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Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R): Ein Modell für eine Implementierung des Instanzenzugs?

  • Author: Michael Tonndorf
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Justice
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2015
  • Citation: Michael Tonndorf, Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R): Ein Modell für eine Implementierung des Instanzenzugs?, in: Jusletter IT 26 February 2015
Mit dem Abschluss des Projekts Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R) des Bundesinnenministeriums in Deutschland im Jahr 2013 mit zahlreichen Projektpartnern aus Verwaltung, Forschung und der Wirtschaft steht ein konkretes Instrumentarium zur Verfügung, das vielfältige Aspekte einer organisationsübergreifenden, webbasierten Kommunikation unterstützt. Im vorliegenden Beitrag wird die Anwendbarkeit und Übertragbarkeit des P23R-Prinzips auf den elektronischen Instanzenzug bei der Justiz untersucht. Als Ergebnis wird das Konzept eines Instanzenzug-Beschleunigers (I23R) vorgestellt und die sich damit ergebenen Lösungsmöglichkeiten für den elektronischen Instanzenzug diskutiert.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Anforderungen und Ziele zum elektronischen Instanzenzug
  • 3. Lösungsmodell Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R)
  • 4. Kommunikations-Standards XJustiz, XDOMEA und EGVP
  • 5. P23R als Modell für die Realisierung des elektronischen Instanzenzugs
  • 6. Proof-of-Concept
  • 7. Bewertung

1.

Einleitung ^

[1]
2013 ist in Deutschland das ERV-Gesetz oder auch E-Justice-GesetzGesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten»)1 in Kraft getreten. Dadurch ist ein Zeitplan vorgegeben, auf dessen Grundlage bis 2022 der elektronische Rechtsverkehr mit den Gerichten schrittweise eingeführt wird. Der elektronische Rechtsverkehr schafft somit die äußeren Voraussetzungen für eine papierlose Kommunikation zwischen den Teilnehmern am ERV.
[2]
Gegenstand des elektronischen Rechtsverkehrs sind Schriftstücke verschiedenster Art, die durch den Kommunikationskanal ERV transportiert werden. Mit zunehmender Verfügbarkeit dieses Kanals wird sich die Aufmerksamkeit mehr und mehr auf den Inhalt der Kommunikation richten. Hierzu wurde in Deutschland eine Reihe von Programmen initiiert, die die Einführung der elektronischen Akte in der Justiz zum Gegenstand haben. Bereits vor über 10 Jahren wurden Überlegungen zu einer elektronischen und medienbruchfreien Unterstützung des Instanzenzugs angestellt. Die Herausforderung bei einer elektronischen Unterstützung des Instanzenzugs liegt darin, Dokumente zwischen Organisationen mit unterschiedlichen internen Geschäftsprozessen auszutauschen und ein Dokument aus einer Prozesskette eines Gerichts in die eines anderen Gerichts (oder andere teilnehmende Organisation) zu überführen. Hierzu müssen zur Benachrichtigung über Veränderungen an Dokumenten (elektronischen Akten) auch weitere Nachrichten und Benachrichtigungen in beide Richtungen ausgetauscht werden. Der elektronische Instanzenzug befindet sich Anfang 2015 weiterhin im Konzeptstadium, eine prototypische Implementierung nach dem hier vorgestellten Konzept ist bisher nicht öffentlich bekannt oder verfügbar.

2.

