Jusletter IT

Live-Streaming von Gemeinderatsitzungen und Datenschutzrecht

  • Author: Dietmar Jahnel
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Data Protection
  • Collection: Tagungsband IRIS 2014
  • Citation: Dietmar Jahnel, Live-Streaming von Gemeinderatsitzungen und Datenschutzrecht, in: Jusletter IT 20 February 2014
Die Frage nach der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Echtzeitübertragung von Gemeinderatssitzungen gestaltet sich äußerst komplex: Zunächst zeigt sich, dass die im B-VG vorgesehene Parlamentsöffentlichkeit nicht als Rechtsgrundlage für eine Veröffentlichung im Internet herangezogen werden kann. Es bedarf daher einfachgesetzlicher Grundlagen in den Stadtrechten und Gemeindeordnungen, die den strengen Anforderungen des § 1 Abs. 2 DSG 2000 entsprechen. Ein Pressedienst einer Gemeinde ist hingegen im Rahmen des Medienprivilegs der Datenschutzrichtlinie befugt, ein Live-Streaming von Gemeinderatssitzungen im Internet anzubieten.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen
  • 2.1. Verfassungsrechtliche Ausgangslage
  • 2.2. Umfang der Parlamentsöffentlichkeit
  • 3. Veröffentlichung im Internet
  • 3.1. Zulässigkeit des Grundrechtseingriffs durch die Veröffentlichung
  • 3.2. Grundrechtseingriff durch eine «staatliche Behörde»
  • 4. Medienprivileg
  • 4.1. Medienprivileg im DSG 2000
  • 4.2. Medienprivileg nach der DS-RL

1.

Einleitung ^

[1]

Live-Übertragungen von Gemeinderatssitzungen im Internet werden inzwischen von einigen österreichischen Gemeinden angeboten.1 Als Live-Streaming, bezeichnet man ein Streaming-Media-Angebot, das in Echtzeit bereitgestellt wird. Im Falle einer serverbasierten Lösung wird der Stream vom erzeugenden Rechner an einen zentralen Server gesendet, der den Stream dann im Internet verteilt.2

[2]
Nun stellt sich die Frage, ob ein derartiges Live-Streaming von Sitzungen, bei denen auch personenbezogene Daten übertragen werden, mit dem Grundrecht auf Datenschutz vereinbar sind. Bislang sind dazu noch keine Entscheidungen der Datenschutzkommission (seit 1. Januar 2014: Datenschutzbehörde) oder der ordentlichen Gerichte ergangen. Allerdings hatte die DSK bereits eine recht ähnliche Fragestellung, nämlich die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Gemeinderatsprotokollen im Internet zu beurteilen. Konkret ging es darum, ob § 31 Abs. 5 Sbg Gemeindeordnung 1994 eine geeignete Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung von Gemeinderatsprotokollen bildet. Nach dieser Bestimmung können einerseits die Mitglieder der Gemeindevertretung in alle Niederschriften, andererseits die Gemeindemitglieder in Niederschriften über öffentliche Sitzungen der Gemeindevertretung beim Gemeindeamt Einsicht nehmen.
[3]

Dazu hat die DSK ausgesprochen, dass nach dieser gesetzlichen Bestimmung allen Gemeindemitgliedern in die Niederschrift der Sitzung der Gemeindevertretung im Wege der Auflage beim Gemeindeamt Einsicht zu gewähren ist. Ein fernelektronischer Zugang ausschließlich für Gemeindemitglieder wäre demgegenüber (gemeint ist wohl: danach) datenschutzrechtlich unschädlich. Der Zugang durch Veröffentlichung im Internet findet in der genannten Gesetzesbestimmung aber keine Grundlage. Daher hat die Veröffentlichung der Niederschrift über die Sitzung der Gemeindevertretung den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten nach § 1 DSG 2000 verletzt.3

[4]
Die Begründung dieser Entscheidung der DSK ist allerdings äußerst knapp ausgefallen und lässt viele Fragen offen. Diesen wird im Folgenden näher nachgegangen.

2.

Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen ^

2.1.

