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Social Media Crime: Kriminalitätsphänomene in sozialen Medien und rechtliche Aspekte

  • Authors: Peter Leitner / Farsam Salimi / Leopold Löschl
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: IT-Law
  • Collection: Tagungsband IRIS 2014
  • Citation: Peter Leitner / Farsam Salimi / Leopold Löschl, Social Media Crime: Kriminalitätsphänomene in sozialen Medien und rechtliche Aspekte, in: Jusletter IT 20 February 2014
Aufgrund der rasanten Verbreitung von Social Media sind vermehrt kriminelle Aktivitäten in diesem dynamischen Interaktionsraum zu beobachten. Social Media Crime ist Sammelbegriff für diese neuartigen Delikte und Tatbegehungsmethoden. Eine strukturierte Aufarbeitung von kriminalpolizeilich relevanten Phänomenen in sozialen Medien ist derzeit noch nicht verfügbar. Um präventive und reaktive Maßnahmen für dieses neue Kriminalitätsfeld zu entwickeln, erscheint eine strukturierte Analyse und Kategorisierung zusammen mit der Erarbeitung eines Methodenrasters als zwingend notwendig. Dieser Beitrag präsentiert einen mehrstufigen Ansatz, um dieser Forderung unter Berücksichtigung praktischer und juristischer Aspekte gerecht zu werden.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Neue Kriminalitätsphänomene im Zeitalter von Social Media
  • 2. Herausforderungen und Forschungsbedarf
  • 2.1. Identifizierung, Sammlung und Analyse von relevanten Fällen
  • 2.2. Stakeholder-Befragung und Experteninterviews
  • 2.3. Entwicklung einer Taxonomie und Annotierung der Fälle
  • 2.4. Ableitung eines Methodenrasters und Empfehlungen
  • 3. Rechtliche Aspekte
  • 4. Fazit und Ausblick

1.

Neue Kriminalitätsphänomene im Zeitalter von Social Media ^

[1]
Durch die rasante Verbreitung und Nutzung von Social Media, wie Microblogs, Social Networks oder Media Sharing Sites, nehmen auch kriminelle Aktivitäten in diesem hochfrequentierten, virtuellen Interaktionsraum zu. Dabei ist einerseits eine Verlagerung von bekannten Delikten (z.B. Betrug) in personenzentrierte Netzwerke festzustellen, andererseits werden durch soziale Medien auch neuartige Kriminalitätsformen möglich. Darunter fällt beispielsweise die Aufforderung von tausenden Personen zu kriminellen Handlungen (Crime Mobs) oder die Nutzung falscher Identitäten (Profile Cloning), um an vertrauliche Daten (Social Engineering) zu gelangen. Vielfach kommt es auch zu einer Abwandlung von bekannten Cybercrime-Aktivitäten (Clickjacking) im Umfeld populärer Social Sites, wie Facebook (Likejacking). Mit der Ermöglichung unkomplizierter Kommunikation und Interaktion, ihrer starken Verbreitung und der Möglichkeit scheinbar grenzenloser Informationsdistribution bieten gerade Social Media einen Nährboden für die Bekanntmachung, Verbreitung und Propaganda illegaler Inhalte, aber auch für die gezielte Diffamierung bzw. psychische Verletzung einzelner Personen oder Gruppierungen. Die Liste der rechtlich relevanten Phänomene und Aktivitäten in sozialen Medien erweitert sich ständig und soll in weiterer Folge mit der Bezeichnung «Social Media Crime» zusammengefasst werden.
[2]
Social Media Crime umfasst kriminelle Aktivitäten gegen Personen oder Gruppen von Personen unter Nutzung oder zentraler Einbindung sozialer Medien, wie beispielsweise Social Networking, Microblogging oder Media Sharing Sites.
[3]

