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Praktische Erfahrungen mit der Visualisierung des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts in der Schweiz

  • Author: Caroline Walser Kessel
  • Category: Articles
  • Region: Switzerland
  • Field of law: Legal Visualisation, Multisensory Law
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2015
  • Citation: Caroline Walser Kessel, Praktische Erfahrungen mit der Visualisierung des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts in der Schweiz, in: Jusletter IT 26 February 2015
Den Einsatz visualisierter Rechtsinformationen im Beratungsalltag von Behörden, Gerichten oder Anwälten wissenschaftlich-statistisch zu untersuchen ist zurzeit noch schwierig, denn die Anwendung dieser neuen Methode verbreitet sich nur sehr zögerlich. Zum anderen fehlt es an den nötigen personellen und finanziellen Ressourcen. Dennoch wird Rechtsvisualisierung vereinzelt, jedoch zunehmend und pionierhaft angewendet. Im folgenden Beitrag werden drei Beispiele vorgestellt. Interviews mit den involvierten Fachleuten sollen einen qualitativen Eindruck über die praktische Relevanz der Rechtsvisualisierung geben. In diesem Sinne ist dieser Beitrag als Werkstatt-Bericht zu verstehen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einführung
  • 1.1. Ziele und Umsetzungsprobleme des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts in der Schweiz
  • 1.2. Inhaltliche Besonderheiten des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts
  • 2. Praktische Erfahrungen mit Rechtsvisualisierung im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts
  • 2.1. Die Broschüren zur Kinderanhörung des Zürcher Marie Meierhofer-Instituts für das Kind aus dem Jahr 2014
  • 2.2. Die Beratungstätigkeit der Organisation Kinderanwaltschaft Schweiz
  • 2.3. Die Arbeit der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde der Stadt Zürich
  • 3. Rechtsvisualisierung zwischen Wünschbarkeit und Verwirklichung
  • 4. Literatur

1.

Einführung ^

1.1.

Ziele und Umsetzungsprobleme des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts in der Schweiz ^

[1]
Das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht wurde am 1. Januar 2013 in Kraft gesetzt. Für viele Akteure erschien dieser Zeitpunkt verfrüht, da die mit dem neuen Gesetz einhergehende Umorganisation der Behörden und Gerichtsinstanzen in den Kantonen noch nicht so weit gediehen war. Dennoch wurde an diesem Zeitpunkt festgehalten. Dies führte dazu, dass die neuen Behörden völlig überlastet waren. Auf der einen Seite mussten sie alte Fälle fortführen und baldmöglichst ins neue Recht überleiten, sodann kamen auch ständig neue Fälle hinzu. Auf der anderen Seite musste intern die gesamte Organisation restrukturiert werden. Die einstigen auf Gemeindeebene organisierten Laienbehörden mussten in Fachbehörden umgewandelt werden, die auf einer überkommunalen Stufe stehen. Dies erforderte in jedem der 26 Kantone entsprechende Gesetzesänderung, zum Teil die Bereitstellung neuer Räumlichkeiten, und vor allem die Rekrutierung der erforderlichen Fachleute. Eine nicht zu unterschätzende Aufgabe.
[2]
Dies alles war nötig, um die Ziele des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzgesetzes umzusetzen: Massgeschneiderte Massnahmen, das heisst so wenig staatliches Eingreifen wie nötig, soviel Selbständigkeit der betroffenen Personen wie möglich. Sodann ist es ein Hauptanliegen des neuen Gesetzes, dass eine fachlich kompetente, interdisziplinäre Behandlung der Fälle stattfindet. Bisher erliessen und vollzogen Laien in den Gemeinden die sog. Vormundschaftsrechtlichen Massnahmen. Man kannte sich, war nahe am Geschehen. Dies hatte sicher gewisse Vorteile, aber auch gravierende Nachteile. Die allzu engen Beziehungen in einem Dorf konnten helfen, aber auch zum Verhängnis werden. Heute wird in vielen kleineren Gemeinden beklagt, dass die übergeordneten Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden Massnahmen verhängen und damit Kosten auslösen würden, die letztlich bei den Gemeinden verblieben. Dem wird entgegengehalten, dass der Entscheid über den Erlass einer nötigen Massnahme nicht von finanziellen Überlegungen geleitet werden dürfe. Die Diskussion über mögliche Lösungen dieser Probleme ist in vollem Gange und dürfte noch längere Zeit andauern.1 Ein schrecklicher Fall, der sich über Neujahr 2014/2015 abgespielt hat, dürfte weiteres Öl in die Flammen gegossen haben. Eine Mutter hat ihre beiden Kinder getötet, nachdem sie erfahren hatte, dass diese nach den Feiertagen wieder ins Kinderheim zurückgebracht würden. Die Vorgehensweise der Behörden wurde sehr emotional in allen Medien kritisiert, obwohl aus Datenschutzgründen die Entscheidungsgrundlagen nur dürftig bekannt waren. Die zuständigen Beamten wurden sogar mit Morddrohungen bedacht. Dies zeigt einmal mehr, dass die neue Behördenorganisation noch keineswegs akzeptiert und verankert ist.2

