1.
Einleitung ^
Live-Übertragungen von Gemeinderatssitzungen im Internet werden inzwischen von einigen österreichischen Gemeinden angeboten.1 Als Live-Streaming, bezeichnet man ein Streaming-Media-Angebot, das in Echtzeit bereitgestellt wird. Im Falle einer serverbasierten Lösung wird der Stream vom erzeugenden Rechner an einen zentralen Server gesendet, der den Stream dann im Internet verteilt.2
Dazu hat die DSK ausgesprochen, dass nach dieser gesetzlichen Bestimmung allen Gemeindemitgliedern in die Niederschrift der Sitzung der Gemeindevertretung im Wege der Auflage beim Gemeindeamt Einsicht zu gewähren ist. Ein fernelektronischer Zugang ausschließlich für Gemeindemitglieder wäre demgegenüber (gemeint ist wohl: danach) datenschutzrechtlich unschädlich. Der Zugang durch Veröffentlichung im Internet findet in der genannten Gesetzesbestimmung aber keine Grundlage. Daher hat die Veröffentlichung der Niederschrift über die Sitzung der Gemeindevertretung den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten nach § 1 DSG 2000 verletzt.3
2.1.
Verfassungsrechtliche Ausgangslage ^
Zunächst ist zu überlegen, ob Gemeinderatssitzungen nicht ohnedies öffentlich und damit «allgemein zugänglich» i.S.d. § 1 Abs. 2 DSG 2000 sind, womit das schutzwürdige Geheimhaltungsinteresse und der Grundrechtsschutz entfallen würden. Tatsächlich ist auf Ebene der Bundesverfassung vorgesehen, dass die Sitzungen des Gemeinderates öffentlich sind. Art. 117 Abs. 4 B-VG bestimmt dazu: «Die Sitzungen des Gemeinderates sind öffentlich, es können jedoch Ausnahmen vorgesehen werden. Wenn der Gemeindevoranschlag oder der Gemeinderechnungsabschluss behandelt wird, darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden.» Parallele Regelungen sind in Art. 32 B-VG für den Nationalrat und in Art. 96 Abs. 2 für die Landtage zu finden.
2.2.
Umfang der Parlamentsöffentlichkeit ^
3.1.
Zulässigkeit des Grundrechtseingriffs durch die Veröffentlichung ^
§ 1 Abs. 2 DSG 2000 sieht vier verschiedene Fälle vor, in denen Beschränkungen des Grundrechts auf Datenschutz zulässig sind. Dies sind:
(1) Die Verwendung von personenbezogenen Daten liegt im lebenswichtigen Interesse des Betroffenen
(2) Die Verwendung erfolgt mit Zustimmung des Betroffenen
(3) Die Beschränkung erfolgt zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen und nicht durch eine staatliche Behörde
(4) Die Beschränkung erfolgt zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen durch eine staatliche Behörde.
3.2.
Grundrechtseingriff durch eine «staatliche Behörde» ^
a) Interessenabwägung
b) Materieller Gesetzesvorbehalt
c) Gelindestes Mittel
d) Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen
e) Angemessene Garantien
f) Bestimmtheitsgebot
Als weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eingriffs in das Grundrecht auf Datenschutz ist es nach der stRsp des VfGH notwendig, dass bei Eingriffen einer staatlichen Behörde durch ein Gesetz ausreichend präzise, also für jedermann vorhersehbar geregelt wird, unter welchen Voraussetzungen die Ermittlung bzw. die Verwendung personenbezogener Daten für die Wahrnehmung konkreter Verwaltungsaufgaben zulässig ist.10 Der jeweilige Gesetzgeber muss somit nach § 1 Abs. 2 DSG 2000 eine materienspezifische Regelung in dem Sinn vorsehen, dass die Fälle zulässiger Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz konkretisiert und begrenzt werden. Datei ist es allerdings nicht immer erforderlich, dass der Gesetzgeber die einzelnen konkreten Daten, die verwendet werden dürfen, im Einzelnen aufzählt.11
4.1.
Medienprivileg im DSG 2000 ^
Einige österreichische Städte betreiben für die Öffentlichkeitsarbeit eigene Pressedienste: So besteht in der Stadt Wien ein eigener «Presse- und Informationsdienst (PID)»12, in der Stadt Innsbruck ein eigenes «Medienservice»13. Im Folgenden wird die Frage untersucht, ob ein «Live-Streaming» von Gemeinderatssitzungen, das durch einen derartigen Pressedienst erfolgt, unter die Privilegierung für Medien fällt.
