Jusletter IT

Strategische Initiative Justiz 3.0

  • Authors: Martin Schneider / Thomas Gottwald
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Justice
  • Citation: Martin Schneider / Thomas Gottwald, Strategische Initiative Justiz 3.0, in: Jusletter IT 24 September 2015
With the strategic initiative «Justiz 3.0», the completely digital file management will be realised until 2020, to be able to meet the requirements regarding a service oriented justice, both for the public and the staff. (ah)

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Vorstellung Justiz 3.0 & Projektziele
  • 1.1. Strategische Initiative Justiz 3.0
  • 1.2. Herausforderungen
  • 1.3. Projektziele
  • 1.4. Vorgehen Definition Zielbild
  • 1.5. Projektorganisation
  • 2. Abschlussbericht der durchgeführten Arbeitsgruppen und SSEGs
  • 2.1. Vorgehen in den Arbeitsgruppen
  • 2.2. Vorgehen zur Ableitung der Informationssystemarchitektur aus der Geschäftsarchitektur
  • 2.3. Eckdaten pro Arbeitsgruppe
  • 3. Konsolidiertes Zielbild 2020
  • 3.1. Allgemeine Anforderungen
  • 3.2. Veränderungen in der Anwendungslandschaft der Justiz
  • 3.3. Begleitende Maßnahmen im Bereich IT-Infrastruktur
  • 4. Auswirkungsanalyse
  • 4.1. Basis der Bewertung
  • 4.2. Vorgehensweise Auswirkungsanalyse
  • 4.3. Wesentliche Ergebnisse der Auswirkungsanalyse
  • 4.4. Fazit
  • 5. Einführungsstrategie und Roadmap
  • 5.1. Fachliche Überlegungen zur Einführung
  • 5.1.1. Ausgangslage
  • 5.1.2. Einflussfaktoren (Rahmenbedingungen)
  • 5.1.3. Besonderheit Scannen
  • 5.1.4. Rolloutvarianten
  • 5.1.5. Schlussfolgerungen
  • 5.2. IT-Transformations-Roadmap
  • 6. Zusammenfassung, Ausblick und persönliche Würdigung

1.

Vorstellung Justiz 3.0 & Projektziele ^

1.1.

Strategische Initiative Justiz 3.0 ^

[1]
Die österreichische Justiz nimmt in Europa bereits seit mehreren Jahrzehnten eine Vorreiterrolle beim erfolgreichen Einsatz von Informationstechnologie ein. Wurde in den 90er Jahren insbesondere das Ziel der Rationalisierung durch IT-Einsatz und der Vollausbau der IT-Ausstattung für alle Justizmitarbeiterinnen und -mitarbeiter verfolgt, so gilt es heute im Sinne einer gesamtheitlichen Betrachtung des Justizbetriebes die bestmögliche IT-Unterstützung für alle unterschiedlichen Benutzergruppen bis hin zur vollelektronischen Verfahrensabwicklung im Lichte aktueller technischer Trends und Möglichkeiten zu finden.
[2]
Mit der strategischen Initiative Justiz 3.0 geht das Bundesministerium für Justiz unter Einbeziehung aller Berufsgruppen und Standesvertretungen unter anderem der Frage nach, wie die IT-Arbeitsplätze der Justiz zukünftig gestaltet sein sollen, um die von der Justiz angebotenen Services für Bürger und Unternehmen bei stetig wachsender Arbeitslast und zunehmenden Herausforderungen zeitgemäß und effizient bewältigen zu können.
[3]
Ausgehend von den Anforderungen und Bedürfnissen der Praktiker soll in weiterer Folge der Modernisierungs- und Optimierungsbedarf sowohl hinsichtlich des Geschäftsbetriebs der Justiz als auch der aktuellen IT-Unterstützung erhoben werden. Darauf aufbauend kann die künftige IT-Anwendungslandschaft der Justiz – unter Berücksichtigung entsprechender Kosten-Nutzen-Analysen – im Sinne der eJustiz entworfen und der Weg vom Ist zum Soll skizziert werden. Die mit dem Einsatz moderner Technologien einhergehenden Potenziale sollen dabei bestmöglich in obige Überlegungen einfließen.
[4]
Mit der Initiative Justiz 3.0 sollen sowohl die Qualität der angebotenen Services und Leistungen gegenüber der Öffentlichkeit verbessert als auch die Mitarbeiterzufriedenheit gesteigert und somit den Anforderungen an einen zeitgemäßen und attraktiven (eJustiz-) Arbeitsplatz nachgekommen werden.

1.2.

Herausforderungen ^

[5]
Die bestehende IT-Anwendungslandschaft der Justiz sieht sich Herausforderungen hinsichtlich technischer Trends, budgetärer Entwicklung und notwendiger Modernisierungen gegenüber, die es aktiv zu adressieren gilt.
[6]

Im speziellen gilt es dabei, die folgenden Themen bei der Planung und Gestaltung einer zukünftigen IT-Lösung für den Justiz-Arbeitsplatz zu berücksichtigen.

  • Aktuelle Trends
    • Ermöglichung eines Workflow-basierten Arbeitens mit entsprechender Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Rollen;
    • Ortsunabhängiges Arbeiten und parallele Zugriffsmöglichkeiten auf Akten;
    • Berücksichtigung der Möglichkeit, dass Mitarbeiter ihre eigenen Endgeräte zur Arbeit mit den Justiz-Anwendungen verwenden (BYOD – Bring Your Own Device). Hierbei sind insbesondere die Anforderungen für mobile Endgeräte zu berücksichtigen;
    • Schaffung von Analysemöglichkeiten zur gezielten Auswertung der vorhandenen Datenbestände der Justiz im Sinne von «Big Data» unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Einzelnen;
    • Auch vom Rechnungshof wurde wiederholt die vollständig digitale Aktenführung verlangt;
    • Nutzung der Technik von sozialen Medien im Zuge der täglichen Arbeit, um z.B. rascher an benötigte Information bzw. richtige Ansprechpartner zu kommen.
  • Budgetäre Entwicklung
    • Die Anforderungen an die bestehende IT-Landschaft steigen stetig, Vorhandensein und Nutzung von IT sowie deren hohe Verfügbarkeit werden – auch aus der Übung im privaten Umfeld – immer mehr zur Selbstverständlichkeit;
    • Ressourcen (Personal, Budget) stagnieren seit Jahren und führen damit real zu einer Reduktion der verfügbaren Mittel;
    • Weiterentwicklungen an bestehenden IT-Systemen sind konsequent nach Kosten/Nutzen-Abwägungen zu beurteilen;
    • Finanzieller Spielraum entstand durch den erfolgreichen Abschluss der Host-Migration im April 2014 und der Absicht, die damit frei gewordenen budgetären Mittel zumindest teilweise für eine Modernisierung der Justiz-IT heranzuziehen.
  • Notwendige Modernisierungen
    • Die bestehenden Kernanwendungen basieren auf nicht mehr zeitgemäßen Architekturen und bedürfen einer Erneuerung;
    • Der aktuellen Justiz-IT-Landschaft fehlt ein umfassendes und integriertes Dokumentenmanagement- und Workflow-System, das die ergonomische Bearbeitung und Visualisierung von digitalen Akten unterstützt.

