumenten nicht erschließen würden. So betreibt Friedrich Lachmayer seine eigene «Archäologie des Wissens», deckt verschüttete Archetypen auf, sucht nach den Ur-Bildern.
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Text und Bild, Analytik und Intuition – ebenso wie Friedrich Lachmayer Brücken schlägt zwischen Menschen und ihren Lebens- und Wirkungskreisen, so schlägt er sie auch zwischen mentalen Kategorien. In einer überwiegend textbasierten Kultur hat Friedrich Lachmayer schon immer in Bildern gedacht – oder in Bildern empfunden. Und so hinter den Text geblickt, zwischen den Zeilen gelesen. Seine bildhafte Sprache hat ihn immer schon wie einen biblischen Propheten wirken lassen, dessen äußerem Erscheinungsbild er sich erst allmählich annähert. Die Macht der Bilder nutzt Friedrich Lachmayer aber nicht nur figurativ in seiner Rede, sondern auch buchstäblich in seiner Präsentationstechnik: er hat ein graphikfähiges Präsentationsprogramm (oder nennen wir das Kind, ohne Angst vor unlauterem Wettbewerb, bei seinem Namen: PowerPoint) zu einer Kunstform entwickelt. Aus den schlichten, standardisierten Autoformen, die das Programm zur Verfügung stellt, vermag er Bilder zu entwerfen, welche die komplexesten Ideen ebenso anschaulich machen wie Gefühle oder nüchterne Sachverhalte2. Wenn davor gewarnt worden ist, dass PowerPoint durch die von diesem Programm ausgelöste Tendenz zu sprachlichem Reduktionismus zur Verdummung der Menschheit führen würde3, dann zeigt Friedrich Lachmayer, dass es auch sehr viel erleuchtender wirken kann: er verwendet es, um durch graphische Abstraktion Verständnis zu vermitteln.
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Den Wert graphischer Abstraktion für das Verständnis komplexer organisatorischer Einrichtungen bzw. rechtlicher Institutionen haben Generationen von Studierenden der Rechtswissenschaft anhand von Friedrich Lachmayers Schaubildern zu dem von Wilhelm Brauneder verfassten Lehrbuch der österreichischen Verfassungsgeschichte erleben dürfen, das immer noch als der «Brauneder/Lachmayer» gilt, auch wenn der Verlagstitel mittlerweile nur mehr den Textautor nennt4. Dass darüber hinaus aber das Bild mehr sein kann als bloß sekundäre Verständnishilfe für primär textbasierte Normen, dass es auch normative Ausdrucksform zu sein vermag – und vielleicht hinkünftig vermehrt sein wird –, diesen Ansatz der Rechtsvisualisierung hat Friedrich Lachmayer über Jahrzehnte hin mit der ihm eigenen Beharrlichkeit und Überzeugungskraft vertreten, und dass die Rechtsvisualisierung inzwischen zu einer anerkannten und beachteten Disziplin geworden ist, das ist nicht zuletzt diesem Einsatz zu danken. Wie wichtig ihm das Thema – unter den vielen Themen, denen er sich widmet – ist, zeigt allein schon die Wahl des Domainnamens für seine Webpräsenz5.
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Friedrich Lachmayer beherrscht die Macht der Bilder. Dass ein Bild mehr wert sei als tausend Worte, diese dem US-amerikanischen Werbefachmann Frederick R. Barnard zugeschriebene Erkenntnis6
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PowerPoint wäre richtiger – im Original falsch? mag in der Werbebranche bereits über seit 90 Jahren erfolgreich verwertet werden, die juristische, die wissenschaftliche und viele Aspekte unserer Alltagskultur sind weiterhin überwiegend textbasiert geblieben. Erst in jüngster Zeit wird eine Trendwende konstatiert7. Friedrich Lachmayer mag somit guten Gewissens als ein Vorreiter, als ein Pionier einer neuen Tendenz gesehen werden, die indes , einmal mehr, viel verschüttetes altes Wissen zu neuer Wirksamkeit gelangen lässt8, und so schlägt Friedrich Lachmayer auch in dieser Hinsicht eine Brücke, eine Brücke zwischen altem und neuem Wissen.
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Der «Entzauberung der Welt»9 durch die neuzeitliche Rationalisierung oder «Intellektualisierung» und der damit verbundenen Erwartung, «daß man … alle Dinge … durch Berechnen beherrschen» könne10, ist Friedrich Lachmayer stets skeptisch gegenüber gestanden, und dies obgleich er sich beruflich mit Leidenschaft der Entwicklung und dem Einsatz technischer Mittel zur Unterstützung der Rechtsdokumentation und der Legistik gewidmet hat, seit er gleich zu Beginn seiner Tätigkeit im Bundeskanzleramt an dem legendären EDV-Versuchsprojekt «Verfassungsrecht» mitzuwirken Gelegenheit gehabt hatte11. Dennoch: technische Mittel bleiben für ihn Hilfs-Mittel. Den Zauber der Welt lässt er sich durch sie nicht nehmen. Wie sich «Wißtrieb», Freud zufolge ein Sublimat des Bemächtigungstriebes12, und Zweifel in ihm die Waage halten, so auch die Bereitschaft, sich technischer Hilfsmittel zur Beherrschung der Welt zu bedienen, und die Erkenntnis, dass sie dazu nicht nur nicht ausreichen, sondern dass die Welt gar nicht abschließend beherrscht werden kann. Der Zauber, der sie durchwebt und für den er ein feines Sensorium entwickelt hat, verlangt nach anderen Zugängen – und so hat sein Freund Lothar Philipps ihn in seiner Würdigung aus Anlass seines 60. Geburtstages nicht ganz von ungefähr als «Magier und Ministerialbeamten» charakterisiert13.
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Friedrich Lachmayers Magie dient nicht, wie etwa die klassische Bildmagie14, der Beherrschung der Welt. Ebenso wie er selbst von der Welt be-zaubert ist, oder fasziniert, wie er offen ist für ihre Geheimnisse, auch wenn er sie ihr nicht gewaltsam zu entringen versucht, so versteht er es, seine Faszination anderen zu vermitteln, andere zu be-zaubern, zu inspirieren, das Beste in ihnen zu wecken, ihre Begeisterungsfähigkeit, ihre Leidenschaft, ihre Bereitschaft, aufzublicken aus ihrer alltäglichen Lebenswelt, ihre Gemarkung zu überschreiten, sich zu verbinden, mit ihm und Gleichgesinnten, um die Welt ein wenig besser zu machen. Fortschritt ist mehr als Sloterdijks Rolltreppe, auf der alle stillstehen. Fortschritt verlangt (Eigen--)Bewegung, vor allem geistige. Menschen in Bewegung zu setzen – das ist Friedrich Lachmayers besondere Magie.