4.2.
Medienprivileg nach der DS-RL ^
Seit dem EuGH-Urteil Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia16 ist klargestellt, dass dies den Vorgaben der DS-RL widerspricht, welche Ausnahmebestimmungen bezüglich aller journalistisch tätigen Personen verlangt. Danach gelten die in Art. 9 der DS-RL vorgesehenen Befreiungen und Ausnahmen, wie sich aus den Vorarbeiten zu der Richtlinie ergibt, nicht nur für Medienunternehmen, sondern für jeden, der journalistisch tätig ist.17 Da § 48 DSG 2000 auch nicht richtlinienkonform interpretierbar ist, wird Art. 9 DSRL unmittelbar anwendbar und hat Anwendungsvorrang vor § 48 DSG 2000.
Damit stellt sich die Frage, ob die Tätigkeit eines Gemeinde-Pressedienstes als journalistische Tätigkeit zu qualifizieren ist. Nach dem EuGH muss erstens in Anbetracht der Bedeutung der Freiheit der Meinungsäußerung der Begriff «Journalismus» weit ausgelegt werden. Zweitens schließt die Tatsache, dass eine Veröffentlichung öffentlicher Daten mit der Absicht verbunden ist, Gewinn zu erzielen, nicht von vorneherein aus, dass sie als eine Tätigkeit angesehen werden kann, die «allein zu journalistischen Zwecken erfolgt». Und drittens muss die Entwicklung und die Vervielfältigung der Mittel zur Kommunikation und zur Verbreitung von Informationen berücksichtigt werden. Der Träger, mit dem die verarbeiteten Daten übermittelt werden – ob es sich um einen klassischen Träger wie Papier oder Radiowellen oder aber um einen elektronischen Träger wie das Internet handelt –, ist daher nicht ausschlaggebend für die Beurteilung, ob es sich um eine Tätigkeit «allein zu journalistischen Zwecken» handelt.18
Dietmar Jahnel
Ao. Univ.-Prof., Universität Salzburg, Fachbereich Öffentliche Recht
Kapitelgasse 5-7, 5020 Salzburg, AT
Dietmar.Jahnel@sbg.ac.at; http://www.uni-salzburg.at/vvr/jahnel
- 1 Laut Google-Suche am 10. Januar 2014 z.B. in Wien, Salzburg, Wels oder Waidhofen an der Ybbs.
- 2 http://de.wikipedia.org/wiki/Live-Streaming.
- 3 DSK 30. März 2012, K121.766/0003-DSK/2012.
- 4 Beispiele aus der Judikatur sind personenbezogene Daten betreffend ein Umwidmungsverfahren (VwGH 12. März 2010, 2008/17/0206) oder eine baupolizeiliche Überprüfung (DSK 30. März 2012, K121.766/0003-DSK/2012).
- 5 Vgl. va Kahl, Art 52 in Kneihs/Lienbacher (Hrsg.), B-VG-Kommentar, Rz. 40 mit zahlreichen Nachweisen.
- 6 Lienbacher, Datenschutzrecht und Staatsorganisation, 18. ÖJT Band I/2, 17 (30).
- 7 Kastelitz/Konrath/Neugebauer, Datenschutz und Parlament, in Lienbacher/Wielinger (Hrsg.), Öffentliches Recht. Jahrbuch 2011 (2011) 149 (152 ff.).
- 8 Jahnel, Handbuch Datenschutzrecht (2010) Rz. 2/46 m.w.N.
- 9 Ebenso DSK 30. März 2012, K121.766/0003-DSK/2012.
- 10 Zuletzt VfGH 1. Oktober 2013, G 2/2013 = jusIT 2013/106, 224 (Jahnel).
- 11 VfGH 29. September 2012, B 54/12.
- 12 http://www.wien.gv.at/medien/pid/.
- 13 http://www.innsbruck.gv.at/page.cfm?vpath=index/presse--oeffentlichkeitsarbeit.
- 14 DSK 27. Februar 2004, K120.867/0001-DSK/2004.
- 15 Berthou, § 48 DSG – Datenschutz vs. Medienfreiheit im unionsrechtlichen Kontext, jusIT 2013/7, 11.
- 16 EuGH 16. Dezember 2008, C-73/07 (Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia) = MR-Int 2009, 14 (Wittmann).
- 17 EuGH 16. Dezember 2008, C-73/07, Rz. 58-60.
- 18 EuGH 16. Dezember 2008, C-73/07, Rz. 56.
- 19 Berthou, jusIT 2013/7, 11 (13 f.).