1.2.

Inhaltliche Besonderheiten des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts ^

[3]

Das Anfang 2013 in Kraft getretene neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht sieht eine Vielzahl von abgestuften, massgeschneiderten Massnahmen vor, die von einer Fachbehörde erlassen werden.3 Davon sind einerseits Erwachsene in schwierigen Lebenslagen betroffen, aber auch viele Kinder. Die Massnahmen können von einer ambulanten Familienberatung und -betreuung bis hin zum Obhutsentzug, d.h. zur Fremdplatzierung des Kindes in eine geeignete Institution oder Pflegefamilie gehen.4 Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden sind auch zuständig, wenn unverheiratete Eltern Unterhalts- und Besuchsrechtsvereinbarungen abschliessen müssen oder wenn eine Beistandschaft zur Überwachung des persönlichen Verkehrs angezeigt ist (wenn das Besuchsrecht nicht funktionieren will), Art. 275, Art. 298a und Art. 308 Abs. 2 ZGB. Die Kinder sollen nun verstärkt in die Verfahren miteinbezogen werden. Sie haben auch ein Recht auf Anhörung, Art. 314a ZGB und Art. 298 ZPO.

2.

Praktische Erfahrungen mit Rechtsvisualisierung im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts ^

[4]
Aufgrund der soeben beschriebenen Situation des noch neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts in der Schweiz stellt sich die Frage, inwieweit die Rechtsvisualisierung dazu beitragen könnte, dessen Umsetzung zu verbessern oder zumindest zu unterstützen. Im Folgenden werden drei ausgewählte, jedoch repräsentative Akteure auf diesem Gebiet über ihre Beziehung zur Rechtsvisualisierung befragt. Dabei muss hervorgehoben werden, dass es sich hier nicht um eine statistische Erhebung handelt, sondern um eine rein informative, qualitative Darstellung, da eine streng wissenschaftliche Bearbeitung zur Zeit mangels Daten noch gar nicht möglich ist. Dennoch sind die Ergebnisse interessant.

2.1.

Die Broschüren zur Kinderanhörung des Zürcher Marie Meierhofer-Instituts für das Kind aus dem Jahr 2014 ^

