1.
Einleitung ^
2.1.
Grundlagen ^
Die EU hat 2010 eine «Digitale Agenda für Europa» propagiert3. Die Digitale Agenda für Europa ist eine der sieben Leitinitiativen der Strategie Europa 2020. Diese wurde entwickelt, um die grundlegende Rolle zu definieren, die dem Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zukommen muss, wenn Europa seine ehrgeizigen Ziele für 2020 verwirklichen will. Auf der Grundlage der Digitalen Agenda soll einerseits das Wachstum der digitalen Märkte intensiviert werden, andererseits die Schlüsselrolle der Informationstechnik für das qualitative und quantitative Wachstum der Märkte überhaupt herausgestellt werden. Zur konkreten Umsetzung der Ziele der Digitalen Agenda werden in 5-Jahres-Intervallen Aktionspläne veröffentlicht (hier: IKT und e-Government: Europäischer Aktionsplan 2011–20154). Die in diesem Zusammenhang relevanten Ziele lauten
50% der EU-Bürger und 80% der Unternehmen in der EU sollen bis zum Jahr 2015 E-Government Dienste nutzen.
Zur Förderung der Beschäftigung im IKT-Bereich schlägt die Kommission vor, der digitalen Kompetenz und Kultur im Rahmen des Europäischen Sozialfonds Vorrang einzuräumen. Außerdem möchte sie Instrumente entwickeln, um Kompetenzen professioneller IKT-Anwender und -Benutzer zu ermitteln und anzuerkennen. Auf diese Weise soll ein europäischer Rahmen für IKT-Professionalität geschaffen werden.
2.2.
Kohäsionspolitik ^
Gemäß der EU-Verlautbarungen ist die Kohäsionspolitik die Hauptinvestitionsstrategie des Haushalts der Europäischen Union (EU)5. Durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), den Kohäsionsfonds und den Europäischen Sozialfonds (ESF) strebt die die EU an, neue, innovative Unternehmen und KMU (kleine und mittlere Unternehmen) zu fördern, zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen, Kompetenzen zu verbessen, Armut zu bekämpfen und die soziale Integration zu fördern, entlegene Gebiete mit Breitbandanschlüssen zu versorgen, die Abwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte zu bekämpfen, die Umwelt zu verbessern, Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energiequellen zu fördern, unerlässliche Verkehrsverbindungen aufzubauen und die Effizienz der öffentlichen Verwaltungen zu stärken. Ein Einstieg in die Dokumentation zur Kohäsionspolitik in Deutschland findet sich auf den Internetseiten des Bundeswirtschaftsministeriums6.
2.3.
E-Cohesion ^
Das gesamte Fördervolumen der europäischen Struktur- und Investitionsfonds im Haushalt 2014–2020 beträgt wie dargelegt 545 Mrd. Euro. Es ist daher unumgänglich, dass wirkungsvolle, IT-gestützte Werkzeuge zur Verwaltung und Kontrolle dieser erheblichen Investitionssummen zum Einsatz kommen. Das Konzept E-Cohesion definiert den elektronischen Informationsaustausch zwischen den Zuwendungsempfängern (beneficiaries) und verantwortlichen Behörden (programme bodies) von Programmen der EU-Kohäsionspolitik, aktuell für die Förderperiode 2014–2020. Die Anforderungen finden sich detaillierter in drei Artikeln der EU-Verordnung 1303/2013 vom 17. Dezember 20137. Danach wird grundlegend gefordert, dass die Förderprogramme den Zuwendungsempfängern IT-Systeme zur Verfügung stellen, die die Eingabe von Informationen in elektronischer Form ermöglichen. In Art. 15 (2) b) ist dort vorgegeben, «… dass jeder Mitgliedsstaat für den Zeitraum 2014–2020 eine Partnerschaftsvereinbarung entwickelt, in der (u.a.) Folgendes enthalten ist:
… Vorkehrungen zur Gewährleistung eines effizienten Einsatzes der ESI-Fonds, darunter eine Bewertung der bestehenden Systeme für den elektronischen Datenaustausch («Verwaltungs- und Kontrollsysteme») sowie eine Zusammenfassung der geplanten Maßnahmen, mit denen schrittweise ermöglicht werden soll, dass der gesamte Informationsaustausch zwischen den Begünstigten und den für die Verwaltung und Kontrolle der Programme zuständigen Behörden auf elektronischem Wege erfolgt.»
