1.
Anwendungsmöglichkeiten ^
Trotz dieser plakativen Anpreisung scheinen Big Data Technologien zu halten, was sie versprechen; die neuen Möglichkeiten sind beeindruckend: Mit Big Data könnten Behörden die Ausbreitung von Epidemien vorhersagen und Spitäler wären in der Lage, bis anhin verborgene Nebeneffekte bei Medikamenten aufzudecken5. Unternehmen könnten schneller auf Marktveränderungen reagieren, ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern, neue Produkte entwickeln oder bestehende Angebote verbessern6. Autofahrer könnten wegen ihres (gefährlichen) Fahrstils von bestimmten Leistungen ihrer Versicherer ausgeschlossen werden7. Die Polizei könnte Verbrechen erkennen, bevor sie stattfinden und vorbeugend eingreifen8, während Kriminelle genauer wüssten wann sie wo, wie einbrechen könnten9.
Mit Big Data Technologien können also vor allem neue Zusammenhänge in fast allen Bereichen des Lebens entdeckt, detailliert analysiert und künftige Ereignisse vorhergesagt werden10: durch die Datafizierung11 unseres Alltags, namentlich das Hinterlassen einer digitalen Datenspur durch die tägliche Nutzung von Telefon und Internet beim Kommunizieren, GPS-Navigationsgeräten beim Fortbewegen, Kreditkarten beim Einkaufen aber auch durch die gesetzlich vorgesehene Erfassung bzw. Veröffentlichung von Daten im Rahmen von Open-Government-Data können Daten zu Hobbies, Einkaufsverhalten, Arbeitswegen, Freundeskreis etc. durch Private und das Gemeinwesen gesammelt, ausgetauscht, verknüpft, weitergegeben oder verkauft werden12.
2.
Begriff ^
Genauso zahlreich wie die verschiedenen möglichen Auswirkungen und Anwendungsgebiete, ist auch die Bedeutung des Begriffs selber: Big Data als Schlagwort wird oft unterschiedlich verwendet. Einerseits werden damit Technologien zum Beschaffen und Auswerten sehr grosser Datenmengen bezeichnet13. Andererseits wird auf die Art und Herkunft von Daten Bezug genommen:
- «Big Data ist die Ansammlung möglichst vieler Daten, die aus möglichst vielen Datenquellen zur Verfügung stehen»14 – oder die Verschmelzung der Möglichkeiten des «Data Warehousing15» mit «Data Mining16» und dem «Cloud Computing17»18.
- «Big Data bezeichnet die wirtschaftlich sinnvolle Gewinnung und Nutzung entscheidungsrelevanter Erkenntnisse aus qualitativ vielfältigen und unterschiedlich strukturierten Informationen, die einem schnellen Wandel unterliegen und in bisher ungekanntem Umfang anfallen»19.
- «Big Data is a term which refers to the enormous increase in access to and automated use of information. It refers to the gigantic amounts of digital data controlled by companies, authorities and other large organisations which are subject to extensive analysis on the use of algorithms»20.
- «Big Data lässt sich im Wesentlichen durch vier Merkmale definieren, welche aufgrund ihrer englischen Bezeichnung als die vier «V’s» bezeichnet werden: Big Data sind grosse Datenmengen (Volume), die mit hoher Geschwindigkeit (Velocity) verarbeitet werden. Ein drittes Merkmal ist die unterschiedliche Beschaffenheit oder Vielfalt (Variety) der Daten. [...] Das vierte Merkmal ist der Mehrwert (Value), welcher mit der Datenanalyse geschaffen wird»21.
Der Begriff Big Data bleibt aber dynamisch. Er wird sich, abgesehen von einer – unwahrscheinlichen – künftigen Legaldefinition, wohl kaum abschliessend definieren lassen. Zu rasant ist der technologische Fortschritt, zu wenig vorhersehbar sind künftige Entwicklungen: Sobald das Internet der Dinge23, Smart Homes24, Werables, künstliche Intelligenz25 etc. fester Bestandteil unseres Alltags geworden sind, könnte sich der Begriff «Big Data» erneut wandeln.
3.