Dazu zählen unter anderem die zuvor genannten, unterschiedlich ausgeprägten, sich explizit auf Social Media beziehende Kriminalitätsformen Cyber Bullying, Cyber Grooming, Cyber Mobbing, Cyber Stalking, Happy Slapping, Social Engineering, Profile Cloning oder Likejacking, wie auch vereinzelt aggregiert in wissenschaftlicher Literatur erörtert wird.1 Cyber Bullying umfasst allgemein das systematische und gezielte Schikanieren einer Person oder Gruppe mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere im Umfeld von Social Media.2 Cyber Grooming beschreibt konkret den Tatbestand sexueller Belästigung, zumeist durch Einzeltäter in sozialen Netzwerken oder Chatrooms.3 Cyber Mobbing beschreibt ähnlich dem Cyber Bullying Schikanen bzw. gezielten Psychoterror gegen einzelne Personen, wobei Mobbing oft im realen Leben seinen Ausgangspunkt nimmt und später in soziale Netzwerke übertragen wird.4 Cyber Stalking als weitere Unterform von Cyber Bulling beinhaltet, wie auch im realen Leben, das bewusste, systematische und wiederholte Verfolgen bzw. Nachstellen einer Person im Web, oft verbunden mit Drohungen oder Beleidigungen.5 Im Falle von Happy Slapping treffen reale und virtuelle Welt aufeinander, da reale physische Angriffe zuerst gefilmt und dann in Social Networks wie etwa YouTube oder Facebook veröffentlicht werden.6 Profile Cloning umfasst das Aufbauen einer gefälschten Identität durch Dritte in Social Media, was dem Täter vor allem durch öffentlich zugängliche Informationen ermöglicht wird.7 Im Rahmen von Social Engineering werden intelligente Methoden kombiniert, um vertrauliche Informationen wie beispielsweise Konto- oder Zugangsdaten zu erschleichen.8 Dies trifft auch auf Social Phishing zu, welches darauf abzielt an vertrauliche Daten wie Passwörter oder Kreditkarteninformationen anderer zu gelangen.9

[4]

Kriminalpolizeiliche relevante Aktivitäten im Web und speziell auch in Social Media nahmen in den vergangenen Jahren zu, wie auch in der laufend vom Bundeskriminalamt veröffentlichten Kriminalstatistik mehrfach erwähnt wurde.10 Wurden vor zehn Jahren noch knapp über 2.400 Delikte im Bereich Internetkriminalität angezeigt, so wurden im Jahr 2012 bereits 10.231 Fälle zur Anzeige gebracht.11 Die Herausforderungen unterschiedlicher Stakeholder steigen damit stetig.

2.

Herausforderungen und Forschungsbedarf ^

[5]
Eine große Gruppe von Akteuren, insbesondere polizeiliche als auch juristische Verantwortliche, sehen sich aufgrund der rasanten Zunahme sowie der hohen Entwicklungsdynamik von Social Media Crime ständig mit neuen Herausforderungen und Begriffen konfrontiert. Diese werden in der Literatur zwar thematisiert und fallweise erläutert, jedoch nicht ausreichend analysiert bzw. in strukturierter Form betrachtet. Zudem herrscht vielfach eine große Begriffsverwirrung in diesem jungen Bereich.
[6]
Eine strukturierte Aufarbeitung von relevanten Kriminalitätsphänomenen in sozialen Medien ist derzeit allerdings noch nicht verfügbar. Gerade aber um entsprechende präventive als auch reaktive Maßnahmen für dieses neue Kriminalitätsfeld zu entwickeln, erscheint eine strukturierte Analyse und Kategorisierung von Social Media Crime zusammen mit der Erarbeitung eines Methodenrasters als zwingend notwendig. Neben polizeilichen und juristischen Akteuren würde auch die Scientific Community von einer Taxonomie und Fallsammlung profitieren.
[7]
Ein mehrstufiger, methodischer Ansatz (Abbildung 1) soll dazu beitragen, dieser Forderung unter Berücksichtigung praktischer und juristischer Aspekte gerecht zu werden. Um die relevanten Kriminalitätsphänomene in Social Media sinnvoll zu erfassen, einzuordnen und darauf aufbauend Empfehlungen für Exekutive und Judikative zu generieren, sind folgende vier Schritte notwendig:

2.1.

Identifizierung, Sammlung und Analyse von relevanten Fällen ^

[8]
Im ersten Schritt wird das bestehende Wissen in Form einer umfassenden Basisrecherche gebündelt. Darüber hinaus soll die Sammlung von relevanten Fällen und Phänomenen im nationalen und internationalen Umfeld eine möglichst breite Analysebasis sicherstellen. Die Fallsammlung wird anschließend zugleich einer Erstanalyse sowie juristischer Basisevaluierung unterzogen.

2.2.

Stakeholder-Befragung und Experteninterviews ^

[9]
Im nächsten Schritt werden Erfahrungen der Bedarfsträger und Expertenwissen aggregiert, um den Status Quo zu dokumentieren und konkrete Anforderungen zu erfassen. Methodisch bietet sich an, dies bei den zentralen Stakeholdern mit qualitativen Interviews und bei einer breiteren Expertengruppe mit einer zusätzlichen quantitativen Befragung durchzuführen. In die Erhebungen sind vor allem auch technische Experten und juristische Wissensträger einzubinden.