3.
Umsetzung von E-Cohesion in IT-Systemen ^
3.1.
Reifegrade für E-Cohesion ^
Die EU propagiert zur Bewertung von E-Government-Portalen (unabhängig vom Thema ESI-Fonds) ein 5-stufiges Reifegrad-Modell (siehe Tabelle 1). Dieses Modell soll eine Grundlage für einen Vergleich von E-Government-Portalen liefern und wurde in der E-Government-Vergleichsstudie20098 vorgestellt. Die fünf Levels können so als Messlatte zur Beurteilung von IT-Systemen/Implementierungen herangezogen werden.
Reifegrad-Stufen für E-Government-Portale | |
Level 1 | Information: Grundlegende Informationen für Zuwendungsempfänger sind online abrufbar; passive Webseite (nur lesen). |
Level 2 | Einweg-Interaktion: Formulare können von den Zuwendungsempfängern zum Ausfüllen heruntergeladen werden. |
Level 3 | Zweiweg-Interaktion: In Ergänzung zu Level 2 können Formulare online ausgefüllt und zurückübermittelt werden (Hochladen). Der Nutzer muss sich anmelden (erfordert ein Identity Management). |
Level 4 | Transaktion: Der Informationsaustausch geschieht ausschließlich elektronisch. Der Nutzer kann Statusinformationen abrufen (pull- Verfahren). |
Level 5 | Personalisierung: Prozesse sind proaktiv und automatisiert, das System versendet Rückmeldungen an den Benutzer (push-Verfahren). |
Tabelle 1
3.2.
Zeithorizont für die Umsetzung der E-Cohesion Funktionalitäten ^
In der Verordnung 1303/2013 wurde für die Umsetzung als Ende-Termin der 31. Dezember 2014 festgelegt (Art. 122(3)). Als sich abzeichnete, dass dieser Termin zu ehrgeizig gesetzt war, wurde schon bald Ende 2015 als neue Deadline in der EU-Verordnung veröffentlicht, inzwischen wird vom 31. Dezember 2016 ausgegangen. Es hat sich gezeigt, dass die Termine zu E-Cohesion eher den Charakter von Orientierungshilfen haben, denn die ggf. erforderlichen nationalen Gesetzgebungs- und sonstigen Änderungsprozesse können von außen nur schwer beeinflusst und können nicht erzwungen werden. So wurde z.B. für das Bundesland Bayern, ebenfalls Träger eines operationellen ESF-Programms, am 22. Dezember 2015 das E-Government-Gesetz verkündet9. Daher können auch erst ab diesem Zeitpunkt die diesbezüglichen Anforderungen an das Verwaltungs- und Kontrollsystem definiert werden (z.B. Umfang des Schriftformerfordernisses).
3.3.
Schriftormerfordernis/Signaturanforderungen ^
Für die Übermittlung von Dokumenten, für die die Schriftform vorgegeben ist, gelten die jeweiligen nationalen Regelungen. In Deutschland herrscht im Jahr 2016 eine Umbruchssituation. Signaturgesetz und Signaturverordnung auf Grundlage der EU-Richtlinie 1999/93/EG sind Auslaufmodelle. Die EU-Verordnung eIDAS10 muss jeweils national ergänzt werden, für Deutschland ist dies bis Mitte 2016 gefordert.
3.4.
IT-Systeme für E-Cohesion ^
3.5.