[5]
Das Marie Meierhofer-Institut für das Kind (MMI) in Zürich ist ein schweizweit sowie international anerkanntes wissenschaftliches Institut für frühe Kindheit und die Umsetzung von Kinderrechten. Es arbeitet eng mit der UNICEF zusammen und führt Forschungsprojekte durch zu Fragestellungen, die aus der fachlichen oder gesellschaftlichen Praxis kommen. Daneben bietet das Institut EduQua-zertifizierte Bildungsangebote und -projekte sowie Dienstleitungen für Fachleute an.5
[6]
Im Sommer 2014 ist in Zusammenarbeit mit UNICEF Schweiz die neue, überarbeitete und erweiterte Schrift zur Kindesanhörung erschienen. Sie setzt sich aus fünf Teilheften zusammen6: Ein Leitfaden für die Praxis im Rechts-, Bildungs- und Gesundheitswesen; eine Informationsbroschüre für Eltern; drei Broschüren für Kinder für die Altersstufen ab 5 Jahren, ab 9 Jahren und ab 13 Jahren. Die Broschüren für die Kinder tragen den Titel: Die Kindesanhörung Es geht um dich – deine Meinung ist gefragt. Die Broschüre für die Kinder ab 5 Jahren ist wie ein Bilderbuch im Querformat C5, die anderen beiden im Hochformat C5, also handlich für Kinderhände. Die Hefte für die Erwachsenen sind im Hochformat A4. Neu ist, dass die Anhörung nicht auf das Scheidungsverfahren beschränkt ist (im Rahmen dessen sie erstmals im Gesetz auftauchte), sondern sie wird für alle Bereiche des Kindesschutzrechts im weiteren Sinne behandelt, in welchen es neuerdings auch eine Anhörung geben muss. So wird beispielsweise nicht nur das Gespräch vor der Kindesschutzbehörde, sondern auch das Patientengespräch zwischen Ärztin/Arzt und Kind unter gewissen Bedingungen als Anhörung betrachtet, so dass deren Prinzipien einzuhalten sind. Ebenfalls findet auch im Bildungsbereich die Anhörung ihren Platz, und zwar wenn es um gewichtige Schulentscheide geht.7
[7]
Die beiden Broschüren für die kleineren Kinder sind bunt bebildert durch die Illustratorin Kati Rickenbach. Diese ist nicht Juristin, hat aber Erfahrung mit Illustrationen im Sozialbereich. Aus diesem Grunde wurde sie mit dieser Aufgabe betraut, denn es ist wichtig, das zu illustrierende Milieu einigermassen zu kennen. Die Titelseite des Heftes für die Fünfjährigen zeigt eine Gruppe von fünf Kindern, die Fussball spielen. In der Mitte ist ein dunkelhäutiger Junge, der gerade den Ball führt. Die erste Illustration im Textteil zeigt einen Jungen und ein Mädchen auf Kickboards, wobei das Denkwölkchen über dem Mädchen, das hinten fährt, ein Bild enthält, das zeigt, wie es einen Brief öffnet neben einer Frau an einem Bürotisch.
[8]
Auf der anderen Seite wird das Kind über sein Recht auf Meinungsäusserung informiert. Das nächste Bild zeigt streitende Erwachsene, deren Gesicht man nicht vollständig sieht sowie daneben einen Jungen und einen Hund (oder Plüschtier?), welche sich beide die Ohren zuhalten. Das Thema ist die bevorstehende Trennung oder Scheidung der Eltern. Die Problematik rund um Statusfragen wird illustriert, indem ein Paar mit einem Mädchen (Vater dunkelhäutig) vor einer Bergkulisse stehen. Im Hintergrund wehende Fahnen verschiedener Nationen. Die Problematik weiterer Anhörungen, zum Beispiel im Bildungsbereich, wird durch eine Kindergartenszene dargestellt, bei welcher neun Kinder im Kreis sitzen mit der Kindergärtnerin. Zwei Kinder streiten um ein Spielzeug. Informationen über den Ablauf der Anhörung wird mit vier Bildern in Kreisen vermittelt, die durch Pfeile miteinander verbunden sind. Es beginnt mit dem Streit der Eltern, Gedanken des Kindes, Einladung zur Anhörung und schliesslich die Durchführung des Gesprächs mit dem Richter. Den Schluss macht die Vergrösserung des letzten Bildes der vorherigen Seite.

Abb. 1 Seite 4 der Anhörungsbroschüre des MMI

[9]
Das Heft für die Kinder ab 9 Jahren enthält neben der Titelseite nur noch vier Illustrationen. Es sind mehrheitlich Gesprächssituationen zwischen Kindern und Erwachsenen, wobei der Elternstreit auch wieder dargestellt ist. Die Bilder sind etwas feiner gezeichnet, das fragliche Kind der Altersstufe der Broschüre angepasst.
[10]
Sabine Brunner8 äussert sich zur Bedeutung und Anwendung der Visualisierung wie folgt:

«Aus meiner Erfahrung mit Visualisierung kann ich Ihnen folgendes mitteilen:

Visualisierung ist sehr oft eine Bereicherung für die Vermittlung von Wissenswertem, da damit ein Sinneskanal mehr offensteht, also mehr aufgenommen werden und auch in der Verarbeitung im Gedächtnis verknüpft werden kann. Gerade für Kinder ist Visualisierung von Wissensmaterial ein Vorteil, weil Kinder sich noch sehr gewohnt sind, Wissenswertes auf verschiedenen Sinnesebenen gleichzeitig aufzunehmen und sie noch nicht so sehr im Verbalen‹spezialisiert›, darauf ‹reduziert› sind.

