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E-Cohesion: Die Anforderungen der EU als eine Voraussetzung zur internen und externen Vernetzung von Verwaltungen

  • Author: Michael Tonndorf
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Government
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2016
  • Citation: Michael Tonndorf, E-Cohesion: Die Anforderungen der EU als eine Voraussetzung zur internen und externen Vernetzung von Verwaltungen, in: Jusletter IT 25 February 2016
Unter dem Schlagwort E-Cohesion wird eine Menge von Anforderungen an die Informationstechnik gebündelt, die Verwaltungen in der EU umsetzen müssen, wenn sie mit dem Management von europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) befasst sind. Die Digitalisierung und Standardisierung der Förderprozesse ist ein Beitrag zur Standardisierung des elektronischen Informationsaustauschs zwischen Behörden bzw. Verwaltungen national und auch EU-weit ganz allgemein. Dabei ergibt sich ein Standardisierungseffekt für Prozesse und vor allem auch für Dokumentenformate. Im Beitrag werden die E-Cohesion-Anforderungen und der Stand der Umsetzung aus Anwendungsbeispielen in Deutschland zusammengefasst sowie Lösungsmöglichkeiten dargestellt.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Die Digitale Agenda der Europäischen Union
  • 2.1. Grundlagen
  • 2.2. Kohäsionspolitik
  • 2.3. E-Cohesion
  • 3. Umsetzung von E-Cohesion in IT-Systemen
  • 3.1. Reifegrade für E-Cohesion
  • 3.2. Zeithorizont für die Umsetzung der E-Cohesion Funktionalitäten
  • 3.3. Schriftormerfordernis/Signaturanforderungen
  • 3.4. IT-Systeme für E-Cohesion
  • 3.5. Stakeholder, Prozesse und Informationsobjekte
  • 4. E-Cohesion und E-Government/E-Justice
  • 4.1. Praxislösungen zu den Verwaltungs- und Kontrollsystemen
  • 4.2. Bezug zur Vernetzung
  • 5. Fazit

1.

Einleitung ^

[1]
Obwohl sich hinter dem Begriff E-Cohesion (gleichberechtigte Schreibweisen e-Cohesion oder eCohesion) die Begriffe Kohäsion und Kohäsionspolitik verbergen, tauchen diese im öffentlichen Diskurs zur Thematik der Förder- und Subventionspolitik der EU kaum auf.
[2]
Die Investitionen auf Basis der Europäischen Fonds sind in fast allen Einzelbudgets der EU enthalten. Von den jährlich 137,1 Milliarden Euro des EU-Haushalts fließen pro Jahr alleine 46,4 Mrd. EUR in die Strukturfonds, das entspricht knapp 34%. Weitere 39,7 Mrd. EUR werden für Direktzahlungen und Marktmaßnahmen für die europäische Landwirtschaft sowie 13,6 Mrd. EUR für die ländliche Entwicklung ausgegeben, was weiteren 39% entspricht1. Gemeinsam machen diese Fonds über ein Drittel des gesamten EU-Haushalts aus. Alle EU-Regionen profitieren von der Kohäsionspolitik, aber in ärmere Regionen wird in größerem Umfang investiert. Die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) sind mit einem Budget von 454 Milliarden Euro für den Zeitraum 2014–2020 das wichtigste investitionspolitische Instrument der Europäischen Union2.

2.

Die Digitale Agenda der Europäischen Union ^

2.1.

Grundlagen ^

[3]

Die EU hat 2010 eine «Digitale Agenda für Europa» propagiert3. Die Digitale Agenda für Europa ist eine der sieben Leitinitiativen der Strategie Europa 2020. Diese wurde entwickelt, um die grundlegende Rolle zu definieren, die dem Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zukommen muss, wenn Europa seine ehrgeizigen Ziele für 2020 verwirklichen will. Auf der Grundlage der Digitalen Agenda soll einerseits das Wachstum der digitalen Märkte intensiviert werden, andererseits die Schlüsselrolle der Informationstechnik für das qualitative und quantitative Wachstum der Märkte überhaupt herausgestellt werden. Zur konkreten Umsetzung der Ziele der Digitalen Agenda werden in 5-Jahres-Intervallen Aktionspläne veröffentlicht (hier: IKT und e-Government: Europäischer Aktionsplan 2011–20154). Die in diesem Zusammenhang relevanten Ziele lauten