Anforderungen und Ziele zum elektronischen Instanzenzug ^

[3]
Das Thema Konzepte zur elektronischen Unterstützung des Instanzenzugs war bereits im Rahmen des Programms BundOnline 2005 ein Betrachtungsgegenstand. 2004 wurde eine Untersuchung vorgenommen, wie (primär technische) Fragestellungen anhand des konkreten Beispiels Instanzenzug einer Markenbeschwerde vom Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) über das Bundespatentgericht (BPatG) zum Bundesgerichtshof (BGH) beantwortet werden könnten2. Zu dieser Zeit waren weder das Elektronische Gerichts- und Verwaltungsportfach (EGVP)3 noch die Konzepte der E-Akte und des modernen Richterarbeitsplatzes verfügbar oder gar in der Nutzung. Wesentliche Fragestellungen waren die nach Architekturen (Speicherorten der Daten) und nach den zu verwendenden Technologien (in Orientierung an SAGA4, dem deutschen Spezifikations-Standard für Software-Systeme für E-Government-Anwendungen). Auch war der Gedanke einer zentralen und organisationsübergreifenden Speicherung von Justiz-Dokumenten, wie z.B. in IT-Dienstleistungszentren, noch Zukunftsmusik. Mittlerweile ist eine zentrale Speicherung in einem sicheren Justiz-Netz gängige Praxis. Die Fragen nach dem Speicherort wie auch Themen der IT-Sicherheit werden daher nachfolgend auch nicht vertieft, siehe hierzu z.B. den Beitrag5 zur diesjährigen Konferenz IRIS 2015.
[4]
Für die weiteren Ausführungen soll unter Instanzenzug (auch Rechtsmittelzug) das Folgende verstanden werden: Der Instanzenzug ist der Übergang einer Rechtssache von einem Gericht (Instanz) auf das nächst höhere Gericht (nächst höhere Instanz). Damit wird das für Klage, Berufung und Revision jeweils zuständige Gericht festgelegt. Z.B. lautet der zivilgerichtliche Instanzenzug Amtsgericht – Landgericht – Oberlandesgericht – Bundesgerichtshof – EUGH.
[5]
Beim Instanzenzug wird also eine Rechtssache durch zwei oder mehr Instanzen weitergereicht. Damit stehen die Gerichtsakten unmittelbar im Zentrum der Betrachtung. Mit der schrittweisen Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs in Deutschland manifestiert sich die Forderung nach einer elektronischen Aktenführung. Konsequenterweise begleiten dann auch die elektronischen Akten den Instanzenzug, d.h. diese «ziehen von Instanz zu Instanz mit». Bei der weiteren Entwicklung der Konzepte zum elektronischen Instanzenzug soll hier zunächst nicht von «elektronischen Akten», sondern allgemeiner von «Nachrichten» gesprochen werden, da es auch möglich sein muss, andere Typen von Dokumenten elektronisch weiterzugeben. Jedenfalls sollen unter «Nachrichten» umgekehrt stets auch elektronische Akten verstanden werden.
[6]
Die wesentlichen Anforderungen an einen elektronischen Instanzenzug können wie folgt zusammengefasst werden:
  • Realisierung einer medienbruchfreien Übergabe einer elektronischen Nachricht von einer beliebigen Instanz zu jeder in Frage kommenden nachfolgenden Instanz, dies kann insbesondere auch die Rücküberweisung an die Vorinstanz sein,
  • Erhaltung des semantischen Inhalts der Nachricht,
  • Unterstützung der Prozesse im Zusammenhang mit der Handhabung der elektronischen Akte im Instanzenzug,
  • Öffnung der elektronischen Akte zur Bearbeitung zu einem bestimmten Zeitpunkt nur jeweils in einer Instanz. Für alle anderen Instanzen ist während dessen die Akte gesperrt.
[7]
Dabei sind im allg. die folgenden Fragestellungen zu berücksichtigen und zu klären:
  1. Welches IT-System kommt in der Ausgangs-Instanz zum Einsatz?
  2. Über welche Dienste verfügt das IT-System?
  3. In welchem Format werden die Quell-Dokumente gespeichert?
  4. Welches IT-System kommt in der Ziel-Instanz zum Einsatz?
  5. Welches Format wird von der Ziel-Instanz erwartet?
  6. Durch welches Ereignis wird die Übermittlung der Akte ausgelöst?
  7. Wo wird die Nachricht/das Dokument gespeichert? Wer ist «Besitzer» des Dokuments? Wer administriert die Berechtigungen?
  8. Wie werden rechtliche und technische Anforderungen und Vorgaben umgesetzt (Governance)?
[8]
Die einfachste mögliche Lösung, alle Instanzen mit identischen IT-Systemen auszustatten und identische Datenformate zu verwenden, ist aktuell und zukünftig unrealistisch.
[9]
Soll der allgemeine Fall eines Instanzenzugs modelliert werden, dann muss also davon ausgegangen werden, dass Ausgangs- und Ziel-Instanz sowohl vom IT-System als auch vom Format der elektronischen Akten her inkompatibel sind. D.h. bei der Weitergabe einer elektronischen Akte an die Nachfolgeinstanz ist eine wie immer geartete förmliche Transformation unter Beibehaltung des eigentlichen Inhalts erforderlich.
[10]
Ein erster Lösungs-Ansatz kann darin bestehen, die Kommunikation zwischen zwei Instanzen durch Einschaltung einer individuellen Schnittstelle bilateral zu regeln. D.h. die elektronische Kommunikation kann dann zwischen diesen zwei Instanzen eingerichtet und betrieben werden. Es müssten nach diesem Ansatz für jedes unterschiedliche Paar von Sendern und Empfängern von Nachrichten eine individuelle Schnittstelle entwickelt und dauerhaft gepflegt werden.

