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EBI auf dem Prüfstand: Wie es mit den Europäischen Bürgerinitiativen weitergeht

  • Author: Robert Stein
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Democracy
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2015
  • Citation: Robert Stein, EBI auf dem Prüfstand: Wie es mit den Europäischen Bürgerinitiativen weitergeht, in: Jusletter IT 26 February 2015
Die EU-Verordnung zur Europäischen Bürgerinitiative (Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011) ist am 1. April 2012 in Kraft getreten. In Art. 22 der Verordnung ist verankert, dass die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 1. April 2015 und anschließend alle drei Jahre einem Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vorzulegen hat. Im Verlauf des Jahres 2014 haben sich auf mehreren Veranstaltungen Fragestellungen herauskristallisiert, die in diesem Bericht mit großer Wahrscheinlichkeit relevant werden könnten.
Die einzelnen Mitgliedstaaten nur indirekt tangierend, aber vor allem von vielen NGOs ins Treffen gebracht, ist in diesem Zusammenhang die Forderung nach mehr Transparenz bei den Kriterien für die Zulassung oder Nicht-Zulassung von Europäischen Bürgerinitiativen hervorzuheben. Als ein weiteres, nach derzeitigem Stand der Dinge, als schlichtweg unlösbares Problem ist die Gegebenheit hervorzuheben, dass aufgrund der unterschiedlichen Zugangsbedingungen für die Abgabe von Unterstützungsbekundungen bestimmte Personen – wenn auch verordnungswidrig – Europäische Bürgerinitiativen zweimal unterstützen können, währenddessen andere Menschen von der Möglichkeit einer Unterstützung gänzlich ausgeschlossen sind, und zwar nur deshalb, weil der Herkunftsmitgliedstaat bei der Zulässigkeit der Unterstützung auf den Wohnsitz abstellt, der Wohnsitzmitgliedstaat jedoch auf die Staatsangehörigkeit.
Für die Verwaltungsbehörden in den einzelnen Mitgliedstaaten wird die Frage relevant sein, ob weiterhin Online-Sammelsysteme für jede Bürgerinitiative in einem beliebigen Mitgliedstaat zertifiziert werden sollen, oder ob nicht ein Standardsystem durch die Kommission angeboten werden sollte. Mit den von den österreichischen Experten für die Europäischen Bürgerinitiative dargelegten Erwägungen wird die aktuelle Situation bezüglich der Evaluierung der Verordnung durch die Kommission dargestellt und dabei versucht, einen Ausblick auf mögliche Lösungen zu den beschriebenen Fragen und auch zu anderen offen Fragen zu skizzieren.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Ausgangslage
  • 2. Zur Frage der Registrierung oder Nicht-Registrierung von EBI
  • 3. Frage der in gewissen Fällen gegebenen Unmöglichkeit, eine EBI rechtsgültig unterstützen zu können
  • 4. Faktische Unmöglichkeit der Abgabe einer Unterstützungsbekundung mittels digitaler Signatur
  • 5. Probleme mit dem Online-Sammelsystem
  • 6. Fragen zum Fristengefüge und zu logistischen Problemen bei der Überprüfung von Unterstützungsbekundungen durch die Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten
  • 7. Schlussfolgerungen

1.