1.3.

Projektziele ^

[7]
Als Projektziele von Justiz 3.0 wurden insbesondere folgende Punkte definiert:
  • Erhebung des Modernisierungs- und Optimierungsbedarfs hinsichtlich des Geschäftsbetriebs der Justiz und der aktuellen IT-Unterstützung ausgehend von Anforderungen und Bedürfnissen der Praktiker (Ist-Erhebung);
  • Einbeziehung aller Berufsgruppen und Standesvertretungen zur Definition der künftigen IT-Unterstützung im Lichte aktueller technischer Trends und Möglichkeiten (Soll-Definition);
  • Entwurf der künftigen IT-Anwendungslandschaft der Justiz unter Berücksichtigung entsprechender Kosten/Nutzen-Analysen und der mit dem Einsatz moderner Technologien einhergehenden Potenziale;
  • Verbesserung der Qualität der angebotenen Services und Leistungen gegenüber der Öffentlichkeit und zur Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit.
[8]
Als Nicht-Ziele wurden definiert
  • Totalumbau bestehender Abläufe (stattdessen iterative Anpassung, sofern für Optimierung der IT-Unterstützung notwendig);
  • Prozessdetailanalyse;
  • Erarbeitung detaillierter Anforderungskataloge, Lastenhefte, Arbeitsanweisungen, Trainingsunterlagen.

1.4.

Vorgehen Definition Zielbild ^

[9]
Für das Vorgehen zur Definition des fachlichen sowie des technischen Zielbilds wurde die Vorgehensweise mit den Phasen Anforderungen, Anwendungen und Technologien gewählt.
[10]
Diese Vorgehensweise soll verdeutlichen, dass Anforderungen, Anwendungen und Technologien in einem sich ständig wiederholenden Zyklus evaluiert und anzupassen sind. So können sich z.B. beim wiederholten Durchlauf des Zyklus Anforderungen dadurch ändern, dass technische Möglichkeiten neue Optionen für eine effektivere Aufgabenerledigung ermöglichen.
[11]
Zu den Anforderungen wird zunächst erhoben, was fachlich von den Nutzern tatsächlich benötigt wird und wie die IT dabei bestmöglich unterstützen kann.
[12]
Im nächsten Schritt wird untersucht, mit welchen Anwendungen die erhobenen Anforderungen bestmöglich abgedeckt werden können.
[13]
Auf Technologieseite wird im Anschluss untersucht, wie diese Anwendungen mit zeitgemäßer Technologie umgesetzt werden können. Hierbei sind insbesondere Fragestellungen zur Zukunftssicherheit der eingesetzten Lösungen zu beantworten und «Make-or-Buy»-Entscheidungen zu fällen.

1.5.

Projektorganisation ^

[14]
Aufgrund des weitreichenden Fokus der Initiative Justiz 3.0 wurde folgende Programmorganisation gewählt:
[15]
Strategisches Steuerungs- & Entscheidungsgremium (SSEG)
  • Oberstes beschlussfassendes Gremium; Überwachung der Projektergebnisse bzw. Projektfortschritte; Abnahme der Projektergebnisse;
[16]
Operatives Steuerungs- & Entscheidungsgremium (OSEG)
  • Vorbereitung der Sitzungen des SSEG; Formulieren von Projektaufträgen; Bereitstellung kurzfristiger Entscheidungen; Konsolidierung der Ergebnisse der Arbeitsgruppen;
[17]
Arbeitsgruppen zur Geschäftsarchitektur (AG-GA)
  • Die Arbeitsgruppen zur Geschäftsarchitektur (AG-GA) erarbeiten Ist- und Sollsituation in den jeweiligen fachlichen Bereichen und legen die Ergebnisse dem SSEG vor.
[18]
Arbeitsgruppe Informationssystemarchitektur (AG-ISA) und Arbeitsgruppe Technolgiearchitektur (AG-TA)
  • Die Arbeitsgruppe Informationssystemarchitektur (AG-ISA) stellt die Gesamtsicht auf die Informationssysteme der Justiz sicher und übersetzt die Anforderungen der Arbeitsgruppen zur Geschäftsarchitektur auf entsprechende IT-Lösungen. Die Arbeitsgruppe Technologiearchitektur (AG-TA) stellt in enger Zusammenarbeit mit der AG-ISA die Gesamtsicht auf den Technologiekatalog der Justiz sicher und beschäftigt sich dabei sowohl mit Infrastruktur- als auch Software-Technologien, die für eine effiziente und moderne eJustiz künftig eingesetzt werden sollen.

2.

Abschlussbericht der durchgeführten Arbeitsgruppen und SSEGs ^

2.1.

Vorgehen in den Arbeitsgruppen ^

[19]
Zur Erhebung des Modernisierungs- und Optimierungsbedarfs wurden Arbeitsgruppen (AGs) zu den einzelnen Geschäftsfunktionen der Justiz eingerichtet. Die Geschäftsfunktion Verfahrensmanagement wurde dabei aufgrund ihres Umfangs weiter aufgeteilt. Zusätzlich zu diesen an den Geschäftsfunktionen ausgerichteten Arbeitsgruppen wurde eine eigene Arbeitsgruppe mit dem Fokus auf den Arbeitsplatz des Entscheidungsorgans eingerichtet.
[20]
Zuerst wurde anhand einer durch das Kernteam erstellten Fragenliste die IST-Situation der jeweiligen Geschäftsfunktion erhoben. Dabei wurden auch soweit sinnvoll Ist-Prozesse erhoben und Praxisanalysen (z.B. JEPA/JAPA, siehe Ergebnisberichte der AG Eingang und AG Ausgang) durchgeführt.
[21]
Gemeinsam mit den Mitgliedern der AG wurden anschließend Schwachstellen und Verbesserungsvorschläge zur aktuellen IT-Lösung erhoben. Teilweise wurden auch Soll-Prozesse erarbeitet.
[22]
Die konsolidierten Ergebnisse je Arbeitsgruppe wurden jeweils abgestimmt und danach in der jeweiligen AG sowie im Strategischen Steuerungs- und Entscheidungsgremium vorgestellt.

2.2.