Anwendbarkeit der Datenschutzgesetzgebung ^
Die Legaldefinition der Personendaten gemäss Art. 3 lit. a DSG umfasst drei Wesensmerkmale: (i) sämtliche Angaben (d.h. jede Art und Form von Informationen oder Aussagen), die (ii) einen Bezug zu einer natürlichen oder juristischen Person (sog. Personenbezug) haben und (iii) die Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit (d.h. die Möglichkeit der (Re-)Identifizierung) dieser Person26. Bei Personendaten «kann es sich sowohl um Tatsachenfeststellungen als auch um Werturteile handeln. Unerheblich ist, in welcher Form die Informationen auftreten (etwa als Zeichen, Wort, Bild, Ton oder eine Kombination davon) und wie der Datenträger beschaffen ist. Entscheidend ist, dass sich die Angaben einer oder mehreren Personen zuordnen lassen»27.
Der Begriff des Bearbeitens ist weit28 zu verstehen und umfasst jeden Umgang mit Personendaten, unabhängig von den angewandten Mitteln und Verfahren, insbesondere das Beschaffen, Aufbewahren, Verwenden, Umarbeiten, Bekanntgeben, Archivieren (Art. 3 lit. e DSG). Damit ist der Begriff des Bearbeitens an sich insofern unproblematisch und immer dann zu bejahen, sobald mit Big Data «etwas gemacht» (d.h. Beschaffen/Sammeln, Analysieren, Bekanntgeben etc.) wird. Entscheidend ist, ob sich das Bearbeiten auf Personendaten im vorgenannten Sinn bezieht. Wird dies bejaht, ist das DSG anwendbar, was eine ganze Reihe an Rechten und Pflichten mit sich bringt: bspw. Beachtung der Bearbeitungsgrundsätze (Art. 4 ff. DSG), insbesondere bei grenzüberschreitenden Bekanntgaben (Art. 6 DSG), Auskunftsrecht beim Vorliegen von Datensammlungen (Art. 8 ff. DSG), Anmeldung einer Datensammlung (Art. 11a DSG), Rechtfertigungsgründe (Art. 13 ff. DSG), Strafbestimmungen (Art. 34 f DSG) etc.
4.1.
Ausgangslage und Problematik ^
Zur Illustrierung dieses Phänomens werden gerne folgende zwei Studien aufgegriffen: Einerseits hat sich gezeigt, dass zwischen 61% und 87% der US-amerikanischen Bevölkerung mittels Angaben zum Geschlecht, zum vollständigen Geburtsdatum und zur fünfstelligen Postleitzahl eindeutig identifizierbar waren. Andererseits konnten anonyme Gen-Sequenzen aus öffentlich zugänglichen Forschungsdatenbanken durch Verknüpfung mit wenigen weiteren Daten re-Identifiziert werden33.
4.2.
Voraussetzungen des Bundesgerichts ^
Aufgrund des technischen Fortschritts ist die bundesgerichtliche Voraussetzung des nicht übermässigen (technischen) Aufwands zur Bestimmbarkeit bzw. Re-Identifizierung zunehmend zu bejahen. Einschränkend könnte der Umstand sein, dass hinsichtlich der konkret eingesetzten Big Data Technologien kaum Transparenz existiert: Die verwendeten Analysemethode und -technologien sind eine Blackbox; Unternehmen betrachten ihre Analysealgorithmen als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis. Eine unabhängige Überprüfung der Methoden und Ergebnisse ist faktisch oft nicht möglich35. Deswegen könnte allenfalls eine gewisse (Rest)Ungewissheit hinsichtlich der Voraussetzung des nicht übermässigen Aufwands verbleiben. Das Interesse eines Datenbearbeiters an einer Re-Identifizierung aufgrund der Bearbeitung einer gigantischen Anzahl unterschiedlicher Daten Schlüsse auf Personen(daten) ist dagegen regelmässig zu bejahen36; komplett anonymisierte Daten sind für Big Data nur von beschränktem Interesse, da sie nur generelle Aussagen ermöglichen würden37. Im Ergebnis könnte die Anwendbarkeit des DSG auf Big Data Technologien tendenziell bereits in einer frühen «Bearbeitungsphase» bejaht werden.
4.3.