Ausgangslage ^

[1]
Die EU-Verordnung, in der die EU-weit geltenden Regelungen über die auf dem Vertrag von Lissabon beruhende Europäische Bürgerinitiative1 enthalten sind – es handelt sich um die «Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Bürgerinitiative»2 –, ist am 1. April 2012 in Kraft getreten. Seit diesem Zeitpunkt können für EBI durch ihre «Organisatoren»3 bei der Kommission Registrierungen beantragt werden. Für registrierte EBI können in der Folge Unterstützungsbekundungen gesammelt werden. Werden Unterstützungsbekundungen in ausreichender Zahl gesammelt, so führt dies letztendlich zu einer Behandlung des Anliegens im Europäischen Parlament. Insgesamt werden eine Million Unterstützungsbekundungen aus sieben Mitgliedstaaten benötigt, damit einer EBI ein solches Prozedere zuteilwird. Für die anrechenbaren Unterstützungsbekundungen sind in der Verordnung4 Mindestquoten verankert, die sich nach der Zahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments des jeweiligen Mitgliedstaates richten (z.B. Österreich: 13.500; Deutschland: 72.000).
[2]
Die Unterstützungsbekundungen können sowohl in Papierform, als auch auf elektronischem Weg gesammelt werden. Somit handelt es sich bei der EBI wohl um eine der ersten Möglichkeiten in Europa, einen auf einem Gesetz basierenden Unterstützungsvorgang auf elektronischem Weg vorzunehmen; mit Sicherheit ist die EBI das erste Instrument der direkten Demokratie, bei dem Unionsbürgerinnen und Unionsbürger flächendeckend im gesamten Gebiet der Europäischen Union ein Anliegen auf elektronischem Weg kundtun können.
[3]
Die vorliegenden Zahlen über bisher angestrebte EBI sind etwas inkonsistent5. Nach aktuellen Angaben der Kommission6 wurden bei ihr seit dem 1. April 2012 die Registrierungen von 46 EBI beantragt. 20 Initiativen hat die Kommission die Registrierung versagt, fünf wurden zurückgezogen. Bei zwei registrierten EBI ist die Sammlung von Unterstützungsbekundungen noch im Gang. Von den 18 «abgeschlossenen»7 EBI ist es den Organisatoren in lediglich zwei Fällen gelungen, die von der Verordnung vorgegebene Zahl an Unterstützungsbekundungen sowie die erwähnten Quoten zu erfüllen. Es handelt sich um die EBI «Right2Water» sowie «One of Us». Bei einer weiteren EBI erwartet die Kommission die Vorlage von Bestätigungen über eine ausreichende Anzahl an Unterstützungsbekundungen («Stop Vivisection»). Allem Anschein nach konnten alle anderen Initiativen nur einen Bruchteil der von der Verordnung geforderten Unterstützungsbekundungen – sowohl was die Zahl, als auch, was die Quoten betrifft – auf sich vereinen.
[4]
Die Einführung der EBI war von deutlichen Anfangsschwierigkeiten begleitet, die sich durchwegs auf den Bereich der Online-Unterstützungsbekundungen erstreckten. Konkret ist es über einen längeren Zeitraum bei keiner der EBI gelungen, die von der Kommission angebotene Software für das Online-Sammelsystem in einer Weise zu implementieren, die eine Zertifizierung in einem der 28 Mitgliedstaaten entsprechend der «Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1179/2011 der Kommission vom 17. November 2011 zur Festlegung der technischen Spezifikationen für Online-Sammelsysteme gemäß der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bürgerinitiative»8 möglich gemacht hätte. Dies hat einerseits dazu geführt, dass die Kommission – ohne an sich hierfür durch die Verordnung ermächtigt gewesen zu sein – die Frist von einem Jahr für das Sammeln von Unterstützungsbekundungen um mehrere Monate erstreckt hat, andererseits für eine als vorübergehend bezeichnete Lösung gesorgt hat, bei der luxemburgische Regierungsstellen Organisatoren von geplanten Initiativen bei der Implementierung eines zertifizierungstauglichen Online-Sammelsystems unterstützt haben und in der Folge auch für eine Zertifizierung der Software durch Luxemburg gesorgt haben.9
[5]

In Art. 22 der Verordnung ist unter der Überschrift «Überprüfung» verankert, dass die Kommission bis zum 1. April 2015, und anschließend alle drei Jahre, dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vorzulegen hat. In den nachstehenden Punkten wird skizziert, wie die Regelungen über die EBI und die Administration von EBI aufgrund dieses Berichtes weiterentwickelt werden könnten und – genauer gesagt – welche zutage getretenen Probleme sich auf administrativem Weg (allenfalls unter Einbindung der Mitgliedstaaten) lösen lassen könnten und für welche Probleme eine Novellierung der Verordnung unabdingbar wäre.