Vorgehen zur Ableitung der Informationssystemarchitektur aus der Geschäftsarchitektur ^

[23]
Die im Rahmen von Justiz 3.0 erarbeiteten Verbesserungspotenziale und Empfehlungen finden sich im Detail in den jeweiligen Ergebnisdokumenten der Geschäftsarchitektur-Arbeitsgruppen. Die einzelnen Anforderungen bzw. Empfehlungen wurden anschließend in einem Grobanforderungskatalog konsolidiert sowie hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die IT der Justiz analysiert.
[24]
Als Ergebnis dieser Analyse wurden die einzelnen Anforderungen entweder als rein organisatorische bzw. legistische Maßnahme identifiziert oder als IT-Anforderung festgehalten. Die IT-Anforderungen wurden in weiterer Folge einzelnen Projektvorschlägen der Roadmap zugeordnet. Im Rahmen der AG Informationssystemarchitektur wurden die einzelnen IT-Anforderungen hinsichtlich deren Einfluss auf die Architektur betrachtet und somit Informationssystemen zugeordnet. Darüber hinaus wurden die architekturbestimmenden Anforderungen für neue Informationssysteme festgehalten. Legistische und organisatorische Empfehlungen werden in Abstimmung mit den zuständigen Fachabteilungen zu evaluieren sein.

2.3.

Eckdaten pro Arbeitsgruppe ^

[25]
Insgesamt wurden elf Arbeitsgruppen eingerichtet, in denen entsprechende Ergebnisberichte erstellt wurden. Für zwei Geschäftsfunktionen (Finanzgebarung und Erlagswesen) wurden Ergebnisberichte auf Basis von Vorprojekten erarbeitet.

3.

Konsolidiertes Zielbild 2020 ^

3.1.

Allgemeine Anforderungen ^

[26]
Als Ergebnis der mit den einzelnen Arbeitsgruppen durchgeführten Workshops wurden folgende allgemeine Anforderungen an eine künftige IT-Unterstützung erhoben.
[27]
Zugriff auf den gesamten Akt muss durch mehrere Benutzer gleichzeitig möglich sein
  • Nutzen:
    • Verkürzung der Verfahrensdauer durch Entfall von Wartezeiten;
    • Akteneinsicht und Auskünfte sind jederzeit möglich;
    • Aktenkopien können einfach erstellt werden.
  • Konsequenz:
    • Gesamter Akteninhalt muss digital zur Verfügung stehen;
    • Sicherstellen, dass Papierdokumente unmittelbar digitalisiert werden, damit es keinen Unterschied zwischen Papierakt und digitalem Akt gibt;
    • Durchgängiges Berechtigungskonzept für interne und externe Lese- / Bearbeitungsberechtigte.
[28]
Ortsunabhängiges Arbeiten muss ermöglicht werden
  • Nutzen:
    • Es müssen nicht Papierakten transportiert werden;
    • Mehr Möglichkeiten zur Aktenabarbeitung, da man nicht auf bestimmte Tätigkeiten beschränkt ist (z.B. nur Urteilsakten).
  • Konsequenz:
    • Es muss eine IT-Arbeitsplatzausstattung für den mobilen Einsatz bereitgestellt werden.
[29]

Alle Akteninhalte müssen elektronisch durchsuchbar, weiterverarbeitbar und sortierbar sein

  • Nutzen:
    • Der gesamte Akteninhalt ist volltextlich durchsuchbar;
    • Flexible Strukturierung des Akteninhalts nach Standardsichten und persönlichen Präferenzen (erleichtertes Aktenstudium);
    • Textpassagen können in eigene Texte mit Kopieren/Einfügen einfach übernommen werden;
    • Schafft Grundvoraussetzung für IT-gestützte Automatisierung;
    • Ermöglicht ein effizienteres Arbeiten mit dem Akt.
  • Konsequenz:
    • Alle bereits digital zur Verfügung gestellten Inhalte (z.B. im Wege des ERV) müssen mittels OCR aufbereitet werden;
    • Sämtliche Akteninhalte auf Papier müssen digitalisiert und ebenfalls mittels OCR aufbereitet werden;
    • Gescannte Dokumente bedürfen einer Sichtkontrolle und müssen bei nicht ausreichender Qualität nachgescannt werden;
    • Akteninhalte müssen mit Strukturdaten unterlegt sein.
[30]

Wahlfreiheit des Entscheidungsorgans zwischen Aktenführung in Papier oder Elektronik

  • Nutzen:
    • Entscheidungsorgan kann jederzeit die für ihn sowie für die Verfahrensführung bestgeeignete Vorgehensweise bestimmen.
  • Konsequenz:
    • Zurverfügungstellung all jener Arbeitsmittel, die sowohl das Arbeiten mit Papier als auch mit der Elektronik ermöglichen;
    • Synchronisierung von Papier und digitalem Akt durch punktuelles Scanning sicherstellen;
    • Der Akt muss jederzeit in Papier verfügbar gemacht werden können. Sollte sich die digitale Aktenführung im Einzelfall als ungeeignet herausstellen, kann jederzeit auf Papierführung umgestellt werden.
[31]

Die parallele Verteilung von «Aufgaben» muss innerhalb eines Aktes unterstützt werden

  • Nutzen:
    • Entfall von Aktenkopien, wenn Aufgaben parallel an unterschiedliche Stellen verteilt werden sollen;
    • Der Gang des Verfahrens wird nicht durch singuläre Verfügbarkeit des Aktes aufgehalten, z.B. Aktendreiteilung im P-Verfahren nicht mehr notwendig;
    • Entfall von Priusstücken.
  • Konsequenz:
    • Das «Workflowsystem» muss diese Anforderung erfüllen.
[32]
Aufgabenverteilung innerhalb eines Aktes muss ad hoc zu jeder im System definierten Person oder Stelle, allenfalls unter Nutzung von Musterprozessen und Einhaltung definierter Regeln, möglich sein
  • Nutzen:
    • Flexibilität im Arbeitsprozess durch die Möglichkeit von (parallelen) ad hoc Prozessen zwischen Personen und/oder Organisationseinheiten (z.B. Entscheidungsorgane, Kanzleien, Teamassistenzen und Servicecenter);
    • Flexible Zusammenarbeit innerhalb eines künftigen Aktenbearbeitungssystems (Jeder kann jederzeit mit Jedem kommunizieren);
    • Möglichkeit zur Definition von (Ablauf-)regeln, um die Einhaltung bestimmter Abläufe sicherzustellen;
    • Wiederkehrende Abläufe können durch Musterprozesse abgebildet werden.
  • Konsequenzen:
    • Bereitstellung eines flexiblen Systems für die Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Personen und Stellen.
[33]