2.3.

Entwicklung einer Taxonomie und Annotierung der Fälle ^

[10]
Auf Basis der gesammelten Erkenntnisse wird im dritten Schritt eine flexible und skalierbare Taxonomie einschließlich aller relevanten Kategorien für Phänomene im Bereich Social Media Crime entwickelt. Auf Basis dieser standardisierten Kategorisierung sollen die zuvor gesammelten Fälle mittels einheitlicher Parameter annotiert und verglichen werden. Eine Abwandlung bzw. Validierung der Basistaxonomie für spezifische Einsatzbereiche erscheint dabei sinnvoll.

2.4.

Ableitung eines Methodenrasters und Empfehlungen ^

[11]
Im letzten Schritt wird ein Methodenraster im Umgang mit Social Media Crime abgeleitet. Neben möglichen präventiven und reaktiven Maßnahmen sowie Strategien für den Exekutivbereich sollen auch rechtliche Empfehlungen für die Gesetzgebung aufgebaut werden. Eine dynamische Fallsammlung in Form einer Datenbank für zukünftige Ergänzungen wäre hinsichtlich nachhaltiger Wissenssicherung und möglicher Taxonomieerweiterungen sinnvoll.

Abbildung 1: Ausgangssituation und strukturierter Ansatz zur Erörterung von Social Media Crime

3.

Rechtliche Aspekte ^

[12]
Die Einbeziehung von rechtlichen Perspektiven in der oben dargelegten Fallevaluierung ist aus mehreren Gründen entscheidend. Das Rechtssystem im Allgemeinen und das Strafrecht im Besonderen muss frühzeitig gesellschaftliche Entwicklungen wahrnehmen, um rechtzeitig sowie adäquat darauf reagieren zu können. Die Kommunikation und Vernetzung über das Internet hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung erlebt, insbesondere im Bereich sozialer Netzwerke und Medien. Schon im Bereich allgemeiner Internet- und Computerkriminalität stößt der Katalog der Straftatbestände derzeit oftmals an Grenzen, weil neue technische Entwicklungen und damit verbundene kriminelle Phänomene nicht erfasst werden. Auf Basis der gesammelten Fälle sollen die einzelnen im Bereich von Social Media relevanten Kriminalitätsphänomene möglichst trennscharf voneinander abgegrenzt werden und – soweit möglich – in die bestehenden Strafrechtskategorien eingeordnet werden. Dabei wird auch aufgezeigt werden, in welchen Bereichen Lücken im Strafrechtsschutz bestehen, wo die Graubereiche in der Rechtsprechung liegen und wie der Gesetzgeber gegebenenfalls angemessen agieren kann, um das Strafrecht den digitalen Anforderungen anzupassen.
[13]
Auch abseits des materiellen Strafrechts ist der rechtliche Umgang mit Cyber Mobbing, Identitätsdiebstahl, Verbreitung von persönlichkeitsrechtsverletzenden Bilden und Videos, Drohungen oder Verhetzungen, Aufforderungen zu strafbaren Handlungen und anderen Kriminalitätsformen in Social Media oftmals besonders schwierig. Die Verfolgung wird in vielen Fällen dadurch erschwert, dass Identitäten nicht eindeutig geklärt werden können, die Täter grenzüberschreitend agieren und die betroffenen Staaten unterschiedliche Gesetzgebungen aufweisen. Auch bei der Anzeige von Vorfällen in Social Media ist oft unklar, welche Straftatbestände konkret erfüllt sind. Eine umfassende rechtliche Übersicht der strafrechtlich relevanten Phänomene auf Basis realer Fälle würde auch dazu beitragen, dass im praktischen Exekutivdienst Anzeigen schneller und exakter eingeordnet werden können, was sich in weiterer Folge auch positiv auf die Qualität der Polizeilichen Kriminalstatistik auswirken würde. Die Ergebnisse der Fallevaluationen können somit – wo dies angezeigt ist – die Anpassung von Rechtsnormen vorantreiben, und die Bewusstseinsbildung zu Social Media Crime im juristischen Bereich stärken. Die untersuchten Fälle sind ebenfalls dazu geeignet, mittels anschaulicher Materialien reale Gegebenheiten aufzuzeigen und so juristische Weiterbildungsmaßnahmen zu unterstützen.

4.