[6]
Bei den einschlägigen Expertentreffen, zu denen die Kommission im Vorfeld zur Anpassung des erwähnten Berichtes im Jahr 2014 zweimal eingeladen hat10, sind insbesondere folgende Probleme eingehend diskutiert worden:
  • Kritik an der intransparenten Vorgehensweise bei der Registrierung oder Nicht-Registrierung von hierzu eingereichten EBI durch die Kommission;
  • Tatsache, dass – in Einklang mit dem Anhang III Teil C zur Verordnung (Katalog der für die Abgabe von Unterstützungsbekundungen zulässigen Dokumente oder Beweismittel) in manchen Fällen Personen – rechtswidrig – Unterstützungsbekundungen in zwei Mitgliedstaaten abgeben können, andere Personen hingegen von der Abgabe von Unterstützungsbekundungen de facto gänzlich ausgeschlossen sind;
  • faktische Unmöglichkeit, Online-Sammelsysteme ohne Inanspruchnahme der (zumeist) luxemburgischen Behörden selbstständig implementieren und zertifizieren zu lassen;
  • nach wie vor bestehende Unklarheiten bezüglich der Interpretation des Fristengefüges der Verordnung;
  • faktische Unmöglichkeit, bei der Überprüfung von verordnungskonformen Formularen für Unterstützungsbekundungen in Papierform OCR-Systeme sinnvoll einzusetzen;
  • Unklarheit, ob ein Mitgliedstaat Unterstützungsbekundungen zu überprüfen hat, auch dann, wenn es offenkundig ist, dass die Organisatoren einer EBI keinesfalls in der Lage sein werden, die geforderte Zahl an Unterstützungsbekundungen fristgerecht zu sammeln.

2.

Zur Frage der Registrierung oder Nicht-Registrierung von EBI ^

[7]
Die Nicht-Registrierung bestimmter EBI hat immer wieder zur Kritik an der Verwaltungspraxis der Kommission geführt. Es wurde immer wieder in den Raum gestellt, dass die Entscheidung der Kommission, eine EBI zu registrieren oder ihr die Registrierung zu versagen, nicht nachvollziehbar sei. Bei der Frage handelt es sich um eine rein rechtspolitische Frage, die zur Administration von EBI durch die Mitgliedstaaten kaum Berührungspunkte hat. Es lässt sich schwer einschätzen, ob das Problem durch ein von größerer Transparenz geprägtes Vorgehen der Kommission gelöst werden kann oder ob hierzu eine diesbezügliche Präzisierung der Verordnung erforderlich ist. Wegen des ausschließlich rechtspolitischen und demokratiepolitischen Gehalts dieser Frage wird in diesem Papier nicht weiter darauf eingegangen, ebenso wie auf die Frage, inwieweit es angebracht erscheint, die zu erfüllenden Quoten an Unterstützungsbekundungen mit Blick auf die geringe Anzahl an erfolgreich gewesenen EBI zu ändern. Für eine Berücksichtigung dieses Kritikpunktes wäre aber – anders als beim zuvor erwähnten Kritikpunkt – eine Änderung der Verordnung unabdingbar. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Kommission in ihrer neuen Zusammensetzung in ihrem Bericht an Parlament und Rat zu diesen beiden Fragen stellen wird.

3.