 

Günther Schefbeck, Leiter der Abteilung «Parlamentarische Dokumentation, Archiv und Statistik» der Parlamentsdirektion, Dr. Karl Renner-Ring 3, 1017 Wien, Österreich

  1. 1 Vgl. Heinz Kasparovsky, Titel in Österreich, Austrian Standards Plus Publishing, Wien 2008.
  2. 2 Vgl. Friedrich Lachmayer, Erfahrungen mit Powerpoint und die Visualisierung des Rechts, in: Gerald Quirchmayr u.a. (Hrsg.), Information Systems in Public Administration and Law, OCG, Wien 2000, 95–111.
  3. 3 Vgl. z.B. Franck Frommer, La pensée PowerPoint: Enquête sur ce logiciel qui rend stupide, Editions La Découverte, Paris 2010, und zur Diskussion Wolfgang Coy/Claus Pias, Macht und Einfluss eines Präsentationsprogramms, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M. 2009.
  4. 4 Wilhelm Brauneder/Friedrich Lachmayer, Österreichische Verfassungsgeschichte, Verlag Manz, Wien 1976; ab der 8. Auflage, Wien 2003: Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte; zuletzt 11. Auflage, Wien 2009. Vgl. zur Methode Friedrich Lachmayer, Graphische Darstellung im Rechtsunterricht, in: ZVR 1976, 230–234, sowie Karl Garnitschnig/Friedrich Lachmayer, Computergraphik und Rechtsdidaktik, Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 1979.
  5. 5 http://www.legalvisualization.com.
  6. 6 Von ihm in unterschiedlichen Formulierungen ausgedrückt in: Printer’s Ink, 8. Dezember 1921 und 10. März 1927.
  7. 7 Vgl. z.B. David Crow, Left to Right: The Cultural Shift from Words to Pictures, AVA Publishing, Lausanne 2006.
  8. 8 Vgl. etwa Edward R. Tufte, Beautiful Evidence, Graphics Press, Cheshire, Ct., 2006.
  9. 9 Max Weber, Wissenschaft als Beruf (1919), in: ders., Schriften 1894–1922, Kröner Verlag, Stuttgart 2002, 488.
  10. 10 Ebd.
  11. 11 Siehe seine persönlichen Erinnerungen im Interview: Friedrich Lachmayer/Markus Holzweber, Vom EDV-Versuchsprojekt Verfassungsrecht zum E-Recht, in: Nikolaus Forgó u.a. (Hrsg.), Informationstechnologie in Recht und Verwaltung: Anfänge und Auswirkungen des Computereinsatzes in Österreich, Linde Verlag, Wien 2011, 77–86.
  12. 12 Sigmund Freud, Die Disposition zur Zwangsneurose, in: ders., Gesammelte Werke Bd. VIII, Imago Publishing, London 1943, 450.
  13. 13 Lothar Philipps / Friedrich Lachmayer – Magier und Ministerialbeamter: Zum sechzigsten Geburtstag, in: Erich Schweighofer u.a. (Hrsg.), Zwischen Rechtstheorie und e-Government, Verlag Österreich, Wien 2003, 5–10.
  14. 14 Vgl. z.B. Wolfgang Brückner, Überlegungen zur Magietheorie: Vom Zauber mit Bildern, in: Leander Petzoldt (Hrsg.), Magie und Religion: Beiträge zu einer Theorie der Magie, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1978, 404–419.