Für gelungene visuelle Umsetzungen gibt es qualitative Anforderungen:

Die Visualisierung muss den Haupt-Sinngehalt des zu Vermittelnden aufnehmen und weitergeben. Die Visualisierung muss ansprechend gestaltet sein (sowohl in stilistischer Hinsicht als auch bezogen auf die Zielgruppe). Die Visualisierung darf nicht zusätzlich noch Themen ‹ansprechen›, die nicht der Wissensvermittlung entsprechen. Die Visualisierung soll der grundlegenden professionellen/ethischen Haltung der Wissensvermittelnden entsprechen (z.B. bez. Genderfragen, Diskriminierung, Hervorhebung von Merkmalen etc.). Insgesamt sind meiner Meinung nach hohe Anforderungen an die Visualisierung von Wissensvermittlung zu stellen.

Ich persönlich arbeite kaum auf der Ebene der Visualisierung im Sinne von Wissensvermittlung. Hingegen benutze ich in meiner Beratungstätigkeit Zeichenmaterial und Gegenstände, um mit Kindern und bisweilen auch mit Erwachsenen bestimmte innere Bilder, Beziehungsvorstellungen etc. zu ermitteln und zu verstehen.» 9

[11]
Diese Beurteilung der Visualisierung deckt sich mit den kritischen Bemerkungen von Röhl et al.10, der allerdings die Rechtsvisualisierung eher negativer einschätzt, sowie mit den Kriterien von Walser Kessel im Beitrag zur IRIS 2013.11
[12]
Ein Gespräch mit Rhena Anna Forrer12, der für Kinderrechte zuständigen Fachfrau bei UNICEF Schweiz, ergab weiteres: UNICEF produziert für die Schweiz grundsätzlich nur Material für Fachleute im Bereich Kindesschutz. Hauptziel ist die Child Rights-Education bzw. die Unterstützung der Umsetzung der UN-Kinderrechte in den Gemeinden und Schulen. Die Fachpublikationen sind daher auch nicht visualisiert. Ausnahme war die Darstellung der UN-Kinderrechte auf der Webseite, welche zur Zeit überarbeitet wird. UNICEF Schweiz betreibt keine Webseite mit Rechtsinformationen für Kinder und hat auch keinen Kontakt mit direkt betroffenen Kindern im Sinne einer Beratungsstelle. Es gibt jedoch einen UNICEF Kinderclub, in welchem Kinder sich aktiv an Projekten beteiligen oder UNICEF-Kinder-Botschafter werden können.13 Die Beteiligung am visualisierten Buchprojekt zur Kindesanhörung zusammen mit dem MMI war die Ausnahme. Dass nur die ersten beiden Hefte für die kleineren Kinder visualisiert wurden, war eine reine Kostenfrage.

2.2.

Die Beratungstätigkeit der Organisation Kinderanwaltschaft Schweiz ^

[13]
Das Projekt «Child-friendly Justice 2020» wurde anlässlich der IRIS 2014 vorgestellt.14
[14]
Zur besonderen Frage der Visualisierung im Rahmen dieses Projekts äussert sich Karin Zollinger15 wie folgt:

«Kinderanwaltschaft Schweiz bietet Kindern und Jugendlichen in allen sie betreffenden Verfahren unabhängige Hilfe und Unterstützung. Basierend auf den ‹Child-friendly Justice›-Leitlinien des Europarates16 setzt sich Kinderanwaltschaft Schweiz für die Umsetzung einer kindgerechten Justiz in der Schweiz bis ins Jahr 2020 ein. 2013/14 wurde die Website neu lanciert. Jeder der drei Geschäftsbereiche ‹Kinder & Jugendliche›, ‹Behörden & Gerichte› sowie ‹Kinderanwältinnen & Kinderanwälte› wurde zielgruppenspezifisch gestaltet.