Verfassungsrechtliche Ausgangslage ^

[5]

Zunächst ist zu überlegen, ob Gemeinderatssitzungen nicht ohnedies öffentlich und damit «allgemein zugänglich» i.S.d. § 1 Abs. 2 DSG 2000 sind, womit das schutzwürdige Geheimhaltungsinteresse und der Grundrechtsschutz entfallen würden. Tatsächlich ist auf Ebene der Bundesverfassung vorgesehen, dass die Sitzungen des Gemeinderates öffentlich sind. Art. 117 Abs. 4 B-VG bestimmt dazu: «Die Sitzungen des Gemeinderates sind öffentlich, es können jedoch Ausnahmen vorgesehen werden. Wenn der Gemeindevoranschlag oder der Gemeinderechnungsabschluss behandelt wird, darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden.» Parallele Regelungen sind in Art. 32 B-VG für den Nationalrat und in Art. 96 Abs. 2 für die Landtage zu finden.

[6]
Da es in den Sitzungen des Gemeinderats immer wieder vorkommt, dass personenbezogene Daten von Dritten4, an denen ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse besteht, verwendet werden, kommt das Grundrecht auf Datenschutz zur Anwendung. Das dadurch verbürgte Grundrecht auf Geheimhaltung ist in § 1 Abs. 1 DSG 2000 ebenfalls im Rang eines Verfassungsgesetzes normiert. Damit kommt es bei der Verwendung von personenbezogenen Daten in einer Gemeinderatssitzung zur Situation, dass Art. 117 Abs. 4 B-VG die Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung und der in dieser Sitzung verwendeten personenbezogenen Daten vorsieht, während § 1 DSG 2000 unter den dort näher umschriebenen Voraussetzungen die Geheimhaltung derselben Daten gebietet. Es stehen sich also zwei bundesverfassungsrechtliche Regelungen mit demselben Anwendungsbereich gegenüber, die hinsichtlich der Frage der Verwendung von personenbezogenen Daten in bestimmten Fällen (nämlich bei Vorliegen schutzwürdiger Geheimhaltungsinteressen an diese Daten) zu gegenteiligen Ergebnissen führen. Da es – abgesehen von der Baugesetzwidrigkeit – keine verfassungswidrigen Verfassungsgesetze geben kann und es sich um zwei Bestimmungen auf derselben Stufe im Stufenbau der Rechtsordnung handelt, stellt sich die Frage, wie dieser Normwiderspruch gelöst werden kann.
[7]
Zur Lösung dieser Konstellation werden in der verfassungsrechtlichen Fachliteratur, wenn auch im Zusammenhang mit der parlamentarischen Kontrolle nach Art. 52 B-VG, zwei Lösungswege angeboten:
[8]
1. Im bisherigen Schrifttum wird die Auffassung vertreten, dass zwischen den beiden Verfassungsnormen kein absoluter Vorrang zugunsten einer der beiden bestehe. Es sei vielmehr in Einzelfall zu prüfen ist, ob durch Beantwortung einer Interpellation in personenbezogener Form die Grenzen zulässiger Grundrechtseingriffe verletzt würden, was in der Praxis auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung hinausläuft.5 Bei genauerer Durchsicht der einzelnen Fundstellen in der Fachliteratur zeigt sich jedoch, dass sich diese Ansicht auf eine einzige Arbeit aus dem Jahr 1994 zurückführen lässt, nämlich Moritz, Datenschutz und parlamentarische Interpellation, ÖJZ 1994, 763: Er gelangte zum Ergebnis, dass dem Grundrecht auf Datenschutz gegenüber der Beantwortung parlamentarischer Interpellationen der Vorrang zukommt.
[9]
2. In einer Publikation aus jüngster Zeit vertritt Lienbacher eine andere Ansicht: Weil sich zwei bundesverfassungsrechtliche Regelungen gegenüberstehen, stellt sich die Derogationsfrage. Diese sei dahin aufzulösen, dass die Bestimmungen der Art. 52 und 53 B-VG hinsichtlich der damit verbundenen notwendigen Informationsübermittlungen leges speziales zum Datenschutzgesetz darstellen. Dies habe zur Konsequenz, dass im Anwendungsbereich der genannten Artikel § 1 DSG 2000 nicht greifen kann.6 Er begründet diese Ansicht damit, dass sich der Datenschutz gleichsam als Querschnitt über die gesamte Rechtsordnung legt. Die parlamentarische Kontrolle der Verwaltung ist ein Teilbereich, in dem der Datenschutz grundsätzlich auch zur Anwendung gelangt. Speziell derogiert wird ihm durch verfassungsrechtliche Bestimmungen, die die parlamentarische Kontrolle der Verwaltung vorbehaltlos gewährleisten, also insbesondere durch die Interpellation und durch die Untersuchungsausschüsse.
[10]
Ich halte die Argumentation von Lienbacher als die überzeugendere. Dies deshalb, weil die «harmonisierende Lösung» den Normenwiderspruch auf Ebene des Verfassungsrechts ignoriert und die Art. 52 und 53 als Ermächtigungsgesetz i.S.d. § 1 Abs. 2 DSG 2000 verstehen will und so zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gelangt. Erkennt man hingegen an, dass ein derartiger Normenwiderspruch besteht, so ist dieser mit einer der gängigen Interpretationsmethoden, wie hier der lex specialis-Regel lösbar.
[11]
Wendet man nun die lex specialis-Lösung auf das Verhältnis von Art. 117 Abs. 4 B-VG und § 1 DSG 2000 an, so bedeutet dies, dass das (österreichische) Grundrecht auf Datenschutz im Anwendungsbereich des Art. 117 Abs. 4 B-VG, der die Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzungen vorbehaltlos (wenn auch mit der Ermächtigung, Ausnahmen vorzusehen) regelt, nicht greifen kann. Im Folgenden ist daher zu untersuchen, was unter «Öffentlichkeit» i.S.d. Art. 117 Abs. 4 B-VG zu verstehen ist.