Datensammlungen ohne Re-Identifizierung – trotzdem potentiell problematisch ^
Auch vor der Bejahung einer nicht übermässig aufwendigen Bestimmbarkeit bzw. Re-Identifizierung können datenschutzrechtlich «unproblematische» Daten, die mittels Big Data Technologien bearbeitet werden, problematisch werden: Je nach dem, wie oder womit sie verknüpft werden, wird eine Re-Identifizierung anonymisierter Daten ermöglicht38 (vgl. Beispiel gemäss Ziff. 4.1 hievor). Andererseits ist in der Phase vor der Re-Identifizierung das DSG nicht anwendbar. Folglich müssen datenschutzrechtliche Prinzipien zum Schutz von Persönlichkeitsrechten hier nicht eingehalten werden; damit entfällt der der Datenschutzgesetzgebung inhärente präventive Schutz. Dies könnte sich negativ auswirken39: Denkbar wäre es, dass die Schutzmechanismen des DSG zu spät greifen würden, weil die Ursache für eine Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits vorher gesetzt wurde oder nachträglich nicht mehr korrigiert werden kann.
4.4.1.
Datenbearbeitungsrecht ^
Denkbar wäre die Einführung eines «Datenbearbeitungsrechts»40 als neue regulatorische Massnahme. Dieses wäre nicht auf Personendaten beschränkt. Es könnte Bearbeitungsvorschriften für alle Arten von Daten (Angaben) vorsehen, was eine allfällige künftige Persönlichkeitsverletzung minimiert oder sogar verhindern könnte.
In diesem Zusammenhang wäre ein Blick auf die Verordnung über den Schutz von Informationen des Bundes (Informationsschutzverordnung; ISchV) als mögliches Vorbild für ein künftiges «Datenbearbeitungsrecht» denkbar. Die ISchV bezweckt zwar nicht den Schutz von Persönlichkeitsrechten oder der informationellen Selbstbestimmung. Sie schützt primär das Landesinteresse (Art. 1 Abs. 1 ISchV): «Der Informationsschutz bezweckt die Sicherheit gewisser Informationen im Interesse des Landes zu gewährleisten; dies unabhängig davon, ob diese Informationen auch Personendaten enthalten»41. Interessant ist aber, dass die ISchV unter anderem Bestimmungen zur Bearbeitung von Informationen festlegt. Während der Begriff des Bearbeitens gemäss Art. 3 lit. c ISchV mit demjenigen von Art. 3 lit. e DSG vergleichbar ist, wird der Begriff der Informationen weiter gefasst als jener der Personendaten: Gemäss Art. 3 lit. a ISchV sind unter Informationen sämtliche Aufzeichnungen auf Informationsträgern und mündliche Äusserungen zu verstehen.
4.4.2.
Zweckbezogene Anwendung des DSG ^
- Bezweckt die eingesetzte Big Data Technologie von Anfang an die Bearbeitung von Personendaten, so dass eine Re-Identifizierung im Sinne der oben genannten Voraussetzungen des Bundesgerichts möglich wäre, könnte die Anwendung des DSG umfassend bejaht werden, also bereits ab Beschaffung der Daten. Dabei wäre unerheblich, ob reine Sach- bzw. anonymisierte Daten oder bereits Personendaten beschafft und in welchem Zeitpunkt die Re-Identifizierung erfolgen würden (vgl. Ziff. 5 ff. zu den Rechtsfolgen).
- Dasselbe könnte für den Fall gelten, bei denen Personendaten zwar nicht dem primären Zweck der eingesetzten Big Data Technologie entspringen, jedoch quasi als Nebenprodukt daraus resultieren.
- Schliesslich verbleibt die Bekanntgabe von Sachdaten oder anonymisierten Personendaten an Dritte. Diesfalls wäre das DSG grundsätzlich dann anwendbar, wenn der weitergebende Datenbearbeiter wüsste oder wissen müsste, dass der empfangende Datenbearbeiter aufgrund seiner eigenen oder weiterer Daten eine Re-Identifizierung vornehmen könnte42.
4.4.3.
Entscheid durch Datenbearbeiter ^
4.4.4.
Zwischenfazit ^
5.1.
Ausgangslage und Problematik ^
Dies ist im Rahmen von Big Data oft problematisch: In der Regel sind die Ergebnisse einer Datenbearbeitung oder deren künftige Zwecke sowie deren Bekanntgabe an weitere Datenbearbeiter im Zeitpunkt der Beschaffung unklar. Ferner vermögen die betroffenen Personen die Bearbeitung von Daten aus unterschiedlichen Quellen kaum zu überblicken und nachzuvollziehen47.
5.2.
Lösungsansätze ^
6.1.
Ausgangslage und Problematik ^
6.2.