Abbildung 1: Beispiel Instanzenzug (einfachster Fall)

[11]

Es ist offenkundig, dass mit einem singulären Punkt-zu-Punkt Ansatz noch nicht viel gewonnen ist. Eine systematische Unterstützung des elektronischen Instanzenzugs muss auch die Fälle

  • mehr als zwei beteiligte Instanzen,
  • nicht lineare (im allg. Netz-artige) Strukturen zwischen den Instanzen

abdecken. Diese Harmonisierung muss alle Beteiligten am Instanzenzug in gleicher Weise umfassen und kann nicht auf Paare von Instanzen beschränkt bleiben, zum Beispiel:

Abbildung 2: Beispiel Instanzenzug (allgemeiner Fall)

[12]

Darüber hinaus werden weitere Anforderungen erkennbar, die eine allgemeine Lösung für den elektronischen Instanzenzug erforderlich machen. Es muss also ein Rahmen geschaffen werden, der auf Standards für

  • (Geschäfts-) Prozesse,
  • Datenhaltung,
  • Architektur,
  • Technologie,
  • Organisation und
  • Governance/rechtliche Aspekte

aufbaut. Diese müssen aktuellen und zukünftigen Anforderungen im E-Government und E-Justice genügen und eine schrittweise Entwicklung einer E-Justice Infrastruktur ermöglichen.

[13]
Bei der Suche nach Modellen für den elektronischen Instanzenzug bietet sich aufgrund einer ähnlich gelagerten Zielsetzung das Projekt Prozess-Daten-Beschleuniger (23R)6 des Bundesinnenministeriums (2009–2013) als Untersuchungsobjekt an. Der P23R wird im folgenden Kap. 3 in aller Kürze dargestellt. Zum besseren Verständnis des P23R sei insbesondere auf das Architekturkonzept7 und die Beschreibung der Prozessketten verwiesen.

3.