2.2.

Umfang der Parlamentsöffentlichkeit ^

[12]
Die Entstehungsgeschichte und der Umfang der in den angeführten Artikeln des B-VG festgelegten «Parlamentsöffentlichkeit» wurden in der Fachliteratur (in der Ausprägung des für den Nationalrat maßgeblichen Art. 32 B-VG) bereits näher untersucht.7 Die Autoren kommen dabei zum Ergebnis, dass die Parlamentsöffentlichkeit seit Jahrzehnten als selbstverständliche Voraussetzung eines demokratischen Staates angesehen wird. Die gesamte vorliegende, durchwegs ältere Literatur zur Frage und Bedeutung von Parlamentsöffentlichkeit ist im Wesentlichen auf Plenarsitzungen ausgerichtet und geht zunächst von der faktisch beschränkten Zugänglichkeit parlamentarischer Verhandlungen aus. Dabei lässt sich zusammenfassend feststellen, dass sowohl die Regelungen im B-VG als auch im GOG-NR auf Vorbilder des 19. Jahrhunderts zurückgehen und im Wesentlichen seit den 1920er-Jahren nicht verändert wurden. Sie wurden also vor dem Hintergrund des damaligen gesellschaftlichen und medialen Kontexts formuliert, die Bedeutung von Parlamentsöffentlichkeit ist somit primär auf die Plenardebatte ausgerichtet. Dazu kommt, im Sinne des «Kenntnis-Erlangens», eine Sichtweise, die von einer weitgehend einseitigen Kommunikationsbeziehung ausgeht: auf der einen Seite finden sich die parlamentarischen Prozesse, über die in Medien berichtet wird, und über die sich schließlich «die Öffentlichkeit» informiert.
[13]
Aus all dem zeigt sich klar, dass Art. 117 Abs. 4 B-VG von der öffentlichen Zugänglichkeit der Sitzungen des Gemeinderates ausgeht, aber nicht auch das Veröffentlichen der Protokolle oder eine Live-Übertragung mit modernen Medien umfasst. Weiters sieht Art. 117 Abs. 4 B-VG vor, dass Ausnahmen von der Öffentlichkeit vorgesehen werden können, ohne diesbezüglich weitere Vorgaben zu treffen. Damit bietet sich als erste mögliche Lösung an, die verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Parlamentsöffentlichkeit unter Berücksichtigung der neuen Medien zu erweitern und neu zu formulieren. Auch wenn das österreichische Grundrecht auf Datenschutz infolge der hier vertretenen lex specialis-Lösung auf eine derartige Parlamentsöffentlichkeit nicht zur Anwendung kommt, wäre dabei zu berücksichtigen, dass es durch eine völlig uneingeschränkte Möglichkeit einer Veröffentlichung im Internet zu einem Widerspruch eines (neu formulierten) Art. 117 Abs. 4 B-VG mit der DS-RL kommen würde, die eine derartige Ausnahme vom Anwendungsbereich des europäischen Datenschutzrechts nicht vorsieht.