Lösungsansätze ^
Thouvenin verweist in diesem Zusammenhang auf die Entstehungsgeschichte des DSG, wonach ursprünglich zwei Vorentwürfe vorgelegen seien: einer für den öffentlich-rechtlichen und einer für den privatrechtlichen Bereich. Dabei sei der Grundsatz der Zweckbindung im heutigen Sinn anfänglich nur im Vorentwurf für den öffentlich-rechtlichen Bereich (d.h. für die Bundesverwaltung) und nicht für den Privatbereich vorgesehen gewesen. Ferner sei nicht davon auszugehen, dass die Zweckbindung zum Schutz der Privatsphäre der betroffenen Personen «sondern vielmehr als logische Folge der Beschränkung des staatlichen Handelns in einem grundrechtlich geschützten Bereich, mithin eine Konkretisierung der Voraussetzungen der gesetzlichen Grundlage, des öffentlichen Interesses und des Verhältnismässigkeitsprinzips zu verstehen sei». Thouvenin stellt in diesem Zusammenhang u.a. die Frage, ob das Zweckbindungsprinzip im Privatbereich einen grösseren Spielraum erhalten oder die Einwilligung grosszügiger und inhaltlich weiter gefasst werden solle56.
Etwas weniger grosszügig sind die meisten Datenschutzbehörden der europäischen Staaten: Sie plädieren für eine strikte Einhaltung des Grundsatzes der Zweckbindung57.
Denkbar und in Übereinstimmung mit den Empfehlungen58 der IWGDPT wäre folgende Lösung: Für den Fall, dass der Datenbearbeiter bereits beschaffte Personendaten zu einem neuen Zweck bearbeiten möchte, müsste im Einzelfall eine Prüfung der Kompatibilität des bisherigen sowie des neuen Zwecks durchgeführt werden. Dabei müssten insbesondere folgende Schlüsselelemente beurteilt werden: (i) Verhältnis zwischen dem alten und dem neuen Bearbeitungszweck, (ii) der Umstand der Beschaffung der bisherigen Daten und die vernünftige Erwartung der betroffenen Person bezüglich der künftigen Bearbeitung dieser Daten, (iii) die Natur der beschafften Daten und die Konsequenz der neuen Bearbeitung auf die betroffenen Personen, (iv) Schutzmassnahmen der Datenbearbeiter zur Sicherstellung einer fairen Datenbearbeitung und zur Verhinderung derer ungebührlicher Auswirkungen auf die betroffenen Personen. Diese Aspekte könnten m.E. im Rahmen der Rechtfertigungsgründe gemäss Art. 13 DSG berücksichtigt werden und in die Interessenabwägung einfliessen.
7.1.
Ausgangslage und Problematik ^
Art. 4 Abs. 2 DSG sieht die Verhältnismässigkeit als Grundsatz für jede Datenbearbeitung vor. Konkret bedeutet dies folgendes: Erstens hat sowohl der Zweck wie auch die Art und Weise der Datenbearbeitung selbst verhältnismässig zu sein. Dies setzt voraus, dass die Datenbearbeitung überhaupt zu einem klaren, im Voraus festgelegten Zweck erfolgt. Zweitens, dürfen nur diejenigen Daten bearbeitet werden, die geeignet sind, um den festgelegten Zweck zu erreichen (Eignung). Drittens hat der Datenbearbeiter danach zu fragen, ob der Zweck der Datenbearbeitung auch mit der Bearbeitung von weniger bzw. weniger einschneidenden Daten (bspw. ohne besonders schützenswerten Personendaten59 oder Persönlichkeitsprofilen60) erreicht werden kann (Erforderlichkeit). Dies setzt voraus, dass der Zweck der Datenbearbeitung bekannt ist, und nur genau so viele Daten bearbeitet werden, wie absolut nötig, damit die Datenbearbeitung überhaupt Sinn macht. Nachdem der vorgesehene Zweck erreicht ist, müssen zudem sämtliche nicht mehr benötigten Daten gelöscht und dürfen nicht mehr wiederverwendet werden. Nicht verhältnismässig ist eine Datenbearbeitung auf Vorrat ohne konkreten Verwendungszweck (d.h. ein «Sammeln» für den Fall, dass man die Daten später vielleicht brauchen könnte). Viertens darf die Datenbearbeitung nicht in einem Missverhältnis zum angestrebten Zweck stehen (Zumutbarkeit). Schliesslich müssen die vorgenannten Kriterien für jeden Einzelfall gesondert geprüft werden; jede Datenbearbeitung muss verhältnismässig sein (dient die Datenbearbeitung mehreren Zwecken, hat sie für jeden einzelnen Zweck verhältnismässig zu erfolgen)61.