Lösungsmodell Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R) ^

[14]
Mit dem Abschluss des Projekts Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R) im Jahr 2013, bei dem zahlreiche Projektpartner aus Verwaltung, Forschung und der Wirtschaft beteiligt waren, steht ein Instrumentarium zur Verfügung, das vielfältige Aspekte einer organisationsübergreifenden, webbasierten Kommunikation unterstützt (die Zeichenkette 23 steht dabei für die ausgelassenen 23 Buchstaben des Namens Prozess-Daten-BeschleunigeR). Gegenstand des Projekts P23R war die Entwicklung von Methoden und offenen Standards für eine vernetzte und übergreifende Architektur für den vereinfachten Datenaustausch zwischen Wirtschaft und Verwaltung. Ausgangspunkt für die Entwicklung des P23R-Prinzips sind die Informations- und Meldepflichten für die Unternehmen der Verwaltung gegenüber. Informations- und Meldepflichten bezeichnen Pflichten zur Weitergabe von Informationen, denen die Arbeitgeber in Bezug auf einen oder mehrere Arbeitnehmer auf Grund gesetzlicher Verpflichtungen nachkommen müssen. Sie zeichnen sich gegenüber Anträgen und passiven Nachweispflichten dadurch aus, dass der Empfänger einen öffentlich-rechtlichen Auftrag hat, auch wenn für die Übermittlung ein Intermediär zwischengeschaltet ist; eine aktive Weitergabe von Informationen zu einem bestimmten Zeitpunkt oder auf Grund eines Anlasses erfolgt; die Meldung eine einheitliche, sich wiederholende Struktur aufweist; und das Unternehmen hinsichtlich weiterer Aktionen nicht auf eine Rückmeldung der Verwaltung angewiesen ist.
[15]
Es erscheint also naheliegend, Architektur und Funktionalität des P23R eingehender zu analysieren und eine Übertragbarkeit auf den elektronischen Instanzenzug zu prüfen. Aus der Dokumentation soll hier exemplarisch der Fluss von Nachrichten vom Sender zum Empfänger über den Prozess-Daten-Beschleuniger in Abb. 3 dargestellt werden.

Abbildung 3: Prinzip Prozess-Daten-Beschleuniger

[16]

Soll die Eignung des P23R als Modell für den elektronischen Instanzenzug beurteilt werden, dann sind Kriterien und Anforderungen zu entwickeln, anhand derer ein Vergleich der beiden Konzepte möglich wird. Diese orientieren sich an dieser Stelle an den 6 klassischen Dimensionen des geschäftlichen Wandels, wie diese z.B. im Methodenwerk CATALYST von CSC Eingang gefunden haben8. Das dort vorgesehene Kriterium Standorte wurde zugunsten des Kriteriums Governance / rechtliche Aspekte ersetzt, da im Zusammenhang mit dem hier betrachteten Thema die Frage nach Standorten von geringer Bedeutung ist.

Kriterium Anforderungen Instanzenzug Potential / Ergebnisse P23R
(Geschäfts-) Prozesse
  • Lesen (Akteneinsicht)
  • Schreiben (Bearbeiten)
  • Weiterleiten im Instanzenzug
  • Archivieren
  • Nachrichten abrufen
  • Nachrichten umformatieren
  • Zeitliche Vorgaben umsetzen
  • Nachrichten zustellen
  • Protokolle/Benachrichtigungen erstellen
  • System administrieren
Daten Unterstützung des Transports von
  • E-Akten
  • Abgabenachrichten
  • weiteren Nachrichten
Unterstützung des Transports von
  • Meldungen, Benachrichtigungen (Datensätze)
  • Benachrichtigungsregelpaketen
  • Datenmodellpaketen
Architektur
  • EGVP
  • sichere Netze
  • Portal
  • Moderner Richterarbeitsplatz
  • SOA
  • Rahmenarchitektur P23R
  • FRESKO-Prozessor9
Technologie
  • SAGA 5
  • XJustiz
  • XDOMEA
  • Web Services
  • Enterprise Service Bus
  • JBoss Application Server
Organisation
  • Gerichte
  • Notare
  • Rechtsanwälte
  • Verwaltung
  • IT-Dienstleistungszentren
  • Leitstelle (z.B. XÖV-Leitstelle, Clearing-Stelle ERV-OWi, siehe Kap. 6)
  • Unternehmen
  • Behörden (v.a. Statistik-Ämter)
  • P23R Leitstelle
Governance / rechtliche Aspekte
  • Justizkommunikationsgesetz
  • ERV-Gesetz (bezügl. E-Akte)
  • E-Government Gesetz
  • Verordnungen und Richtlinien
  • OT-Leit-ERV (Anlage 1)10
  • XJustiz/XDOMEA
  • BSI Grundschutz (IT-Sicherheit)
  • Datenschutz-Gesetze
  • Gesetzliche Anforderungen für Meldungen von Unternehmen
  • BSI Grundschutz (IT-Sicherheit)
  • Datenschutz-Gesetze


Tabelle 1: Gegenüberstellung von Anforderungen Instanzenzug und P23R

[17]

Die Erhebung und Modellierung der Prozesse sollten dabei als Ausgangspunkte genommen werden, an die sich die weiteren Konzeptarbeiten anschließen sollten. Das Vorbild P23R stellt hierzu Prozess-Steckbriefe als Beschreibungsschemata bereit. Daran anschließend sollten die Datenmodelle erhoben werden.