Stakeholder, Prozesse und Informationsobjekte ^
- die zu berücksichtigen Stakeholder sind Verwaltungsbehörde, Bescheinigungsbehörde, Prüfbehörde, zwischengeschaltete Stellen, Antragsteller, Projektträger, Finanzverwaltung, EU-Administration des ESF;
- zu unterstützende Prozesse und geforderte Funktionsblöcke: Zugang über das Internet, Rollen und Rechte-Verwaltung, Signatur-Funktionen (gem. der nationalen Ausprägungen), Beleg-Verwaltung, Auszahlungs- und Wieder-Einziehungsfunktionen, Bedienung von Schnittstellen zu Zahlungssystemen, und weiteren Fachanwendungen, Unterstützung von Zahlungsplänen, Mahnverfahren, Umsetzung des landesspezifischen Verwaltungsablaufs nach administrativen Vorgaben der Verwaltungsbehörde, Verwaltung der Technische Hilfe, Projektverwaltung für die Projektträger und die interne Verwaltung, Verwaltung der Individualförderung nach Maßgabe der EU-rechtlichen und nationalen Vorgaben, Verwaltung aller Antragsdaten der Projektträger, Änderbarkeit und Anpassbarkeit, umfassende Auswertemöglichkeiten, Gewährleistung von Datenschutz und IT-Sicherheit, Ergonomisches Bedienkonzept und Barrierefreiheit, geringe Anforderungen an die IT-Ausstattung der Nutzer;
- beteiligte Informationsobjekte: Antragsformular, Kosten- und Finanzierungsplanung, Monitoring- und Abschlussbogen, Antragsprüfvermerk, Zuwendungsbescheid, Mittelabruf, Belegliste, eingescannte Belege, div. Prüfprotokolle, Auswertungen nach den verschiedensten Kriterien.
4.
E-Cohesion und E-Government/E-Justice ^
- Dienste zur Signatur-Infrastruktur, Unterstützung der elektronischen Signatur mit (z.B.) der eId-Funktion des neuen Personalausweises,
- Dienste zur sicheren Kommunikation und zur Authentisierung (verschlüsselte E-Mail oder webbasierte Kommunikation),
- Digitalisierungs-Dienste (Scannen),
- Dienste zur Datenspeicherung (Datenbanken und Dokumentenmanagement-Systeme),
- Dienste zur Realisierung des elektronischen Zahlungsverkehrs.
2013 wurde an dieser Stelle zusammenfassend über die Implikationen des deutschen E-Government-Gesetzes im Hinblick auf eine digitale Infrastruktur berichtet12. Die Anforderungen an die Infrastruktur (siehe 5.2 ebenda) korrespondieren damit in starkem Maße mit den o.a. geforderten Diensten (1. bis 5.). Einzig die Rolle einer elektronischen Akte wird in den beiden Welten unterschiedlich gesehen: während das E-Government-Gesetz die elektronische Aktenführung für die Bundesverwaltung explizit fordert, belässt es E-Cohesion bei der allgemeinen Forderung nach elektronischen Datenaustauschsystemen und entsprechenden Vorgaben für Aufbewahrungsfristen. So müssen in der Praxis denn auch Schnittstellen zwischen den EU-Verwaltungs- und Kontrollsystemen und den elektronischen Akten der jeweiligen Verwaltungen implementiert werden.
Gleichgültig, von welcher Seite die Anforderungen an die öffentlichen Institutionen gestellt werden, E-Cohesion oder E-Government-/E-Justice-Gesetz, der Effekt sind stets Impulse zur Weiterentwicklung der digitalen Infrastruktur des Landes.
4.1.
Praxislösungen zu den Verwaltungs- und Kontrollsystemen ^
4.2.
Bezug zur Vernetzung ^
Die Gesetze zu E-Government und E-Justice geben einen Entwicklungspfad für die digitale Infrastruktur in Deutschland vor. Fortgeschrittene E-Government-/E-Justice-Lösungen setzen voraus, dass die öffentlichen Dienstleister aus den Bereichen Justiz, Finanzverwaltung, Arbeitsverwaltung, Kammern, Kommunen, u.a. in der Lage sind, Daten miteinander und mit Wirtschaftsunternehmen und Bürgern auszutauschen. Als wirtschaftlich besonders lohnendes Gebiet wurde schon vor mehreren Jahren das Thema Prozessketten zwischen Bürgern, Wirtschaft und Verwaltung identifiziert13. Alle E-Government-Dienste setzen voraus, dass die Teilnehmer in der Lage sind, medienbruchfrei Daten auszutauschen und diese semantisch korrekt zu verarbeiten. Die Vorgaben der EU aus dem Bereich E-Cohesion stehen somit nicht in Konkurrenz zu E-Government/E-Justice, sondern ergänzen die gesetzlichen Anforderungen aus einer weiteren Sicht, tragen also zur Vernetzung der IT-Infrastruktur national wie EU-weit bei.
5.