 

50% der EU-Bürger und 80% der Unternehmen in der EU sollen bis zum Jahr 2015 E-Government Dienste nutzen.
[4]

Zur Förderung der Beschäftigung im IKT-Bereich schlägt die Kommission vor, der digitalen Kompetenz und Kultur im Rahmen des Europäischen Sozialfonds Vorrang einzuräumen. Außerdem möchte sie Instrumente entwickeln, um Kompetenzen professioneller IKT-Anwender und -Benutzer zu ermitteln und anzuerkennen. Auf diese Weise soll ein europäischer Rahmen für IKT-Professionalität geschaffen werden.

2.2.

Kohäsionspolitik ^

[5]

Gemäß der EU-Verlautbarungen ist die Kohäsionspolitik die Hauptinvestitionsstrategie des Haushalts der Europäischen Union (EU)5. Durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), den Kohäsionsfonds und den Europäischen Sozialfonds (ESF) strebt die die EU an, neue, innovative Unternehmen und KMU (kleine und mittlere Unternehmen) zu fördern, zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen, Kompetenzen zu verbessen, Armut zu bekämpfen und die soziale Integration zu fördern, entlegene Gebiete mit Breitbandanschlüssen zu versorgen, die Abwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte zu bekämpfen, die Umwelt zu verbessern, Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energiequellen zu fördern, unerlässliche Verkehrsverbindungen aufzubauen und die Effizienz der öffentlichen Verwaltungen zu stärken. Ein Einstieg in die Dokumentation zur Kohäsionspolitik in Deutschland findet sich auf den Internetseiten des Bundeswirtschaftsministeriums6.

2.3.

E-Cohesion ^

[6]

Das gesamte Fördervolumen der europäischen Struktur- und Investitionsfonds im Haushalt 2014–2020 beträgt wie dargelegt 545 Mrd. Euro. Es ist daher unumgänglich, dass wirkungsvolle, IT-gestützte Werkzeuge zur Verwaltung und Kontrolle dieser erheblichen Investitionssummen zum Einsatz kommen. Das Konzept E-Cohesion definiert den elektronischen Informationsaustausch zwischen den Zuwendungsempfängern (beneficiaries) und verantwortlichen Behörden (programme bodies) von Programmen der EU-Kohäsionspolitik, aktuell für die Förderperiode 2014–2020. Die Anforderungen finden sich detaillierter in drei Artikeln der EU-Verordnung 1303/2013 vom 17. Dezember 20137. Danach wird grundlegend gefordert, dass die Förderprogramme den Zuwendungsempfängern IT-Systeme zur Verfügung stellen, die die Eingabe von Informationen in elektronischer Form ermöglichen. In Art. 15 (2) b) ist dort vorgegeben, «… dass jeder Mitgliedsstaat für den Zeitraum 2014–2020 eine Partnerschaftsvereinbarung entwickelt, in der (u.a.) Folgendes enthalten ist:
… Vorkehrungen zur Gewährleistung eines effizienten Einsatzes der ESI-Fonds, darunter eine Bewertung der bestehenden Systeme für den elektronischen Datenaustausch («Verwaltungs- und Kontrollsysteme») sowie eine Zusammenfassung der geplanten Maßnahmen, mit denen schrittweise ermöglicht werden soll, dass der gesamte Informationsaustausch zwischen den Begünstigten und den für die Verwaltung und Kontrolle der Programme zuständigen Behörden auf elektronischem Wege erfolgt.»

[7]
Kern von E-Cohesion ist also die Vereinfachung und Verringerung des Verwaltungsaufwandes bei der Beantragung, Bewilligung, Bewirtschaftung und Abrechnung von Fördermitteln zwischen Zuwendungsempfängern, zwischengeschalteten Stellen/Umsetzern sowie Verwaltungs-, Bescheinigungs- und Prüfbehörden. Daten sollen zukünftig einmalig erfasst werden und dann für alle relevanten Personen und Institutionen zur Information bzw. erneuten Verwendung verfügbar sein (das Only-Once-Encoding-Prinzip – und die damit erzielte Medienbruchfreiheit). Das Only-Once-Encoding Prinzip bezieht sich übrigens nicht nur auf Daten, die auf ein konkretes Verwaltungs- und Kontroll-System bezogen sind, sondern auch auf Daten, die mit anderen Institutionen (z.B. Finanzverwaltung, Registergerichte, Kammern) auszutauschen sind (übergreifende Medienbruchfreiheit).