Fazit und Ausblick ^

[14]
Social Media Crime führt zu neuen Herausforderungen im praktischen als auch im rechtlichen Kontext. Wie im Beitrag dargestellt, ist eine strukturierte Aufarbeitung relevanter Kriminalitätsfälle in sozialen Medien notwendig, um daraus eine Taxonomie zur einheitlichen Klassifizierung von relevanten Fällen auf nationaler und internationaler Ebene zu gewährleisten. Dabei gilt es auch rechtliche Fragestellungen und Aspekte in diesem noch sehr jungen Bereich zu analysieren.
[15]
Das Projekt «Social Media Crime – Strukturierte Analyse kriminalpolizeilich relevanter Aktivitäten in sozialen Medien und Ableitung eines Methodenrasters», das aktuell im Rahmen des Sicherheitsforschungsprogrammes KIRAS durchgeführt wird, baut auf die in diesem Beitrag dargestellte mehrstufige Methodik auf. Unter Leitung der SYNYO GmbH wird gemeinsam mit dem Austrian Center for Law Enforcement Sciences (ALES) und dem Bundeskriminalamt (.BK) als Bedarfsträger ein strukturierter, wissenschaftlich fundierter und dennoch praxisnaher Ansatz verfolgt, um ein nachhaltiges und international applizierbares Wissensfundament zu schaffen.

 

Peter Leitner

Head of Research and Development, SYNYO GmbH

Brucknerstraße 2/2, 1040 Wien, AT

peter.leitner@synyo.com; http://www.synyo.com

 

 

Farsam Salimi

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Austrian Center for Law Enforcement Sciences (ALES), Universitätsassistent (Post-Doc), Institut für Strafrecht und Kriminologie, Universität Wien

Schenkenstraße 8-10, 1010 Wien, AT

arsam.salimi@univie.ac.at; http://ales.univie.ac.at/

 

 

Leopold Löschl

Leiter Cybercrime-Competence-Center C4, Bundeskriminalamt (.BK)

Josef-Holaubek-Platz 1, 1090 Wien

leopold.loeschl@bmi.gv.at; http://www.bmi.gv.at/cms/bk/

 


  1. 1 Vgl. Frank et al., 2011, Social Media Sites: New Fora for Criminal, Communication, and Investigation Opportunities. Public Safety Canada, Report No. 021; Yar, 2012, E-Crime 2.0: The Criminological Landscape of New Social Media. Information & Communications Technology Law, 21(3), pp. 207–219.
  2. 2 Vgl. Gradinger/Strohmeier/Spiel, 2009, Traditional Bullying and Cyberbullying: Identification of Risk Groups for Adjustment Problems. Journal of Psychology, 217, pp. 205–213.
  3. 3 Vgl. OConnell, 2003, A Typology of Cybersexploitation and Online Grooming Practices. Cyberspace Research Unit/University of Central Lancashire, http://www.jisc.ac.uk/uploaded_documents/lis_paperjprice.pdf.
  4. 4 Vgl. Fawzi, 2009, Cyber Mobbing: Ursachen und Auswirkungen von Cyber Mobbing im Internet. Baden-Baden.
  5. 5 Vgl. Thapa/Kumar, 2011, Cyber Stalking: Crime and Challenge at the Cyberspace. Research Cell: An International Journal of Engineering Sciences, Vol. 4 (September 2011), pp. 340–354.
  6. 6 Vgl. Hilgers, 2010, Inszenierte und dokumentierte Gewalt als reale und digitale Erlebniswelt. In: Dittler/Hoyer (Hrsg.), Zwischen Kompetenzerwerb und Mediensucht. Chancen und Gefahren des Aufwachsens in digitalen Erlebniswelten aus medienpsychologischer und medienpädagogischer Sicht, München, S. 289–306.
  7. 7 Vgl. Shan, et al., 2013, Enhancing and Identifying Cloning Attacks in Online Social Networks, http://www.zifeishan .org/files/cloning_camera_ready.pdf.
  8. 8 Vgl. Maan/Sharma, 2012, Social Engineering: A Partial Technical Attack. IJCSI International Journal of Computer Science Issues, 9 (2), No 3, pp. 557–559.
  9. 9 Vgl. Coronges et al., 2012, The Influences of Social Networks on Phishing Vulnerability. Conference Paper, Proceedings of the 45th Annual Hawaii International Conference on System Sciences, 4–7 January 2012, Maui, Hawaii, pp. 2366–2373.
  10. 10 Vgl. Kriminalstatistik Bundeskriminalamt, http://www.bmi.gv.at/cms/BK/publikationen/krim_statistik/start.aspx.
  11. 11 Vgl. Kriminalitätsentwicklung 2012, http://www.bmi.gv.at/cms/BK/presse/files/522013_KrimEntwicklung.pdf, S. 5.