1.
Einleitung ^
2.
Betrugsmöglichkeiten bei Präsenzwahl im Wahllokal ^
- Die Wählerverzeichnisse müssen Doubletten enthalten. Dies kann wenigstens für Deutschland nicht ausgeschlossen werden, da in Deutschland kein bundesweites abgestimmtes Wählerverzeichnis existiert. Ebenso wenig existiert ein bundesweit einheitliches Einwohnerregister. Versuche, ein sogenanntes Bundesmelderegister einzurichten, scheiterten bislang. Somit kann denklogisch nicht ausgeschlossen werden, dass in den ca. 5‘500 dezentralen Einwohnermelderegistern Doubletten existieren6. Dass die Volkszählung 2011 insgesamt 1,5 Millionen weniger ergab als bislang angenommen, ist ein starkes Indiz dafür, dass die Verzeichnisse Fehler beinhalten7. Auch in Österreich sind fehlerhafte Wählerverzeichnisse reale Phänomene, sie führten bspw. zur Aufhebung der ÖH-Wahl 2009 an der Universität Salzburg8.
- Mangelhafte Kontrollen der Ausweise in den Wahllokalen. In den erwähnten Reports für das UK ist eine Ausweispflicht als ausdrückliche Empfehlung ausgesprochen (Electoral offences since 2010, a.a.O., S. 8), aus meiner eigenen Erfahrung in München seit 2009 muss ich leider sagen, dass mein Ausweis kein einziges Mal kontrolliert wurde. Diese persönliche Beobachtung deckt sich mit der Zeitungsberichterstattung.9
Allerdings ist diese Betrugsform aus einem einfachen Grund vernachlässigbar: Auf diesem Weg kann keine massive Verfälschung der Wahl erfolgen, einfach weil logistisch zu aufwändig. Hier in einem Wahlkreis 20 oder mehr falsche Wähler einzuschleusen, erscheint zu risikobehaftet für potenzielle Betrüger. Die Distanzwahl ist hier viel interessanter.
3.
Betrugsmöglichkeiten bei der Distanzwahl anhand des Falles Geiselhöring ^
Soweit man den offiziellen Quellen entnehmen kann10, «waren zum Zeitpunkt der Wahlen zahlreiche osteuropäische Unionsbürger in der Stadt Geiselhöring mit Hauptwohnsitz gemeldet, die bei den Kommunalwahlen mit abgestimmt haben». Hierbei handelte es sich der Presse nach um ca. 450 Erntehelfer, die zuerst mit Hauptwohnsitz angemeldet wurden und danach ihre Stimme per Briefwahl abgaben11. Weiters «Konkret haben an der Briefwahl 85 Personen teilgenommen, die für die Kommunalwahl im Landkreis Straubing-Bogen nicht stimm- und wahlberechtigt waren. Zudem haben 10 Personen nach eigenen Angaben nicht an der Wahl teilgenommen, obwohl für sie im Wahlscheinverzeichnis ein Abstimmungsvermerk enthalten ist»12.
Gemäß Bayerischem Wahlrecht ist das Wahlrecht nicht zwingend an den Hauptwohnsitz gebunden. Art. 1 des Gesetzes über die Wahl der Gemeinderäte, der Bürgermeister, der Kreistage und der Landräte (Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz – GLKrWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. November 2006 bestimmt
«(1) Wahlberechtigt bei Gemeinde- und Landkreiswahlen sind alle Personen, die am Wahltag
- Unionsbürger sind,
- das 18. Lebensjahr vollendet haben,
- sich seit mindestens zwei Monaten im Wahlkreis mit dem Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehungen aufhalten,
- nicht nach Art. 2 vom Wahlrecht ausgeschlossen sind.
[...]
(3) 1 Der Aufenthalt mit dem Schwerpunkt der Lebensbeziehungen wird dort vermutet, wo die Person gemeldet ist. 2 Ist eine Person in mehreren Gemeinden gemeldet, wird dieser Aufenthalt dort vermutet, wo sie mit der Hauptwohnung gemeldet ist. 3 Bei der Berechnung der Frist nach Abs. 1 Nr. 3 wird der Tag der Aufenthaltsnahme in die Frist einbezogen».
«Der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen Verheirateter, die nicht dauernd getrennt von ihrer Familie leben, ist regelmäßig die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie; das gilt ebenso für eingetragene Lebenspartnerschaften und für Unverheiratete, die bei ihrer Familie wohnen. 2 Im Übrigen ist der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen regelmäßig am Ort der Wohnung, von der aus eine Person ihrer Erwerbstätigkeit oder ihrer Ausbildung nachgeht.»
- dass es möglich war, Briefwahlunterlagen für diese Personen anzufordern,
- diese ohne Mitwirkung der Wahlberechtigten auszufüllen
- an die Wahlbehörde zurückzusenden
- wo sie offenbar nach unzureichenden Prüfungen gewertet wurden13.
4.