Justizintern soll primär elektronisch kommuniziert werden

  • Nutzen:
    • Weniger Aufwand und geringere Fehleranfälligkeit ohne redundante Datenerfassung;
    • Aktenlauf immer nachvollziehbar;
    • Akten können nicht in Verlust geraten;
    • Ermöglichung paralleler Kommunikation;
    • Kürzere Verfahrensdauer durch sofortige Verfügbarkeit des Aktes;
    • Kosteneinsparung durch wegfallende Portokosten;
    • Vermeidung bzw. Verringerung von Aktenkopien.
  • Konsequenz:
    • Bereitstellung eines digital verfügbaren Aktes,
    • Bereitstellung eines Workflowsystems zur justizinternen Kommunikation.
[34]

Entscheidungsorgan kann auch selbst Entscheidungen eintragen

  • Nutzen:
    • Daten werden zu dem Zeitpunkt eingetragen, zu dem sie entstehen; keine Nacherfassung;
    • Verfahrensbeschleunigung;
    • Papiertransport entfällt.
  • Konsequenz:
    • Bereitstellung eines einfach zu bedienenden User Interface für Entscheidungsorgane;
    • Das Entscheidungsorgan hat die Möglichkeit, Entscheidungen zu erfassen, wobei die Durchführung (z.B. einer Verfügung) der Kanzlei überlassen werden kann, um das Vier-Augen-Prinzip aufrecht zu erhalten.
[35]

Registerinformationen und statistische Daten müssen sich so weit wie möglich aus den Daten der Verfahrensführung ergeben

  • Nutzen:
    • Fehleranfälliges Nacherfassen von Verfahrensschritten entfällt;
    • Sorgfältiges Erfassen von Daten der Verfahrensführung generiert automatisch eine sinnvolle Aktenübersicht.
  • Konsequenz:
    • Grundlage für die Registerführung und die daraus resultierenden Statistiken sind Daten, die aus der digitalen Aktenführung gewonnen werden;
    • Weitere Detaildaten für statistische Auswertungen werden im fachlichen Kontext erfasst.
[36]

Verfahrensbeteiligte sollen eindeutig und verfahrensübergreifend identifizierbar sein

  • Nutzen
    • Hinweise auf besondere Umstände in anderen Verfahren eines Verfahrensbeteiligten;
    • Hinweise auf Datenänderungen in anderen Verfahren;
    • Erleichterte elektronische Kommunikation mit Verfahrensbeteiligten.
  • Konsequenz:
    • Verwendung des bereichsspezifischen Personenkennzeichens (bPK);
    • Automatische Identifikation von Verfahrensbeteiligten (soweit möglich).
[37]

Termine sollen sich aus Verfahrensdaten ergeben, mobil verfügbar sein und eine bessere Koordination ermöglichen

  • Nutzen:
    • Redundante, fehleranfällige Datenerfassung entfällt;
    • Kalender ist in allen Situationen verfügbar;
    • Terminkoordination wird beschleunigt und verbessert;
    • Knappe Ressourcen (z.B. Verhandlungssaal) werden besser genutzt.
  • Konsequenz:
    • Verwendung eines Standard-Werkzeuges zur Kalenderführung mit Schnittstellen zu Justizapplikationen und Abruf dieses Kalenders über mehrere Kanäle.
[38]

Ausgangsstücke primär zentral und elektronisch zustellen

  • Nutzen:
    • Kostensenkung durch Portoeinsparungen, effizienteres Drucken bzw. wegfallende Materialkosten bei elektronischer Zustellung;
    • Aufwandssenkung durch Wegfall der manuellen Abfertigung;
    • Zeitersparnis durch schnellere Übermittlung und Reduktion/Entfall der Dateneingabe beim Empfänger.
  • Konsequenz:
    • Eingangsstücke auf Papier sind zu digitalisieren;
    • Sicherstellen, dass auch in der Justiz entstandene Papierdokumente unmittelbar digitalisiert werden;
    • ERV-Verpflichtung ausweiten;
    • Nutzung von E-Zustelldiensten, unterstützt durch automatische Identifikation von Verfahrensbeteiligten.
[39]

Einheitliche und vollständige elektronische Verlaufsinformation zu Gebührenvorgängen

  • Nutzen:
    • Jederzeitige vollständige Verlaufsinformation samt Gebührensaldo für jeden einzelnen Gebührenvorgang;
    • Einheitlicher Zugang für alle Einsichtsberechtigten, auch wenn der Gebührenvorgang in unterschiedlichen IT-Anwendungen bearbeitet und verändert wurde;
    • Entfall händischer Aufzeichnungen im Papierakt;
    • Vereinfachte Selbstkontrolle durch Kostenbeamte und Gebührenrevision durch Revisoren.
  • Konsequenz:
    • Schaffung einer zentralen Kostenevidenz, die alle Informationen zu einem Gebührenvorgang unabhängig von jeweils beteiligten IT-Systemen einheitlich zusammenfasst;
    • Bereitstellung von Saldoveränderungen zu Gebührenvorgängen über Schnittstellen aus der jeweiligen Fachanwendung (= bearbeitbare Kostenevidenz in Fachanwendungen).

3.2.

Veränderungen in der Anwendungslandschaft der Justiz ^

[40]
Die Arbeitsgruppe Informationssystemarchitektur hat eine Bestandsaufnahme der bundesweit für den Geschäftsbetrieb der Justiz eingesetzten Informationssysteme durchgeführt. Der etwa 170 unterschiedliche IT-Anwendungen und -Services umfassende Katalog wird künftig als Grundlage für Konsolidierungs- und Zentralisierungsüberlegungen dienen. An dieser Stelle soll ausschließlich der Ausschnitt der zentral bereitgestellten IT-Fachanwendungen der Justiz und deren zukünftige Weiterentwicklung im Hinblick auf die im vorangegangenen Kapitel dargestellten allgemeinen Anforderungen näher betrachtet werden.
[41]

Generell können für die Realisierung von Anforderungen drei grundlegende Herangehensweisen unterschieden werden, die in der Praxis auch sehr oft in Kombination angewendet werden.