3.

Umsetzung von E-Cohesion in IT-Systemen ^

[8]
Die Umsetzung der E-Cohesion-Prinzipien stellt hohe Anforderungen an die beteiligten IT-Systeme. Wann erfüllt nun ein EU-Mitgliedsstaat die Forderung nach E-Cohesion?

3.1.

Reifegrade für E-Cohesion ^

[9]

Die EU propagiert zur Bewertung von E-Government-Portalen (unabhängig vom Thema ESI-Fonds) ein 5-stufiges Reifegrad-Modell (siehe Tabelle 1). Dieses Modell soll eine Grundlage für einen Vergleich von E-Government-Portalen liefern und wurde in der E-Government-Vergleichsstudie20098 vorgestellt. Die fünf Levels können so als Messlatte zur Beurteilung von IT-Systemen/Implementierungen herangezogen werden.

Reifegrad-Stufen für E-Government-Portale
Level 1 Information: Grundlegende Informationen für Zuwendungsempfänger sind online abrufbar; passive Webseite (nur lesen).
Level 2 Einweg-Interaktion: Formulare können von den Zuwendungsempfängern zum Ausfüllen heruntergeladen werden.
Level 3 Zweiweg-Interaktion: In Ergänzung zu Level 2 können Formulare online ausgefüllt und zurückübermittelt werden (Hochladen). Der Nutzer muss sich anmelden (erfordert ein Identity Management).
Level 4 Transaktion: Der Informationsaustausch geschieht ausschließlich elektronisch. Der Nutzer kann Statusinformationen abrufen (pull- Verfahren).
Level 5 Personalisierung: Prozesse sind proaktiv und automatisiert, das System versendet Rückmeldungen an den Benutzer (push-Verfahren).

Tabelle 1

[10]
Langfristig fordert die EU, dass alle Portale Level 5 beherrschen, wobei nur eine schrittweise Annäherung an den Level 5 ein realistisches Szenario ist.

3.2.

Zeithorizont für die Umsetzung der E-Cohesion Funktionalitäten ^

[11]

In der Verordnung 1303/2013 wurde für die Umsetzung als Ende-Termin der 31. Dezember 2014 festgelegt (Art. 122(3)). Als sich abzeichnete, dass dieser Termin zu ehrgeizig gesetzt war, wurde schon bald Ende 2015 als neue Deadline in der EU-Verordnung veröffentlicht, inzwischen wird vom 31. Dezember 2016 ausgegangen. Es hat sich gezeigt, dass die Termine zu E-Cohesion eher den Charakter von Orientierungshilfen haben, denn die ggf. erforderlichen nationalen Gesetzgebungs- und sonstigen Änderungsprozesse können von außen nur schwer beeinflusst und können nicht erzwungen werden. So wurde z.B. für das Bundesland Bayern, ebenfalls Träger eines operationellen ESF-Programms, am 22. Dezember 2015 das E-Government-Gesetz verkündet9. Daher können auch erst ab diesem Zeitpunkt die diesbezüglichen Anforderungen an das Verwaltungs- und Kontrollsystem definiert werden (z.B. Umfang des Schriftformerfordernisses).

3.3.

Schriftormerfordernis/Signaturanforderungen ^

[12]
Die größte rechtliche Hürde für die volle Umsetzung der E-Cohesion Forderungen war zumindest bis 2015 das Thema der elektronischen Signaturen. Eine medienbruchfreie Datenkommunikation umfasst auch die elektronische Übermittlung von Dokumenten, die der Schriftform unterliegen, die also eine elektronische Signatur erfordern. Selbst wenn einschlägige IT-Lösungen längst zur Verfügung stehen, so ist doch durch die mangelnde Verbreitung bei den Adressaten de-facto eine große Hürde gegeben.
[13]

Für die Übermittlung von Dokumenten, für die die Schriftform vorgegeben ist, gelten die jeweiligen nationalen Regelungen. In Deutschland herrscht im Jahr 2016 eine Umbruchssituation. Signaturgesetz und Signaturverordnung auf Grundlage der EU-Richtlinie 1999/93/EG sind Auslaufmodelle. Die EU-Verordnung eIDAS10 muss jeweils national ergänzt werden, für Deutschland ist dies bis Mitte 2016 gefordert.