3.

Veröffentlichung im Internet ^

3.1.

Zulässigkeit des Grundrechtseingriffs durch die Veröffentlichung ^

[14]
Eine Veröffentlichung von Beschlüssen des Gemeinderates ebenso wie von Protokollen und Beilagen – in welcher technischen Form auch immer – ist also nicht mehr vom Begriff der «Öffentlichkeit» in Art. 117 Abs. 4 B-VG umfasst. Dies gilt ebenso für ein Live-Streaming, weshalb die Zulässigkeit einer Echtzeitübertragung von Gemeinderatssitzungen nach § 1 Abs. 2 DSG 2000 zu beurteilen.
[15]

§ 1 Abs. 2 DSG 2000 sieht vier verschiedene Fälle vor, in denen Beschränkungen des Grundrechts auf Datenschutz zulässig sind. Dies sind:

(1) Die Verwendung von personenbezogenen Daten liegt im lebenswichtigen Interesse des Betroffenen

(2) Die Verwendung erfolgt mit Zustimmung des Betroffenen

(3) Die Beschränkung erfolgt zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen und nicht durch eine staatliche Behörde

(4) Die Beschränkung erfolgt zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen durch eine staatliche Behörde.

3.2.

Grundrechtseingriff durch eine «staatliche Behörde» ^

[16]
Ein lebenswichtiges Interesse des Betroffenen kommt im vorliegenden Fall als Zulässigkeitsgrund nicht in Betracht, die Möglichkeit einer Zustimmung des Betroffenen wird hinsichtlich von Gemeinderatsprotokollen oder beim Live-Streaming kaum praktikabel sein. Da die Verwendung von Daten im Zuge einer Gemeindevertretungssitzung und aller damit im Zusammenhang stehenden Akte (wie z.B. deren Protokollierung) in den Bereich der Hoheitsverwaltung fällt, erfolgt der Eingriff durch eine «staatliche Behörde». Dies gilt auch für den Akt der Veröffentlichung von Protokollen im Internet: Wird nämlich eine Behörde in Form von schlichter Hoheitsverwaltung tätig, so kommt es auf den rechtlichen Zusammenhang an, in dem eine bestimmte Handlung gesetzt wird. Ist eine Materie hoheitlich geprägt, so sind die damit zusammenhängenden Handlungen als Akte der Hoheitsverwaltung zu qualifizieren.8 Klammert man die Möglichkeit der Zustimmung aus, hat dies zur Konsequenz, dass die Verwendung von personenbezogenen Daten gemäß § 1 Abs. 2 DSG 2000 einer (formal)gesetzlichen Grundlage bedarf.9 Wie unter Punkt 1 ausgeführt, stellt eine Bestimmung wie § 31 Abs. 5 sbg GdO wegen der Einschränkung auf Gemeindemitglieder keine taugliche gesetzliche Grundlage für eine Veröffentlichung im Internet dar.
[17]
Ein weiteres Beispiel für eine Rechtsgrundlage für Live-Streaming ist in § 25 Abs. 1 Innsbrucker Stadtrecht zu finden. Dieser lautet: «Die Sitzungen des Gemeinderates sind öffentlich. Jedermann ist nach Maßgabe des vorhandenen Platzes berechtigt zuzuhören. Die Übertragung der Gemeinderatssitzungen im Internet mit einer Bildfixierung auf den jeweiligen Redner und die Verwendung eines Tonträgers als Hilfsmittel des Schriftführers für die Erstellung der Niederschrift sind zulässig. Ob und inwieweit Ton- und Bildaufnahmen darüber hinaus zulässig sind, hat der Gemeinderat zu beschließen.» Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine explizite gesetzliche Ermächtigung zur Übertragung von Gemeinderatssitzungen im Internet. Damit ist nun weiter zu prüfen, ob diese gesetzliche Grundlage den Anforderungen des § 1 Abs. 2 DSG 2000 für eine Eingriffsnorm in das Grundrecht auf Datenschutz entspricht:

