1.
Einleitung ^
2.
Anforderungen und Ziele zum elektronischen Instanzenzug ^
- Realisierung einer medienbruchfreien Übergabe einer elektronischen Nachricht von einer beliebigen Instanz zu jeder in Frage kommenden nachfolgenden Instanz, dies kann insbesondere auch die Rücküberweisung an die Vorinstanz sein,
- Erhaltung des semantischen Inhalts der Nachricht,
- Unterstützung der Prozesse im Zusammenhang mit der Handhabung der elektronischen Akte im Instanzenzug,
- Öffnung der elektronischen Akte zur Bearbeitung zu einem bestimmten Zeitpunkt nur jeweils in einer Instanz. Für alle anderen Instanzen ist während dessen die Akte gesperrt.
- Welches IT-System kommt in der Ausgangs-Instanz zum Einsatz?
- Über welche Dienste verfügt das IT-System?
- In welchem Format werden die Quell-Dokumente gespeichert?
- Welches IT-System kommt in der Ziel-Instanz zum Einsatz?
- Welches Format wird von der Ziel-Instanz erwartet?
- Durch welches Ereignis wird die Übermittlung der Akte ausgelöst?
- Wo wird die Nachricht/das Dokument gespeichert? Wer ist «Besitzer» des Dokuments? Wer administriert die Berechtigungen?
- Wie werden rechtliche und technische Anforderungen und Vorgaben umgesetzt (Governance)?
Es ist offenkundig, dass mit einem singulären Punkt-zu-Punkt Ansatz noch nicht viel gewonnen ist. Eine systematische Unterstützung des elektronischen Instanzenzugs muss auch die Fälle
- mehr als zwei beteiligte Instanzen,
- nicht lineare (im allg. Netz-artige) Strukturen zwischen den Instanzen
abdecken. Diese Harmonisierung muss alle Beteiligten am Instanzenzug in gleicher Weise umfassen und kann nicht auf Paare von Instanzen beschränkt bleiben, zum Beispiel:
Darüber hinaus werden weitere Anforderungen erkennbar, die eine allgemeine Lösung für den elektronischen Instanzenzug erforderlich machen. Es muss also ein Rahmen geschaffen werden, der auf Standards für
- (Geschäfts-) Prozesse,
- Datenhaltung,
- Architektur,
- Technologie,
- Organisation und
- Governance/rechtliche Aspekte
aufbaut. Diese müssen aktuellen und zukünftigen Anforderungen im E-Government und E-Justice genügen und eine schrittweise Entwicklung einer E-Justice Infrastruktur ermöglichen.
3.
Lösungsmodell Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R) ^
Soll die Eignung des P23R als Modell für den elektronischen Instanzenzug beurteilt werden, dann sind Kriterien und Anforderungen zu entwickeln, anhand derer ein Vergleich der beiden Konzepte möglich wird. Diese orientieren sich an dieser Stelle an den 6 klassischen Dimensionen des geschäftlichen Wandels, wie diese z.B. im Methodenwerk CATALYST von CSC Eingang gefunden haben8. Das dort vorgesehene Kriterium Standorte wurde zugunsten des Kriteriums Governance / rechtliche Aspekte ersetzt, da im Zusammenhang mit dem hier betrachteten Thema die Frage nach Standorten von geringer Bedeutung ist.
Kriterium | Anforderungen Instanzenzug | Potential / Ergebnisse P23R |
(Geschäfts-) Prozesse |
|
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Daten | Unterstützung des Transports von
| Unterstützung des Transports von
|
Architektur |
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Technologie |
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Organisation |
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Governance / rechtliche Aspekte |
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Tabelle 1: Gegenüberstellung von Anforderungen Instanzenzug und P23R
Die Erhebung und Modellierung der Prozesse sollten dabei als Ausgangspunkte genommen werden, an die sich die weiteren Konzeptarbeiten anschließen sollten. Das Vorbild P23R stellt hierzu Prozess-Steckbriefe als Beschreibungsschemata bereit. Daran anschließend sollten die Datenmodelle erhoben werden.
Im Rahmen dieses Beitrags können die dargestellten Kriterien nicht weitgehender untersucht werden, dies muss im Rahmen von Anschlussarbeiten geschehen.
4.
Kommunikations-Standards XJustiz, XDOMEA und EGVP ^
Wie bei jedem Vorhaben mit organisationsübergreifendem Datenaustausch spielt die Frage nach den Datenaustauschformaten eine wesentliche Rolle. Bei der Standardisierung der Datenaustauschformate für Justizdaten und elektronische Akten wurden in den letzten 10 Jahren große Fortschritte erzielt:
XJustiz11 ist das Datenaustauschformat für die Justiz in Deutschland, das Ende 2014 in Version 1.17 vorliegt und kontinuierlich weiterentwickelt wird. XDOMEA12 ist das Datenaustauschformat für elektronische Akten nach dem Konzept DOMEA13 für elektronische Akten, Vorgangsbearbeitung und Archivierung in der aktuellen Version 2.2.