3.4.

IT-Systeme für E-Cohesion ^

[14]
Die Anforderungen an IT-Systeme, die sich aus der generellen E-Cohesion Vorgabe ergeben, sind in mehreren EU-Verordnungen dokumentiert11. Dies sind behördliche Verordnungstexte und keine Lastenhefte, auf derer Grundlage IT-Systeme beauftragt werden könnten. Hierzu sind stets nationale Gegebenheiten der Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen.
[15]
E-Cohesion ist eine Form des staatlichen Verwaltungshandelns. Die EU stellt über Verwaltungsstrukturen der Mitgliedsstaaten Fördergelder nach gewissen Kriterien und mit bestimmten Zielsetzungen zur Verfügung. Aufgabe der Mitgliedsstaaten ist es, diese Fördergelder der EU im Rahmen von operationellen Programmen dem jeweiligen Förderzweck zuzuführen. Zentrale Drehscheibe der ESI-Programme sind die jeweiligen Verwaltungsbehörden in den Mitgliedsstaaten. Die Verwaltungsbehörden nehmen einerseits Fördermittel der EU-Kommission entgegen und schütten diese nach einem vorgegebenen Prozess an die Zuwendungsempfänger aus. Die EU-Fördermittel werden nach dem Prinzip der Ko-Finanzierung ausgegeben; d.h. die EU übernimmt 50% eines Fördervorhabens, weitere 50% müssen aus anderen Quellen bereitgestellt werden (i.d.R. Förderprogramme der Mitgliedsstaaten). Die zu unterstützenden Finanzströme sind also komplex und vielschichtig, die Umsetzung in IT-Systemen ist nicht trivial.
[16]
Aufgrund einerseits der zahlreichen Prozesse, andererseits der zahlreichen Stakeholder, sind die Anforderungen an die bereitzustellenden Verwaltungs- und Kontrollsysteme umfangreich. Um den beteiligten Stakeholdern jeweils die Sicht auf ihre Objekte und Prozesse zu ermöglichen, ist ein flexibles Rollen- und Rechte-Modell erforderlich.
[17]
Die dritte Forderung der EU-Verordnung 1303/2016 in Richtung E-Cohesion lautet: Liegen Dokumente nur in elektronischer Form vor, so müssen die verwendeten Computersysteme anerkannten Sicherheitsstandards genügen, die gewährleisten, dass die gespeicherten Dokumente den nationalen Rechtsvorschriften entsprechen und für Prüfungszwecke zuverlässig sind. Damit wird der Vorrang der nationalen IT-Sicherheitsvorgaben bestätigt.

3.5.

Stakeholder, Prozesse und Informationsobjekte ^

[18]
An die zu entwickelnden Verwaltungs- und Kontrollsysteme zur Implementierung von E-Cohesion werden demnach sehr hohe Anforderungen gestellt. Diese können auch von Standard-Software nicht ohne einen erheblichen Anpassungsaufwand geleistet werden. Im Folgenden sein daher beispielhaft die zu unterstützenden Stakeholder (Rollen), Prozesse/Funktionen und Informationsobjekte aufgezählt, wie diese für das Verwaltungs- und Kontrollsystem eines operationelles Programm des ESF in Deutschland gefordert werden:
  • die zu berücksichtigen Stakeholder sind Verwaltungsbehörde, Bescheinigungsbehörde, Prüfbehörde, zwischengeschaltete Stellen, Antragsteller, Projektträger, Finanzverwaltung, EU-Administration des ESF;
  • zu unterstützende Prozesse und geforderte Funktionsblöcke: Zugang über das Internet, Rollen und Rechte-Verwaltung, Signatur-Funktionen (gem. der nationalen Ausprägungen), Beleg-Verwaltung, Auszahlungs- und Wieder-Einziehungsfunktionen, Bedienung von Schnittstellen zu Zahlungssystemen, und weiteren Fachanwendungen, Unterstützung von Zahlungsplänen, Mahnverfahren, Umsetzung des landesspezifischen Verwaltungsablaufs nach administrativen Vorgaben der Verwaltungsbehörde, Verwaltung der Technische Hilfe, Projektverwaltung für die Projektträger und die interne Verwaltung, Verwaltung der Individualförderung nach Maßgabe der EU-rechtlichen und nationalen Vorgaben, Verwaltung aller Antragsdaten der Projektträger, Änderbarkeit und Anpassbarkeit, umfassende Auswertemöglichkeiten, Gewährleistung von Datenschutz und IT-Sicherheit, Ergonomisches Bedienkonzept und Barrierefreiheit, geringe Anforderungen an die IT-Ausstattung der Nutzer;
  • beteiligte Informationsobjekte: Antragsformular, Kosten- und Finanzierungsplanung, Monitoring- und Abschlussbogen, Antragsprüfvermerk, Zuwendungsbescheid, Mittelabruf, Belegliste, eingescannte Belege, div. Prüfprotokolle, Auswertungen nach den verschiedensten Kriterien.