  • Weiterentwicklung einer bereits bestehenden Anwendung: Dabei werden neue Anforderungen in den Technologien und Strukturen einer bestehenden Anwendung realisiert. Damit können Anforderungen im Kontext der jeweiligen Fachanwendung in der Regel rasch umgesetzt werden. Technologische Veränderungen oder eine über die Fachanwendung hinausgehende Wiederverwendung sind üblicherweise jedoch nur schwer möglich.
  • Neuentwicklung eines Informationssystems: Dabei werden Funktionen in neu zu schaffenden Strukturen (Architektur) einer/s IT-Anwendungen bzw. -Services unter Nutzung neuer moderner Technologien entwickelt. Das Ergebnis einer Neuentwicklung ist in aller Regel eine um Altlasten bereinigte, moderne und auf die aktuellen fachlichen und architekturellen Anforderungen zugeschnittene IT-Anwendung. Häufig werden in der IT neue Funktionen in Form von wiederverwendbaren Anwendungen oder Services neu entwickelt und dann mit bestehenden Informationssystemen integriert.
  • Integration mit/von Informationssystemen: Anknüpfend an die Neuentwicklung von IT-Funktionen können bestehende IT-Anwendungen mit gekauften Standardprodukten oder individuell entwickelten IT-Anwendungen bzw. -Services integriert werden. Damit kann in der Regel die Wiederverwendung und separate Weiterentwicklung des integrierten Systems sichergestellt werden.
[42]
Anknüpfend an die skizzierten Herangehensweisen zur Umsetzung von Anforderungen wird nachfolgend auf Maßnahmen im Bereich der bestehenden IT-Fachanwendungen der Justiz eingegangen, die innerhalb der nächsten zwei Jahre (kurzfristig), drei bis fünf Jahre (mittelfristig) bzw. sechs bis zehn Jahre (langfristig) entsprechende Veränderungen erzielen sollen.
[43]
Verfahrensautomation Justiz (VJ):
  • Als kurzfristige Maßnahme wird die VJ mit dem elektronischen Portal (eIP) der bayrischen Justiz integriert. Damit wird eine digitale Aktenführung unter Beibehaltung sämtlicher in der VJ realisierten Funktionalitäten prinzipiell unterstützt, sodass fortan unter Berücksichtigung von fachlichen Überlegungen einzelne Verfahrensbereiche digital geführt werden können. Damit steht eine einheitliche moderne Benutzeroberfläche für Aktenstudium und Suche zur Verfügung.
  • Mittelfristig soll die VJ durch flexibler weiterzuentwickelnde und auf modernen Technologien basierende Einzelanwendungen ersetzt werden. Dabei soll neben einer Straf- und Zivilgerichtanwendung auch eine Anwendung für staatsanwaltschaftliche Verfahren – welche aus der EliAs-Anwendung entstehen soll – geschaffen werden. Diese Fachanwendungen sollen mittels eines Justiz-spezifischen Basisbaukastens für Justiz-Anwendungen entwickelt werden bzw. diesen um die Besonderheiten der jeweiligen Fachdomäne erweitern.
[44]
Unterhaltsvorschüsse (UV):
  • Mittelfristige Neuentwicklung der technologisch überholten Alt-Anwendung auf Basis des bis dahin bereitgestellten Basisbaukastens für Justiz-Fachanwendungen.
[45]
Integrierte Wirtschaftsverwaltung (Strafvollzug) (IWV):
  • Langfristig wird bei Identifikation eines größeren fachlichen Veränderungsbedarfs oder der Notwendigkeit einer Technologieablöse eine Neuentwicklung unter Nutzung des Basisbaukastens angestrebt.
[46]
Integrierte Vollzugsverwaltung (Strafvollzug) (IVV):
  • Mittelfristig soll die technologisch überholte Alt-Anwendung unter Nutzung des Basisbaukastens neuentwickelt werden.
[47]
Grundbuch (GT):
  • Langfristig wird bei Identifikation eines größeren fachlichen Veränderungsbedarfs oder der Notwendigkeit einer Technologieablöse eine Neuentwicklung unter Nutzung des Basisbaukastens angestrebt.
[48]
Firmenbuch (FB):
  • Langfristig wird bei Identifikation eines größeren fachlichen Veränderungsbedarfs oder der Notwendigkeit einer Technologieablöse eine Neuentwicklung unter Nutzung des Basisbaukastens angestrebt.
[49]
Elektronische integrierte Assistenz an der Staatsanwaltschaft (EliAs):
  • Kurzfristig wird die EliAs mit den neuen zentralen Informationssystemen für die Aktenbearbeitung und Workflowsteuerung integriert.
  • Mittelfristig erfolgt die Erneuerung unter Nutzung des Justiz Basisbaukastens, sodass damit das Fundament zur Ablöse aller staatsanwaltschaftlichen Verfahren aus der VJ gelegt wird.
[50]
Einbringungsstellenanwendung (EB):
  • Als erste kurzfristige Maßnahme soll im Bereich der Einbringungsstelle ein Grundkonzept für die Realisierung eines justizweit einsetzbaren Basisbaukastens entstehen. Auf Basis dieses wiederverwendbaren Frameworks soll die technologisch veraltete Einbringungsstellenanwendung erneuert werden.
[51]
Dominoanwendungen (DO):
  • Die Umsetzung neuer Anforderungen im Bereich der bestehenden Domino-Anwendungen (Ediktsdatei, SDG-Liste etc.) soll langfristig auf Basis eines auf modernen Technologien (Web und Mobile) basierenden Standardprodukts erfolgen.

3.3.

Begleitende Maßnahmen im Bereich IT-Infrastruktur ^

[52]
Die Arbeitsgruppe Technologiearchitektur hat sich neben weiteren Technologien der Software-Entwicklung auch mit den aktuellen Gegebenheiten und künftigen Erfordernissen im Bereich IT-Arbeitsplatzausstattung auseinandergesetzt. Unter Berücksichtigung internationaler Erfahrungen mit digitaler Aktenbearbeitung wurden folgende Empfehlungen für die IT-Ausstattung der nachfolgenden Rollen bzw. Örtlichkeiten in der Justiz ausgesprochen:
[53]

Entscheidungsorgane:

  • Notebook (inkl. Docking-Station);
  • je nach Erfordernis einen oder zwei 24" Bildschirme;
  • bei Bedarf Flachbettscanner und Drucker.
[54]

Kanzleien:

  • Desktop PC;
  • ein 24" Bildschirm;
  • Multifunktionsgeräte (Scanner und Drucker).
[55]

Einlaufstellen:

  • Desktop PC;
  • ein 24" Bildschirm;
  • Einzugsscanner (Hochleistung).
[56]

Verhandlungssäle:

  • Abhängig von lokalen Gegebenheiten > 50" Bildschirm, Projektor/Projektionsbereich;
  • Dokumentenkamera;
  • Desktop PC zur Steuerung der IT-Ausstattung und für Zugriff ins Justiz Netzwerk;
  • Zwei 24" Bildschirme;
  • ggf. Anschlüsse für Bildübertragung (HDMI, VGA).
[57]

Eingangsbereiche der Dienststellen:

  • > 50" Bildschirme (Infoscreens).
[58]

Vor Verhandlungssälen:

  • Abhängig von lokalen Gegebenheiten: 15" Bildschirme.

4.