a) Interessenabwägung

[18]
Wie oben ausgeführt, wird die Parlamentsöffentlichkeit vom österreichischen Verfassungsgesetzgeber seit Jahrzehnten als selbstverständliche Voraussetzung eines demokratischen Staates angesehen. Überträgt man die Vorstellung der Öffentlichkeit von Plenarsitzungen und die damit verbundene öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Zwang zu einer Begründung und Rechtfertigung politischer Entscheidungen aus dem Anfang des 20. Jahrhundert in die heutige Zeit, so sind die Veröffentlichung von Parlamentsprotokollen im Internet und ein Live-Streaming von Parlamentssitzungen die zeitgemäße, logische Weiterentwicklung dieser Grundgedanken. Die Transparenz von parlamentarischen Prozessen stellt sogar ein auf verfassungsgesetzlicher Ebene mehrfach verankertes öffentliches Interesse dar. Es bestehen somit überwiegende berechtigte Interessen eines anderen (hier: des Staates und aller Staatsbürger) gegenüber den Geheimhaltungsinteressen der von der Datenverwendung Betroffenen.

b) Materieller Gesetzesvorbehalt

[19]
Als Schutzgüter i.S.d. Art. 8 Abs. 2 EMRK, die einen Eingriff in das Grundrecht rechtfertigen, kommen insbesondere die öffentliche Ruhe und Ordnung, die Verteidigung der Ordnung und der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer in Betracht.

c) Gelindestes Mittel

[20]
Dadurch, dass die hier vorliegende gesetzliche Grundlage bei der Übertragung der Gemeinderatssitzung die Bildfixierung auf den jeweiligen Redner vorsieht, wird das Gebot, dass der Grundrechtseingriff nur mit den gelindesten Mitteln erfolgen darf, gewahrt. Ein gelinderes Mittel zur Erreichung des Zweckes der Datenverwendung ist nicht ersichtlich.
[21]
Ob es sich bei der konkreten Übertragung der Gemeinderatssitzungen mit einer Bildfixierung auf den jeweiligen Redner um sensible oder nicht-sensible Daten handelt, ist schwer zu beantworten: Einerseits geht aus Bilddaten immer die ethnische Herkunft des Redners hervor ebenso wie in bestimmten Fällen – wie etwa bei einem Brillenträger – Daten über seine Gesundheit. Andererseits kann argumentiert werden, dass es sich bei einer derart eingeschränkten Übertragung gerade nicht um Daten «über» die ethnische Herkunft bzw. die Gesundheit handelt.
[22]
Sofern man der Ansicht ist, dass es sich bei Bilddaten im Zweifel immer um sensible Daten handelt, sind zwei weitere Punkte zu prüfen:

d) Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen

[23]
Die unter b) genannten Schutzgüter stellen auch wichtige öffentliche Interesse i.S.d. der verschärften Bedingungen für die Zulässigkeit der Verwendung sensibler Daten dar.

e) Angemessene Garantien

[24]
Die Bildfixierung auf den jeweiligen Redner kann als eine angemessene Garantie für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Zuschauer und der sonstigen Mitglieder des Gemeinderates gesehen werden.

f) Bestimmtheitsgebot

[25]

Als weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eingriffs in das Grundrecht auf Datenschutz ist es nach der stRsp des VfGH notwendig, dass bei Eingriffen einer staatlichen Behörde durch ein Gesetz ausreichend präzise, also für jedermann vorhersehbar geregelt wird, unter welchen Voraussetzungen die Ermittlung bzw. die Verwendung personenbezogener Daten für die Wahrnehmung konkreter Verwaltungsaufgaben zulässig ist.10 Der jeweilige Gesetzgeber muss somit nach § 1 Abs. 2 DSG 2000 eine materienspezifische Regelung in dem Sinn vorsehen, dass die Fälle zulässiger Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz konkretisiert und begrenzt werden. Datei ist es allerdings nicht immer erforderlich, dass der Gesetzgeber die einzelnen konkreten Daten, die verwendet werden dürfen, im Einzelnen aufzählt.11