Der Bereich für Kinder und Jugendliche wurde visuell und in der Navigation auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet. Einfache Schritte führen durch die Seiten und vermitteln Informationen in kindgerechter Sprache. Kinder und Jugendliche fühlen sich insbesondere durch die visuelle Darstellung angesprochen und stellen ihre Fragen über das Kontaktformular oder melden sich telefonisch. Die jüngste Generation, die sogenannten Digital Natives sind sehr versiert mit modernen Technologien und dem entsprechend auch sehr kreativ, wenn z.B. das Schreiben unangenehm ist, schicken sie einfach eine Audiobotschaft. Kinderanwaltschaft Schweiz wird die Website in den nächsten Jahren mit Nutzung von Multimedia und der Anwendung von visuellem Recht weiter ausbauen. Mittels Social Media werden Kinder und Jugendliche direkt erreicht.»

Abb. 2 Webseite Kinderanwaltschaft Schweiz Bild Startseite «Kinder und Jugendliche» (Wandtafel)

[15]

Die bisher von der Trägerorganisation Kinderanwaltschaft Schweiz betreute Telefonberatung für Kinder in Notlagen soll nach Beendigung des Projekts nicht mehr in Anspruch genommen werden müssen. Einerseits sollen Kinder und Jugendlichen mit Hilfe des Webportals selbständig an alle benötigten Informationen herankommen, anderseits wird die Schweiz ein kindergerechtes Rechtssystem haben. Dies erfordert unter anderem eine Ombudsstelle für Kinder und Jugendliche mit Handlungskompetenzen.17

[16]
Inwieweit Kinder sich über das Internet oder andere digitale Medien Informationen zu Rechtsproblemen verschaffen, ist noch kaum wissenschaftlich erforscht.18 Einen guten Überblick über den Forschungsstand betreffend das Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen und wie sie mit den gewonnenen Informationen umgehen, gibt die Arbeit von Gasser/Cortesi/Malik/Lee (Harvard University) aus dem Jahr 2012.19 Dabei konnte festgestellt werden, dass sich Kinder und Jugendliche Informationen off- und online beschaffen, aber auch mittels persönlicher Ressourcen. Webseiten mit umfassendem Informationsgehalt und vielen visuellen Elementen werden bevorzugt. Das Verhalten bei der Informationsbeschaffung ist stark abhängig von kontextuellen und demographischen Variablen wie Zweck der Suche, Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status und ethnischer Hintergrund.20
[17]
Das Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren in der Schweiz wurde von IGEM-digiMONITOR 2014 erfasst. Die Resultate wurden Anfang Dezember 2014 veröffentlicht. Dabei kann man feststellen, dass diese Altersgruppe verschiedene Social Media benützt, vor allem um Kontakte zu knüpfen oder aufrecht zu erhalten, aber auch um Informationen zu erlangen wie Adressen, Telefonnummern oder Fahrpläne. Über 90% der telefonisch befragten Jungen nutzen demnach täglich das Internet und ihr Smartphone, also deutlich häufiger als der Durchschnitt der Bevölkerung. Bei allen befragten Bevölkerungsgruppen wird als häufigste Aktivität der Besuch von Websites angegeben.21
[18]
Somit kann man einmal mehr, aufgrund dieser neuesten Erhebung, schliessen, dass ein Webportal für Kinder und Jugendliche mit visualisierten rechtlichen Inhalten und Informationen gute Chancen hat, rege benützt zu werden und seinen Zweck zu erfüllen.22

2.3.

Die Arbeit der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde der Stadt Zürich ^

[19]
Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde sowie die Sozialen Dienste der Stadt Zürich setzen zunehmend visualisierte Unterlagen ein, am häufigsten im Intranet. Als Gründe, weshalb es noch keine visualisierten Unterlagen im amtlichen Verkehr mit Klienten gibt, werden Zeitaufwand und Kosten genannt. Bei der Beratung von interessierten Privatbeiständinnen und Privatbeiständen durch die Sozialen Dienste wurden die Broschüren der Reihe «Im Bild sein über das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht»23 24 schon einige Male gezeigt.