Auswirkungsanalyse ^

[59]
Die Präsentation der Ergebnisse im 4. SSEG hat gezeigt, dass eine aktive Adressierung der Bedenken wegen administrativer Mehraufwände bei digitaler Aktenführung notwendig ist. Zu diesem Zweck wurde eine grobe Analyse mit quantitativer und qualitativer Bewertung durchgeführt, um die Auswirkung digitaler Aktenführung zu evaluieren.
[60]
Die Ergebnisse zeigen, dass bei digitaler Aktenführung insgesamt über fast alle Geschäftsfunktionen der Justiz ein Zeit- und Qualitätsgewinn sowohl für das Entscheidungsorgan als auch für die Kanzlei erzielt werden kann. Die digitale Aktenführung ermöglicht eine effizientere Aktenbearbeitung und automatisierte Prozessabläufe bei gleichzeitiger Optimierung des Einsatzes von knappen Ressourcen. Weiters wird die Flexibilität des Entscheidungsorgans durch die Möglichkeit des ortsunabhängigen Arbeitens gesteigert. Darüber hinaus können durch den Entfall des Aktenlagers und des Transportaufwands von physischen Akten die hierfür anfallenden Kosten stark reduziert werden.

4.1.

Basis der Bewertung ^

  • Die vorgestellte Auswirkungsanalyse soll die zeitlichen und qualitativen Veränderungen bei der Durchführung von Geschäftsprozessen, die mit der Einführung der digitalen Aktenführung verbunden sind, quantifizieren und transparent machen;
  • Die Analyse betrachtet die Auswirkungen bezogen auf das Entscheidungsorgan und die Kanzlei, Auswirkungen darüber hinaus werden in der qualitativen Gesamtbewertung berücksichtigt;
  • Als Zielbild dient dabei der vollständig digitale Akt, der arbeitsteilig von mehreren Rollen bearbeitet werden kann;
  • Weiters wird angenommen, dass vorgeschlagene organisatorische und legistische Begleitmaßnahmen aus Justiz 3.0 umgesetzt sind;
  • Die beschriebenen quantitativen Auswirkungen beziehen sich gänzlich auf den Zeitgewinn oder Zeitverlust bei der digitalen Aktenbearbeitung im Vergleich zur Arbeit mit dem Papierakt;
  • Die qualitativen Auswirkungen greifen Verbesserungen hinsichtlich Kundenzufriedenheit, Aktualität der Daten, Transparenz etc. auf;
  • Die Auswirkungsanalyse ist nicht gleichzusetzen mit einer Analyse des Nutzens, den einzelne Geschäftsfunktionen bei digitaler Aktenführung stiften.

4.2.

Vorgehensweise Auswirkungsanalyse ^

  • Als Basis für die Auswirkungsanalyse wurden die Geschäftsfunktionen aus dem Anforderungskatalog herangezogen, der im Kernteam erstellt wurde;
  • Die quantitativen und qualitativen Auswirkungen auf die Geschäftsfunktionen wurden beschrieben und bewertet;
  • Die quantitative Bewertung gliedert sich in drei Teile: die quantitative Bewertung gesamt, die Tätigkeit des Entscheidungsorgan sowie die Tätigkeit der Kanzlei;
  • Die Bewertung wurde auf einer Skala von «- 2 großer Mehraufwand» bis «+ 2 große Arbeitserleichterung» durchgeführt;
  • In einem zweiten Schritt wurden die Geschäftsfunktionen anhand ihrer Bedeutung (Häufigkeit, Aufwand und Bedeutung der Tätigkeit) gewichtet. Die Gewichtung wurde auf Basis des IST-Stands der tatsächlichen Arbeitsverteilung durchgeführt;
  • Der Aufwand für die parallele Aktenhaltung neben dem digitalen Akt wurde separat bewertet und bei der Gesamtbetrachtung in Abzug gebracht;
  • Nicht analysierte Geschäftsfunktionen: div. Supportfunktionen und Strafvollzug.

4.3.

Wesentliche Ergebnisse der Auswirkungsanalyse ^

[61]
Als wesentliche Ergebnisse der Auswirkungsanalyse wurden für die einzelnen Geschäftsfunktionen die angeführten Punkte identifiziert:
[62]
Entscheidungen & Verfügungen
  • Für ein Entscheidungsorgan, das Spracherkennung nutzt oder Entscheidungen selbst erfasst, wird der Mehraufwand durch Entfall der Reinschrift sowie des Korrekturlesens kompensiert, für alle anderen Entscheidungsorgane keine Verschlechterung;
  • Vorteil durch erhöhte Automatisierung führt insbesondere bei Massenverfahren zu einer Beschleunigung der Verfahren. Prozesse können überdies auch ortsungebunden angestoßen/weitergeführt werden;
  • Kopieren/Einfügen von OCR-Text.
[63]
Ausgang
  • Starke Reduktion des manipulativen Aufwandes , einzelne vormals manuelle Tätigkeiten entfallen komplett;
  • Akteneinsicht kann wesentlich effizienter durchgeführt werden.
[64]
Parteienverkehr
  • Effizientere und schnellere Dokumentenbereitstellung durch digitale Verfügbarkeit;
  • Auskünfte (z.B. GB, FB etc.) können zum Teil auch direkt vom Antragsteller als Self-Service abgefragt werden (Klärung Identifikation und Gebührenabwicklung nötig).
[65]
Aktenstudium
  • Die (Volltext)Suche und die mehrdimensionale Strukturierung kann im digitalen Akt effizienter durchgeführt werden.
[66]
Verfahrensführung
  • Effizientere Verfahrensführung durch Suche im digitalen Akt;
  • Effizienteres Vorhalten durch elektronische Verfügbarkeit von Dokumenten, insbesondere auch bei Videokonferenzen;
  • Möglichkeit der Protokollierung durch Audio/Video-Aufzeichnung.
[67]
Registerführung
  • Reduktion des manuellen Aufwands, da Tätigkeiten wie Lokalisierung, Archivierung etc. entfallen;
  • Überwachung des Status von Zustellungen durch Verlagerung auf zentrale und/oder elektronische Zustellung kann effizienter erfolgen.
[68]
Aktenlauf
  • Aufwandsreduktion, da Aufgaben elektronisch effizient erstellt und (auch parallel) verteilt werden können;
  • Bessere Nachvollziehbarkeit und Protokollierung von Aktenläufen, der physische Transport entfällt.
[69]
Aktenbildung
  • Reduktion des manuellen Aufwands durch (teil-)automatisierte Prozesse;
  • Entfall von administrativen Tätigkeiten wie Erstellung von Aktenübersichten, Vergabe von Seitenzahlen sowie Anlegen einer Priusmappe und damit verbundene Nachjournalisierung.
[70]
Statistik
  • Effizienzsteigerung durch flexiblere Auswertungsmöglichkeiten, stärkere Integration und Entfall von manuellen Nacharbeiten.
[71]
Finanzgebarung
  • Zeitersparnis durch automatische Berechnung, Nutzung von Dokumentenvorlagen, elektronischen Zahlungsverkehr und Prozessverbesserungen durch elektronische Schnittstellen;
  • Anwendungsunabhängige Information zu allen Gebührenvorgängen samt Saldoveränderungen auf allen Organisationsebenen.
[72]
Erlagswesen
  • Keine manuelle Synchronisierung/Datenredundanz;
  • Unterstützung der Korrespondenz (justizintern zu Verwahrschaftsgericht, aber auch zu Banken) auf elektronischem Weg.
[73]
Eingang
  • Erwartung der Erhöhung des Anteils der elektronischen Eingangsstücke von 50% auf 80%;
  • Die Gesamtbetrachtung unter dieser Annahme ergibt, dass der Aufwand durch die Notwendigkeit des Scannens nur leicht steigt.