[26]
In Anbetracht dieser Vorgaben erscheint Satz 2 der Regelung über die Übertragung von Gemeinderatssitzungen als ausreichend konkret. Satz 3 hingegen lässt völlig offen, unter welchen Voraussetzungen der Gemeinderat darüber hinausgehende Ton- und Bildaufnahmen für zulässig erklären kann und dürfte deshalb m.E. dem geforderten Bestimmtheitsgebot nicht entsprechen. In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei dieser Beurteilung um eine erste Einschätzung handelt. Ob der VfGH dieser Meinung im konkreten Einzelfall folgen würde, lässt sich nicht mit völliger Gewissheit vorhersagen.

4.

Medienprivileg ^

4.1.

Medienprivileg im DSG 2000 ^

[27]

Einige österreichische Städte betreiben für die Öffentlichkeitsarbeit eigene Pressedienste: So besteht in der Stadt Wien ein eigener «Presse- und Informationsdienst (PID)»12, in der Stadt Innsbruck ein eigenes «Medienservice»13. Im Folgenden wird die Frage untersucht, ob ein «Live-Streaming» von Gemeinderatssitzungen, das durch einen derartigen Pressedienst erfolgt, unter die Privilegierung für Medien fällt.

[28]
Auf innerstaatlicher Ebene regelt § 48 DSG 2000 das sog. «Medienprivileg»: Danach sind, soweit Medienunternehmen, Mediendienste oder ihre Mitarbeiter Daten unmittelbar für ihre publizistische Tätigkeit im Sinne des Mediengesetzes verwenden, von den einfachgesetzlichen Bestimmungen des DSG 2000 nur die §§ 4 bis 6, 10, 11, 14 und 15 anzuwenden. Mit dieser Regelung wurde die Vorgabe des Art. 9 DS-RL in österreichisches Recht umgesetzt. Sinn und Zweck dieser Bestimmungen ist es, einen angemessenen Ausgleich zwischen Kommunikationsfreiheit und Datenschutz zu finden.
[29]
Die Anwendbarkeit des § 48 DSG 2000 ist an das Vorliegen eines Medienunternehmens, eines Mediendienstes oder ihrer Mitarbeiter geknüpft. Daher ist zunächst die Frage zu beantworten, ob ein «Pressedienst» einer Gemeinde unter einen dieser Begriffe subsumiert werden kann: In einem vergleichbaren Fall hatte dazu die DSK bereits die Frage zu prüfen, ob der Landespressedienst des Amtes der Kärntner Landesregierung ein Mediendienst im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 7 des MedienG ist. Mediendienste sind demnach Unternehmen, die Medienunternehmen wiederkehrend mit Beiträgen in Wort, Schrift, Ton oder Bild versorgen. Wesentlich ist für die Qualifikation als Mediendienst die Unternehmereigenschaft und damit die Selbständigkeit, weshalb bloße Pressestellen oder Öffentlichkeitsabteilungen einer Behörde oder eines Wirtschaftsunternehmens nicht als Mediendienst im Sinne des Mediengesetzes angesehen werden können. Der Landespressedienst stellt demnach keinen Mediendienst dar, als ihm als Untergliederung einer Abteilung des Amtes der Kärntner Landesregierung die selbständige Unternehmereigenschaft fehlt.14
[30]
Nach § 1 Abs. 1 Z 6 MedienG ist ein Medienunternehmen ein Unternehmen, in dem die inhaltliche Gestaltung des Mediums besorgt wird sowie seine Herstellung und Verbreitung oder seine Ausstrahlung oder Abrufbarkeit entweder besorgt oder veranlasst werden. Mangels Unternehmereigenschaft fällt ein Pressedienst einer Gemeinde daher auch nicht unter den Begriff Medienunternehmen.
[31]
Damit scheint nach der österreichischen Rechtslage, die ausschließlich Medienunternehmen, Mediendienste und deren Mitarbeiter privilegiert, klar zu sein, dass ein Pressedienst einer Gemeinde nicht unter das Medienprivileg fällt.