Verhältnismässigkeit im vorgenannten Sinne widerspricht dem Konzept von Big Data grundlegend: «Big Data is about data maximisation. In essence, Big Data is the very antithesis of the privacy principles of relevance and data minimisation»62. Der gigantische und ständig zunehmende Umfang an Daten (das weltweite Datenvolumen wächst 50% pro Jahr63) über beliebig viele Themen sind wichtiges Wesensmerkmal und zugleich grosser Vorteil von Big Data. Dabei kommt der potentiellen, künftigen Nutzung der Daten eine grosse Bedeutung zu64. Danach könnten Daten, die heute nicht wichtig oder nicht mehr benötigt erscheinen, morgen einen Mehrwert erbringen. Nur wer möglichst viele Daten aus den verschiedensten Quellen für möglichst lange Zeit und zu potentiell neuen Zwecken bearbeitet, kann daraus den maximalen Nutzen ziehen.
Dies hat Konsequenzen: Werden Personendaten auf diese unverhältnismässige Weise von Big Data Technologien bearbeitet, liegt eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vor (eine allfällige Rechtfertigung gemäss Art. 13 DSG wäre jedoch denkbar; vgl. Ziff. 7.2 und 8 hienach).
7.2.
Lösungsansätze ^
Wenn man sich die anfangs genannten Wesensmerkmale von Big Data erneut vor Augen führt, wird ohne Weiteres ersichtlich, dass die verwendeten Big Data Technologien und der datenschutzrechtliche Bearbeitungsgrundsatz der Verhältnismässigkeit auf Kriegsfuss stehen. Aus datenschutzrechtlicher Sicht führt dies zu grossen Herausforderungen und eine griffige Lösung scheint dabei schwierig: Big-Data-Bearbeiter müssten zur Einhaltung der Verhältnismässigkeit sensibilisiert65 und motiviert werden. Eine datenschutzrelevante Datenbearbeitung muss grundsätzlich verhältnismässig erfolgen66. Das Sammeln auf Vorrat für nicht feststehende Zwecke ist in jedem Fall zu verneinen67. Alsdann dürften Big-Data-Bearbeiter die Möglichkeiten der Rechtfertigung gemäss Art. 13 Abs. 1 DSG, insbesondere auf dem Wege einer gültigen Einwilligung, regelmässig ausschöpfen und damit etwas Spielraum für die benötigte Datenbearbeitung erhalten (vgl. Ziff. 8 hienach). Dies gilt jedoch nur für den Privatbereich; Bundesorgane müssen ihre Daten immer verhältnismässig bearbeiten und sich an Art. 5 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 13 Abs. 2 BV halten.
8.1.
Ausgangslage und Problematik ^
Die Bearbeitung von Personendaten setzt grundsätzlich keine Einwilligung der betroffenen Person voraus. Die Einwilligung gemäss Art. 4 Abs. 5 DSG ist Ausfluss der informationellen Selbstbestimmung der betroffenen Person. Letztere kann den Bearbeitungsgrundsätzen des DSG widersprechen68 und auf einen standardmässig vorgesehen Schutz verzichten: Bspw. kann sich die betroffene Person auf die Bekanntgabe ihrer Personendaten in ein Land ohne angemessene Datenschutzgesetzgebung einverstanden erklären (Art. 6 Abs. 2 lit. b DSG). Sie kann z.B. auch eine Datenbearbeitung zu anderen als den bei der Beschaffung angegebenen Zwecken oder in einem grösseren (unverhältnismässigen) Umfang akzeptieren (Art. 13. Abs. 1 DSG). Denkbar ist auch die Einwilligung in eine Datenbearbeitung durch Bundesorgane ohne eine gesetzliche Grundlage (Art. 17 Abs. 2 lit. c und Art. 19 Abs. 1 lit. b DSG).