Fazit ^
Es wurde herausgearbeitet, dass E-Cohesion als zusätzlicher Treiber für den Aufbau einer digitalen Infrastruktur in den EU-Mitgliedsstaaten wirkt, obwohl nicht geleugnet werden kann, dass es auch umstrittene Punkte gibt, z.B. die Frage der elektronischen Signaturen, da hier die nationalen Lösungen voneinander abweichen, eine Harmonisierung ist derzeit nicht abzusehen. Alle institutionellen Beteiligten an EU-Förderverfahren nach den ESI-Fonds müssen die Vorgaben zu E-Cohesion umsetzen. Dies ist ein Beitrag zu einem schrittweisen Ausbau einer digitale Infrastruktur in Deutschland und Europa, die Forderungen durch das E-Government-Gesetz und das E-Justice-Gesetz werden gestützt. Die Infrastruktur wird den staatlichen wie nichtstaatlichen Institutionen und der Wirtschaft ermöglichen, als Netzwerk zu wirken und die papierlose, medienbruchfreie und sichere Datenkommunikation zu befördern. Durch die EU-Kommission wird so der Rahmen vorgegeben, in dem sich die IT-Infrastruktur in den Mitgliedsstaaten weiter entwickeln kann und gemeinsame Grundlagen für kompatible EU-weite Datenaustauschsysteme gelegt werden. Gerade das Jahr 2015 hat gezeigt, dass es daran einen dringenden Bedarf gibt.
- 1 Quelle: http://www.foerderdatenbank.de/Foerder-DB/Navigation/Foerderwissen/eu-foerderung.html (abgerufen am 25. Januar 2016).
- 2 Quelle: http://ec.europa.eu/contracts_grants/funds_de.htm (abgerufen am 25. Januar 2016).
- 3 Eine Digitale Agenda für Europa, http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex:52010DC0245 (abgerufen am 25. Januar 2016).
- 4 Europäischer eGovernment-Aktionsplan 2010–2015, https://ec.europa.eu/digital-agenda/european-egovernment-action-plan-2011-2015 (abgerufen am 22. Februar 2016).
- 5 Europäische Struktur- und Investitionsfonds, http://ec.europa.eu/contracts_grants/funds_de.htm (abgerufen am 25. Januar 2016).
- 6 EU-Kohäsionspolitik in Deutschland, http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/F/fakten-zur-kohaesionspolitik-in-deutschland.pdf (abgerufen am 25. Januar 2016).
- 7 VERORDNUNG (EU) Nr. 1303/2013 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates; ABl. L 347, 20. Dezember 2013, S. 320; http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32013R1303&from=DE.
- 8 Smarter, Faster, Better eGovernment. 8th Benchmark Measurement | November 2009; erstellt von: CAPGEMINI, RAND EUROPE, IDC, SOGETI und DTI für die Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien der Europäischen Kommission, siehe https://www.capgemini.com/resources/2009-egovernment-benchmark (abgerufen am 22. Februar 2016).
- 9 Gesetz über die elektronische Verwaltung in Bayern, siehe https://www.verkuendung-bayern.de/files/gvbl/2015/17/gvbl-2015-17.pdf (abgerufen am 25. Januar 2016).
- 10 VERORDNUNG (EU) Nr. 910/2014 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG, ABl. L 257, 28. August 2014, S. 73; http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0910&from=DE.
- 11 DURCHFÜHRUNGSVERORDNUNG (EU) Nr. 1011/2014 DER KOMMISSION vom 22. September 2014 mit detaillierten Regelungen für die Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Muster für die Übermittlung bestimmter Informationen an die Kommission und detaillierten Regelungen für den Informationsaustausch zwischen Begünstigten und Verwaltungsbehörden, Bescheinigungsbehörden, Prüfbehörden und zwischengeschalteten Stellen; ABl. L 286, 30. September 2014, S. 1; http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32014R1011&from=DE.
- 12 Vgl. Tonndorf, M., Effiziente Geschäftsprozesse als Grundlage einer modernen Verwaltung in Deutschland. In: Schweighofer, Erich / Kummer, Franz / Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Abstraktion und Application, Tagungsband des 16. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2013, OCG Band 292, S. 133–140 (2013).
- 13 Vgl. Tonndorf, M., Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R): Ein Modell für die Implementierung des Instanzenzugs? In: Schweighofer, Erich / Kummer, Franz / Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Kooperation, Tagungsband des 18. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2015, OCG Band 309, S. 301–310 (2015).