Das DOMEA-Konzept wurde zwar inzwischen vom Organisationskonzept elektronische Verwaltungsarbeit14 des Bundesinnenministeriums abgelöst, XDOMEA wird aber weiterhin als XÖV-Standard gepflegt, Teile von XDOMEA 2.2 wurden in die Version 1.14 von XJustiz integriert.
XDOMEA 2.2 ist ein Datenformat für den IT-gestützten Austausch und die IT-gestützte Aussonderung behördlichen Schriftguts. Der Datenaustausch erfolgt in XDOMEA-Nachrichten, deren Strukturen mit XML-Schemata beschrieben werden. Der Standard XDOMEA betrachtet die folgenden Prozesse im Verwaltungshandeln:
- Information austauschen
- Geschäftsgang durchführen
- Abgabe durchführen
- Aussonderung durchführen
- Aktenplan austauschen
- Fachverfahrensdaten austauschen
XDOMEA bringt also gute Voraussetzungen für die Realisierung der Prozesse im Instanzenzug mit.
Für das Elektronische Gerichts- und Verwaltungsportfach EGVP ist das Konzept eines Intermediärs wesentlich, der zwischen Sender und Empfänger einer Nachricht angeordnet ist und diverse Aufgaben bei der Erfüllung von Sicherheitsanforderungen bei der Kommunikation zwischen Sender und Empfänger übernimmt.
Das Modell eines Intermediärs ist bei dem P23R-Prinzip in derselben Weise wie beim EGVP realisiert. Das EVGP verhält sich jedoch als passives E-Mail System, wohingegen der P23R aktiv Kommunikations- und Verwaltungs-Prozesse ausführt.
Verallgemeinert man die Konzepte des Intermediärs aus dem EGVP und dem P23R und führt diese zusammen, dann kann daraus eine Lösungsidee abgeleitet werden.
5.
P23R als Modell für die Realisierung des elektronischen Instanzenzugs ^
In Analogie zum P23R können die Funktionen des elektronischen Instanzenzugs wie folgt aussehen:
- Transformation der Ausgangs-Nachrichten eines Quell-Systems in ein universelles standardisiertes Format durch einen Instanzenzug-Beschleuniger (I23R in Analogie zum P23R),
- Transformation der Eingangs-Nachrichten aus dem I23R-Format in das Format des Ziel-Systems durch den Instanzenzug-Beschleuniger,
- Bereitstellung von Regelpaketen (Implementierung der Governance) des I23R analog zum P23R,
- Einrichtung und Betrieb einer Leitstelle für die Governance (in Orientierung an der XÖV-Leitstelle bzw. an der P23R Leitstelle).
Damit sind alle benötigten Verwaltungsinformationen definiert und können im Sinne einer Governance weiter gepflegt werden. Die genannten regelbasierten Transformationen vom und zum I23R-Format sind als die Kernfunktionen / -Dienste des I23R zu verstehen.
6.
Proof-of-Concept ^
Die Lösung hierfür basiert auf einer prozess- und serviceorientierten Architektur. Die Fachverfahren OWi21 (der zentralen Bußgeldstelle), MESTA (der Staatsanwaltschaften) sowie EUREKA-Straf (der Gerichte) existieren bereits. Für die Ablage der elektronischen Akten kommt gemäß hessischem Landesstandard Open Text DOMEA® zum Einsatz. Über den Microsoft BizTalk® Server 2006 als Integrationsplattform erhalten sowohl die entsprechenden Fachverfahren als auch die Dokumentenmanagementsysteme bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten alle notwendigen, weitergeleiteten Informationen. Als übergreifendes Datenaustauschformat dient eine XML-Struktur, die auf den Standards XJustiz und XDOMEA basiert und Verknüpfungen auf die übertragenen Dokumente der OWi-Fallakte enthält. Der Datenaustausch zwischen den Behörden erfolgt verschlüsselt. Als Schnittstelle zu den Fachverfahren fungieren WebDav-basierte Verzeichnisse. Webservices übertragen die relevanten Daten an die beteiligten Systeme.
In Ergänzung zum Proof-of-Concept ist eine detaillierte Stakeholderanalyse anzustellen, um die Interessen und Anforderungen der beteiligten Parteien zu erheben und zu bewerten. Im Zuge der Maßnahmen zur generellen Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs bis 2020/2022 sind zahlreiche weitere Entscheidungen zu treffen und Priorisierungen zu finden, um den Anforderungen des ERV-Gesetzes nachzukommen. Insbesondere sollte eine Abstimmung mit den bereits laufenden Arbeiten zum Thema Akteneinsicht-Portal17 erfolgen, da sich hier mit Sicherheit Synergien ergeben werden.