4.

E-Cohesion und E-Government/E-Justice ^

[19]
Wenn die Verwaltungs- und Kontrollsysteme für die Förderperiode 2014–2020 nach den EU-Vorgaben operativ sind und die Behörden die zugehörige Infrastruktur aufgebaut haben, dann sind günstige Voraussetzungen für den Aufbau weiterer E-Government/E-Justice Dienstleistungen im öffentlichen und privaten Sektor gegeben. Damit kann die Digitalisierung des öffentlichen Sektors in Deutschland, wie mit den E-Government- und E-Justice-Gesetzen 2013 initiiert, konkret vorangetrieben werden.
[20]
Diese Infrastrukturkomponenten für E-Cohesion stellen im Wesentlichen die folgenden Dienste bereit:
  1. Dienste zur Signatur-Infrastruktur, Unterstützung der elektronischen Signatur mit (z.B.) der eId-Funktion des neuen Personalausweises,
  2. Dienste zur sicheren Kommunikation und zur Authentisierung (verschlüsselte E-Mail oder webbasierte Kommunikation),
  3. Digitalisierungs-Dienste (Scannen),
  4. Dienste zur Datenspeicherung (Datenbanken und Dokumentenmanagement-Systeme),
  5. Dienste zur Realisierung des elektronischen Zahlungsverkehrs.
[21]
Alle diese Dienste werden benötigt, um E-Cohesion nach den EU-Forderungen zu realisieren. Es ist aber unmittelbar zu sehen, dass mit der Umsetzung auch Voraussetzungen für die Verwirklichung der Vorgaben nach dem E-Government- und E-Justice Gesetz geschaffen werden.
[22]

2013 wurde an dieser Stelle zusammenfassend über die Implikationen des deutschen E-Government-Gesetzes im Hinblick auf eine digitale Infrastruktur berichtet12. Die Anforderungen an die Infrastruktur (siehe 5.2 ebenda) korrespondieren damit in starkem Maße mit den o.a. geforderten Diensten (1. bis 5.). Einzig die Rolle einer elektronischen Akte wird in den beiden Welten unterschiedlich gesehen: während das E-Government-Gesetz die elektronische Aktenführung für die Bundesverwaltung explizit fordert, belässt es E-Cohesion bei der allgemeinen Forderung nach elektronischen Datenaustauschsystemen und entsprechenden Vorgaben für Aufbewahrungsfristen. So müssen in der Praxis denn auch Schnittstellen zwischen den EU-Verwaltungs- und Kontrollsystemen und den elektronischen Akten der jeweiligen Verwaltungen implementiert werden.

[23]

Gleichgültig, von welcher Seite die Anforderungen an die öffentlichen Institutionen gestellt werden, E-Cohesion oder E-Government-/E-Justice-Gesetz, der Effekt sind stets Impulse zur Weiterentwicklung der digitalen Infrastruktur des Landes.