[18]

Im Rahmen dieses Beitrags können die dargestellten Kriterien nicht weitgehender untersucht werden, dies muss im Rahmen von Anschlussarbeiten geschehen. 

4.

Kommunikations-Standards XJustiz, XDOMEA und EGVP ^

[19]

Wie bei jedem Vorhaben mit organisationsübergreifendem Datenaustausch spielt die Frage nach den Datenaustauschformaten eine wesentliche Rolle. Bei der Standardisierung der Datenaustauschformate für Justizdaten und elektronische Akten wurden in den letzten 10 Jahren große Fortschritte erzielt:  

[20]

XJustiz11 ist das Datenaustauschformat für die Justiz in Deutschland, das Ende 2014 in Version 1.17 vorliegt und kontinuierlich weiterentwickelt wird. XDOMEA12 ist das Datenaustauschformat für elektronische Akten nach dem Konzept DOMEA13 für elektronische Akten, Vorgangsbearbeitung und Archivierung in der aktuellen Version 2.2.

[21]

Das DOMEA-Konzept wurde zwar inzwischen vom Organisationskonzept elektronische Verwaltungsarbeit14 des Bundesinnenministeriums abgelöst, XDOMEA wird aber weiterhin als XÖV-Standard gepflegt, Teile von XDOMEA 2.2 wurden in die Version 1.14 von XJustiz integriert.

[22]
XJustiz und XDOMEA sind in Deutschland eng mit dem Kommunikationskonzept EGVP (Elektronisches Gerichts- und Verwaltungsportfach) verbunden, das seit 2004 zum ersten Mal ein justizspezifisches Medium für die elektronische Kommunikation vorgibt. Seit 2006 sind die Notare verpflichtet, über dieses Medium die Handelsregister-Eintragungsmeldungen an die Registergerichte zu versenden. XJustiz/XDOMEA sind also gesetzte Standards in der Justizkommunikation, deren Bestand langfristig gesichert ist.
[23]

XDOMEA 2.2 ist ein Datenformat für den IT-gestützten Austausch und die IT-gestützte Aussonderung behördlichen Schriftguts. Der Datenaustausch erfolgt in XDOMEA-Nachrichten, deren Strukturen mit XML-Schemata beschrieben werden. Der Standard XDOMEA betrachtet die folgenden Prozesse im Verwaltungshandeln:

  • Information austauschen
  • Geschäftsgang durchführen
  • Abgabe durchführen
  • Aussonderung durchführen
  • Aktenplan austauschen
  • Fachverfahrensdaten austauschen
[24]

XDOMEA bringt also gute Voraussetzungen für die Realisierung der Prozesse im Instanzenzug mit. 

[25]

Für das Elektronische Gerichts- und VerwaltungsportfacEGVP ist das Konzept eines Intermediärs wesentlich, der zwischen Sender und Empfänger einer Nachricht angeordnet ist und diverse Aufgaben bei der Erfüllung von Sicherheitsanforderungen bei der Kommunikation zwischen Sender und Empfänger übernimmt. 

[26]

Das Modell eines Intermediärs ist bei dem P23R-Prinzip in derselben Weise wie beim EGVP realisiert. Das EVGP verhält sich jedoch als passives E-Mail System, wohingegen der P23R aktiv Kommunikations- und Verwaltungs-Prozesse ausführt. 

[27]

Verallgemeinert man die Konzepte des Intermediärs aus dem EGVP und dem P23R und führt diese zusammen, dann kann daraus eine Lösungsidee abgeleitet werden.  

5.