7.
Bewertung ^
Für das vorgestellte Konzept eines elektronischen Instanzenzug-Beschleunigers (I23R) wurden best practices der rechtssicheren Kommunikation im öffentlichen Sektor in Deutschland analysiert und daraus Lösungsansätze zur Implementierung des elektronischen Instanzenzugs entwickelt. Dabei hat sich gezeigt, dass
- EGVP (Elektronisches Gerichts- und Verwaltungs-Postfach),
- XJustiz/XDOMEA,
- Enterprise Service Bus (ESB) und der
- Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R)
geeignete Ansätze sind, um den elektronischen Instanzenzug zu modellieren und schrittweise auszubauen. Kern des vorgestellten Konzepts ist der Instanzenzug-Beschleuniger (I23R), der als Intermediär zwischen Sender und Empfänger einer Nachricht angeordnet ist und die notwendigen Transformationen der Formate vornimmt, der aber auch Dienste ausführt und die benötigten Regeln implementiert.
Michael Tonndorf, Diplom-Informatiker, Management Consultant, CSC Deutschland Solutions GmbH, Barthstr. 4, 80339 München, DE, michael.tonndorf@csc.com; http://www.csc.com/de
- 1 Vgl. Tonndorf, M. und Stüber, J., Wie trägt das deutsche Gesetz zur Förderung des Elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten zur Transparenz in der Kommunikation mit der Justiz bei? In: Schweighofer, Erich / Kummer, Franz / Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Transparenz, Tagungsband des 17. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2014, S. 265–273 (2014), OCG.
- 2 Deutsches Patent- und Markenamt, Projekt Sicherer Elektronischer Rechtsverkehr (sERV); Studie Instanzenzug, Interner Bericht für das Programm BundOnline 2005, München, 2004.
- 3 http://www.egvp.de, abgerufen am 31. Januar 2015.
- 4 http://www.cio.bund.de/Web/DE/Architekturen-und-Standards/SAGA/saga_node.html, abgerufen am 31. Januar 2015.
- 5 Elektronische Akten: Anforderungen und technische Lösungsmöglichkeiten, Autoren: Dominik Leibenger, Ronald Petrlic, Christoph Sorge, Stephanie Vogelgesang, Tagungsband IRIS 2015 (dieses Dokument).
- 6 Angaben zum Projekt «Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R)» wurden der Projekt-Webseite http://www.p23r.de/projekttinformationen/ entnommen (abgerufen am 17. Januar 2015).
- 7 http://www.p23r.de/dasp23r-prinzip/architektur/ (abgerufen am 17. Januar 2015).
- 8 http://www.csc.com/about_us/ds/71014/71037-csc_catalyst, abgerufen am 31. Januar 2015.
- 9 Flexibler Rechtskonformer Einfacher Sicherer KOmmunikations-Prozessor (zu Grunde liegendes Konzept des P23R), siehe Wimmer, M.A.; Gesellschaft für Informatik -GI-, Fachausschuss Verwaltungsinformatik: Vernetzte IT für einen effektiven Staat. Gemeinsame Fachtagung Verwaltungsinformatik (FTVI) und Fachtagung Rechtsinformatik (FTRI) 2010; Bonn: GI, 2010 (GI-Edition – Lecture Notes in Informatics (LNI) – Proceedings 162) S. 40–52.
- 10 OT-Leit-ERV – Technische Rahmenvorgaben für den elektronischen Rechtsverkehr, siehe http://www.justiz.de/BLK/regelungen/ot_leit.pdf, abgerufen am 17. Januar 2015.
- 11 http://www.xjustiz.de, abgerufen am 31. Januar 2015.
- 12 http://www.xoev.de/detail.php?gsid=bremen83.c.11406.de, abgerufen am 31. Januar 2015.
- 13 http://de.wikipedia.org/wiki/DOMEA-Konzept, abgerufen am 31. Januar 2015.
- 14 http://www.verwaltung_innovativ.de/DE/E_Government/orgkonzept_everwaltung/orgkonzept_everwaltung_artikel.html, abgerufen am 31. Januar 2015.
- 15 http://www.cio.bund.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Architekturen-und-Standards/leitfaden_rahmenarchitektur_download.pdf, abgerufen am 31. Januar 2015.
- 16 http://www.justiz.de/elektronischer_rechtsverkehr/hessen/index.php, abgerufen am 31. Januar 2015.
- 17 http://www.justiz.de/BLK/beschluesse/94.pdf, abgerufen am 31. Januar 2015.