Beispielsweise im Online-Verkehr ist schon heute oft fraglich, ob die Voraussetzungen für eine gültige Einwilligung vollständig erfüllt werden. Die jeweiligen Datenschutzerklärungen von Unternehmen sind oft nicht ausreichend klar und unvorteilhaft dargestellt; die Datenbearbeitung ist kaum abschätzbar. Zudem ist unklar, ob ein blosser «Klick» zur Abgabe einer Einwilligung ausreicht, insbesondere dann, wenn die umfangreiche Datenschutzerklärung nicht gelesen, geschweige denn verstanden wurde (bspw. umfasst die Datenschutzerklärung von Google Schweiz zehn Seiten mit weiterführenden Links). Problematisch ist auch die Einwilligung durch das «Anklicken» von online AGB: Auf diesem Wege wird die betroffene Person in der Regel keine gültige Einwilligung abgeben können72.
8.2.
Lösungsansätze ^
Als möglicher Ausweg wäre eine detaillierte und klare vertragliche Regelung der vorgesehenen Datenbearbeitung denkbar. Diese Lösung muss aber angesichts der fehlenden Praktikabilität sowie des offenbar nicht vorhandenen Bedürfnisses der betroffenen Personen verworfen werden74: trotz möglicher negativer Konsequenzen wollen sich erfahrungsgemäss nur wenige Personen Zeit nehmen, um für «Alltägliches» Verträge samt «Kleingedruckten» zu prüfen und abzuschliessen.
9.1.
Digitales Grundrecht ^
9.2.
Privacy by design und Accountability ^
9.3.
Sektorspezifische Regulierung ^
Parallel zu allenfalls neuen, Big-Data-spezifischen Bestimmungen im Rahmen der laufenden DSG-Revision oder der künftigen Datenschutzgrundverordnung in der EU, wäre eine sektorspezifische Regulierung von Big Data für Branchen mit besonders sensiblen Daten denkbar: Bspw. könnte im e-Health81 Bereich eine auf Big Data zugeschnittene Regulierung diskutiert werden82. Um der Dynamik von Big Data hinreichend Rechnung tragen zu können, würde sich das Rechtskleid eines Soft-Law-Regelwerks durch Branchenverbände anbieten (bspw. analog Verhaltensrichtlinien der schweizerischen Telekommunikationsunternehmen zur Netzneutralität)83. Dies würde zwar nur, aber immerhin, nicht-bindende, dafür umso flexiblere Rahmenbedingungen für den Einsatz von Big Data abstecken.
10.
Fazit ^
Michal Cichocki, MLaw, ist Rechtsanwalt sowie stellvertretender Datenschutz- und Informationsschutzverantwortlicher im Rechtsdienst/Datenschutz im Stab im Bundesamt für Polizei (fedpol). Der vorliegende Aufsatz gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung des Autors wieder.
- 1 Dirk Helbing, Sozial orientierte Technologie, NZZ vom 19. August 2013 (online).
- 2 Stefan Heuer, Im Goldrausch, NZZ Folio vom Mai 2013.
- 3 Thomas Fischermann und Götz Hamann, Wer hebt das Datengold? Zeit vom 6. Januar 2013 (online).
- 4 Hendrik Ankenbrand und Britta Beeger, Der gläserne Mensch, FAZ vom 9. Januar 2013 (online).
- 5 Resolution of Big Data, 36th International Conference of Data Protection and Privacy Commissioners, Mauritius 2014.
- 6 Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V., BITKOM Big Data im Praxiseinsatz – Szenarien, Beispiele, Effekte, 2012, S. 8.
- 7 Wer hebt das Datengold? Zeit, a.a.O.
- 8 Daniel Schurter, «Precobs» – Verbrechen erkennen, bevor sie passieren – so funktioniert die Software der Schweizer Polizeien, Watson.ch vom 2. Oktober 2014.
- 9 Der gläserne Mensch, FAZ, a.a.O.
- 10 Resolution of Big Data, a.a.O., p.1.
- 11 Die Umwandlung von Aspekten des Alltags in computerisierte Daten.
- 12 EDÖB, Erläuterungen zu Big Data, http://www.edoeb.admin.ch/datenschutz/00683/01169/index.html?lang=de.
- 13 Edd Dumbill, What is big data? An introduction tot he big data landscape, 11. Januar 2013, http://radar.oreilly.com/2012/01/what-is-big-data.html.
- 14 Bruno Baeriswyl, «Big Data» ohne Datenschutz – Leitplanken, in: Digma – die Zeitschrift für Datenrecht und Informationssicherheit 2013, S. 14.
- 15 Prozess zur Bewirtschaftung und Auswertung eines Datenlagers (Data Warehouse).