P23R als Modell für die Realisierung des elektronischen Instanzenzugs ^

[28]

In Analogie zum P23R können die Funktionen des elektronischen Instanzenzugs wie folgt aussehen:

  1. Transformation der Ausgangs-Nachrichten eines Quell-Systems in ein universelles standardisiertes Format durch einen Instanzenzug-Beschleuniger (I23R in Analogie zum P23R),
  2. Transformation der Eingangs-Nachrichten aus dem I23R-Format in das Format des Ziel-Systems durch den Instanzenzug-Beschleuniger,
  3. Bereitstellung von Regelpaketen (Implementierung der Governance) des I23R analog zum P23R,
  4. Einrichtung und Betrieb einer Leitstelle für die Governance (in Orientierung an der XÖV-Leitstelle bzw. an der P23R Leitstelle).
[29]

Damit sind alle benötigten Verwaltungsinformationen definiert und können im Sinne einer Governance weiter gepflegt werden. Die genannten regelbasierten Transformationen vom und zum I23R-Format sind als die Kernfunktionen / -Dienste des I23R zu verstehen.

[30]
Um dieses Modell weiter zu konkretisieren, müssen die folgenden Prozess-Schritte näher spezifiziert und prototypisch implementiert werden. Aufgabe ist es dabei u.a., Gesetzes- und Verfahrensänderungen zu berücksichtigen und in die Governance des I23 R aufzunehmen.
[31]
Die Verallgemeinerung eines Intermediärs ist das Bus-Prinzip: Der I23R ist eine IT-Lösung, die gemäß diesem Prinzip zwischen Sender und Empfänger des Instanzenzugs angeordnet ist. Der I23R fungiert dabei als eine universelle Schnittstelle zwischen Nachrichten-Sendern und -Empfängern.

Abbildung 4: Prinzip Instanzenzug-Beschleuniger (Umsetzung des Beispiels aus Abbildung 2)

[32]
Diese Schnittstelle muss nicht notwendigerweise in einem monolithischen IT-System konzentriert sein, vielmehr kann der I23R gemäß den Prinzipien für serviceorientierte Architekturen (SOA) als ein Dienst bzw. Bündel von Diensten realisiert werden, die die spezifizierten Funktionen/Prozesse implementieren. Unter Dienst wird in der Software-Technik eine logische Einheit verstanden, die einen definierten Umfang an funktionalen Anforderungen erfüllt. In der Rahmenarchitektur IT-Steuerung Bund15 stellt der Dienst eine Beschreibungseinheit zur Strukturierung der IT-Unterstützung für geschäftliche Anforderungen dar. Es ist also naheliegend, den I23R auf der Grundlage von Webservices und Webanwendungen zu implementieren. Diese beiden Software-Artefakte erfüllen die Definition Dienst.
[33]
Schließlich erscheint es aus ergonomischen Gesichtspunkten naheliegend, den I23R in eine Portal-Lösung einzubetten, die eines Tages auch direkt im deutschen Justizportal unter http://www.justiz.de/index.php verfügbar gemacht werden kann, ein passendes Rollen- und Rechte-Konzept vorausgesetzt.
[34]
Hat ein Bus weitergehende Funktionalitäten, dann wird im Kontext von Organisationen von einem Enterprise Service Bus (ESB) gesprochen. Der ESB bezeichnet in der Informationstechnik eine Kategorie von Softwareprodukten, die die Integration verteilter Dienste in der Anwendungslandschaft einer Organisation auf eine noch näher zu definierende Weise unterstützen. Der ESB bedingt einen Architekturstil der Integration, der die Kommunikation über einen gemeinsam genutzten Kommunikationsbus einer Vielzahl von Punkt-Zu-Punkt-Verbindungen zwischen Anbietern und Nutzern von Softwarediensten vorzieht.
[35]
Das bedeutet, es muss für jeden Sender nur eine Transformation vom Quell-Format auf das I23R-Format geben und für jeden Empfänger nur eine Abbildung von I23R auf das Zielformat. Voraussetzung ist die Nutzung von XJustiz (einschl. XDOMEA) in den jeweils aktuellen Versionen. Der prinzipiell quadratisch wachsende Aufwand zur Implementierung des Instanzenzugs verringert sich so zu einem linear wachsenden Aufwand. Muss im Beispiel der Abbildung 2 die Sprungrevision nachträglich modelliert werden, dann ist hierzu kein weiterer Aufwand erforderlich, da Instanz A bereits als Sender, und Instanz 3 bereits als Empfänger angelegt waren. Die Business-Logik des I23R auf Basis eines ESB-Konzepts kann also so gestaltet werden, dass damit die Prozesse und Funktionen wie gefordert implementiert werden können.
[36]
Der P23R kann hingegen nicht unmittelbar zur Implementierung des Instanzenzugs verwendet werden, da dort feste Regeln zu den Teilnehmern (Unternehmen, Verwaltung) vorgegeben sind. Eine Implementierung in Anlehnung/Orientierung am P23R ist hingegen möglich. Eine Weiterentwicklung des Instanzenzugs ist somit auch ein wichtiger Beitrag für den Ausbau des Elektronischen Rechtsverkehrs ganz allgemein.