4.2.

Medienprivileg nach der DS-RL ^

[32]
Da das DSG 2000 die österreichische Umsetzung der DS-RL 95/46/EG bildet, ist aber auch die unionsrechtliche Rechtslage mit zu berücksichtigen. Dabei zeigt sich, dass die Vorgabe in Art. 9 der DS-RL wesentlich weiter gefasst ist als die österreichische Umsetzung: «Die Mitgliedstaaten sehen für die Verarbeitung personenbezogener Daten, die allein zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, Abweichungen und Ausnahmen von diesem Kapitel sowie von den Kapiteln IV und VI nur insofern vor, als sich dies als notwendig erweist, um das Recht auf Privatsphäre mit den für die Freiheit der Meinungsäußerung geltenden Vorschriften in Einklang zu bringen.»
[33]
Die Konsequenzen aus der Tatsache, dass § 48 DSG 2000 wesentlich enger gefasst ist als die unionsrechtliche Vorgabe, wurden in der datenschutzrechtlichen Literatur bereits genauer untersucht.15 Der Autor kommt dabei zum Ergebnis, dass das österreichische «Medienprivileg» in § 48 DSG datenschutzrechtliche Ausnahmebestimmungen tatsächlich nur für «klassische» Medienunternehmen (wie Zeitungen, Fernsehen und Radio), Mediendienste und Medienmitarbeiter vorsieht. Datenanwendungen im Zuge der publizistischen Tätigkeit von allen übrigen (Privat-)Personen, wie beispielsweise NGOs, Unternehmen außerhalb der Medienbranche, juristische Personen öffentlichen Rechts, Interessensvertretungen oder Bloggern fallen daher – abgesehen von wenigen Ausnahmefällen – in den vollen Anwendungsbereich der datenschutzrechtlichen Zulässigkeitsbeschränkungen.
[34]

Seit dem EuGH-Urteil Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia16 ist klargestellt, dass dies den Vorgaben der DS-RL widerspricht, welche Ausnahmebestimmungen bezüglich aller journalistisch tätigen Personen verlangt. Danach gelten die in Art. 9 der DS-RL vorgesehenen Befreiungen und Ausnahmen, wie sich aus den Vorarbeiten zu der Richtlinie ergibt, nicht nur für Medienunternehmen, sondern für jeden, der journalistisch tätig ist.17 Da § 48 DSG 2000 auch nicht richtlinienkonform interpretierbar ist, wird Art. 9 DSRL unmittelbar anwendbar und hat Anwendungsvorrang vor § 48 DSG 2000.

[35]
Was das Grundrecht auf Datenschutz in § 1 DSG 2000 betrifft, so ist eine richtlinienkonforme Interpretation des Eingriffstatbestandes «überwiegende berechtigte Interessen eines anderen» möglich, was zur Folge hat, dass Eingriffe einer jeden Person in das «Grundrecht auf Datenschutz» dann gerechtfertigt sind, wenn diese Datenanwendungen zum Zwecke journalistischer Tätigkeit i.S.d. EuGH-Urteils Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia vorgenommen werden.
[36]

Damit stellt sich die Frage, ob die Tätigkeit eines Gemeinde-Pressedienstes als journalistische Tätigkeit zu qualifizieren ist. Nach dem EuGH muss erstens in Anbetracht der Bedeutung der Freiheit der Meinungsäußerung der Begriff «Journalismus» weit ausgelegt werden. Zweitens schließt die Tatsache, dass eine Veröffentlichung öffentlicher Daten mit der Absicht verbunden ist, Gewinn zu erzielen, nicht von vorneherein aus, dass sie als eine Tätigkeit angesehen werden kann, die «allein zu journalistischen Zwecken erfolgt». Und drittens muss die Entwicklung und die Vervielfältigung der Mittel zur Kommunikation und zur Verbreitung von Informationen berücksichtigt werden. Der Träger, mit dem die verarbeiteten Daten übermittelt werden – ob es sich um einen klassischen Träger wie Papier oder Radiowellen oder aber um einen elektronischen Träger wie das Internet handelt –, ist daher nicht ausschlaggebend für die Beurteilung, ob es sich um eine Tätigkeit «allein zu journalistischen Zwecken» handelt.18