[24]
Damit werden Rahmenbedingungen für das digitale Leben in der Gesellschaft insgesamt vorgegeben. Und so werden schließlich auch die Ziele der digitalen Agenda der EU 2020 realisiert, womit sich der Kreis vom Beginn dieser Ausführungen schließt (siehe 2.1). Trotzdem muss für eine nicht zu knappe Übergangszeit die nicht-digitale Welt weiterhin bedient werden.
[25]
Verwaltungs- und Kontrollsysteme, die diese Anforderungen erfüllen und sich im Praxiseinsatz bewährt haben, haben damit ein großes Potential, um in ähnlichen Anwendungsgebieten im Bereich E-Government/E-Justice zum Einsatz zu kommen. Diese Systeme decken einen großen Umfang an Funktionen ab, die für E-Government/E-Justice Anwendungen benötigt werden. Damit wird auch die Stärkung der digitalen und E-Government-Kompetenz der IT-Industrie gefördert.
[26]
Für vergleichbare Anwendungsgebiete können also auf der Grundlage von existierenden Systemen neue Systeme, die Verwaltungs- und Kontrollaufgaben erfüllen, adaptiert werden.

4.1.

Praxislösungen zu den Verwaltungs- und Kontrollsystemen ^

[27]
Jeder Träger eines operationellen Programms zu einem ESI-Fonds ist verpflichtet, ein Verwaltungs- und Kontrollsystem aufzubauen und zu betreiben. Als Resultat hat sich bei den 32 operationellen Programmen alleine in Deutschland eine beträchtliche Systemvielfalt entwickelt. Mittel zur Realisierung der Systeme stellt der jeweilige Fonds in Form von Technischer Hilfe zur Verfügung. Damit hat sich im Laufe der Zeit ein Spezialmarkt für derartige IT-Systeme entwickelt. Aus Sicht der Softwaretechnik kommen zahlreiche heterogene Systeme zum Einsatz, wie diese individuell aufgrund öffentlicher Ausschreibungen beauftragt wurden. Diese Systeme unterscheiden sich daher zwangsläufig in ihrem Reifegrad, also Funktionsumfang, Architektur, Administrierbarkeit und Betriebsumgebung. Eine Konsolidierung dieser Systemlandschaft wäre aus gesamtwirtschaftlichen Gründen wünschenswert, ist aber kurzfristig gesehen eher unrealistisch.
[28]
Die Internet-Seiten der Bundesregierung und der Bundesländer weisen eine Fülle von Beispielen für geförderte Projekte im Rahmen der jeweiligen ESI-Fonds auf. Zuwendungsempfänger sind gehalten, ihre Kommunikation mit der Verwaltungsbehörde vollständig elektronisch abzuwickeln.
[29]
Auf der Einstiegs-Webseite zu dem jeweiligen Fonds finden sich konkrete Hinweise zur Anmeldung und Nutzung der jeweiligen Verwaltungs- und Kontrollsysteme.

4.2.

Bezug zur Vernetzung ^

[30]

Die Gesetze zu E-Government und E-Justice geben einen Entwicklungspfad für die digitale Infrastruktur in Deutschland vor. Fortgeschrittene E-Government-/E-Justice-Lösungen setzen voraus, dass die öffentlichen Dienstleister aus den Bereichen Justiz, Finanzverwaltung, Arbeitsverwaltung, Kammern, Kommunen, u.a. in der Lage sind, Daten miteinander und mit Wirtschaftsunternehmen und Bürgern auszutauschen. Als wirtschaftlich besonders lohnendes Gebiet wurde schon vor mehreren Jahren das Thema Prozessketten zwischen Bürgern, Wirtschaft und Verwaltung identifiziert13. Alle E-Government-Dienste setzen voraus, dass die Teilnehmer in der Lage sind, medienbruchfrei Daten auszutauschen und diese semantisch korrekt zu verarbeiten. Die Vorgaben der EU aus dem Bereich E-Cohesion stehen somit nicht in Konkurrenz zu E-Government/E-Justice, sondern ergänzen die gesetzlichen Anforderungen aus einer weiteren Sicht, tragen also zur Vernetzung der IT-Infrastruktur national wie EU-weit bei.

5.