6.

Proof-of-Concept ^

[37]
Als Gegenstand für ein Proof-of-Concept bietet sich das Verfahren ERV-OWi16 (Elektronischer Rechtsverkehr für Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr für das Land Hessen) an, das bereits seit mehreren Jahren im Einsatz ist und komplexe Nachrichten-Ströme nach dem Muster eines Instanzenzugs zwischen einer Vielzahl von Beteiligten an der Justizkommunikation umfasst.
[38]

Die Lösung hierfür basiert auf einer prozess- und serviceorientierten Architektur. Die Fachverfahren OWi21 (der zentralen Bußgeldstelle), MESTA (der Staatsanwaltschaften) sowie EUREKA-Straf (der Gerichte) existieren bereits. Für die Ablage der elektronischen Akten kommt gemäß hessischem Landesstandard Open Text DOMEA® zum Einsatz. Über den Microsoft BizTalk® Server 2006 als Integrationsplattform erhalten sowohl die entsprechenden Fachverfahren als auch die Dokumentenmanagementsysteme bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten alle notwendigen, weitergeleiteten Informationen. Als übergreifendes Datenaustauschformat dient eine XML-Struktur, die auf den Standards XJustiz und XDOMEA basiert und Verknüpfungen auf die übertragenen Dokumente der OWi-Fallakte enthält. Der Datenaustausch zwischen den Behörden erfolgt verschlüsselt. Als Schnittstelle zu den Fachverfahren fungieren WebDav-basierte Verzeichnisse. Webservices übertragen die relevanten Daten an die beteiligten Systeme. 

[39]

In Ergänzung zum Proof-of-Concept ist eine detaillierte Stakeholderanalyse anzustellen, um die Interessen und Anforderungen der beteiligten Parteien zu erheben und zu bewerten. Im Zuge der Maßnahmen zur generellen Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs bis 2020/2022 sind zahlreiche weitere Entscheidungen zu treffen und Priorisierungen zu finden, um den Anforderungen des ERV-Gesetzes nachzukommen. Insbesondere sollte eine Abstimmung mit den bereits laufenden Arbeiten zum Thema Akteneinsicht-Portal17 erfolgen, da sich hier mit Sicherheit Synergien ergeben werden.

7.

Bewertung ^

[40]

Für das vorgestellte Konzept eines elektronischen Instanzenzug-Beschleunigers (I23R) wurden best practices der rechtssicheren Kommunikation im öffentlichen Sektor in Deutschland analysiert und daraus Lösungsansätze zur Implementierung des elektronischen Instanzenzugs entwickelt. Dabei hat sich gezeigt, dass

  • EGVP (Elektronisches Gerichts- und Verwaltungs-Postfach),
  • XJustiz/XDOMEA,
  • Enterprise Service Bus (ESB) und der
  • Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R)

geeignete Ansätze sind, um den elektronischen Instanzenzug zu modellieren und schrittweise auszubauen. Kern des vorgestellten Konzepts ist der Instanzenzug-Beschleuniger (I23R), der als Intermediär zwischen Sender und Empfänger einer Nachricht angeordnet ist und die notwendigen Transformationen der Formate vornimmt, der aber auch Dienste ausführt und die benötigten Regeln implementiert.