Frage der in gewissen Fällen gegebenen Unmöglichkeit, eine EBI rechtsgültig unterstützen zu können ^

[8]

Schon zum Zeitpunkt, zu dem die Verordnung bloß im Entwurfsstadium vorlag, war klar, dass es bei der Vollziehung des Art. 8 der Verordnung (in der trotz laut gewordener Kritik aus mehreren Mitgliedstaaten letztendlich geltend gewordenen Fassung) zwei Schnittmengen von Personengruppen geben wird, die entweder – rechtswidrig – eine EBI doppelt unterstützen können oder denen diese Möglichkeit gänzlich versagt ist. Die Mitgliedstaaten haben die Wahlmöglichkeit, die Zulässigkeit einer Unterstützungsbekundung vom Bestehen eines Wohnsitzes im Mitgliedstaat oder vom Bestehen einer Staatsangehörigkeit abhängig zu machen oder allenfalls beide Möglichkeiten zuzulassen. Beispiel: Österreich lässt nur Unterstützungsbekundungen von österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu, gleichgültig ob diese im Inland oder im Ausland ihren Wohnsitz haben; das Vereinigte Königreich lässt wiederum Unterstützungsbekundungen nur von Personen zu, die in diesem Mitgliedstaat den Wohnsitz haben, gleichgültig ob sie Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs oder eines anderen Mitgliedstaates sind. Folgt man diesem Beispiel, so hat diese Rechtslage zur Folge, dass eine Österreicherin oder ein Österreicher mit Wohnsitz im Vereinigten Königreich sowohl dort eine EBI unterstützen kann, als auch in Österreich (vom Ausland aus, mit den für Österreich geltenden Formularen). Die Unterstützungsbekundungen wären einmal der österreichischen Quote und einmal der Quote des Vereinigten Königreichs zuzurechnen. Umgekehrt ist es einem Staatsangehörigen oder einer Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs, der (die) seinen (ihren) Hauptwohnsitz in Österreich hat, nicht möglich, eine EBI zu unterstützen, selbst dann, wenn er (sie) sich auf «Heimaturlaub» in das Vereinigte Königreich begibt. Diese Rechtslage muss als schwerwiegender Fehler in der Verordnung betrachtet werden, dessen Folgen von Anfang an vorhersehbar waren.11

[9]

Im Herbst 2014 hat die Kommission einen Versuch unternommen, die in Betracht kommenden Mitgliedstaaten dazu zu bewegen, durch Erweiterung des Katalogs der zulässigen Dokumente des Anhangs III Teil C zur Verordnung zu einer Lösung des Problems beizutragen. Für Österreich hätte dies bedeutet, dass das innerstaatliche Europäische-Bürgerinitiative-Gesetz12 geändert hätte werden müssen, dass aber – in der Praxis – erst eine Datenbank des betroffenen Personenkreises zwecks Überprüfung der Unterstützungsbekundungen errichtet hätte werden müssen, was auf längere Sicht eine faktische Unmöglichkeit der Berücksichtigung des Ansinnens der Kommission, selbst im Fall einer Gesetzesänderung, bedeutet hätte. Es wird davon ausgegangen, dass sich das als gravierend zu betrachtende Problem ohne einer Klarstellung in Art. 8 der Verordnung nicht lösen lassen wird.

4.

Faktische Unmöglichkeit der Abgabe einer Unterstützungsbekundung mittels digitaler Signatur ^

[10]

Die Sammlung von Unterstützungsbekundungen in Papierform ist dem Grunde nach in Art.5 der Verordnung geregelt, währenddessen die Abgabe einer Unterstützungsbekundung mittels Online-Sammelsystem in Art. 6 der Verordnung seinen Niederschlag findet. Dennoch lautet der Art. 5 Abs. 2 wie folgt:

«(2) Die Organisatoren können Unterstützungsbekundungen in Papierform oder elektronisch sammeln. Für die Online-Sammlung von Unterstützungsbekundungen gilt Artikel 6.
Für die Zwecke dieser Verordnung werden Unterstützungsbekundungen, die mittels einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur im Sinne der Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen elektronisch unterzeichnet werden, auf dieselbe Weise behandelt wie Unterstützungsbekundungen in Papierform.»
[11]