4.4.

Fazit ^

[74]
Insgesamt ist bei digitaler Aktenführung fast durchgehend über alle Geschäftsfunktionen der Justiz ein Zeit- und Qualitätsgewinn feststellbar. Am stärksten ist dieser Effekt bei Entscheidungen & Verfügungen und beim Ausgang zu erkennen. Der Großteil der Geschäftsfunktionen weist einen mittleren bis geringen Zeit- und Qualitätsgewinn aus. Als einzige Geschäftsfunktion weist der Eingang einen geringen Zeitverlust auf. Das Aktenstudium weist den höchsten Qualitätsgewinn aus.

5.

Einführungsstrategie und Roadmap ^

5.1.

Fachliche Überlegungen zur Einführung ^

5.1.1.

Ausgangslage ^

[75]
Für die Einführung der digitalen Aktenbearbeitung und -führung ist zu bestimmen, wo (geografisch), für wen (Anwenderkreis) und für welchen Verfahrensbereich der Rollout erfolgen soll. Innerhalb des jeweiligen Verfahrensbereiches ist ebenso festzulegen, ob nur mit neu angefallenen Verfahren begonnen wird oder auch anhängige Verfahren mitumfasst sind.
[76]

Einer Rolloutplanung liegen bestimmte Rahmenbedingungen zu Grunde: Es gilt, wesentliche Einflussfaktoren zu bestimmen und Bewertungskriterien zu definieren. Eine Gegenüberstellung dieser Kriterien samt Bewertung und Begründung liefert schließlich die Grundlage für eine bestimmte Rolloutstrategie.

5.1.2.

Einflussfaktoren (Rahmenbedingungen) ^

[77]
Folgende Einflussfaktoren sind unter anderem für den Rollout bestimmend:
  • Anzahl der Geschäftsabteilungen oder eingerichteter Teamassistenz in den jeweiligen Gattungen an einer Dienststelle samt Dienststellentyp, daraus abgeleitet
  • Umsetzung des Servicecenter-Konzepts;
  • Anzahl der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter;
  • «ERV-Quote» in der jeweiligen Verfahrensart;
  • Notwendige Schulungsmaßnahmen;
  • Hardwareausstattung (PC, Bildschirm, Scanner);
  • Netzanbindung (Leitungsgeschwindigkeit);
  • «Vorscan», wenn anhängige Verfahren berücksichtigt werden sollen.

5.1.3.

Besonderheit Scannen ^

[78]
Bei der Einführung der digitalen Aktenbearbeitung und -führung ist die Frage des Scannens essentiell. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Inhalte vorweg vollkommen digital zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund sollte für den Rolloutbeginn ein Verfahren mit hoher ERV-Quote ausgewählt werden.
[79]
Die Frage, was bzw. wann im Pilot-Verfahren gescannt wird, kann verschieden beantwortet werden:
  • Von Beginn an alles scannen (bedeutet in der Regel auch Nachscan bei anhängigen Verfahren);
  • Nur bei Bedarf scannen, wenn ohnedies kopiert würde (z.B. für Akteneinsicht oder Übermittlung an Sachverständige);
  • Nur nach Beendigung des Verfahrens scannen, mit dem Vorteil des Wegfalls eines Aktenlagers und einer allfälligen (eher unwahrscheinlichen) erleichterten, späteren Akteneinsicht.

5.1.4.

Rolloutvarianten ^

[80]

Für den Start des Rollouts kommen mehrere Varianten in Betracht:

  • Dienststellenweiter Rollout
    • eingeschränkt auf ein bestimmtes Verfahren bzw. eine Gattung und/oder
    • eingeschränkt auf bestimmte Geschäftsabteilungen;
    • Gesamtumstellung aller Verfahren in einer oder mehreren Geschäftsabteilungen;
  • Bundesweiter Rollout in einem Verfahrensbereich.
[81]
Die Entscheidung für eine der Varianten hängt dabei unter anderem davon ab, welche und auch wie viele Erkenntnisse im Rahmen eines Pilotbetriebes notwendig sind, um den Rollout auf einen größeren Kreis von Anwendern und Verfahren erweitern zu können.
[82]
Im Sinne einer Risikominimierung sollte der Rollout vorerst nur in einer Dienststelle für einen Verfahrenstyp erfolgen. Ob von Beginn an alle betroffenen Organisationseinheiten bzw. Anwenderinnen im Pilotbetrieb berücksichtigt werden oder auch hier stufenweise erweitert wird, hängt von der jeweils konkreten Anzahl betroffener Personen bzw. Organisationseinheiten ab. Der erwartete Nutzen (unterschiedliches, möglichst breites Feedback) muss letztlich in Relation zum Aufwand für Betreuung und allfällige Anpassungen bzw. Verbesserungen stehen.
[83]
Vor Ausrollung des ersten Verfahrens auf weitere Dienststellen sollte möglichst frühzeitig die Pilotierung in einem zweiten Schritt auf einen weiteren Verfahrensbereich ausgedehnt werden. Der Ausbau in der Tiefe ist insbesondere für die Beurteilung der Benutzerfreundlichkeit und Praxistauglichkeit wesentlich. Eine breitere Pilotierung minimiert das Risiko und lässt notwendigen Änderungsbedarf (noch ohne massive Auswirkungen auf einen großen Teilnehmerkreis) früher erkennen und einfachere notwendige Anpassungen durchführen. Der zweite Verfahrensbereich (z.B. Strafverfahren) sollte nicht unmittelbar mit dem ersten (z.B. Zivilverfahren) in Zusammenhang stehen.
[84]
Die Planung der Ausrollung auf weitere Dienststellen bzw. auf weitere Verfahren ist von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst und wäre unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der Pilotphase zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen.

5.1.5.