Abb. 3 Instanzenzug und Novenrecht im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht

[20]
Sie wurden als selbst für Branchenfremde sehr gut verständlich betrachtet. Die Benützung von visualisierten Unterlagen vereinfache die Beratungstätigkeit eindeutig. Komplexe Sachverhalte werden besser verstanden (siehe oben Abb. 3).25 Leider konnten die Fragen, welche Art von Visualisierung bevorzugt werde, ob sich Betroffene allenfalls nicht ernst genommen fühlten und ob Alter oder Bildungsstand der Klienten einen Einfluss auf die Akzeptanz von Visualisierungen hätten, nicht beantwortet werden, da der Soziale Dienst keine direkte Klientenberatung durchführt.26

3.

Rechtsvisualisierung zwischen Wünschbarkeit und Verwirklichung ^

[21]
Bisher haben Fachleute, die bezüglich ihrer Einstellung zu Visualisierung im Praxisalltag befragt wurden, keine negativen Aussagen gemacht. Die Nützlichkeit von Visualisierungen ist kaum bestritten. Dies jedoch immer unter der Voraussetzung, dass gewisse Kriterien, wie sie von Sabine Brunner aufgelistet wurden, eingehalten werden.
[22]
Weshalb gibt es aber so wenig visualisierte Informationsmaterialien und Rechtsliteratur? Zum einen ist Visualisierung in der Rechtswissenschaft immer noch etwas «anrüchig», wirkt in Publikationen nicht gerade seriös. Dies wurde im Rahmen der IRIS schon verschiedentlich diskutiert. Visualisierung könnte vom Wesentlichen ablenken.27 Dabei ist gerade oft das Gegenteil der Fall: Visualisierung schärft den Blick für das Wesentliche, es fokussiert ihn sozusagen.28 Aber oft sucht man bei der Beantwortung dieser Frage viel zu weit: Es sind meist keine psychologischen oder didaktischen Überlegungen dahinter, sondern finanzielle.

4.

Literatur ^

Gasser, Urs/Cortesi, Sandra/Malik Momin/Lee Ashley, Youth and Digital Media: From Credibility to Information Quality. Berkman Center for Internet & Society (2012). http://ssrn.com/abstract=2005272 (abgerufen am 19. Dezember 2013).

Custer, Ueli, Kein Leben ohne Internet und Smartphone Neu Daten zur Geräte- und Mediennutzung der Jungen in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 280, Zürich, vom 2. Dezember 2014, S. 54 (2014).

Häfeli, Christoph, Kindes- und Erwachsenenschutzrecht (KESR) und Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) unter Dauerbeschuss, in: Jusletter 9. Februar 2015, Editions Weblaw, Bern, (2015). 

Häfeli, Christoph, Zwei Jahre Kindes- und Erwachsenenschutzrecht – Erfolgs- und Risikofaktoren bei der Umsetzung, in: AJP/PJA 12/2014, 1592–1600 (2014). 

Häfeli, Christoph, Das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht – Eine Zwischenbilanz und Perspektiven, in: Jusletter 9. Dezember 2013, Editions Weblaw, Bern, (2013).

Häfeli, Christoph, Grundriss zum Erwachsenenschutzrecht: mit einem Exkurs zum Kindesschutz, Stämpfli, Bern, (2013).

MMI/Unicef, (Hrsg.), Die Kindesanhörung Ein Leitfaden für die Praxis im Rechts- Bildungs- und Gesundheitswesen, Zürich, (2014).

Röhl, K.F.; Böhm, A.; Böhnke, M.; Langer, Th.; Machura, St.; Marfels, G.; Ulbrich, St.; Weiss, M.: Das Projekt «Recht anschaulich», in: Hilgendorf, E., Hrsg.: Beiträge zur Rechtsvisualisierung, Berlin 2005, S. 51–121.

Walser Kessel, Caroline, Kinder finden das Gesetz: Transparentes Recht für Kinder – Child-friendly Justice dank Visualisierung, in: Schweighofer, Erich/Kummer, Franz/Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Transparenz Tagungsband des 17. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2014, Österreichische Computer Gesellschaft, S. 481–490, Salzburg, (2014).