 

Michael Tonndorf, Diplom-Informatiker, Management Consultant, CSC Deutschland Solutions GmbH, Barthstr. 4, 80339 München, DE, michael.tonndorf@csc.com; http://www.csc.com/de

  1. 1 Vgl. Tonndorf, M. und Stüber, J., Wie trägt das deutsche Gesetz zur Förderung des Elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten zur Transparenz in der Kommunikation mit der Justiz bei? In: Schweighofer, Erich / Kummer, Franz / Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Transparenz, Tagungsband des 17. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2014, S. 265–273 (2014), OCG.
  2. 2 Deutsches Patent- und Markenamt, Projekt Sicherer Elektronischer Rechtsverkehr (sERV); Studie Instanzenzug, Interner Bericht für das Programm BundOnline 2005, München, 2004.
  3. 3 http://www.egvp.de, abgerufen am 31. Januar 2015.
  4. 4 http://www.cio.bund.de/Web/DE/Architekturen-und-Standards/SAGA/saga_node.html, abgerufen am 31. Januar 2015.
  5. 5 Elektronische Akten: Anforderungen und technische Lösungsmöglichkeiten, Autoren: Dominik Leibenger, Ronald Petrlic, Christoph Sorge, Stephanie Vogelgesang, Tagungsband IRIS 2015 (dieses Dokument).
  6. 6 Angaben zum Projekt «Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R)» wurden der Projekt-Webseite http://www.p23r.de/projekttinformationen/ entnommen (abgerufen am 17. Januar 2015).
  7. 7 http://www.p23r.de/dasp23r-prinzip/architektur/ (abgerufen am 17. Januar 2015).
  8. 8 http://www.csc.com/about_us/ds/71014/71037-csc_catalyst, abgerufen am 31. Januar 2015.
  9. 9 Flexibler Rechtskonformer Einfacher Sicherer KOmmunikations-Prozessor (zu Grunde liegendes Konzept des P23R), siehe Wimmer, M.A.; Gesellschaft für Informatik -GI-, Fachausschuss Verwaltungsinformatik: Vernetzte IT für einen effektiven Staat. Gemeinsame Fachtagung Verwaltungsinformatik (FTVI) und Fachtagung Rechtsinformatik (FTRI) 2010; Bonn: GI, 2010 (GI-Edition – Lecture Notes in Informatics (LNI) – Proceedings 162) S. 40–52.
  10. 10 OT-Leit-ERV – Technische Rahmenvorgaben für den elektronischen Rechtsverkehr, siehe http://www.justiz.de/BLK/regelungen/ot_leit.pdf, abgerufen am 17. Januar 2015.
  11. 11 http://www.xjustiz.de, abgerufen am 31. Januar 2015.
  12. 12 http://www.xoev.de/detail.php?gsid=bremen83.c.11406.de, abgerufen am 31. Januar 2015.
  13. 13 http://de.wikipedia.org/wiki/DOMEA-Konzept, abgerufen am 31. Januar 2015.
  14. 14 http://www.verwaltung_innovativ.de/DE/E_Government/orgkonzept_everwaltung/orgkonzept_everwaltung_artikel.html, abgerufen am 31. Januar 2015.
  15. 15 http://www.cio.bund.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Architekturen-und-Standards/leitfaden_rahmenarchitektur_download.pdf, abgerufen am 31. Januar 2015.
  16. 16 http://www.justiz.de/elektronischer_rechtsverkehr/hessen/index.php, abgerufen am 31. Januar 2015.
  17. 17 http://www.justiz.de/BLK/beschluesse/94.pdf, abgerufen am 31. Januar 2015.