[37]
In der Fachliteratur ist folgende zusammenfassende Definition zu finden: Journalistische Tätigkeit i.S.d. DS-RL muss daher jede Verbreitung von Informationen, Meinungen und Ideen in der Öffentlichkeit sein. Dazu muss auch die journalistische Informationsfreiheit gehören, d.h. das Ermitteln und Speichern von Daten zu Recherchezwecken.19
[38]
Aus alldem ergibt sich, dass es sich bei der Tätigkeit eines Gemeinde-Pressedienstes um eine Datenverarbeitung «allein zu journalistischen Zwecken» i.S.d. Art. 9 DS-RL handelt. Daher ist das Medienprivileg des Art. 9 der DS-RL aufgrund seines Anwendungsvorrangs vor dem zu eng gefassten § 48 DSG 2000 auf die Veröffentlichungen durch einen Gemeinde-Pressedienst anzuwenden. Angesichts des sehr weit zu sehenden Begriffs der «journalistischen Tätigkeit» i.S.d. DS-RL als «jede Verbreitung von Informationen, Meinungen und Ideen in der Öffentlichkeit» und der Aussage in der EuGH-Judikatur, dass es nicht auf das Trägermedium ankommt, mit dem die Daten übermittelt werden, wird dieses Auslegungsergebnis auch auf ein Live-Streaming von Gemeinderatssitzungen durch einen Gemeinde-Pressedienstes übertragen werden können.

 

Dietmar Jahnel

Ao. Univ.-Prof., Universität Salzburg, Fachbereich Öffentliche Recht

Kapitelgasse 5-7, 5020 Salzburg, AT

Dietmar.Jahnel@sbg.ac.at; http://www.uni-salzburg.at/vvr/jahnel

 


  1. 1 Laut Google-Suche am 10. Januar 2014 z.B. in Wien, Salzburg, Wels oder Waidhofen an der Ybbs.
  2. 2 http://de.wikipedia.org/wiki/Live-Streaming.
  3. 3 DSK 30. März 2012, K121.766/0003-DSK/2012.
  4. 4 Beispiele aus der Judikatur sind personenbezogene Daten betreffend ein Umwidmungsverfahren (VwGH 12. März 2010, 2008/17/0206) oder eine baupolizeiliche Überprüfung (DSK 30. März 2012, K121.766/0003-DSK/2012).
  5. 5 Vgl. va Kahl, Art 52 in Kneihs/Lienbacher (Hrsg.), B-VG-Kommentar, Rz. 40 mit zahlreichen Nachweisen.
  6. 6 Lienbacher, Datenschutzrecht und Staatsorganisation, 18. ÖJT Band I/2, 17 (30).
  7. 7 Kastelitz/Konrath/Neugebauer, Datenschutz und Parlament, in Lienbacher/Wielinger (Hrsg.), Öffentliches Recht. Jahrbuch 2011 (2011) 149 (152 ff.).
  8. 8 Jahnel, Handbuch Datenschutzrecht (2010) Rz. 2/46 m.w.N.
  9. 9 Ebenso DSK 30. März 2012, K121.766/0003-DSK/2012.
  10. 10 Zuletzt VfGH 1. Oktober 2013, G 2/2013 = jusIT 2013/106, 224 (Jahnel).
  11. 11 VfGH 29. September 2012, B 54/12.
  12. 12 http://www.wien.gv.at/medien/pid/.
  13. 13 http://www.innsbruck.gv.at/page.cfm?vpath=index/presse--oeffentlichkeitsarbeit.
  14. 14 DSK 27. Februar 2004, K120.867/0001-DSK/2004.
  15. 15 Berthou, § 48 DSG – Datenschutz vs. Medienfreiheit im unionsrechtlichen Kontext, jusIT 2013/7, 11.
  16. 16 EuGH 16. Dezember 2008, C-73/07 (Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia) = MR-Int 2009, 14 (Wittmann).
  17. 17 EuGH 16. Dezember 2008, C-73/07, Rz. 58-60.
  18. 18 EuGH 16. Dezember 2008, C-73/07, Rz. 56.
  19. 19 Berthou, jusIT 2013/7, 11 (13 f.).