Geeignete Maßnahmen zur Verhinderung von Briefwahlbetrug ^
- Laufende Pflege der Einwohnermelderegister und Datenaustausch auf EU-Ebene; der Fall Giovanni di Lorenzo hat deutlich gezeigt, dass hier Handlungsbedarf besteht14
- Harmonisierung der Anforderungen an Wahlberechtigte, bspw. eine dreimonatige Hauptwohnsitzmeldung als Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts
- Persönliche Anforderung der Briefwahlunterlagen, in jedem Fall mit Ausweispflicht und belastbarer Identitätsprüfung
- Vorzugsweise sofortige Wahl bei Übergabe der Briefwahlunterlagen – dass es faktisch nicht möglich ist, erhaltene Briefwahlunterlagen dahingehend zu prüfen, ob die Unterschrift echt ist, haben Stein und Müller-Török nachgewiesen.15
5.
Schlussfolgerung ^
Birgit Schenk, Professorin, Hochschule für Öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, Reuteallee 36, 71634 Ludwigsburg, DE, schenk@hs-ludwigsburg.de
Robert Müller-Török, Professor, Hochschule für Öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, Reuteallee 36, 71634 Ludwigsburg, DE, mueller-toeroek@hs-ludwigsburg.de
- 1 Beispielsweise https://volksbetrugpunktnet.wordpress.com/2013/09/24/erste-nachweise-fur-wahlbetrug-in-deutschland-bundestagswahl-2013-punktuell-manipuliert-immer-mehr-ungereimtheiten-medien-haben-offensichtlich-kein-interesse-an-einer-berichterstattung/, wobei volksbetrug.net ein auf wordpress.com außerhalb des EU-Rechtsraumes gehostetes Blog ist, welches kein Impressum angibt. Die Domain ist auf einen gewissen David Kowalski in Bern registriert, siehe http://www.tucowsdomains.com/whois (per 27. Dezember 2014).
- 2 Trotz langjähriger Befassung mit dem Thema und regelmäßigen Austausch mit der einschlägigen Scientific Community ist uns keine wissenschaftliche Arbeit zum Thema bekannt. Auch der Wahlabteilung des BMI ist kaum ein Fall von Wahlbetrug bekannt, der zu Verurteilungen geführt hätte.
- 3 Der gesamte Report ist unter http://www.electoralcommission.org.uk/__data/assets/pdf_file/0008/164609/Electoral-fraud-review-final-report.pdf erhältlich (per 27. Dezember 2014).
- 4 Postal voting and electoral fraud 2001–2009, Isobel White, SN/PC/3667 vom 14. März 2012, Library of the House of Commons, erhältlich unter http://www.parliament.uk/briefing-papers/SN03667/postal-voting-and-electoral-fraud-200109 (per 27. Dezember 2014).
- 5 Electoral offences since 2010, Isobel White, SN/PC/06255 vom 29. Juli 2014, Library of the House of Commons, erhältlich unter http://www.parliament.uk/briefing-papers/SN06255/electoral-offences-since-2010 (per 27. Dezember 2014).
- 6 Das Statistische Bundesamt verfügte per 2012 nicht einmal über eine gratis downloadbare Liste der Einwohnermeldeämter, vgl. hierzu den Dialog https://fragdenstaat.de/anfrage/liste-aller-einwohnermeldeamter/ (per 27. Dezember 2014).
- 7 Vgl. https://www.zensus2011.de/SharedDocs/Aktuelles/Pressemitteilung_des_Statistischen_Bundesamtes.html (per 27. Dezember 2014).
- 8 Vgl. http://www.heise.de/newsticker/meldung/E-Voting-Salzburger-OeH-Wahl-aufgehoben-910465.html (per 27. Dezember 2014).
- 9 Vgl. http://www.taz.de/!39929/ (per 27. Dezember 2014).
- 10 Siehe v.a. die offizielle Kommunikation des Landratsamtes unter http://www.landkreis-straubing-bogen.de/aktuelles.asp?naviid={95912A9D-1020-40D4-9230-CDACB6735023}&ORGID={037E2D29-958F-4E41-85A0-57B271E50413} (per 27. Dezember 2014).
- 11 Siehe http://www.sueddeutsche.de/bayern/wahlskandal-in-niederbayern-stimmvieh-auf-dem-spargelhof-1.2135161 (per 27. Dezember 2014).
- 12 Siehe Landratsamtsquelle, Fn. 11.
- 13 Darum empfiehlt die Association of Chief Police Officers gemeinsam mit der Electoral Commission dringend «mandatory checking of 100 % of all returned postal voting statements», siehe Analysis of cases of alleged electoral malpractice in 2010, S. 10 (downloadbar unter http://www.electoralcommission.org.uk/__data/assets/pdf_file/0013/109012/Integrity-report-FINAL-no-embargo.pdf, per 28. Dezember 2014).
- 14 Für eine Analyse siehe Hugo Müller-Vogg, «Das neue deutsche Zwei-Klassen-Wahlrecht», in Cicero – Magazin für Politische Kultur, 29. Mai 2014.
- 15 Siehe Robert Müller-Török und Robert Stein, «Die Europäische Bürgerinitiative aus Sicht nationaler Wahlbehörden: Probleme der Verifikation von Unterstützungserklärungen in der Praxis», in: VERWALTUNG UND MANAGEMENT, 5/2010.
- 16 Vgl. Robert Müller-Török, «Neue Anforderungen an Wahlbehörden und -systeme im Zeitalter knappster Mehrheiten, mehrfacher Staatsangehörigkeiten und Wohnsitze»; in: Tagungsband des 17. Internationalen Rechtsinformatik Symposions – IRIS 2014, ISBN 978-3-85403-302-8, 20.–22. Februar 2014, Salzburg.