Walser Kessel, Caroline, Im Bild sein über das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht: Das Verfahren vor Behörde und Gericht: Massnahmen verstehen, akzeptieren oder anfechten, ein illustrierter Wegweiser und Ratgeber, Editions Weblaw, Bern, (2014).

Walser Kessel, Caroline, Rechtsvisualisierung im Spannungsfeld zwischen Abstraktion und Applikation – am Beispiel des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts, in: Schweighofer, Erich/Kummer, Franz/Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Abstraktion und Applikation Tagungsband des 16. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2013, Österreichische Computer Gesellschaft, S. 403–411, Salzburg, (2013).

Walser Kessel, Caroline, Im Bild sein über das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht: Der Vorsorgeauftrag und die gesetzliche Vertretung, ein illustrierter Wegweiser und Ratgeber, Editions Weblaw, Bern, (2013).


 

Caroline Walser Kessel, Dr. iur., Rechtsanwältin und Lehrbeauftragte an der Law School der Universität St. Gallen, Schweiz, Giblenstraße 3, 8049 Zürich, CH, caroline.walser@vtxmail.ch; http://www.walserlaw.ch

  1. 1 Vgl. Tages Anzeiger vom 21. Juli 2014, «Zürcher Schutzbehörden stehen in der Kritik. Sind die neuen Behörden eine Fehlkonstruktion? http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/Zuercher-Schutzbehoerden-stehen-in-der-Kritik/story/1116435; TV-Sendung Arena vom 17. Oktober 2014: Kindesschutz oder Behördenwahn? http://www.srf.ch/sendungen/arena/kinderschutz-oder-behoerdenwahn, je abgerufen am 24. Januar 2015.
  2. 2 http://www.srf.ch/sendungen/club/kindstoetung-in-flaach: TV-Sendung vom 6. Januar 2015: Kindstötung in Flaach.
  3. 3 Über die aktuelle Situation nach der Revision des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts, insbesondere bezüglich der Einführung von Fachbehörden und der verbindlicheren Verfahrensbestimmungen, siehe Häfeli, Christoph, Zwei Jahre Kindes- und Erwachsenenschutzrecht – Erfolgs- und Risikofaktoren bei der Umsetzung, in: AJP/PJA 12/2014, 1592–1600 und Häfeli, Christoph, Kindes- und Erwachsenenschutzrecht (KESR) und Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) unter Dauerbeschuss, in: Jusletter 9. Februar 2015, Editions Weblaw, Bern, (2015).
  4. 4 Häfeli, Christoph, Grundriss zum Erwachsenenschutzrecht: mit einem Exkurs zum Kindesschutz, Stämpfli, Bern, (2013), § 38 II Rz. 38.13.
  5. 5 Umfassende Informationen zum Marie Meierhofer-Institut für das Kind (MMI) findet man unter http://www.mmi.ch/ (abgefragt am 28. Dezember 2014).
  6. 6 http://www.mmi.ch/shop_mmi-produkte/kindesanhoerung.html.
  7. 7 MMI/Unicef, (Hrsg.), Die Kindesanhörung Ein Leitfaden für die Praxis im Rechts- Bildungs- und Gesundheitswesen, Zürich, (2014), S. 6 f.
  8. 8 Sabine Brunner, Klinische Psychologin, lic. phil., Psychotherapeutin i.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin MMI mit Fachbereich Partizipation und Schutz von Kindern.
  9. 9 Brunner, Sabine, E-Mail vom 17. Dezember 2014.
  10. 10 Röhl, K.F.; Böhm, A.; Böhnke, M.; Langer, Th.; Machura, St.; Marfels, G.; Ulbrich, St.; Weiss, M.: Das Projekt «Recht anschaulich», in: Hilgendorf, E. (Hrsg.): Beiträge zur Rechtsvisualisierung, Berlin (2005), S. 51–121.
  11. 11 Walser Kessel, Caroline, Rechtsvisualisierung im Spannungsfeld zwischen Abstraktion und Applikation – am Beispiel des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts, in: Schweighofer, Erich/Kummer, Franz/Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Abstraktion und Applikation Tagungsband des 16. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2013, Österreichische Computer Gesellschaft, Salzburg, (2013), S. 409.