Schlussfolgerungen ^

[85]
Aus den dargelegten Begründungen und der Gegenüberstellung der Kriterien für die Auswahl eines Verfahrensbereichs wurde für die Pilotierung zur Einführung der digitalen Aktenbearbeitung und Aktenführung die Verfahrensart «Cgs» (Sozialgerichtliche Verfahren) am Arbeits- und Sozialgericht Wien ausgewählt.

5.2.

IT-Transformations-Roadmap ^

[86]
Zur Umsetzung der in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Anforderungen wird ein mehrjähriges «Gesamtprogramm» vorgesehen. Damit soll die IT der Justiz bis zum Jahr 2020 modernisiert und erneuert werden, sodass umfassende Funktionalitäten für eine digitale Aktenführung und digitale Vorgangsbearbeitung im Sinne einer eJustiz zur Verfügung stehen.
[87]
Die wesentliche Charakteristik der Roadmap bilden fünf Themenbereiche:
  • Die Bereitstellung grundlegender Funktionen für digitale Aktenführung, z.B. ein Dokumentenmanagementbasiertes Aktensystem mit ergonomischer Oberfläche zur Bearbeitung und Visualisierung der Inhalte sowie ein Workflowsystem;
  • Die Einführung des elektronischen integrierten Portals der bayrischen Justiz im Bereich der Verfahrensautomation Justiz;
  • Die Entwicklung eines Basisbaukastens zur effizienten und raschen Bereitstellung von Justiz Fachanwendungen mit dem Ziel der langfristigen Erneuerung der bestehenden Fachanwendungen. Die Grundkonzepte dieses Basisbaukastens sollen dabei maßgeblich den bereits bewährten Konzepten der Anwendung EliAs (exakter: ITOp@StA) folgen;
  • Die Erstellung eines IT-Konsolidierungskonzepts für den Strafvollzug;
  • Die weitere Verbesserung und Erweiterung der bestehenden Justiz-Anwendungen z.B. durch Reduzierung von Verfahrensschritten in der VJ oder durch Unterstützung justizinterner elektronischer Kommunikation via iERV.

6.

Zusammenfassung, Ausblick und persönliche Würdigung ^

[88]
Mit der Strategiefindungsphase der Initiative Justiz 3.0 wurde unter Einbeziehung aller Berufsgruppen und Standesvertretungen der Bedarf an zukünftiger IT-Unterstützung der Arbeitsplätze in der Justiz auch im Sinne eines effizienten Bürgerservice erhoben. Hierzu wurden über alle Arbeitsgruppen der Geschäftsarchitektur hinweg gültige allgemeine Anforderungen erarbeitet, die gleichsam die Leitplanken für das weitere Vorgehen im Projekt Justiz 3.0 bilden.
[89]
Als eine wesentliche Voraussetzung wurde hierbei die digitale Aktenführung identifiziert, d.h. der Akt liegt vollständig in digitaler Form vor und kann jederzeit auch ortsunabhängig von berechtigten Personen eingesehen bzw. bearbeitet werden. Ungeachtet dessen besteht für das Entscheidungsorgan die Wahlfreiheit den Akt in Papierform oder elektronisch zu bearbeiten.
[90]
Auf Basis der erhobenen Anforderungen wurde eine Informationssystemarchitektur abgeleitet, die diese Anforderungen mittels Softwarekomponenten bestmöglich unterstützen kann. Damit verbunden wurden erste Projekte zur Umsetzung der Strategie von Justiz 3.0 definiert, beschrieben und einer Gesamtplanung zugeführt.
[91]
Eine digitale Aktenführung kann allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn die Übermittlung von Dokumenten zur Justiz und zu den Parteien bzw. Vertretern elektronisch erfolgt. Bereits jetzt registriert die Justiz über 15 Millionen Transaktionen jährlich im ERV von den Powerusern Rechtsanwälten, Notaren, Banken, Versicherungen, Sozialversicherungsträger, Pensionsinstitute, Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse, Pharmazeutische Gehaltskasse, Insolvenz-Entgelt-Fonds, IEF-Service GmbH, Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, Finanzprokuratur und Rechtsanwaltskammern. Dennoch wird der Kreis der verpflichteten Teilnehmer am ERV auch künftig zu erweitern sein, um den Manipulationsaufwand durch Medienbrüche und die Portokosten bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften weiter zu reduzieren. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Dokumentenversendung durch die Justiz betrifft justizinterne Zustellungen, die bisher über die Poststraße versendet wurden. Das bereits begonnene Projekt iERV (interner elektronischer Rechtsverkehr) wird noch in diesem Jahr umgesetzt.
[92]
Mit Abschluss der Strategiefindungsphase starten die Vorbereitungsarbeiten für zentral benötigte IT-Komponenten der zukünftigen IT-Architektur der Justiz. Dazu zählen insbesondere ein zentrales Aktensystem, ein übergreifendes Workflowmanagementsystem und ein technischer Integrationsrahmen zur Anbindung der bestehenden VJ an die beiden erstgenannten Komponenten. Zur Begleitung dieser Projekte soll ebenso eine fachliche Struktur etabliert werden, die den Informationsaustausch mit den Stakeholdern des Projekts Justiz 3.0 aufrecht hält. Laut aktueller Planung soll mit Beginn des nächsten Jahres ein erster Pilot am Arbeits- und Sozialgericht Wien zur digitalen Aktenführung zur Verfügung stehen, auf dessen Basis Feinabstimmungen mit den verschiedenen Nutzergruppen vorgenommen werden können. Neben den Neuentwicklungen im Rahmen von Justiz 3.0 werden auch weiterhin durch Rechtsänderungen notwendige Anpassungen sowie punktuelle Verbesserungen der bestehenden IT-Systeme der Justiz vorgenommen, die nicht zuletzt auch auf in den Arbeitsgruppen erhobenen Verbesserungsvorschlägen, wie z.B. einer Reduktion der Verfahrensschritte in der VJ oder die OCR-Kennung aller ERV-Eingaben, basieren.
[93]
Insgesamt stellt Justiz 3.0 ein sehr umfangreiches und ambitioniertes Vorhaben dar, das die volle Unterstützung und den engagierten Einsatz aller Beteiligten sowie die notwendigen Ressourcen erfordert, um das gesamte Potenzial ausschöpfen und damit auch langfristig den Nutzen für alle Beteiligten maximieren zu können.

 

Dr. Martin Schneider ist interimistischer Leiter der Präsidialsektion im Bundesministerium für Justiz, Leiter der Rechtsinformatikabteilung, CIO der österreichischen Justiz; Wien, AT.

 

Dr. Thomas Gottwald ist Referent in der Rechtsinformatikabteilung im Bundesministerium für Justiz; Wien, AT.