In der zitierten Bestimmung bleibt unberücksichtigt, dass es bei der Unterstützungsbekundung in Papierform der Verwendung eines durch Anhang III Teil B vorgegebenen und klar strukturierten Formulars bedarf, das typischerweise mehrere Unterstützungsbekundungen aufweist. Die Möglichkeit einer digitalen Signierung dieses Formulars mittels fortgeschrittener elektronischer Signatur findet weder auf dem Formular selbst, noch sonst irgendwo Berücksichtigung. Bei der Expertenkonferenz am 2. Dezember 2014 hat der Vertreter Luxemburgs zwar angedeutet, dass in der Auswertungs-Software Luxemburgs die Möglichkeit der digitalen Signierung einer Unterstützungsbekundung in Papierform berücksichtigt worden ist, dass aber bislang keine einzige Unterstützungsbekundung mittels digitaler Signatur zu verzeichnen gewesen sei. Es hat den Anschein, als wäre die – sicher gut gemeinte – Interpretation der einschlägigen Bestimmungen der Verordnung durch Luxemburg deutlich zu extensiv. Vielmehr scheint bezüglich dieser Frage eine positive Verankerung der digital signierten Unterstützungsbekundung – gleichsam als «dritter Weg» neben der Unterstützungsbekundung in Papierform (laut Art.l 5 der Verordnung) und jener mittels Online-Sammelsystem (laut Art. 6 der Verordnung) – unabdingbar. Dies vor allem deshalb, weil im Fall der Unterfertigung einer Unterstützungsbekundung mittels fortgeschrittener elektronischer Signatur – bei Beibehaltung der Rechtslage in der Verordnung – nicht einzusehen wäre, wieso die unterstützungswillige Person Angaben machen muss, die ohnedies Elemente der bei der Abgabe der digitalen Signatur weitergereichten Daten sind. Dies steht auch im Einklang mit der «Verordnung für elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt» (eIDAS-VO), die die Mitgliedstaaten verpflichtet, Systeme zur elektronischen Identifizierung (eID) anderer EU-Länder offiziell anzuerkennen.13 Sollte die Berichterstattung der Kommission nicht mittelfristig zu einer diesbezüglichen Änderung der Verordnung führen, so ist zu befürchten, dass es noch auf lange Sicht faktisch unmöglich sein wird, bei der Abgabe einer Unterstützungsbekundung für eine EBI von einer digitalen Signierung Gebrauch zu machen.

5.

Probleme mit dem Online-Sammelsystem ^

[12]
Folgt man den Angaben der Kommission bei den Expertentreffen im Jahr 2014, so wird angestrebt, nicht für alle Zeit auf die mögliche Unterstützung Luxemburgs bei der Implementierung und Zertifizierung von Online-Sammelsystemen zu verweisen, sondern vielmehr – wie an sich durch die Verordnung und im Detail durch die diesbezügliche Durchführungsverordnung geregelt – «dem Spiel freien Lauf zu lassen» und Online-Sammelsysteme in einem vom Organisator beliebig zu wählenden Mitgliedstaat zertifizieren zu lassen. Grundsätzlich ist das Ansinnen der Kommission durchaus nachvollziehbar. Nach den bisher gemachten Erfahrungen wäre aber als wesentlich effizientere Lösung das Bereitstellen eines Online-Sammelsystems auf einer kommissionseigenen Plattform zu betrachten. Österreich hat auf diese Alternative in den einschlägigen Expertengesprächen unter Verweis auf bestehende Lösungen für andere Materien ausdrücklich hingewiesen.

6.