- 16 Die systematische Anwendung statistischer Methoden auf einen Datenbestand mit dem Ziel, neue Muster zu erkennen.
- 17 Speichern von Daten in einem entfernten Rechenzentrum, aber auch die Ausführung von Programmen, die nicht auf dem lokalen Rechner installiert sind.
- 18 Bruno Baeriswyl, a.a.O., S. 14.
- 19 BITKOM, a.a.O., S. 7.
- 20 International Working Group on Data Protection in Telecommunications (IWGDPT), Working Paper on Big Data and Privacy – Privacy principles under pressure in the age of Big Data analytics, 55th Meeting, 5–6 May 2014, Skopje, p. 1.
- 21 EDÖB, Erläuterungen zu Big Data, a.a.O.
- 22 Damit ist alles, was mittels Beobachtung, Messung, Aufnahme etc. gewonnen werden kann, gemeint. Dies beschränkt sich nicht auf «Daten» bzw. «Personendaten» im datenschutzrechtlichen Sinne (vgl. Ziff. 3 hienach).
- 23 Vernetzung von Gegenständen mit dem Internet, damit diese Gegenstände selbstständig über das Internet kommunizieren und so verschiedene Aufgaben für den Besitzer/Nutzer erledigen können.
- 24 Intelligente Vernetzung von Haustechnik und Haushaltsgeräten (zum Beispiel Lampen, Heizung, etc.), als auch die Vernetzung von Komponenten der Unterhaltungselektronik.
- 25 Gartner identifies the Top 10 Strategic Technology Trends for 2015, 8. Oktober 2014, http://www.gartner.com/newsroom/id/2867917.
- 26 David Rosenthal, in: David Rosenthal/Yvonne Jöhri, Handkommentar DSG, Zürich 2008, Art. 3 lit. a, N 6 und 18.
- 27 BGE 136 II 508 S. 514, Erw. 3.2.
- 28 Rosenthal, a.a.O., Art. 3 lit. e, N 63.
- 29 EDÖB, Erläuterungen zu Big Data, a.a.O.
- 30 Steve Hamm, How Big Data Can Boost Weather Forecasting, vom 27. Februar 2013 in Wired, http://www.wired.com/2013/02/how-big-data-can-boost-weather-forecasting/.
- 31 Thilo Weichert, Big Data und Datenschutz, Beitrag für das unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein, 2013, S. 16.
- 32 Rolf H. Weber, Big Data, Sprengkörper des Datenschutzrechts?, in: Jusletter IT 11. Dezember 2013, S. 3.
- 33 Rolf H. Weber, Big Data: Rechtliche Perspektive, in: Rolf H. Weber / Florent Thouvenin (Hrsg.) Big Data und Datenschutz – Gegenseitige Herausforderungen, ZIK 59, 2014, S. 20.
- 34 BGE 136 II 508 S. 514, Erw. 3.2.
- 35 Thilo Weichert, a.a.O., S. 17.
- 36 Rolf H. Weber, Big Data, Sprengkörper des Datenschutzrechts?, in: Jusletter IT 11. Dezember 2013, S. 3.
- 37 Rolf H. Weber/Dominic N. Staiger, Vertragsgestaltung rund um Big Data, in: Weber/Thouvenin (Hrsg.) Big Data und Datenschutz – Gegenseitige Herausforderungen, ZIK 59, S. 158.
- 38 Peter Schaar, Datenschutz in Zeiten von Big Data, Datenschutz in Zeiten von Big Data, in: HDM Praxis der Wirtschaftsinformatik, Dezember 2014, Band 51, Ausgabe 6, S. 846.
- 39 Bruno Baeriswyl, a.a.O., S. 15.
- 40 Bruno Baeriswyl, a.a.O., S. 15.
- 41 Erläuterungen zur Verordnung über den Schutz von Informationen des Bundes, Stand 12. April 2007, S. 2.
- 42 BGE 136 II 508 S. 515, Erw. 3.4.
- 43 Working Paper, a.a.O., S. 13.
- 44 Maurer-Lambrou/Steiner, in: Maurer-Lambrou/Vogt, Basler Kommentar, 2014, Art. 4 DSG, Rz. 8.
- 45 Lucien Müller, Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen: insbesondere zur Verhütung und Ahndung von Straftaten, Diss., Zürich/St. Gallen, 2011, S. 83.
- 46 Rosenthal, a.a.O., Art. 4, N 51.