  12. 12 Forrer, Rhena Anna, E-Mail und Telefonat vom 11. Dezember 2014.
  13. 13 Für nähere Auskünfte siehe die Webseite http://www.unicef.ch/de, abgerufen am 28. Dezember 2014.
  14. 14 Walser Kessel, Caroline, Kinder finden das Gesetz: Transparentes Recht für Kinder – Child-friendly Justice dank Visualisierung, in: Schweighofer, Erich/Kummer, Franz/Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Transparenz Tagungsband des 17. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2014, Österreichische Computer Gesellschaft, Salzburg, (2014), S. 481–490.
  15. 15 Zollinger, Karin, Leiterin Kinder und Jugendliche, CAS Casemanagement, CAS Kindesvertretung bei Kinderanwaltschaft Schweiz, E-Mail vom 16. Dezember 2014.
  16. 16 http://kinderanwaltschaft.ch/sites/default/files/uploads/guidelineschildfriendlyjustice_de_0.pdf.
  17. 17 Vgl. die Webseite von http://www.kinderanwaltschaft.ch/, welche über das laufende Projekt informiert, neuerdings mit einer Videobotschaft «Kinder haben Rechte!» (http://kinderanwaltschaft.ch/news/kin).
  18. 18 Vgl. Fn. 13, S. 486.
  19. 19 Gasser, Urs/Cortesi, Sandra/Malik Momin/Lee Ashley, Youth and Digital Media: From Credibility to Information Quality. Berkman Center for Internet & Society (2012). http://ssrn.com/abstract=2005272. Accessed 19. December 2013.
  20. 20 Gasser et al., S. 8 ff.
  21. 21 Custer, Ueli, Kein Leben ohne Internet und Smartphone – Neue Daten zur Geräte- und Mediennutzung der Jungen in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 280, Zürich, vom 2. Dezember 2014, S. 54 (2014). Die Originaldaten wurden der Autorin als Excel-Tabelle zur Verfügung gestellt.
  22. 22 Vgl. Fn. 15: Beitrag von Walser Kessel, Caroline an der IRIS 2014.
  23. 23 Walser Kessel, Caroline, Im Bild sein über das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht: Der Vorsorgeauftrag und die gesetzliche Vertretung, ein illustrierter Wegweiser und Ratgeber, Editions Weblaw, Bern, (2013).
  24. 24 Walser Kessel, Caroline, Im Bild sein über das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht: Das Verfahren vor Behörde und Gericht: Massnahmen verstehen, akzeptieren oder anfechten, ein illustrierter Wegweiser und Ratgeber, Editions Weblaw, Bern, (2014).
  25. 25 Abb. 3 vgl. Fn. 21: Darstellung des Instanzenzugs im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht, wobei die Problematik des Novenrechts aufgezeigt wird. Die Szenen in den Wölkchen stellen Sachverhaltsabschnitte dar, die für den Fall relevant sind. In der Broschüre findet sich auf der gegenüberliegenden Seite Gesetzestext und Kommentar zur Verdeutlichung. Aus Platzgründen konnte diese Gegenseite nicht abgedruckt werden.
  26. 26 Schriftliche Auskunft per E-Mail von Scheu, Ursula, Begleitung privater Beiständinnen und Beistände, Soziale Dienste der Stadt Zürich, vom 5. Dezember 2014.
  27. 27 Röhl, K.F.; Böhm, A.; Böhnke, M.; Langer, Th.; Machura, St.; Marfels, G.; Ulbrich, St.; Weiss, M.: Das Projekt Recht anschaulich», in: Hilgendorf, E. (Hrsg.): Beiträge zur Rechtsvisualisierung, Berlin 2005, S. 51 – 121.
  28. 28 Zur Macht der Bilder einmal mehr: Boehme-Nessler, Volker, BilderRecht Die Macht der Bilder und die Ohnmacht des Rechts Wie die Dominanz der Bilder im Alltag das Recht verändert, Springer, Heidelberg, (2009).