Fragen zum Fristengefüge und zu logistischen Problemen bei der Überprüfung von Unterstützungsbekundungen durch die Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten ^

[13]
Neben den oben geschilderten offenen Fragen sind bei der Vollziehung der Verordnung durch die einzelnen Mitgliedstaaten eine Reihe kleinerer Probleme zutage getreten. Unklar und noch immer ungeklärt ist die Frage, ob ein Organisator sofort nach Registrierung der Initiative mit dem Sammeln von Unterstützungsbekundungen zu beginnen hat oder ob er das Zeitfenster in der Dauer von zwölf Monaten auch «nach hinten» schieben kann. Durch den Wortlaut der Verordnung lässt sich diese Frage nicht eindeutig beantworten, nur eine Präzisierung der relevanten Bestimmungen der Verordnung könnte hier endgültig Klarheit schaffen. Folgt man Äußerungen von Vertreterinnen der Kommission, so deutet manches darauf hin, dass eine Regelung in der Verordnung Eingang finden könnte, wonach die Organisatoren die Möglichkeit hätten, innerhalb bestimmter Schranken das Zeitfenster «nach hinten» zu verlegen.
[14]
In Luxemburg wurde ein EDV-Programm entwickelt, mit dem es möglich sein sollte, die in Papierform getätigten Unterstützungsbekundungen mittels OCR und unter Heranziehung des unter Berufung auf Art. 8 Abs. 2 der Verordnung zulässigen random sampling teilweise zu automatisieren. Das gegenüber den Expertinnen und Experten der anderen Mitgliedstaaten präsentierte Programm scheint viele Elemente zu enthalten, die im Fall einer Übernahme durch andere Mitgliedstaaten da und dort zu beträchtlichen Synergieeffekten führen könnten. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Zahl jener mit handschriftlichen Eintragungen getätigten Unterstützungsbekundungen, die ohne manuelle Nacharbeit vollautomatisch erfasst werden konnten, sehr gering war. Ein Lösungsansatz, der einen sinnvollen Einsatz von OCR-Systemen für die Überprüfung von Unterstützungsbekundungen rechtfertigen würde, könnte wohl nur im Weg einer grundlegenden Überarbeitung der durch die Anlage III Teil B zur Verordnung vorgegebenen Formulare gefunden werden. Die Kommission hätte hierbei die Möglichkeit, die Formulare ohne Änderung der Verordnung, im Weg der «delegierten Rechtsakte» (Art. 16 und 17 der Verordnung), «OCR-freundlich» auszugestalten.
[15]
Nicht restlos lösbar sein wird die Frage, wie die Behörde eines Mitgliedstaates mit Unterstützungsbekundungen zu einer EBI umzugehen hat, bei der die erforderliche Zahl an Unterstützungsbekundungen offenkundig bei Weitem unterschritten worden ist. Eine Regelung, die die einzelnen Mitgliedstaaten von der Verpflichtung zur Überprüfung in solchen Fällen entbinden würde, könnte durch seitens der Organisatoren «geschönte» Angaben in vielen Fällen umgangen werden. Die Erfahrung in Österreich hat gezeigt, dass man einigermaßen verlässliche Angaben über die Zahl der gültigen Unterstützungsbekundungen erst nach einer sorgfältig vorgenommenen Überprüfung der vorgelegten Dokumente machen kann.

7.

Schlussfolgerungen ^

[16]

Wie immer der zum 1. April 2015 fällige Bericht der Kommission in Entsprechung von Art. 20 der Verordnung ausgestaltet sein mag, werden sich manche Verbesserungen bei der EBI auf administrativem Weg bewerkstelligen lassen, währenddessen bei anderen die Novellierung der Verordnung unabdingbare Voraussetzung wäre. Zu ersteren zählen mit Sicherheit die auch vom Ombudsmann14 angeregten Verbesserungen bei der Unterstützung von Proponentinnen und Proponenten zukünftiger Initiativen, vor allem im Vorfeld der Beantragung einer Registrierung einer EBI. Auch Verbesserungen beim Online-Sammelsystem ließen sich wohl ohne eine Anpassung der Verordnung bewerkstelligen, allenfalls wäre aber eine Anpassung der Durchführungsverordnung notwendig.