Fazit ^

[31]

Es wurde herausgearbeitet, dass E-Cohesion als zusätzlicher Treiber für den Aufbau einer digitalen Infrastruktur in den EU-Mitgliedsstaaten wirkt, obwohl nicht geleugnet werden kann, dass es auch umstrittene Punkte gibt, z.B. die Frage der elektronischen Signaturen, da hier die nationalen Lösungen voneinander abweichen, eine Harmonisierung ist derzeit nicht abzusehen. Alle institutionellen Beteiligten an EU-Förderverfahren nach den ESI-Fonds müssen die Vorgaben zu E-Cohesion umsetzen. Dies ist ein Beitrag zu einem schrittweisen Ausbau einer digitale Infrastruktur in Deutschland und Europa, die Forderungen durch das E-Government-Gesetz und das E-Justice-Gesetz werden gestützt. Die Infrastruktur wird den staatlichen wie nichtstaatlichen Institutionen und der Wirtschaft ermöglichen, als Netzwerk zu wirken und die papierlose, medienbruchfreie und sichere Datenkommunikation zu befördern. Durch die EU-Kommission wird so der Rahmen vorgegeben, in dem sich die IT-Infrastruktur in den Mitgliedsstaaten weiter entwickeln kann und gemeinsame Grundlagen für kompatible EU-weite Datenaustauschsysteme gelegt werden. Gerade das Jahr 2015 hat gezeigt, dass es daran einen dringenden Bedarf gibt.

  1. 1 Quelle: http://www.foerderdatenbank.de/Foerder-DB/Navigation/Foerderwissen/eu-foerderung.html (abgerufen am 25. Januar 2016).
  2. 2 Quelle: http://ec.europa.eu/contracts_grants/funds_de.htm (abgerufen am 25. Januar 2016).
  3. 3 Eine Digitale Agenda für Europa, http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex:52010DC0245 (abgerufen am 25. Januar 2016).
  4. 4 Europäischer eGovernment-Aktionsplan 2010–2015, https://ec.europa.eu/digital-agenda/european-egovernment-action-plan-2011-2015 (abgerufen am 22. Februar 2016).
  5. 5 Europäische Struktur- und Investitionsfonds, http://ec.europa.eu/contracts_grants/funds_de.htm (abgerufen am 25. Januar 2016).
  6. 6 EU-Kohäsionspolitik in Deutschland, http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/F/fakten-zur-kohaesionspolitik-in-deutschland.pdf (abgerufen am 25. Januar 2016).
  7. 7 VERORDNUNG (EU) Nr. 1303/2013 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates; ABl. L 347, 20. Dezember 2013, S. 320; http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32013R1303&from=DE.
  8. 8 Smarter, Faster, Better eGovernment. 8th Benchmark Measurement | November 2009; erstellt von: CAPGEMINI, RAND EUROPE, IDC, SOGETI und DTI für die Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien der Europäischen Kommission, siehe https://www.capgemini.com/resources/2009-egovernment-benchmark (abgerufen am 22. Februar 2016).
  9. 9 Gesetz über die elektronische Verwaltung in Bayern, siehe https://www.verkuendung-bayern.de/files/gvbl/2015/17/gvbl-2015-17.pdf (abgerufen am 25. Januar 2016).
  10. 10 VERORDNUNG (EU) Nr. 910/2014 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG, ABl. L 257, 28. August 2014, S. 73; http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0910&from=DE.
  11. 11 DURCHFÜHRUNGSVERORDNUNG (EU) Nr. 1011/2014 DER KOMMISSION vom 22. September 2014 mit detaillierten Regelungen für die Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Muster für die Übermittlung bestimmter Informationen an die Kommission und detaillierten Regelungen für den Informationsaustausch zwischen Begünstigten und Verwaltungsbehörden, Bescheinigungsbehörden, Prüfbehörden und zwischengeschalteten Stellen; ABl. L 286, 30. September 2014, S. 1; http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32014R1011&from=DE.
  12. 12 Vgl. Tonndorf, M., Effiziente Geschäftsprozesse als Grundlage einer modernen Verwaltung in Deutschland. In: Schweighofer, Erich / Kummer, Franz / Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Abstraktion und Application, Tagungsband des 16. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2013, OCG Band 292, S. 133–140 (2013).
  13. 13 Vgl. Tonndorf, M., Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R): Ein Modell für die Implementierung des Instanzenzugs? In: Schweighofer, Erich / Kummer, Franz / Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Kooperation, Tagungsband des 18. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2015, OCG Band 309, S. 301–310 (2015).