- 47 EDÖB, Erläuterungen zu Big Data, a.a.O.
- 48 Resolution of Big Data, p.2.
- 49 Lucien Müller, a.a.O., S. 86.
- 50 http://www.duden.de/rechtschreibung/Zweck.
- 51 Lucien Müller, a.a.O., S. 79.
- 52 Lucien Müller, a.a.O., S. 78.
- 53 Resolution of Big Data, p. 1.
- 54 Rolf H. Weber/Dominic N. Staiger, in: Rolf H. Weber/Florent Thouvenin (Hrsg.), Big Data und Datenschutz – Gegenseitige Herausforderungen, Zürich 2014, S. S. 158.
- 55 Weichert, a.a.O., S. 13.
- 56 Aurelia Tamo, Veranstaltung des Zentrums für Informations-und Kommunikationsrecht der Universität Zürich, der Forschungsstelle für Informationsrecht der Universität St. Gallen und des Schweizer Forum für Kommunikationsrecht SF•FS vom 31. Oktober 2013, in: sic! 5|2014, 331, S. 4f.
- 57 Resolution of Big Data, p. 2.
- 58 Working Paper, a.a.O., S. 13.
- 59 Art. 3 lit. c DSG.
- 60 Art. 3 lit. d DSG.
- 61 Rosenthal, a.a.O., Art. 4 Abs. 2, N 20 ff.
- 62 Working Paper, a.a.O., S. 6.
- 63 Working Paper, a.a.O., S. 2.
- 64 Working Paper, a.a.O., S. 6.
- 65 Working Paper, a.a.O., S. 17.
- 66 Rolf H. Weber, Big Data: Rechtliche Perspektive, a.a.O., S. 26.
- 67 Rosenthal, a.a.O., Art. 4 Abs. 3, N 31.
- 68 Rosenthal, a.a.O., Art. 4 Abs. 5, N 67.
- 69 Rosenthal, a.a.O., Art. 4 Abs. 5, N 72.
- 70 EDÖB, Erläuterungen zu Big Data, a.a.O.
- 71 Astrid Epiney, Datenschutzrecht in der Schweiz. Eine Einführung in das Datenschutzgesetz des Bundes, mit besonderem Akzent auf den für Bundesorgane relevanten Vorgaben, Freiburger Schriften zum Europarecht Nr. 10, 79 S., Freiburg 2009, S. 42.
- 72 Rolf H. Weber, Big Data, Sprengkörper des Datenschutzrechts?, in: Jusletter IT 11. Dezember 2013, S. 5 f.
- 73 Thilo Weichert, a.a.O., S. 13.
- 74 Rolf H. Weber, Big Data: Rechtliche Perspektive, a.a.O., S. 26.
- 75 Rosenthal, a.a.O., Art. 4 Abs. 5, N 81.
- 76 Michal Cichocki, Staatspolitische Kommission des Nationalrates will Personendaten besser vor Missbrauch schützen, 16. Januar 2015, http://www.lawblogswitzerland.ch/2015/01/staatspolitische-kommission-des.html.
- 77 1. Proactive not Reactive; Preventative not Remedial, 2. Privacy as the Default Setting, 3. Privacy Embedded into Design, 4. Full Functionality – Positive-Sum, not Zero-Sum, 5. End-to-End Security – Full Lifecycle Protection, 6. Visibility and Transparency – Keep it Open, 7. Respect for User Privacy – Keep it User-Centric; Working Paper, a.a.O., S. 16.
- 78 EDÖB, Erläuterungen zu Big Data, a.a.O.
- 79 Cavoukian A./ Jonas J., Privacy by design in the age of big data, 2012.
- 80 Working Paper, a.a.O., S. 17.
- 81 «Elektronische Dienste im Gesundheitswesen»; mit elektronischen Mitteln werden im Gesundheitswesen Abläufe digitalisiert und Patienten, Ärzte, Versicherte, Versicherungen, Labors, Apotheken, Spitäler etc. vernetzt.
- 82 Rolf H. Weber, Big Data, Sprengkörper des Datenschutzrechts?, in: Jusletter IT 11. Dezember 2013, S. 8.
- 83 Michal Cichocki, Netzneutralität: schweizerische Telekommunikationsunternehmen arbeiten Verhaltensrichtlinien aus, 9. November 2014, http://www.lawblogswitzerland.ch/2014/11/netzneutralitat-schweizerische.html.