[17]
Um die EBI zu einem erfolgreichen Instrument der direkten Demokratie auf europäischer Ebene, ganz im Geist des Vertrags von Lissabon, zu machen, erscheint eine Änderung der Verordnung wohl dringend geboten. Bei einer Weiterentwicklung der Verordnung könnten einerseits in ihr verankerte Quoten und Schwellwerte mit politischer Sorgfalt überdacht werden. Im Bereich der «Usability» sollte ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet werden, dass für europäische Bürgerinnen und Bürger, die in der Lage sind, eine mit EU-Recht im Einklang stehende digitale Signatur abzustatten, der Vorgang der Abgabe einer Unterstützungsbekundung für eine EBI so einfach wie möglich, d.h. auch ohne die Angabe von Daten, die ohnedies schon mit der digitalen Signatur automatisch getätigt werden, gemacht wird. Dringender Handlungsbedarf in Richtung einer Anpassung der Verordnung besteht schließlich, um lückenlos zu vermeiden, dass eine bestimmte Zahl an Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern – und mag die Zahl auch noch so klein sein – eine Initiative, wenn auch rechtswidriger Weise, doppelt unterstützen kann, andere Bürgerinnen und Bürger hingegen von diesem verbrieften Recht nicht nur de facto, sondern auch de iure ausgeschlossen sind.

 

Robert Stein, Leiter der Abteilung für Wahlangelegenheiten im Bundesministerium für Inneres, Herrengasse 7, 1010 Wien, AT, robert.stein@bmi.gv.at; http://bmi.gv.at/wahlen/

  1. 1 In der Folge als «EBI» bezeichnet.
  2. 2 In der Folge als «Verordnung» bezeichnet.
  3. 3 Beim Begriff «Organisator» handelt es sich um einen Begriff aus der Verordnung (Art. 3), der in der Folge nicht «gegendert» wird.
  4. 4 Anhang I zur Verordnung.
  5. 5 Ein möglicher Grund für die geringfügige Inkonsistenz könnte daran liegen, dass zumindest zwei EBI zweimal eingebracht worden sind.
  6. 6 Vorgetragen im «Meeting of the Expert Group on the Citizens» Initiative» am 2. Dezember 2014 in Brüssel.
  7. 7 Bezüglich des von der Kommission verwendeten Terminus ist nicht klar, was damit gemeint ist. Die Verordnung enthält einen derartigen Begriff nicht. Dem Anschein nach gilt eine EBI als «abgeschlossen», wenn die Unterstützungsbekundungen der Kommission vorgelegt worden sind und die Kommission die erforderlichen Schritte im Sinn des Art. 10 der Verordnung (Verfahren zur Überprüfung einer Bürgerinitiative durch die Kommission) gesetzt hat.
  8. 8 In der Folge als «Durchführungsverordnung» bezeichnet.
  9. 9 Vgl. dazu ausführlich Stein, «Europäische Bürgerinitiative – endlich erste praktische Erfahrungen» in «Transparenz», Tagungsband des 17. Internationalen Rechtsinformatik Symposions.
  10. 10 Am 12. Juni und am 2. Dezember 2014, jeweils in Brüssel.
  11. 11 Siehe Anm. 9. Vgl. auch Müller-Török/Stein, The Assignment of European Citizens to Member States in the Regulation on the European Citizens' Initiative – Data Modelling Issues for Organisers and Authorities, in Prosser/Golob/Leitner/Šimić (Hrsg.), Eastern European eGov Days 2011 (2011) 53.
  12. 12 § 3 des Bundesgesetzes über die Durchführung von Europäischen Bürgerinitiativen (Europäische-Bürgerinitiative-Gesetz – EBIG), BGBl. I Nr. 115/2013.
  13. 13 Die Verordnung Nr. 910/2014 gilt seit 17. September 2014 und muss schrittweise ab dem 1. Jänner 2016 umgesetzt werden.
  14. 14 Schreiben des «European Ombudsman» vom 15. Juli 2014 an die Europäische Kommission auf Grund einer eigens durchgeführten Befragung («European Ombudsman's own-initiative inquiry OI/9/2013/TN into the functioning of the European citizens' initiative»).